Читать книгу Wolfswege 5 - Stefanie Worbs - Страница 5
ОглавлениеVon Leitwolf zu Leitwolf
Am nächsten Morgen wurde Ryan von aufgebrachten Stimmen geweckt. Kaya schlief noch tief und fest, also stieg er aus dem Bett und schlurfte nur in seinen Schlafhosen die Treppe nach unten und in die Küche. Tavis und die Perkun-Brüder standen um den Tresen in deren Mitte und gingen einander verbal an.
Noel am lautesten. „Ich hab keinen Bock mehr auf den ganzen Scheiß hier! Wir verlieren einen nach dem anderen und dich scheint’s nicht mal zu kratzen!“, warf er Tavis an den Kopf. „Das hat alles mit der blöden Kuh angefangen! Wir sollten sie einfach rausschmeißen und zu den Azur zurückschicken! So ein Dreck hier!“
„Noel, komm runter“, versuchte Gero, seinen Bruder zu beruhigen, doch der kleine Perkun wurde nur noch wütender.
„Fass mich nicht an, Alter!“ Sein Blick fand Ryan, der müde in der Tür stand, das Geschehen aber aufmerksam beobachtete. „Warum bist du gegangen, man?! Wir hätten Amber rauswerfen sollen!“, rief er und Ryan meinte, Noels Stimme beben zu hören. „Unser Rudel ist bald keins mehr, weil einfach alle gehen!“
„Kleiner.“ Ryan sah, dass Noel ehrlich getroffen war, und ging zu ihm. Er nahm ihn fest in die Arme und zog ihn an sich. „Wir sind doch alle noch da. Niemand geht hier weg.“
„Du bist gegangen“, sagte Noel nun leise, seine Wut schien verraucht. „Und Kaya und Xander auch.“
„Wir sind hier.“
Jetzt hob Noel ebenfalls die Arme und legte sie Ryan um. „Bleibt ihr?“
„Ja.“
„Oh Bruder“, stieß Gero mitfühlend aus und selbst Tavis atmete hörbar schwer durch.
Nach einer Weile ließ Ryan den Jungwolf los und gab ihm einen Klaps auf die Wange. „Geht’s wieder?“
Noel nickte nur und ließ sich dann schwer auf einen Barhocker fallen.
„Wir laufen heute Abend zusammen, abgemacht?“, fragte Ryan und bekam einen schon sehr viel freudigeren Blick vom kleinen Perkun dafür.
„Gerne“, antwortete er und lächelte dann schief.
„Und wie geht es dir, Sohn?“, wollte Tavis wissen und schob Ryan eine Tasse hin, die er mit Kaffee füllte.
„Ganz gut.“ Ryan musste grinsen und fügte an: „Ich hab mein Bett schon vermisst.“
„Ich hoffe, nicht nur das“, kam von hinter ihm, dann legte Rahel ihre Arme um seine Schultern.
„Euch natürlich auch“, lachte er und seine beste Freundin ließ ihn los. „Ich muss zugeben, dass das Verweigern ganz schön einsam ist.“
„Du hast verweigert?“ Noels Augen wurden groß.
„Den Mensch, ja. Ich hatte ja nichts dabei.“
„Stimmt. Wie war es? Außer einsam, meine ich“, fragte er weiter und mit echter Neugier in der Stimme.
„Eine Erfahrung. Ich kann’s schlecht beschreiben. Ich kann aber durchaus verstehen, dass es seine Reize hat. Für mich ist es aber nichts. Auch wenn ich es nicht wollte, war ich froh, als Xander aufgetaucht ist.“
„Also machst du es nicht mehr?“, hakte Noel nach.
„Wenn, dann nicht so lange jedenfalls.“ Ryan hob den Blick zu seinem Dad und der verstand ihn ohne Worte.
„Ich denke, wir sollten uns dann mal zusammensetzen, Ryan. Wenn du so weit bist, komm in mein Arbeitszimmer. Okay?“
„Ja. Ich dusche noch, dann bin ich da.“
„Sehr gut.“
Eine halbe Stunde später klopfte Ryan an die Tür zum Büro seines Dads und wurde hereingerufen. Tavis saß an die Fensterbank gelehnt und hielt ein paar Briefe in den Händen, die er ablegte, als Ryan die Tür hinter sich schloss. Sie waren allein.
