Читать книгу Erfolgreich Navigieren im polizeilichen Führungsalltag - Stefan Eberz - Страница 7

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Einleitung

Führungsverhalten und Führungsentscheidungen - über kaum ein anderes Thema wird in der Arbeitswelt so viel und so leidenschaftlich diskutiert. Dafür gibt es auch gute Gründe: Zum einen beeinflussen Führungskräfte durch ihre Verhaltensweisen und Entscheidungen u.a. Arbeitsergebnisse, Arbeitsprozesse, das Ansehen der Organisationseinheit und die Zufriedenheit, Motivation und psychische Gesundheit von Mitarbeitenden. Zum anderen ranken sich aber auch immer noch viele Mythen rund um das Thema “Führung“ wie z.B.: „Führen kann man nicht lernen. Entweder man kann es oder halt eben nicht!“. Und natürlich gehört man selbst zu denjenigen, die es können…Wir sind der festen Überzeugung, dass ein gewisses Talent mit Blick auf intellektuelle und soziale Kompetenzen, Einstellungen und Werte etc. unverzichtbar ist. Wie im Fußball gilt aber auch beim Thema Führen: Talent alleine reicht nicht! Auch als Führungskraft muss man trainieren, die eigenen Verhaltensweisen und Entscheidungen immer wieder selbstkritisch reflektieren und die eigenen Führungskompetenzen gezielt weiterentwickeln.

Wir wissen aber auch, dass es in den letzten Jahren nicht einfacher geworden ist, eine gute Passung zwischen den Anforderungen und Erwartungen auf Seiten der Organisation/ Gesellschaft und den Bedürfnissen und Interessen auf Seiten der Mitarbeitenden herzustellen. Die Gesellschaft befindet sich in einem ständigen Wandel. Die Polizei als wichtiger Bestandteil dieser Gesellschaft und wesentlicher Akteur und Garant der inneren Sicherheit muss sich daher der Herausforderung stellen, Strukturen, Prozesse, Einstellungen, Verhaltensweisen, Ressourcen, Taktiken, Strategien und Techniken etc. kontinuierlich an neue Situationen anzupassen, um ihren Auftrag erfüllen zu können. Darüber hinaus sind aber auch Mitarbeitende und Führungskräfte Teil dieser sich kontinuierlich verändernden Gesellschaft. Diese Ausgangslage führt zu einem Spannungsverhältnis zwischen dienstlichen Erfordernissen und bewährten Traditionen auf der einen und den heterogenen Bedürfnissen der Mitarbeitenden und neuen Ideen auf der anderen Seite.

Führungskräfte müssen sich mit diesen Themen auseinandersetzen und versuchen, gemeinsam mit ihren Mitarbeitenden Wege und Lösungen zu finden, um diese anspruchsvollen Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen bzw. eine Balance zwischen unterschiedlichen Interessen herzustellen. In der Praxis kann man beobachten, dass einigen Führungskräften dieser mitunter schwierige Spagat besser gelingt als anderen. Dies spiegelt sich u.a. in besseren Leistungen der Mitarbeitenden und der Organisationseinheit, weniger Konflikten und Fluktuation, einem besseren Teamklima, einer höheren Zufriedenheit der Mitarbeitenden und geringeren Fehlzeiten. In sehr vielen Fällen kann man diesen Erfolg übrigens nicht einfach damit erklären, dass es diese Führungskräfte einfach leichter haben. Vielmehr ist festzustellen, dass die Herausforderungen für Führungskräfte in vielen Fällen sehr ähnlich und die Rahmenbedingungen mehr oder weniger vergleichbar sind. Es gibt natürlich auch die Fälle, in denen die Arbeits- und Rahmenbedingungen die Spielräume für gutes Führungsverhalten massiv einengen. Mit diesem Thema werden wir uns im Laufe dieses Buches noch sehr intensiv auseinandersetzen. Trotz dieser Einschränkung möchten wir hier zunächst einmal die These aufstellen, dass gute Führung grundsätzlich einen bedeutsamen Unterschied macht im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit einer Organisationseinheit, die Zufriedenheit, die Motivation und die (psychische) Gesundheit der Mitarbeitenden.

