Читать книгу Dorin, der Erdwichtel - Stefan Wichmann - Страница 12
5. Der Plan
ОглавлениеSunny wachte wie immer mit den ersten Sonnenstrahlen auf. Sie räkelte sich, sprang auf und küsste erst ihre Mutter, dann ihre Oma auf die Wange.
„Soll ich Wasser holen?“, fragte sie und lief schon los.
Es ging ihr eigentlich nicht darum Wasser zu holen, sondern darum zu sehen, ob ihre Freunde Dorin und Skalli schon wach waren. Sie sprang mit einem Blatt, dass sie im Laufen zu einem Trichter formte in Richtung des Tümpels. Ein Blatt war viel leichter als diese schweren Eimer und so konnte sie die benötigte Wassermenge viel leichter tragen. Nahe des Tümpels hörte sie schon die Stimmen der Jungen. Sie verharrte im Schritt und schlich sich an.
‚Ein kleiner Streich am Morgen, vertreibt Kummer und Sorgen‘, dachte sie vergnügt. Sie sah sich um, sah eine kleine Nieswurzpflanze und nahm sich unter Protest einer Elfe ein kleines Stück Wurzel. Sie zerrieb es sorgfältig zu Pulver. Sie lächelte, als sie an die Wirkung dachte. Wer auch immer das Pulver einatmen würde, musste so heftig niesen, dass seine Füße fast vom Boden abhoben. Sie wusste, wen es gleich treffen würde. Behutsam schüttete sie das Pulver in ihren Trichter und blies heftig in das zusammengerollte Blattende. Das Pulver flog erst in Richtung der Jungen, driftete dann durch einen plötzlichen Windstoß ab! Mit Schrecken sah sie, dass es jetzt in eine falsche Richtung flog und, offensichtlich durch einen weiteren Windstoß getrieben, Richtung Dorfplatz trieb. Dort stand Grumdin, der Dorfälteste. Sie duckte sich verärgert. Schon nieste er und grummelte verärgert. Doch ehe sie sich entscheiden konnte, ob sie über ihren gelungenen Streich lachen sollte oder sich darüber ärgern, dass es den Falschen getroffen hatte, hörte sie die aufgeregte Stimme von Dorin:
„Stell dir vor: Lenguja selbst hat von dem Gang erzählt! Der alte Schamane!“
Skalli starrte Dorin an.
„Lenguja? Der sitzt doch sonst eher in seinem Zelt zwischen seinen Töpfen und Kräutern.“
Sogar über die Entfernung hinweg sah Sunny, wie seine Augen aufblitzten.
„Das muss ich Sunny erzählen!“
Dorin tippte sich an den Kopf.
„Bist du irre? Du willst doch nur wieder Eindruck schinden bei der grünäugigen ...“
Skalli stürzte sich auf Dorin und hielt ihm den Mund zu. Dorin ließ sich das natürlich nicht gefallen und so rangen die Beiden auf dem staubigen Boden miteinander.
„Du bist doch selbst in sie verschossen“, keuchte Skalli, ließ sich auf den Rücken fallen und atmete gierig die Luft ein. Auch Dorin ließ sich jetzt auf den Rücken fallen, verschränkte die Arme unter seinem Kopf und starrte in den blauen Himmel.
„Mensch, Alter“, sagte er,
„sie ist einfach ... so ... so ... in Ordnung!“
Skalli setzte sich auf und starrte zu Dorin.
„Sie ist ein echt feiner Kerl“, bestätigte er.
„Ich glaube, ich würde alles für sie tun.“
Dorin’s bernsteinfarbene Augen fixierten ihn.
„Würdest du unsere Freundschaft für sie opfern?“
Skalli's Kopf ruckte hoch.
„Himmel, nein“, rief er.
„Das ist doch etwas ganz anderes!“
Dorin setzte sich auf.
„Ja, ich mag sie auch gern. Eines Tages werden wir uns wegen ihr streiten.“
Skalli schüttelte den Kopf.