„Bitte setz dich“, bot sein Dad an. Ryan zog sich den Stuhl vom Tisch und ließ sich lässig darauf sinken. „Nun, Ry. Ich habe es schon getan, möchte mich aber noch mal direkt entschuldigen. Ich habe viel falsch gemacht. Ich bin ...“
„Schon gut, Dad. Ehrlich“, unterbrach Ryan ihn. „Es ist alles scheiße gelaufen. Seit ich Amber gefunden hab, ist alles aus dem Ruder geraten. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken und weiß heute, dass es einfach nicht anders ging.“
„Doch, Sohn. Es wäre anders gegangen. Ich hätte mich mehr mit deiner Situation beschäftigen müssen. Mit dir! Ich hätte mir gleich die Zeit nehmen müssen, dich richtig zu verstehen. Das alles hier.“ Er wies unbestimmt in den Raum. „Du hättest nicht gehen müssen und wir wären noch immer ein Rudel.“
„Vielleicht auch nicht“, gab Ryan zu bedenken. „Ich wollte Amber schon seit dieser ersten Nacht. Ich hätte sie bekommen, wenn nicht alles so gelaufen wäre. Aber es kam eben so. Du musstest das Rudel schützen und du wolltest ihr helfen. Das ging eben nur so.“
„Ich hätte dich hergeben können“, sagte sein Dad und meinte, dass Ryan statt Evan die Hochzeit hätte durchziehen sollen.
„Hättest du. Und dann wären die Azur auf die Barrikaden gegangen. Ich weiß heute ein bisschen was, was es mir verständlicher macht, warum du so gehandelt hast. Ich hab mich nie für das Ranggewäsch interessiert und es interessiert mich auch heute nicht wirklich, aber ich weiß jetzt, warum es für einige Rudel so wichtig ist. Und ich weiß, dass es gut so war, dass Evan Amber geheiratet hat. Wer weiß, was die Azur mit uns gemacht hätten, wenn nicht.“
Tavis runzelte die Stirn. „Darf ich fragen, was genau du weißt?“
„Was hier gesprochen wird, bleibt hier“, hielt Ryan fest und sein Dad nickte ernst. „Ian hatte einen Grund, warum er zu mir gekommen ist.“
Ryan erzählte von Ian und er erzählte, was der Rubellit ihm gesagt hatte. Er erklärte seinem Dad, um was der Hay ihn gebeten hatte und wie es dazu gekommen war, dass er nun zu Ryans Rudel gehörte. Tavis hörte aufmerksam zu und stellte keine Zwischenfragen.
Ryan erklärte auch noch mal die Sache mit seinem Entschluss, ein eigenes Rudel zu gründen und stellte am Ende fest: „Ich muss sagen, bis jetzt merke ich nichts von dem Drang, den ich vorher hatte. Amber riecht noch immer verdammt gut und auch ihr Aussehen ist noch immer der Hammer, aber ich kann mich von ihr abwenden und das ohne Probleme. Ich hoffe, es bleibt so.“
„Davon gehe ich aus“, ließ Tavis ihn wissen. „Als du gegangen bist, habe ich mich intensiver mit dem ganzen Thema auseinandergesetzt. Ich wusste zwar, es war zu spät für uns, aber ich wollte die Chance nutzen und Amber erziehen.“ Tavis hob die Hände und zeigte Anführungszeichen. „Wir haben uns seit dem Tag sehr viel unterhalten und uns mehr darum gekümmert, sie in unsere Gesellschaft zu integrieren. Ich hatte immer gehofft, dich damit zur Rückkehr zu bewegen.“ Kurz hob er die Schultern. „Wenn wir dir hätten zeigen können, dass sie sich ebenso beherrschen kann und wir gemeinsam an dem Problem arbeiten, verstehst du?“
Ryan nickte. „Tja. Ich bin wieder da.“
„Ja“, sagte Tavis und klang traurig.
Diesmal war es an Ryan die Stirn kraus zu ziehen. „Klingt nicht sehr begeistert.“
Tavis lachte niedergeschlagen. „Ich hätte dich lieber als meinen Sohn wiedergehabt.“
„Das bin ich noch. Nur habe ich jetzt ein eigenes Rudel.“
„Stimmt.“
„Es hat sich nichts geändert“, fügte Ryan an.
