Читать книгу Das Rätsel im Hoppenlau - Stefanie Wider-Groth - Страница 7
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ОглавлениеDie Straßenbahn fuhr stadteinwärts. Ottmar und Joe saßen Helmut gegenüber und führten ihre nicht beendete Auseinandersetzung fort.
„Ich verstehe nicht, was ist falsch“, beharrte Joe auf seinem Standpunkt. „Friedhof heißt Hoppenlau, warum also nicht hoppenlausetot?“
„Weil man es nicht so sagt“, erwiderte Ottmar sachlich richtig, aber in rechthaberischer Manier. „Man sagt mausetot.“
„Frau ist nicht Maus.“
„Und deutsche Grammatik ist schwer“, mischte sich Helmut, der Diskussion überdrüssig, ein. „Der Name Hoppenlau bezeichnet nur das Gelände, auf dem der Friedhof liegt, verstehst du. Hat mit den Toten überhaupt nichts zu tun.“
„Dann gibt es dort Mäuse?“
„Die gibt es sicher, aber das Wort mausetot ist nur eine Redewendung. Ich weiß nicht, warum es so heißt.“
„Aber er.“ Joe machte eine widerborstige Geste in Richtung Ottmar. „Er weiß alles besser.“
„Nein, weiß er nicht. Hört auf, euch zu streiten. Was wollen wir heute noch unternehmen?“
„Egal“, grummelte Ottmar mürrisch. „Mir reicht es für einen Tag. Du kannst dir ja gerne einen weiteren Friedhof vornehmen.“
„Mach schöne Bilder“, stimmte Joe zu. „Vielleicht findest du noch eine Leiche.“
„Du hast sie gefunden.“
„Aber du hast sie fotografiert.“
„Du hast was?“ Ottmar sah seinen Freund Helmut aufgebracht an.
„Gar nichts hab ich.“
„Wieso behauptet Joe dann …?“
„Hab ihn gesehen.“ Joe, offenbar wieder in versöhnlicher Stimmung, kicherte leise. „Als niemand geguckt hat. Nicht die Frau Doktor, nicht die Polizei … da hat er …“
„Allerhand“, meinte Ottmar entrüstet. „Zeig her.“
„Doch nicht hier in der Bahn.“
„Warum hast du das gemacht?“
„Erstens“, sagte Helmut ernsthaft, „versprecht ihr mir, dass ihr das niemandem weitererzählt. Zweitens war ich mir nicht sicher, aber ich glaube, ich habe diese Frau gekannt.“
„Nein“, staunten Ottmar und Joe einmütig. „Warum hast du das nicht der Polizei erzählt?“, fügte Ottmar hinzu.
„Weil ich mir eben nicht sicher bin. Ich muss mit Melanie reden. Wenn es die ist, für die ich sie halte, war sie mehr eine Bekannte von ihr.“
„Eine Freundin?“, fragte Joe argwöhnisch. „Von deiner Frau?“
„Eine Bekannte.“
„Was ist der Unterschied?“
„Eine Freundin ist …“, setzte Helmut an und merkte, dass er keine Lust hatte, etwas derart Kompliziertes zu erklären. „Warum fragst du nicht deine eigene Frau?“
„Petra wird sagen, dass ich das längst müsste wissen.“
„Recht hat sie“, sagte Ottmar von oben herab. „So lange, wie du hier schon lebst. Da solltest du schließlich auch ein M von einem L unterscheiden können, gell?“
„Ich steige an der nächsten Haltestelle aus und geh mir einen Döner holen“, erklärte Helmut ruppig. „Falls ihr euch heute noch wieder einkriegt, könnt ihr ja mitkommen.“
★ ★ ★
Da er der Ansicht war, an diesem Samstag nichts Besonderes vorzuhaben, und es außerdem für seine Pflicht hielt, beschloss Emmerich, noch ein wenig auf dem Hoppenlau-Friedhof zu verweilen und der gerade eintreffenden Spurensicherung bei der Arbeit zuzusehen. Zuvor hatte er bereits Gitti informiert, nicht jedoch, ohne darauf hinzuweisen, dass keine offensichtlichen Anzeichen für ein Tötungsdelikt vorlägen und damit auch kein Grund für übereifrigen Aktionismus gegeben war.