„Es ist ihre Entscheidung. Sie wird bestimmen, was geschieht.“
Sunny bemerkte eine Bewegung rechts von sich und erkannte Lenguja. Der hockte auf den Fersen und schaute lächelnd zum Dorfältesten hinüber. Sunny’s Herz pochte. Hatte er etwa ihren missglückten Streich mitbekommen? Sie konnte sich nicht länger zurückhalten, musste etwas tun, um nicht Lenguja womöglich Rede und Antwort stehen zu müssen. Ihre Stimme ließ die Beiden zusammenfahren:
„Wer wird bestimmen, was geschieht?“
Dorin und Skalli sprangen auf die Füße. Skalli wurde rot.
„Ich habe gestern die Alten am Lagerfeuer belauscht und du wirst entscheiden, ob wir es wagen werden“, rief Dorin hastig und setzte listig hinterher:
„Ab wo hast du meine Neuigkeiten mitgehört?“
Sie lächelte, als sie seine List erkannte. Würde sie jetzt zuviel sagen, wüssten beide, dass sie nicht nur das Ende ihres Gespräches mitbekommen hatte. Lieber beschloss sie, für sich zu behalten, dass sie das ganze Gespräch mitverfolgt hatte. Sie wollte ihn nicht bloßstellen. Skalli's roter Kopf hatte sich wieder zur normalen bräunlichen Hautfarbe zurückverwandelt, nur die Ohren leuchteten noch rot vor Aufregung und Sunny lachte.
„Ich habe gar nichts gehört“, log sie.
Sie hasste es zu lügen, aber in diesem Fall hielt sie es für angebracht, um ihn nicht erneut in Verlegenheit zu bringen.
Skalli erzählte aufgeregt, was er von Dorin wusste, während dieser ihn amüsiert musterte. Er erzählte von dem geheimnisvollen Gespräch, das Dorin belauscht hatte, während Dorin ungeduldig darauf wartete für seine Lauschaktion gelobt zu werden.
Sunny sah von einem zum anderen. Sie wusste, dass es viel besser ist, wenn nicht der Held von seinen Taten berichtet, sondern ein anderer. So war es ja auch bei den Erzählungen der Krieger am Lagerfeuer. Insgeheim wartete sie, dass Skalli seinen Freund gleich einbeziehen würde, sodass Dorin seinen Mut noch einmal selbst bekräftigen und davon berichten konnte, dass sie ihn fast erwischt hätten.
Doch Skalli erwähnte Dorin mit keiner Silbe!
Darüber ärgerte sich Sunny. Nüchtern gab der das Geheimnis der Alten preis, ohne auch nur mit einer Silbe Dorin zu erwähnen, der voller Ungeduld von einem Fuß auf den anderen trat! Auch dessen Miene verfinsterte sich zusehends.
Endlich holte er Luft, um sich weiter selbst in Szene zu setzen.
Sunny bemerkte es.
„Wow“, unterbrach sie ihn, „Da muss ich gleich versuchen, etwas mehr von meiner Oma zu erfahren.“
Ihr Blick fiel zu Dorin.
„Mensch Dorin, was schaust du denn so miesepetrig?“
Sie bot Dorin ihre Hand an.
„Komm doch mit, dann können wir beide versuchen etwas von ihr zu erfahren!“
Dorin wurde rot.
„Ja, gern“, stotterte er.
Skalli starrte beide sprachlos an. Es stand ihm im Gesicht geschrieben, dass er Sunny hatte beeindrucken wollen und jetzt verwirrt war, dass sie ihm nicht ihre Hand anbot.
In diesem Augenblick erscholl ein Ruf quer über den Marktplatz: „Dorin! Komm und hilf mir mal!“
Dorin stöhnte auf:
„Mist!“
Dann senkte er den Kopf und trottete zu seiner Mutter, die mit einem Korb vor dem kleinen Zelt stand und auf ihn wartete.
Sunny lächelte Skalli an.
„Komm Skalli.“
Sie bot ihm die Hand.
„Wenn du nicht so sauer dreinschaust, dann kannst du mit mir kommen!“
Skalli stampfte seinen Fuß in den Boden und raunte.
„Nee, lass mal.“ Offensichtlich wütend drehte er sich um und trottete in den Wald.