Wenn man diese Überzeugung teilt, dann stellt sich natürlich eine seit Jahrzehnten leidenschaftlich diskutierte Frage: Was machen denn die erfolgreichen Führungskräfte in der Praxis anders bzw. was sind die Grundelemente guter Führung? Wir haben uns in den letzten Jahren in der eigenen Führungspraxis, in Arbeitsgruppen und im Rahmen von Forschungsprojekten sehr intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt. In diesem Buch haben wir zentrale Aspekte aus Wissenschaft und Praxis zusammengetragen, die unserer Erfahrung nach Teil einer Antwort sind. Diese Elemente haben wir in einem einheitlichen Führungs-Konzept synthetisiert. Diese Praxisorientierte Synthese (PS) soll einen praxistauglichen und wissenschaftlich begründbaren Orientierungsrahmen für Führungskräfte auf allen Ebenen liefern, die Herausforderungen im Führungsalltag erfolgreich meistern, ihr eigenes Führungsverhalten zielgerichtet reflektieren und sich als Mensch und Führungskraft (weiter-) entwickeln wollen.

Bei der Entwicklung praxisorientierter Führungskonzepte steckt man natürlich grundsätzlich in einem Dilemma: Einerseits sollen diese Konzepte die Komplexität der Wirklichkeit hinreichend erschöpfend und zuverlässig abbilden, was aber zwangsläufig die Formulierung von einfachen „Kochrezepten“ für gutes Führungsverhalten erschwert und die Komplexität dieser Rezepte erhöht. Andererseits möchte man ja gerade für Praktiker einfache und handhabbare Orientierungen geben, die ja diese Komplexität auf das Wesentliche oder das Wichtigste reduzieren. Auch wir werden dieses Dilemma nicht vollständig auflösen können. Wir möchten allerdings mit dem PS-Konzept eine Möglichkeit aufzeigen, wie Führungskräfte in der Praxis anhand von sieben Handlungsmaximen erfolgskritische Aspekte im Blick behalten und damit noch mehr „(Führungs-) PS auf die Straße“ bringen können. Diese Handlungsmaxime leiten wir im Laufe dieses Buches ab und begründen diese. Wir möchten an dieser Stelle explizit darauf hinweisen, dass wir das PS-Konzept in der Praxis deutlich kompakter vermitteln. Vor dem Hintergrund der positiven Rückmeldungen aus der Praxis gehen wir davon aus, dass dieses Konzept offensichtlich relativ einfach erklärt werden kann, dass die Grundaussagen akzeptiert werden und dass diese „praxisorientierte Führungslandkarte mit eingebautem Werte-Kompass“ die Navigation im Führungsalltag tatsächlich erleichtert.

Wir werden in diesem Buch „das Rad“ nicht neu erfinden. Nach unserem Selbstverständnis stehen wir in der Tradition allgemeiner aber auch polizeispezifischer Führungsansätze, die wiederum klare Bezüge zu allgemeinen Führungstheorien erkennen lassen bzw. teilweise explizit darauf basieren. Diese Tatsache bewerten wir als außerordentlich positiv, weil sich darin eine Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse auf polizeiliche Führungskonzepte und eine Auseinandersetzung mit wichtigen gesellschaftlichen Veränderungen innerhalb der Polizei spiegeln. Daher möchten wir an dieser Stelle insbesondere die Verdienste unserer Kollegen Altmann und Berndt, Barthel und Heidemann sowie Thielmann und Weibler würdigen, deren Ansätze im Laufe der letzten Jahrzehnte wichtige Diskurse innerhalb der Polizei befördert und auch unsere Überlegungen maßgeblich beeinflusst haben. Wir werden noch herausarbeiten, dass diese Modelle auf sehr wichtige Aspekte fokussieren, nach wie vor hochaktuell sind und aus unserer Sicht nicht im Widerspruch oder in Konkurrenz zum PS-Konzept stehen. Im Gegenteil hoffen wir, dass das relativ kompakte und praxisorientierte PS-Konzept in Zukunft eine Brücke schlägt zwischen der Führungspraxis und einer eher wissenschaftlich-akademisch orientierten Befassung mit Führungsthemen.

