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ABENDAQUARELLE AUS ALGIER

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Inhaltsverzeichnis

Abend der Ankunft:

In sanfter Unrast schaukelt das Schiff in dem ungeheuren Blau, das allseits den Blick umfaßt. In Himmel und Meer dunkelt nur diese eine ruhige Farbe: der kurze schäumendweiße Strich vielleicht noch, den der Kiel hinter sich wirft und der rasch wieder verlischt. Da dämmert in jenem schmalen fadendünnen Streif, wo die Luft das Wasser berührt, ein erster Farbton. Und plötzlich umfangt der Blick eine unendlich zarte, mit verlöschenden Nebelfarben hingestrichelte Silhouette, die durchschimmert wie durch eine Kulisse. Noch ganz unsicher ist sie, denn die Dämmerung überrieselt ihre Linien mit rosa Wellen und lauer Dunkelheit. Aber das Profil zeichnet sich schärfer, eine starke Kuppe bricht vor, die Höhe von Bouzarea, und schon glänzt hoch oben wie ein heller Stein die Kirche Notre Dame d'Afrique. Und nun entfaltet sich rasch in grünen Frühlingsfarben der Bogen, in den Fächer der Farben schreiben sich neue, kühn geschwungene Linien: ein Hügel, durchglitzert von vielem weißen Glanz, die Höhen von Mustapha mit den Villen, hinter denen der Abend zu flammen beginnt. Und weit in der Ferne die granitfarbenen ernsten Umrisse großer Gebirgszüge. Und plötzlich — war es eine Wendung des Schiffes oder ein plötzlicher Strahl der sinkenden Sonne, der diese Flamme entzündet? — blitzt wie ein Opal, milchweiß und in allen Abendfarben funkelnd, ein lichter Fleck aus der grünen Wölbung, die helle Stadt, »Alger la blanche«. Eine einzige Farbe, ein scharfes, mit vielen Farben gesättigtes, fast schmerzhaft scharfes Weiß, ein ungeheuer vehementes Licht, wie ein Diamant durchsprüht von dem heißen Spiegeln der Scheiben, die das Sonnenlicht in tausend Splittern zurückschleudern. Rings mischen sich alle Farben zu dunkleren Tönen, die Hügel schwärzen sich, das Meer trübt sich in ein dämmerndes Grau, die hitzige Glut der Sonne brennt nur noch in orangenroter und gegen die Höhe des Himmels zu erblassender Tönung, die Dinge endlich haben jenes Fernewerden und Unsichersein des Abends, das Worte nicht recht klären können. Aber Algier bleibt weiß und blank, ob sich auch dieser Nebel in ein Gewirre von kleinen Häusern löst, die — eine weiße Treppe zur Kasbah, dem alten Nest der Korsaren aufsteigend — mit allen ihren Kalkfacetten das Licht grell von sich werfen. Und weiß wie Kerzen stehen die schmalen Minarette und die Türme der fernen Kirche im Abendfeuer, die ganze Stadt scheint, mit dem Kranz der Wälder in ihrem Haar, eine Marmorherme, einsam aus der Dämmerung verschlungener Gesträuche leuchtend. Und diese Farbe ist Algiers Zauber. Denn wie das Schiff nun in den Hafen lenkt und die Einzelheiten den Bann der Farben brechen, zersplittert dieser märchenhafte Glanz in elegante Hotels, moderne Kaibauten und vornehme Mietsgebäude, in die geschmackvolle Rampe einer Großstadt, wird unwirksam, etwa wie bei dem Bilde eines Pointillisten, von geringer Entfernung gesehen, Sonne und in breitem Strom ergossene Lichtflut kleine häßliche Farbenpunkte sind. Nur der Himmel, begabt mit jenem wunderbaren Zauber ewiger Ferne, gleitet mit seinem rötlich dunkelnden Saume langsam an dem erloschenen Schauspiel vorbei.

Abend im Araberviertel:

Empor durch ein Gassengewirre zur Kasbah. Zuerst sind die Gassen breit und eben, die Häuser stolz und vornehm. Dann scheint plötzlich eine Unrast in die Gebäude zu kommen. Sie rücken ängstlich zusammen, neigen sich zueinander, so ungleich und uneben sie sind. Und immer enger, je höher der Weg emporsteigt. Sie lehnen sich gegeneinander, umpressen sich, durchwinden sich, ein Gewirre von Gliedern, die bis zur Unkenntlichkeit sich ballen; Engpässe, Stiegen, Höhlen, Kreuzgänge und all dies doch systematisch emporgewühlt auf glitschrigen Stufen gleich einem Maulwurfsbau. Wie Menschen sind die Gassen, Menschen, die in Armut und Angst zueinander flüchten, Aussätzige, Bettler und Kranke. Häuser gibt es da, die Gesichter haben: dies eine, mit trüben Fenstern und schiefer Haltung, ist es nicht des Blinden Bild, der dort an der Ecke steht? Und dies, ein brüchiger Bau, mit kranker Brust vorgebeugt, auf Krücken gestützt, der Lahme, der über den Markt humpelt? Und diese, mit fauligem Atem, zerfetztem Gewand, ängstlich in den Schatten gepreßt, sind das nicht der Leute Bilder, die in ihnen leben? Denn die Araber Algiers, von Krankheit zerfressen, von Kultur verdorben, unedle Gestalten, die faul in den schmutzigen Kaffees sitzen oder wie Katzen zusammengerollt in ihren weißen Burnussen vor den Bädern in der Sonne liegen, sie sind nicht jene Wüstenjäger, wie man sie unwillkürlich seinen Büchern der Kindheit nachträumt. Nein, nein, das sind nicht jene Bronzegestalten, die auf den geschmeidigen Pferden die Wüste durchpfeilen, die stolzen Räuber und verwegenen Korsaren jener romantischen Erzählungen; diese Romantik bedarf großer Distanz, um Poesie zu sein.

Erst der Abend hat hier jene sanfte Gewalt, ein Harmonisches im Häßlichen aufklingen zu lassen: er löst Schmutz und Farbe in eine Dämmerung und löst das Grelle aus allen Bildern. Wenn die Gassen ganz abdunkeln, die Engpässe schwarze Schluchten werden, hinter denen ein Unbekanntes lauert, wenn der Wirbel der Gestalten verschwimmt und die Töne ferner werden, taucht eine graue dämmerige Schönheit in diese Gassen des Elends hinab. Steigt man aufwärts, so sieht man in die Werkstuben hinein, aus deren Dunkel sich unsicher das Schattenbild des Arbeiters schneidet, der mit seinem einfachen Werkzeug seine Arbeit schafft: der Goldarbeiter, der mit ganz feinem silbernen Schlag jene seltsamen Arabesken in die Klingen hämmert, der Weber, der das Schiffchen emsig schleudert, der Hufschmied, der im flackernden Licht, das rot die schwarzen Wände emporleckt, wuchtig das Eisen schlägt. Alle diese Bilder ruhen fest in dem dunklen Rahmen eines engen Ladens wie Sinnbilder des Lebens. Alle sind sie schlicht und gemahnen ganz an mittelalterliche Embleme der Zünfte in ihrer primitiven Art. Wie weiße große Vögel flattern fern Burnusse in dieses Gassengewirr, tauchen auf und versinken in dieser grauen Flut. Manchmal streifen auch Frauen vorbei mit ungemein behendem und vorsichtigem Gang, das Gesicht tief verschleiert; nur die Augen sieht man, meist umtrübt von den Falten des Elends. Und dieses Zufällige, Rasche und Unübersichtliche des Vorbeigleitens all dieser Gestalten, dieses fremde Leben in den schwarzen Irrgängen hat den mystischen Reiz des Unfaßbaren, der gedämpft wird durch die stete Empfindung des Unglücks. Wie schwarze Raben stehen oder kauern die blinden Bettler an den Ecken: monoton, hundertmal und hundertmal, sagt einer, ohne Betonung und ohne Klage, unbekannte Worte ins Dunkel hinein. Nichts Entsetzlicheres kann man sich denken, als den Anblick dieser Menschen, die rastlos, ob die Straße von Lärm tobt oder einsam mit schwarzen Wänden träumt, fremde Worte eintönig wie Tropfenfall vor sich hinsagen. Eine finstere Weisheit ist so in der Araber Art: ihr ganzes Elend stellen sie auf die Straße, ihr Glück schließen sie sorglich ein. Denn nichts weiß man von all diesen Häusern, an denen man vorbeistreift. Alle sind sie fast fensterlos, mit kleinen verschlossenen Türen, Mauern nur um Armut oder Pracht. Alles Leben ist hier nach innen gewandt, aller Reichtum — wie in den Moscheen — in die Gemächer geballt; auf den flachen Dächern, unsichtbar für den Vorbeischreitenden, trinken die Frauen jetzt vielleicht die kühle Abendluft und schauen auf zu dem ungeheuren Sternenbogen des Himmels, der hier nur in kleinen Splittern zwischen den Häusern glänzt — die Wand des Hauses ist blind und dunkel und verrät nichts vom Leben in seinem Umkreis. Sie schläft in Dämmerung wie in einem Grabe, an dem die Auferstehung vorüberschreitet: denn das Mondlicht, das in einer unendlich weißen Flut die Dächer badet, schreibt nur einen ganz dünnen Streif hoch oben hin. Und die Sonne zittert nur in leisen Wellen am First, nichts wagt das Dunkel zu stören, das sich in diese Gassen gleichsam eingefressen hat. Wie eine Erlösung ist es, wenn man plötzlich an dem freien Platz vor der Kasbah angelangt ist und nun das rosige Abendspiel der sinkenden Sonne die Stadt umzittern sieht, und dann, herabschauend von der Zinne des alten Räubernestes, den hellen Widerglanz golddurchwirkter Wolken tief unten im Hafen schaut, wenn man mit einem Male alle lichten Töne der Dämmerung spürt, nachdem man nur durch die Trübe sonnenblinder Gassen ging. Langsam hüllt dann die Nacht die weiße Stadt wieder in ihren Nebel ein. Noch dunkler werden die Gassen und ein eigenes Leben beginnt hinter den verschlossenen Türen: das eintönige Singen der Tänzerinnen hebt an, jene endlosen monotonen arabischen Melodien, der gleichmäßige dumpfe Beckenschlag und manchmal noch das melancholische Getön einer Flöte. Aus den vergitterten Türen spähen geschminkte Gesichter, hie und da fällt ein grelles Lachen aus den Häusern heraus in die schwarze Stille. Schreckhaft beginnt nun das Höhlengewirr zu werden, das mit trotziger Stummheit ein vielfältiges und wildes Leben in Dunkelheit verschließt, das zu schlafen scheint und doch wacht und lauert. Und wenn man dann nach kurzer Wanderung vor dem Hafen steht, der in erzenem Glanz ruht, still und friedlich mit dem farbigen Schein seiner Lichter, fühlt man sich wie in einer anderen Welt, fühlt, daß es eine sanfte Dunkelheit gibt, ebenso wie eine böse geheimnisvoll drohende und gefährliche. Und mit wunderbarer Empfindung trinkt man, nachdem man so lange durch Stickluft gegangen, den starken Atem des nächtigen Meeres.