Sunny nickte und murmelte:
„So ist es, wenn man seinen Freund um seinen Ruhm bringen möchte. Man kann es nicht wirklich genießen.“
Sie zuckte die Schultern und lief zügig nach Hause. Als sie die Zeltwand zur Seite schlug, drang ihr der köstliche Duft von gedünstetem Obst entgegen.
„Hmmm! Das riecht aber lecker, Oma!“
Die Oma schaute sie gespielt ernst an. Ein leichtes Lächeln huschte über ihr runzliges Gesicht, während ihre Mutter Brombeeren und Wurzeln im Topf umrührte.
„Na, Sunny, was soll denn Oma für dich tun?“, fragte sie und blinzelte der Oma zu, die am Tisch Erdknollen schälte.
Sunny setzte sich ganz dicht neben ihre Oma und flüsterte ihr zu:
„Erzählst du mir eine Geschichte?“
Die Oma schaute ihr liebevoll ins Gesicht: „Die Brombeeren, die deine Mutter dort mit den Wurzeln verrührt, schmecken nicht nur, sondern helfen sogar bei Fieber! Wusstest du das?“
Sunny lächelte: „Und aus den Blättern kann man auch Tee kochen. Ach Oma, das weiß ich doch längst.“
Sie stellte ihre Stimme tief und raunte: „Eine Geschichte von verbotenen und geheimen Abkommen?“
Der Löffel im Topf klapperte und ihre Mutter drehte sich um: „Was hast du denn jetzt wieder aufgeschnappt, Kind?“
Sorge lag in ihrer Stimme. „Ich kenne nur ein Abkommen und das ist ganz bestimmt nichts für Kinderohren!“ Jetzt hörte Sunny sogar einen wütenden Klang heraus.
Die Oma reagierte nicht.
„Du erzählst ihr nichts von den Geschichten!“ Die Stimme von Sunny’s Mutter überschlug sich schrill und sie beugte sich über den Tisch. Ihr Gesicht war nur noch eine Handbreit vom Gesicht der Oma entfernt: „Kein Wort“, zischte sie langsam und eindringlich.
Die Oma schaute ihrer Tochter direkt in die Augen. Ihre Stimme war fest, als sie sprach: „Die Dinge nehmen ihren Lauf, wir können es nicht verhindern!“
Mit diesen Worten stand sie langsam auf, während Sunny’s Mutter vor lauter Wut laut „Oooch“ machte.
So standen die beiden Frauen voreinander und starrten sich an.
„Auch du hast damals gefragt und ich habe es erzählt. Wissen kann nicht schaden!“
Ihre Hand tastete nach dem Kopf Sunny’s.
„Komm, lass und Beeren suchen gehen.“
Tränen stiegen in die Augen von Sunny’s Mutter.
„Wenn mein Mann noch leben würde, dann würdest du es nicht wagen!“
Sunny fühlte sich unwohl. Was hatte sie nur angerichtet! Die Stimmung war so schnell umgeschlagen. Eben noch hatten die Beiden gescherzt und nun fochten sie einen Kampf aus, wann Wissen weiterzugeben sei.
„Ich will es nicht mehr wissen“, log sie.
Stille trat ein. Da kniete sich ihre Mutter vor ihr auf den Boden und hielt ihre Hände.
„Es ist gut.“
Eine tiefe Sorgenfalte hatte sich auf ihrer Stirn gebildet und sie rang nach Fassung.
„Es ist schon gut, mein Kleines. Ich war nur nicht darauf vorbereitet, dass du es bereits jetzt erfahren wirst.“
Mit einem Schwung nahm sie Sunny in die Arme und raunte ihr leise ins Ohr:
„Du bist kein Kind mehr.“
Dann sah sie Sunny wieder in die Augen.
„Geht jetzt!“
Schweigsam verließ Sunny mit ihrer Oma das Zelt. Sie fühlte sich unbehaglich und doch war sie gespannt auf die Geschichte. Mit ihrer Oma kam sie jedoch nur langsam voran und sie platzte doch fast vor Ungeduld! Schritt für Schritt ging ihre Oma über den großen Platz. Aus einem Baumwipfel heraus sang eine Nachtigall und Sunny freute sich über die schönen Töne des Vogels, der so gerne Beeren ist. Mit Mühe erreichten sie endlich den Rand des Marktplatzes. Sunny lief vor und machte es sich auf einem Baumstamm bequem. Immer noch lauschte sie den Tönen des Paradiesvogels und wartete.