„Das ist mir recht“, hatte Gitti erleichtert gesagt. „Immerhin ist Wochenende. Deine Gabi habe ich erreicht.“
„Was hat sie gemeint?“
„Direkt begeistert klang sie nicht. Du möchtest bitte nicht vergessen, dass ihr heute Abend zum Essen eingeladen seid.“
„Wir sind zum Essen eingeladen? Wo denn?“
„Das darfst du mich nicht fragen.“
„Ob ich sie wohl selbst mal anrufe?“
„Eine ausgezeichnete Idee.“
Emmerich wartete ab, bis ein gerade eingetroffener Leichenwagen dort parkte, wo wenige Minuten zuvor der Notarztwagen weggefahren war, wurde das Gefühl nicht los, den Kollegen der Spurensicherung im Weg herumzustehen, und verließ den abgesperrten Bereich des Friedhofs. Auf der anderen Seite des Bandes hatte sich die Zahl der Schaulustigen mittlerweile erhöht, unauffällig stellte er sich daneben und tat, als gehöre er dazu. Ein Manöver, das sich nur wenig später als Glücksfall erwies, denn in seiner unmittelbaren Nähe sagte eine Frau zu einer anderen:
„Die hab ich heut früh schon gesehen. Die auf der Bank.“
„Echt?“, entgegnete die andere beeindruckt. „War sie da schon tot?“
„Woher soll ich das wissen? Ich gehe nicht zu fremden Leuten hin und frage, ob sie tot sind.“
„Man hätte es ja vielleicht sehen können. Von weitem.“
„Ach, weißt du … ich musste doch zur Arbeit. War sowieso schon viel zu spät. Außerdem war sie ja nicht alleine.“
Emmerich drehte sich um und zückte seinen Ausweis.
„Kriminalpolizei Stuttgart“, erklärte er freundlich. „Ich hoffe, Sie haben jetzt ein paar Minuten Zeit.“
„Jetzt schlägt’s dreizehn“, sagte die zweite Frau und starrte ihn ungläubig an.
„Sie erwähnten gerade“, wandte Emmerich sich demonstrativ an die erste, „dass Sie die Frau heute früh gesehen haben und dass sie nicht alleine war.“
„Ja“, lautete die Antwort, die von einem misstrauischen Blick begleitet wurde.
„Wann war denn das, und wer war bei ihr?“
„Gegen halb neun. Ein Mann.“
„Was für ein Mann?“
„Ein Mann eben. Ein älterer Mann.“
„Können Sie den Mann beschreiben?“
„Er hatte einen Hut auf. Bestimmt, weil darunter keine Haare waren. Viele Männer versuchen so, ihre Glatze zu verdecken, wussten Sie das?“
„Aha“, sagte Emmerich, weniger an Mutmaßungen, denn an Tatsachen interessiert, vage und mit einem Mal auch wenig geneigt, sich bloße Spekulationen unnötig anzuhören. Die uniformierte Polizistin war hinter ihm ans Absperrband getreten.
„Der Personalausweis wurde gefunden“, wisperte sie leise.
„Ich hab hier eine Dame, die vielleicht etwas Wichtiges gesehen hat. Natürlich nur, wenn die ganze Sache in unseren Zuständigkeitsbereich fällt.“
„Soll ich mich um die Dame kümmern?“
„Das wäre ausgesprochen freundlich. Wer hat den Ausweis?“
Die Polizistin deutete auf einen der Spurensucher, schlüpfte unter dem Band hindurch und bat die Zeugin, ihr zu folgen. Emmerich fischte sein Handy aus der Tasche, wählte Gabis Nummer und stellte die Frage, die er bei Handygesprächen normalerweise als besonderes hassenswert empfand.
„Wo bist du gerade?“
„Ich sitze vor dem Grand Café Planie und trinke eine Latte“, sagt Gabi spitz. „Übrigens in Gesellschaft einer sehr netten Frau, deren Mann sich ebenfalls verspätet.“
„Hat Gitti nicht ausgerichtet, dass ich direkt nach Hause fahre?“
„Das hat sie wohl, aber du wirst dich hüten, es zu tun.“
„Bitte?“
„Soweit ich weiß, hast du heute keinen Dienst.“
„Schon, aber …“
„Dann sieh zu, dass du dich in die Königstraße bemühst. Ohne ein Paar neuer Hosen kommst du mir nicht davon.“
„Ich brauche keine neuen Hosen.“
Das Schweigen am anderen Ende der Leitung überzeugte Emmerich nach wenigen Sekunden, dass er mit dieser Ansicht falsch lag. Ohnehin war das Einzige, was derzeit seine Anwesenheit auf dem Hoppenlau-Friedhof rechtfertigte, seine eigene Neugier, niemand schien irgendetwas von ihm zu erwarten. Bei genauer Betrachtung konnte es ihm durch einen weiteren Verbleib sogar blühen, irgendwelchen Angehörigen eine Todesnachricht überbringen zu müssen, und dergleichen gehörte nicht zu den Aufgaben, um die man sich an einem dienstfreien Wochenende reißen musste.