Darüber hinaus sind wir uns insbesondere auch der historischen Bezüge und Hintergründe durchaus bewusst. Gesellschaftliche Diskurse und Veränderungen hatten und haben immer einen Einfluss auf die Polizei, was sich auch in unseren Führungsphilosophien ablesen lässt. So wird bspw. eine erste deutliche Abkehr von dem lange verfolgten Prinzip „Befehl und Gehorsam“ seit den 1970-er Jahren im „Kooperativen Führungssystem“ (KFS) deutlich. Es fand bundesweit Anerkennung und nahm letztlich sogar als verbindliche Handlungsmaxime für Führungskräfte in der Polizei Einzug in die Polizeidienstvorschrift 100. Zwischenzeitlich zeigen sich verschiedene Ansätze zu dessen Weiterentwicklung, die einen bedeutenden Ausgangspunkt für unsere Überlegungen zu diesem Buch darstellen. Hier seien exemplarisch das „KFS 2.0“ und das „Polizeiliche Führungsmodell“ (PFM) genannt. Die Begründer all dieser Modelle haben einen konstruktiv-kritischen Diskurs im Ringen um eine zeitgemäße Führung in den deutschen Polizeien befeuert, gesteuert und am Leben gehalten. Dafür gebührt Ihnen Dank und Anerkennung.

Eine besondere Grundlage für das PS-Konzept hat darüber hinaus die in der Polizei Rheinland-Pfalz von 2016 bis 2018 tätige AG „Führung und Zusammenarbeit“ gelegt3. In dieser AG haben wir uns mit den oben genannten Modellen aus dem Blickwinkel von Theorie und Praxis intensiv befasst und uns dabei intensiv mit Unterschieden und Gemeinsamkeiten der bestehenden Konzepte sowie deren Stärken und Limitationen beschäftigt. Daher möchten wir uns bei den Mitgliedern und Mitgliederinnen der AG, namentlich

KD´in Brigitte Nilges (Leiterin der Kriminaldirektion Trier im Zeitraum 2016-2018),

PD´in Corinna Koch (Leiterin Polizeiinspektion Mainz 2 im Zeitraum 2016-2018),

PHK Jens Perkhof (Dienstgruppenleiter Polizeiinspektion Mainz 1 im Zeitraum 2016-2018),

POR Raphael Schäfer (Dozent Lehre Führung und Zusammenarbeit im Zeitraum 2016-2018),

PD´in Sabrina Kunz (Vertreterin Hauptpersonalrat im Zeitraum 2016-2018)

für ihre vielfältigen Beiträge, Anregungen und konstruktiv-kritischen Rückmeldungen ganz herzlich bedanken.

Unser PS-Konzept soll polizeilichen Führungskräften eine Orientierung geben und wertvolle Impulse liefern für die Lösung von Problemen und die Bewältigung von Herausforderungen in der Führungspraxis. Wie in dem Bild4 auf dem Cover unseres Buches müssen Führungskräfte manchmal in ruhiger und manchmal auch in „rauer See“ Entscheidungen treffen. Dabei tragen Sie ähnlich wie der Kapitän eines Segelschiffes Verantwortung für das Erreichen des festgelegten Ziels, den Zustand und die Performanz des Bootes und das Wohlergehen der Mannschaft, obwohl sie nicht das Wetter und den Wind beeinflussen können. Das Schachbrett fokussiert auf den Aspekt, dass jede Entscheidung und jedes Führungshandeln nicht im „luftleeren“ Raum stattfindet, sondern Entscheidungen und Verhaltensweisen vieler anderer Menschen auf unterschiedlichen Ebenen beeinflusst (z.B. Mitarbeitende und Vorgesetzte). D.h. die Verhaltensweisen von Führungskräften und Mitarbeitenden sind jeweils durch eine Kette aus Aktionen und Reaktionen kausal miteinander verbunden. Insofern ist man in vielen Situationen gut beraten, wenn man zuerst nachdenkt und dann entscheidet. In diesem Sinne soll dieses Buch erfolgreiches Navigieren im Führungsalltag erleichtern.

In Kapitel eins unseres Buches beschreiben wir zunächst einmal das breite Spektrum aktueller Herausforderungen im polizeilichen Führungsalltag und geben darüber hinaus einen kurzen Einblick in derzeit diskutierte allgemeine Führungsmodelle und -konzepte. Diese Ausführungen sollen die Lesenden in die Lage versetzen, die theoretischen Hintergründe des PS-Konzeptes und der polizeispezifischen Führungsansätze besser nachvollziehen zu können. Hieran anknüpfend werden die bekanntesten deutschen, polizeispezifischen Führungskonzepte erörtert.