„Also, mein Kleines, es gibt ein Abkommen mit einem Volk, dass größer, aber nicht mächtiger ist, als wir es sind. Dieses Volk lebt in einer Welt, die so ...“
Es knackte hinter ihnen und jemand machte laut:
„Pssst!“
Lenguja, der Schamane des Dorfes war hinter ihnen stehen geblieben. Mühsam drehte sich die alte Frau um.
„Erzähl weiter“, drängte Sunny.
„Du erzählst die verbotene Geschichte des Steines und von dem Abkommen?“, fragte Lenguja heiser.
Sunny schaute von ihrer Oma zu Lenguja und wieder zurück.
„Ich habe ein Gesicht gehabt“, sagte der Schamane, doch die Oma winkte ab.
„Gesichter! Ha“, rief sie.
„Ich bin alt, mir macht es keine Angst mehr mit euren Gesichtern!“ Lenguja kniff die Augen zusammen.
„Ich habe ein Gesicht gehabt“, wiederholte er „und es nicht verstanden. Nun aber beginne ich zu verstehen!“
Er schaute prüfend in Sunny’s Gesicht. Dann nahm er ihr Kinn in seine Hand und beugte sich vor.
„Erforsche die Geschichte, aber sei vorsichtig. Alles wird sich zeigen.“ Er straffte seinen Körper und wirkte auf einmal ganz zufrieden.
„Trinke jeden Tag etwas grünen Tee, das stärkt die Zähne!“ Verblüfft schaute ihm die Oma hinterher, dann fasste sie sich und rief ihm hinterher
„Zuviel davon macht aber müde“, doch er winkte nur ab.
„Das hätte ich nicht erwartet. Ich dachte, er schimpft und verbietet mir weiterzusprechen, der alte Narr.“ Sunny’s Blick löste sich von dem alten Mann.
„Oma, das ist unser Schamane“, rief sie etwas verstört.
„Ich habe auch Lebenserfahrung“, sagte ihre Oma. Sunny war verwirrt. So kannte sie ihre Oma nicht. Aus irgendeinem Grund war diese nicht gut zu sprechen auf Lenguja.
„Ach Sunny. Seit Jahren höre ich seine Worte. Sicherlich hat sein Hinweis mit dem Tee seinen Sinn. Schau ihn dir an. Er ist selten krank, obwohl er nur seine grünen Blätter isst und nichts trinkt, außer natürlich seinen Tee.“ Leise lachte sie und zeigte dabei ihre grauen Zahnstummel.
„Aber seine Macht schwindet und er unternimmt nichts. Er benutzt die Anderen, um seine Ziele zu erreichen. Schon lange hat er keine große Tat mehr vollbracht!“ Sie verstummte und hing ihren Gedanken nach.
„Er war mal ein staatlicher Wichtel“, sagte sie und ihre Stimme klang fast ein wenig traurig. Zögernd schüttelte sie den Kopf.
„Ich wüsste zu gern, was er im Schilde führt.“
Sunny fiel der Stein wieder ein, doch bevor sie etwas sagen konnte, nickte ihre Oma schon und sagte: „Ja, ja, der Stein.“
Liebevoll schaute sie Sunny an.
„Er führt zu dem Volk, das in dem hellen Licht lebt und dass noch immer Verrat und Tod und Krieg übt. Sie essen sogar Tiere!“
Sunny wurde schlecht.
„Igitt“, rief sie.
Eine Frau, die eilig an Ihnen vorbeilief, schaute kurz herüber.
„Wo liegt denn dieser Stein?“, würgte Sunny schnell hervor.
„Erzähl ihr nicht zu viel“, rief Lenguja zu ihnen und trat heran.
„Das könnte alles zunichtemachen!“
Ärgerlich schüttelte die Oma den Kopf und stand mühsam auf.
„Das meine ich. Von dir erfährt man nichts und weitergeben soll man auch nichts. So gehen die alten Geschichten verloren!“
Sie blickte düster in Lenguja’s Augen und öffnete den Mund.