„Wohin genau soll ich kommen?“, fragte er daher nachgiebig.
„Wir treffen uns vor dem Kunstmuseum“, sagte Gabi, als habe sie nichts anderes von ihm erwartet. „In einer halben Stunde.“
Emmerich sah sich um und suchte nach der Polizistin, um sich abzumelden, doch die saß im Gespräch mit der Passantin immer noch im Polizeibus. Notgedrungen ging er daher zu dem Kollegen, der den Ausweis der Toten hatte.
„Ich verschwinde wieder“, sagte er knapp. „War eigentlich nur zufällig in der Gegend und habe dienstfrei.“
„Kein Problem“, entgegnete der Mann im weißen Schutzanzug lakonisch. „Wir arbeiten gerne am Wochenende. Auch wenn’s hinterher umsonst war.“
★ ★ ★
Ihm sei der Appetit vergangen und ohnehin müsse er dringend etwas erledigen, hatte Joe erklärt und sich verabschiedet.
„Eigentlich“, meinte Helmut Schropsnagel, kaum dass er mit Ottmar den Tiefen der Stadtbahnhaltestelle Rotebühlplatz entronnen war, „habe ich auch keine Lust auf Döner.“
„Was dann?“
„Wie spät haben wir es denn?“
Ottmar warf einen Blick auf seine Armbanduhr und erklärte, dass es kurz nach zwei sei.
„Du meine Güte.“ Helmut sah betroffen drein.
„Hast du deine Frau versetzt?“
„Wie kommst du darauf?“
„Ich kenne dich. Da mache ich mich wohl besser auch vom Acker.“
„Ach, wo“, wiegelte Helmut energisch ab. „Du kommst mit. Wir können gemeinsam Kaffee trinken. Sie wird sich freuen, dich zu sehen.“
„Du willst sagen“, übersetzte Ottmar, „dass das Donnerwetter ausfällt, wenn ich dabei bin.“
„Je nun …“
„Von mir aus. Ich mag sie nämlich. Deine Melanie.“
„Das will ich hoffen.“ Eilig setzten sie sich in Bewegung, den Hirschbuckel hinunter, Richtung Marktplatz.
„Willst du gleich mit ihr darüber reden?“, fragte Ottmar vor dem Rathaus. „Über ihre Bekannte?“
„Weiß nicht“, raunzte Helmut keuchend.
„Renn doch nicht so.“
„Nicht, dass wir uns verpassen …“
„Warum rufst du sie nicht an?“
„Gute Idee.“ Helmut blieb stehen, telefonierte und guckte erleichtert. „Sie hat eine nette Frau kennengelernt“, berichtete er, nachdem er das Handy wieder eingesteckt hatte. „Wir können uns Zeit lassen.“
„Typisch“, brummte Ottmar, ohne näher zu erläutern, worauf genau sich der Inhalt seines Brummens eigentlich bezog. „Du hast meine Frage nicht beantwortet.“
„Würdest du das machen? Deiner Frau Fotos von einer toten Bekannten zeigen?“
„Ich habe keine Frau.“
„Würdest du es machen?“
„War es eine gute Bekannte?“
„Die beste Freundin ihrer Schwester.“
„War sie krank?“
„Nicht, dass ich wüsste. Gestern Abend erst haben wir sie auf einer Geburtstagsfeier gesehen. Sie hat geredet wie ein Wasserfall.“
„Worüber?“
„Das fragst du besser Melanie.“
Schweigend setzten sie ihren Weg fort bis zur Markthalle. Unter den Arkaden blieb Ottmar stehen.
„Zeig ihr die Bilder lieber nicht“, sagte er entschlossen. „Nicht, dass sie noch auf die Idee kommt, mit mir darüber reden zu wollen. Denn erstens können wir noch gar nicht sicher sein, dass es überhaupt diese Bekannte von ihr ist, und zweitens habe ich sowieso nichts mit der Angelegenheit zu tun.“