„Auch das mag in gewisser Weise zutreffen.“ Sein Dad seufzte und atmetet dann tief durch. „Ich denke, es ist wohl eher die Tatsache, dass mein jüngster Sohn erwachsen wird.“ Tavis schaute auf und hatte glasige Augen. Sein Lächeln war jedoch echt. „Irgendwann wäre der Tag gekommen. Ich hatte nur nicht so schnell damit gerecht. Und nicht so.“
„Ich liebe dich, Dad. Das habe ich immer getan und das werde ich auch immer tun. Ich will, dass du das weißt.“
Nun wischte sein ehemaliger Alpha sich doch die Augen und lachte. „Das weiß ich, mein Sohn. Und ich hoffe, du weißt, dass es auf Gegenseitigkeit beruht.“
„Natürlich, Dad.“ Ryan steckte selbst ein Kloß im Hals, doch dafür spürte er endlich wieder die vertraute heimelige Wärme in sich. Noch war sie schwach und zögerlich, doch mit der Zeit würde sie sicher so stark wie früher werden.
„Nun aber genug von dem gefühlsduseligen Zeug“, lachte Tavis und Ryan stimmte kurz ein. „Lass uns besprechen, wie es jetzt weitergeht. Du hast erzählt, die Hays wollen aus dem Bündnis mit den Azur raus?“
„Richtig. Ian will es vor allem. Sein Dad schließt sich ihm an, wenn wir Aussichten auf Erfolg haben, etwas gegen die Thorburns in die Hände bekommen. Wenn nicht, ist es allerdings sicherer für sie, das Bündnis nicht zu lösen. Die Azur haben wohl ziemlich viele Rudel unter sich.“
„Das ist richtig. Es ist gefährlich, einfach so einen Bund zu beenden. Vor allem mit den Thorburns. Wie du selbst gerade angemerkt hast, ist es das schon für die Hays. Für uns wäre es das Ende. Wir müssen also nach außen hin mitspielen, solange wir nichts gegen sie ausrichten können. Es wird dich sicher nicht überraschen, aber sie könnten allein mit ihren untergebenen Rudeln den ganzen Norden als Revier beherrschen.“ Tavis griff nach einem der Briefe und reichte ihn an Ryan. „Sieh es dir an.“
Ryan nahm ihn und überflog das Papier. Es war eine Liste mit Namen von Rudeln, gruppiert in Mischlinge, Reinblüter und Blaublüter. Ganz oben standen die Thorburns. Unter ihnen dienten derzeit 13 Rudel. Die Turmaline waren in dieser Auflistung nicht enthalten.
„Was ist mit den Reids und den Hays?“, wollte Ryan wissen. „Wieso stehen die nicht hier drauf?“
„Sie sind Bündnispartner, keine Untergebenen. Sie haben ihre eigenen Rudel unter sich.“ Tavis reichte ihm einen weiteren Stapel Papiere und Ryan erkannte gleiche Auflistungen in ihnen, wie der erste Brief es war.
„Adisson, Ullrich, McKim, Keniston. Sind das alles Bündnisse der Azur?“
„Ja. Einige haben auch untereinander Koalitionen, aber diese vier zusammen mit den Hays und den Reids haben jeder eine Allianz mit den Thorburns.“
„Also arbeiten sie nicht alle zusammen?“
„Nicht ganz. Wenn einer von ihnen ruft, treffen sie sich alle. Dann wird entschieden, wer mit wem arbeitet. Die anderen halten sich dann raus, arbeiten also auch nicht gegen den Rest. Nur die festen Allianzen, wie zum Beispiel Hay und Thorburn, die agieren immer zusammen.“
„Angenommen, die verfolgen alle ein Ziel, gemeinsam mit ihren untergebenen Rudeln ...“ Ryan zog die Brauen hoch und pustete die Luft aus.
„So ist es. Und da setzt ein Problem an, dass wir schwer lösen können. Wie sollen wir uns ihnen entgegenstellen, wenn es hart auf hart kommt? Wir können weder Ian noch Bain helfen, solange sich unsere derzeitige Situation nicht ändert.“
„Hast du eine Idee?“, hakte Ryan nach.