„Pssst“, machte Lenguja leise und sie schloss den Mund wieder.
Mit einem vernichtenden Blick zu Lenguja machte sie sich auf den Rückweg. Sunny blieb verwirrt stehen, dann aber beeilte sie sich, ihre Oma einzuholen, um noch ein wenig zu erfahren. Doch viel konnte sie nicht mehr in Erfahrung bringen.
Unterdessen trugen viele auf dem Marktplatz ein großes Lagerfeuer zusammen. Die Wichtel tuschelten über eine Vorstellung, die am Abend stattfinden sollte. Sunny war gespannt. Sie wusste, dass jedes Stammesmitglied am Lagerfeuer die Gelegenheit hatte, andere an einem eigenen Erfolg teilhaben zu lassen. Manche dichteten ein neues Lied und stellten es den anderen vor, oder hatten gelernt ein Instrument zu spielen. Wer sich zutraute sein Können einzubringen, durfte dies tun und lief nicht Gefahr ausgelacht zu werden. Das Lagerfeuer bot jedem die Gelegenheit, den Stamm an der eigenen Freude teilhaben zu lassen. Jeder hörte einem geduldig zu und freute sich mit dem Stammesmitglied, doch wer wollte heute Abend von seiner neuen Kunst berichten?
Als Sunny die Vorbereitungen zu dem Lagerfeuer sah, vergaß sie in der Aufregung ihre weiteren Fragen nach dem Stein. Ihre Mutter schaute auf, als beide in das Wichtelhaus eintraten.
„Mama! Heute Abend berichtet jemand am Lagerfeuer! Darf ich aufbleiben und zuhören?“
Ihre Augen flehten ihre Mutter Sorbi an und als diese nickte, warf sich Sunny in ihre Arme.
„Danke.“
Sie half beim Zusammenräumen der Felle und beim Aufhäufen der Strohballen, die als Bett dienten. Als endlich die Nacht hereinbrach, gingen sie los zum Marktplatz.
Das Feuer brannte meterhoch und viele hatten sich gesammelt. Sie redeten durcheinander und Sunny’s Augen suchten nach Skalli und Dorin. Als sie entdeckte, dass Dorin gerade von einigen Alten verscheucht wurde, lächelte sie. Wahrscheinlich hatten sie ihn beim Lauschen erwischt.
„Hallo Dorin, bringst du wieder Geheimnisse in Erfahrung?“
Dorin kam zu ihr herübergelaufen.
„Ja, ähm, hat dir Skalli das also doch noch erzählt“, rief er auf einmal sehr fröhlich.
„Was soll Skalli mir erzählt haben?“, fragte sie etwas irritiert und setzte sich auf einen Baumstamm dicht vor dem Lagerfeuer. Dorin hatte schon ganz dicht neben ihr Platz genommen und murmelte
„Ach nichts.“
Er stieß Sunny an, deutete auf einen Kobold, der einen kleinen Eimer trug und den sandigen Inhalt in das Feuer kippte, um es zu löschen. Doch es war schon zu groß, um von dem Sandhäufchen gelöscht zu werden. Der Kobold hüpfte vor Wut auf dem Eimer herum, besann sich und holte einen neuen, größeren Eimer. Diesmal war er mit Wasser gefüllt. Es schwappte immer wieder über den Rand und als der erschöpfte Kobold endlich am Feuer ankam, war er patschnass.
„Ist der nicht lustig, der kleine Kobold?“, fragte Sunny.
„Ja, dem geht alles daneben!“
Sie lachte: „Weißt du eigentlich woher die Kobolde kommen?“
Als Dorin den Kopf schüttelte, erklärte sie mit ihrer lieblichen, noch zarten Stimme: „Kobolde zu dessen Geschlecht auch schadenfrohe Berggeister, Feldgeister und Waldgeister gehören, leben in Wäldern und geistern zuweilen auch als Irrlichte durch den Wald. Allen ist gemein, dass sie sich freuen, Furcht zu verbreiten oder andere zu ärgern!“
Dorin sah sie ratlos an: „Wie sollen sie zu Irrlichtern werden, wenn sie doch Waldgeister sind?“
„Grauenhaft tückische Wassergeister gibt es auch. Alles Kobolde!“. Sie strahlte ihn an: „Aber wenn man schläft, lassen sie einen in Ruhe.“
Er lachte: „Du meinst tatsächlich, wenn man einem Unhold gegenübersteht, braucht man nur so tun, als schliefe man und er lässt einen in Ruhe?“
Sunny guckte ihn ernst an: „Ich ziehe mir auch die Bettdecke über den Kopf.“
Dorin lächelte.