Kapitel zwei stellt dann die Elemente und Grundaussagen des PS-Konzeptes in seiner Gesamtheit vor. Abweichend von unserem didaktischen Konzept in der Praxis beleuchten wir hier auch die Hintergründe und begründen unsere Vorgehensweise.

In Kapitel drei bieten wir ein „praxisorientiertes Fazit“ an. Zunächst erläutern wir nochmal das PS-Konzept für Leser und Leserinnen, die es eilig haben. Dann stellen wir sieben Handlungsmaxime vor, die sich aus dem PS-Konzept ableiten lassen und die unserer Einschätzung nach in der Praxis einen großen Unterschied machen im Hinblick auf Führungsqualität und Führungserfolg. Dann werden acht wesentliche, sehr nützliche Führungs- „Werkzeuge“ vorgestellt und erläutert, welche Funktion diese im PS-Konzept erfüllen. Damit liefern wir eine einheitliche Systematik, die das Verständnis und eine professionelle Anwendung von Führungsinstrumenten in der Praxis erleichtert. Führungskräfte sollen in die Lage versetzt werden, den Sinn und die Anwendungsmöglichkeiten wirkmächtiger Führungstools besser nachvollziehen und diese dann bewusster (professioneller) einsetzen zu können. Abschließend zeigen wir anhand ausgewählter Beispiele aus dem Führungsalltag, wie man das PS-Konzept in der Praxis einsetzen kann, um bei komplexen Herausforderungen die Übersicht mit Blick auf erfolgskritische Einflussfaktoren und deren Zusammenspiel zu behalten und diese auf dieser Grundlage erfolgreich zu bewältigen. In unseren Trainings, Coachings und Beratungen strukturieren und visualisieren wir eine Ausgangslage, ein Problem oder eine Herausforderung auf eine ähnliche Art und Weise. Auf der Basis dieser „mentalen Modelle“ lassen sich dann leichter Lösungen (er-) finden und Nebenwirkungen antizipieren etc.. Dies erleichtert unserer Erfahrung nach das Navigieren in der Praxis. Kapitel drei ist wesentlicher Bestandteil unseres didaktischen Konzeptes, das wir im Rahmen unserer Führungskräfteentwicklung einsetzen. Für diesen Zweck können die Inhalte gerne innerhalb der Polizei genutzt werden. Wenn Sie mehr Materialen und digitale Medien zum PS-Konzept benötigen, dann sprechen Sie uns einfach an unter fuehren-mit-ps@web.de. Wir freuen uns über Ihre Rückmeldungen, Anregungen, Fragen und Diskussionsbeiträge.

Abschließend werden wir in Kapitel vier einige Perspektiven für die zukünftige Anwendung des PS-Konzeptes und dessen Weiterentwicklung aufzeigen. Hier gehen wir zunächst auf das Integrationspotenzial des PS-Konzeptes ein und formulieren eine auf dem PS basierende, positive Vision für die Führungskultur in der Polizei. Dann werden wir Wege aufzeigen, wie man das PS-Konzept nutzen kann, um „gute Führung“ zu definieren und messbar bzw. skalierbar zu machen. Im Anschluss werden wir erörtern, wie eine evidenzbasierte Weiterentwicklung des PS-Konzeptes aussehen könnte und welchen Nutzen dies für die Praxis hat. Abschließend zeigen wir, wie man das PS-Konzept gewinnbringend in eine gemeinsame, aufeinander abgestimmte Aus- und Fortbildung von Führungskräften und Mitarbeitenden integrieren kann.

3 Die AG wurde von KD Alban Ragg geleitet. PD Ulrich Koch und PsychOR Dr. Stefan Eberz waren ebenfalls Mitglieder dieser AG.

4 Die Idee für dieses Bild ist übrigens in einem unserer Führungskräftetrainings entstanden. Hier erhielten Führungskräfte die Aufgabe, ihre aktuelle Führungssituation einmal in Form eines Bildes zum Ausdruck zu bringen. Einige der Teilnehmenden malten ein Segelschiff auf einem Schachbrett…

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