Tavis nickte vage. „Unsere einzige Chance sind Informationen, die den Thorburns das Genick brechen könnten. Wir wissen beide, dass die Azur Pläne haben. Adrian hat es angerissen und Ian nun ebenfalls und dass Matthew Hay seinem Sohn freie Hand bei dem Thema lässt, zeigt mir, dass es was Großes sein muss. Matt war noch nie bekannt dafür, andere ans Steuer zu lassen. Und er hat meines Erachtens viel zu wenig Widerspruch eingelegt, als Ian sich dir anschließen sollte.“
„Du denkst, er will auch, was Ian will, aber er traut sich einfach nicht“, stellte Ryan fest.
„Genau das denke ich. Mit Ian in deinem Rudel hat er jemand Außenstehendes, der aber noch nah genug dran ist, um einzugreifen.“
„Glaubst du, es war geplant? Ich meine, dass er sich bei mir einschleichen sollte, oder so?“ Plötzlich war Ryan alarmiert. So weit hatte er gar nicht gedacht.
Doch Tavis schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Und selbst wenn, was könntest du tun? Jetzt untersteht er dir. Wenn du ihn einfach rauswirfst, wäre das auffällig. Außerdem bist du sein Alpha. Er muss auf dich hören. So gesehen hat Matt also einfach einen Wolf verloren und nichts gewonnen.“
„Ian hat doch noch immer seinen eigenen Willen“, gab Ryan zu bedenken.
„Stimmt. Aber wir sind nicht ohne Grund im Rang höher, Ryan. Wir sind Alphas. Leitwölfe. Wir leiten, verstehst du?“
„Schon klar. Aber wenn einer was nicht machen will, dann ist das halt so. Gero und Noel sind ...“
„Ein Sonderfall und deshalb bei uns.“ Sein Dad atmete durch. „Wir müssen rausfinden, was die Thorburns vorhaben, erst dann und nur so können wir unsere Versprechen einhalten.“
„Stimmt“, gab Ryan zu und erinnerte sich wieder, dass sein Dad ja ebenfalls das Versprechen gegeben hatte, Bain zu helfen, gegen die Sitten von dessen Eltern vorzugehen. Jetzt grätschte Ryan noch dazwischen, indem er seinen Vater bat, ihm dabei zu helfen, Ian zu helfen. „Du solltest erst mal deine Versprechen einlösen“, sagte Ryan und wusste, es würde Ian so richtig ankotzen, dass es wieder eine Verzögerung gab. „Du hast Bain dein Wort gegeben.“
„Habe ich. Und du hast Ian dein Wort gegeben. Wenn wir beide eine Allianz haben, dann helfen wir einander auch. Ich für meinen Teil erachte dein Versprechen gerade für das Dringlichere. Im Moment sind alle Kinder der Azur weitestgehend sicher. Aber dass die Thorburns eine langjährige Abmachung über den Haufen werfen und die Hays nicht mal informieren weshalb, deutet auf etwas Schwerwiegenderes hin. Ich denke aber, auch wir hätten einen Vorteil, wenn wir etwas gegen die Azur in die Hände bekommen. Dann könnten wir durchaus mit etwas diplomatischem Druck auf sie einwirken, was ihre Sitten angeht. Verstehst du?“
„Ja, ich denke schon. Also helfen wir erst Ian und seiner Familie und dann Bain und Adrian?“
„Genau. Wobei ich anmerken muss, dass es auch uns persönlich enorm zugutekommt, etwas gegen die Azur in der Hand zu haben. Du hast ja nun einen Überblick über ihren Einfluss. Da können wir einfach nicht mithalten.“
Ryan nickte, weil er verstand, dass sein Dad eine Menge an Rudeln, mit dem richtigen Wissen, kräftemäßig gleichsetzte. „Okay. Dann kümmern wir uns als Erstes darum, dass wir die Infos für Ian - und irgendwie auch für uns - bekommen.“ Er runzelte die Stirn und fragte dann: „Was meintest du mit Sonderfall?“ Er sprach auf die Aussage seines Dads bezüglich der Perkun-Brüder an. Bisher hatte sein Dad nie von irgendeinem Sonderfall gesprochen.
Tavis lächelte schief und antwortete: „Sie sind ein Sonderfall, weil sie anders sind, als normale Wölfe. Auch Hakoon ist so ein Sonderfall. Genau wie Miles Gaben hat und Emily kein gewöhnlicher Werwolf ist. Wir sind kein Rudel wie jedes andere, Ryan. Das waren wir nie.“