„Ich würde mich ihm in den Weg stellen und zeigen, dass ich kämpfen werde. Egal, ob ich verliere, ich hätte es wenigstens versucht.“
Sunny sah auf den Boden. Sie überlegte.
„Wenn ich das von der anderen Seite her betrachte, von Gott ...“, ihr versagte fast die Stimme vor Angst von Dorin ausgelacht zu werden, weil sie Gott ins Spiel brachte. Tapfer riss sie sich zusammen und beendet ihren Satz.
„Meinst du, er hilft eher denen die Angst haben oder denen, die sowieso schon stark sind?“
Forschend sah sie in Dorin’s Gesicht. Er lachte sie nicht aus, er lächelte nicht einmal mehr. Nachdenklich schaute er sie an und wählte seine Worte mit Bedacht:
„Ich glaube selbst die, die stark scheinen, tun oft nur so.“
So saßen sie einige Zeit nebeneinander und beobachteten die Funken, die langsam in die Luft und dann in den Nachhimmel aufstoben. Der Kobold kam wieder angelaufen. Er hielt einen größeren Eimer ihn der Hand.
„Da!“
Sunny stieß Dorin an. Mit offenen Mündern sahen sie, wie Lenguja eine Prise irgendeiner Substanz in den Eimer träufelte. Er entfernte sich schnell. Der Kobold hatte es nicht bemerkt. Er stemmte zitternd vor Anstrengung den Eimer hoch und kippte den Inhalt in das Feuer. Eine Stichflamme stieg in die Luft und er zuckte erschrocken zurück. Dorin lachte, aber Sunny tat der kleine Kobold leid.
„Lenguja spielt Streiche?“, wunderte sich Sunny.
Sie erinnerte sich daran, dass er ihr entgegengekommen war, als sie morgens die Jungen mit Nieswurz zum Niesen bringen wollte. Hatte er ihren Streich auf den Dorfältesten umgelenkt? Die Stimme von Dorin riss sie aus ihren Gedanken.
„Weißt du noch, wie am Lagerfeuer die Geschichte vom Pilz erzählt wurde und Skalli vor lauter Ekel Pickel bekommen hat?“
„Du bist gemein, Dorin!“
Sie rutschte vom Baumstamm und drängte sich zwischen andere Wichtel, sodass er nicht folgen konnte.
„Was habe ich denn gesagt?“, rief er hinter ihr her, doch sie reagierte nicht. Die Hitze des Feuers wurde immer größer und einige suchten sich einen anderen Platz, oder drehten die kräftigen Rücken zum Feuer. Skalli stieß ihn in den Rücken und setzte sich neben ihn. Beide rammten sich freundschaftlich die Ellbogen in die Seite und starrten Sunny hinterher. Sie drehte sich um, sah beide nebeneinandersitzen und kam zurück.
„Ich habe dich gerade gesucht“, rief sie fröhlich.
Lächelnd ließ sie sich neben Skalli plumpsen. Alle drei schauten unverdrossen in das Feuer, bis ihre Gesichter von der Hitze ganz heiß und rot waren.
„Puh, ich kann nicht mehr“, rief Sunny.
Dorin ärgerte sich, dass ihm nichts zum Erzählen einfiel und setzte wieder sein finsteres Gesicht auf.
„Dorin?“, lächelte Sunny.
„Was machst du immer für ein ernstes Gesicht?“
Doch er zuckte nur die Schultern. Ihm wollte einfach nichts Gescheites einfallen.
„Ich liebe die Geschichten am Lagerfeuer“, rief Sunny glücklich. Beide beobachteten sie von der Seite.
„Und ich liebe die Geschichten der Alten“, sagte Dorin endlich.