Abend in Mustapha:

Ein schwerer Sturm ist heute über die Stadt gegangen. Noch umfalten dicke Regenwolken die abendliche Ferne, aber der Wind greift ungestüm nach ihnen. Und nun, wie sie sich lösen, glänzt plötzlich eine neue Farbe in dem gewohnten Bild: wie mit Kreide sind die Linien der weiten Bergketten nachgezeichnet, Schneefelder flimmern nieder in Frühlingsland, eine Dolomitenlandschaft in Afrika. Die Luft hat jene unbeschreibliche Reinheit nach dem Regen, die alle Dinge heranrücken läßt; heute ist im Anblick Algiers nicht nur Farbe, sondern auch scharfe Linie, nicht nur weißer Dämmer ist die Stadt, sondern eine Fülle kleiner Silhouetten. Von Mustapha, der Villenstadt, die Algier gegenüber ruht, führt ein wunderbarer Weg zum Meere hinab, und nirgends fühlte man die Vielfältigkeit des abendlichen Bildes besser, als von diesen vielen Serpentinen. Ganz von hoch oben noch sieht man jede Einzelheit: den Wimpel der Schiffe im Hafen, die zackige Rampe des Minaretts, das Hafenkastell des Räubers Barbarossa, und mit unzähligen Variationen die Fächer einsamer Palmen, die schwarzen Schwerter hoher Zypressen drüben am Hügelsaume. In eigenartigem Spiele geht der Weg dann nieder; bald fangen hohe Alleen den Blick ein, der die Ferne sucht, bald breite Platanengruppen und bald wieder diese Villen, die in einem Netz exotischer Gärten ruhen. Fast alle sind sie im maurischen Stil, blinkend weiß, in runden Linien gebaut und mit Arabesken geziert, flammend gleichsam in dem schweren Grün des Teppichs vor ihren Füßen. In ihrem Schatten verweilend, vergißt man, wie rasch der Abend sinkt. Und fühlt es dann mit jäher Entzückung im nächsten Augenblick, wo sich die Serpentine des Weges zur Terrasse weitet und plötzlich die Landschaft im Feuer des Abends brennt. Unvergeßlich ist dieses Profil: Der Bergabhang von Bouzarea eine schwarze Linie, eingeschnitten in einen granatapfelfarbenen und mählich erblassenden Himmel, die blaue Riesenmuschel des Meeres und Algier die weiße Perle darin. Und man legt gern einen Sinn in die weißen ansteigenden Riesenterrassen dieser Stadt, träumend, daß sie ein Amphitheater sei, hingebaut an diese herrliche Stelle, um das wunderbare Schauspiel blauenden Meeres und ewigen Frühlings zu beschauen und um ihr weißes Antlitz wollüstig in dem Azur des Hafens zu spiegeln.

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