„Sie erzählen immer gegenseitig alte, geheime Begebenheiten, voller Gefahren und Mystik.“
Dorin war froh endlich ein Thema gefunden zu haben und wollte gerade genauestens von seinen nächtlichen Wanderungen berichten, als ein Mann aufstand und einen brennenden Ast aus dem Feuer nahm.
„Pscht! Es geht los“, raunte Sunny, als der Mann den brennenden Ast hochhielt. Die Gespräche verstummten und endlich erkannte Sunny auch die Gestalt, die von etwas berichten wollte.
„Hagahn.“
Sie murmelte den Namen fast ehrfürchtig, während seine kräftige Stimme über den Platz scholl.
„Lange schon habe ich die Sterne beobachtet. Ich habe den Wind betrachtet und das Zerren des Windgottes an unseren Fellen.“ Langsam bückte er sich und nahm ein Blatt vom Boden auf.
„Dieses Blatt habe ich getrocknet.“ Er nahm ein anderes Blatt auf.
„Ein anderes Blatt, aber noch frisch gepflückt!“
Nun hielt er beide Blätter in den Händen. Mit einer schnellen Bewegung warf er beide in die Luft. Das Getrocknete stob durch die Wärme des Feuers in die Luft, während das Andere schwerfällig hinunterfiel und von den Flammen verschlungen wurde.
„Dies habe ich entdeckt.“
Er schaute in die Runde. Die Gesichter der Frauen und Kinder, der Alten und der Krieger zeigten keine Regung.
„Ich weiß, ihr habt euch etwas Großes vorgestellt, wenn ich ein Lagerfeuer entzünden lasse! Manch einer wird sich an das Spiel der Frau Gnus erinnern, die uns erfreute, als sie eine schöne Melodie auf ihren Musikstöcken hervorbringen konnte.“
Erneut schaute er in die Runde.
Ja, es stimmte. Sunny war enttäuscht über die Darbietung, aber es schickte sich nicht dies zu zeigen. Jeder, der am Lagerfeuer etwas den anderen zeigen wollte, war stolz darauf und hatte das recht sich mitzuteilen. Es wurde geachtet, denn es war ein Erfolg desjenigen, der sprach. Oftmals war es ein rein persönlicher Erfolg, der für die anderen nur von wenig nutzen war. Die Stimme Hagahn‘s riss sie aus ihren Gedanken.
„Wie ein Blatt, so kann auch Stoff durch den Wind getragen werden! Er riss ein Stück dünnen Stoffes von seinem Hemd ab und warf es hoch. Die Hitze des Lagerfeuers erfasst den Stoff und trug ihn ein Stück weiter in die Höhe. Wie ein Stoff, so könnte auch ein Wichtel, vielleicht sogar ein Zwerg durch den Wind getragen werden, wenn der Wind stark genug ist und warm!“
Wieder machte er eine Pause und nochmals schaute er in die Runde. Er blickte in nachdenkliche Gesichter, nickte und setzte sich. Sunny ließ den Mund offen stehen. Hagahn hatte etwas entdeckt und sich Gedanken darüber gemacht. Er erzählte nichts zu seiner Ehre, sondern teilte sein Wissen, um vielleicht einem anderen Wichtel den Erfolg zu gönnen, seine Entdeckung zu nutzen. Sie blickte sich um. Hagahn hatte sich gerade wieder einmal Respekt erworben. Nicht mit einer großen Tat. Und doch hatte er sein Ansehen gestärkt und würde Ruhm davontragen. Leise begann eine Frau zu summen und der Stamm der Wichtel von der Veste Coburg saß um das Lagerfeuer. Ein jeder wärmte sich den Körper und freute sich am miteinander. Als die Kinder in ihre Betten gingen, war es bereits finstere Nacht.
Bereits am nächsten Tag liefen die drei kleinen Wichtel vergnügt durch den Wald. Sie stießen mit ihren Füßen immer wieder eine Schweinsblase an, von einem Schwein, das an Altersschwäche gestorben war. Holpernd kollerte das Ding den Weg entlang und wurde schließlich von Sunny in ein Gebüsch geschossen.
„Endlich sind wir da“, rief sie und ließ sich auf den Boden fallen. Skalli schaute sich um.
„Was ist an diesem Ort so Besonderes?“, fragte er, doch Dorin wusste die Antwort.
„Sie meint den Stein dort.“ Er zeigte auf einen Felsblock, der einzeln am Wegesrand lag.
„Der letzte Durchgangsstein in das verbotene Land, den es noch gibt“, raunte er. Schon früher hatte er einmal davon gehört, doch die Erwachsenen hatten sofort geschwiegen, als sie merkten, dass er in der Nähe war. Es war ein zu großes Geheimnis! Und bisher war niemand bereit gewesen zu erzählen, was es mit diesem Stein auf sich hatte, zumal Lenguja es verboten hatte darüber zu reden. Es hieß immer nur, dass sie sich von gefährlichen Orten fernhalten sollten.
„Gefährlich“, rief Dorin und ließ seine langen, beharrten Hände dabei zittern. Dann sprang er auf und ging zu dem Stein hinüber. Sunny war es unheimlich.
„Sei vorsichtig“, rief sie, doch auch ihr war die Neugier anzusehen.
„Meine Oma sagte, der Stein birgt ein Geheimnis, das nur Erwachsene lüften dürfen! Eine helle Welt ist hinter dem Stein zu finden und ein anderes Volk. Dann hatte sie mit den Augen gerollt und Lenguja, der gerade an uns vorbeiging, als wir auf dem Baumstamm am Markt saßen, hatte ‚PSSST‘ zu ihr gemacht! Danach ärgerte sie sich eigentlich nur noch über Lenguja. Vielleicht hat sie wegen Lenguja lieber geschwiegen, aber eines hat sie noch gesagt. Sie sagte noch etwas von Feuer in tiefstem Innern. Das habe ich aber nicht richtig verstanden.“ Sunny zuckte die Schultern. Die Drei standen um den Stein herum und schauten vorsichtig, ob er irgendwie verdächtig wäre.
„Bist du sicher, dass es der richtige Stein ist?“, fragte Dorin schließlich.
„Natürlich ist sie das“, rief Skalli. Seine Ohren wurden wieder einmal feuerrot und Dorin griente ihn spöttisch an. Dann betastete er den Stein und versuchte ihn anzuheben. Skalli sprang hinzu und half ihm dabei, während Sunny einen Schritt zurückwich und den beiden zusah. Sie fand es immer süß, wenn Skalli rote Ohren bekam und lächelte. Dann lief auch sie zu dem Stein, hockte sich neben diesen und versuchte, ihre Hand unter ihn zu schieben. Während die beiden Wichteljungen vor Anstrengung rote Köpfe bekamen, schob Sunny ihre Hand weit unter den Stein. Darunter war es leer. Erschrocken zog sie ihre Hand zurück.
„Eine Elfe“, rief sie. „Hier müssen Elfen wohnen! Es fühlt sich an, als ob der Raum unter dem Stein leer ist!“ Skalli überlegte.
„Wenn du so ein Gefühl hast, als ob dich etwas streift, oder wenn du meinst etwas aus den Augenwinkeln heraus zu sehen, dann ist es eine Elfe. Aber ein Hohlraum, in den deine Hand passt, kann auch etwas anderes sein!“
Dorin lief los, um einen großen Ast zu holen.
„Ich habe eine Idee!“, rief er.
„Lasst uns warten!“, rief Sunny. „Ich möchte nicht von verärgerten Elfen angegriffen werden! Ihr wisst, wie zickig und grantig die werden können!“ Dorin ignorierte sie.
„Hebelkraft“, sagte er in verschwörerischen Ton und schob den Ast unter den Stein. Offensichtlich wollte er jetzt nicht warten! Er wollte Gewissheit!
„Elfen sind doch freundlich!“, stieß er hervor und Skalli, der etwas gezögert hatte, packte mit an. Der Stein schob sich langsam zur Seite und gab den Blick auf einen Schacht frei. Dorin überlegte nicht lange, sondern ließ sich gleich in den Schacht hinuntergleiten. Skalli wollte vor Sunny nicht klein beigeben und Mut zeigen. So ließ auch er sich in den Schacht hinab, während Sunny noch etwas unschlüssig am Rand stehen blieb. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie eine Bewegung und folgte schnell den Jungen.