Читать книгу Aus Liebe zu den Pflanzen - Stefano Mancuso - Страница 7
Vorwort
ОглавлениеAus Liebe zu den Pflanzen ist zwar nach meinem Buch Die Intelligenz der Pflanzen entstanden, bildet aber gewissermaßen den Prolog dazu. Denn dass ich Pflanzen heute als komplexe Wesen mit kommunikativen Fähigkeiten, raffinierten Verteidigungsstrategien und sozialen Beziehungen betrachte, verdanke ich zu einem großen Teil den Protagonisten dieses Buchs, Menschen, die die Natur, die Lebewesen und ihre vielfältigen Beziehungen als ein Ganzes begriffen haben. Es fällt uns meiner Meinung nach nämlich auch deshalb so schwer, die Probleme unserer modernen Welt zu lösen, weil uns diese Sicht inzwischen abhandengekommen ist und einer extremen Wissensspezialisierung Platz gemacht hat. Wir werden jedoch nur dann imstande sein, nachhaltig zu produzieren, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten und die zahlreichen bedrohten Arten zu schützen, wenn wir lernen, über unseren eigenen Tellerrand hinauszublicken. Vielleicht liegt es daran, dass ich in Florenz, der Wiege des Humanismus, lebe, aber ich denke, wir brauchen heute dringender denn je einen neuen Humanismus, eine neue Allianz des Wissens, die uns eine neue Sicht auf die Rolle erlaubt, die wir auf unserem Planeten spielen.
Die Personen, die im Folgenden die Bühne betreten werden, eint eine seltene, für jedoch Forscher unverzichtbare Fähigkeit: unsere Umwelt und insbesondere die vielen Erscheinungsformen der belebten Welt mit teilnehmender Aufmerksamkeit zu betrachten. Jeder gute Naturforscher sollte sich beharrlich darum bemühen, die Welt mit Respekt und – ich scheue mich nicht vor diesem Wort – mit Liebe zu ergründen. Die Protagonisten der folgenden Lebensgeschichten, so unterschiedlich sie verliefen, besaßen diese Fähigkeit.
Im Lauf der Jahre bin ich über meine Arbeit oder per Zufall auf diese Menschen gestoßen und immer wieder, wenn auch oft nur sporadisch, auf sie zurückgekommen. Sie waren gewissermaßen ständig präsent, ein wenig wie alte Freunde. Manche sind mir sympathisch, andere sind mir wirklich ans Herz gewachsen, doch meine Bewunderung und mein Dank gelten allen. Gemeinsam ist ihnen, dass ihr Wirken auf dem Gebiet der Pflanzen im Allgemeinen wenig bekannt ist. Vermutlich kennt jeder den Schöpfer der Mona Lisa, und viele wissen, dass er ein guter Ingenieur war, aber wer hat je davon gehört, was Leonardo da Vinci auf dem Gebiet der Botanik geleistet hat? Andere Protagonisten meiner Geschichten, wie Washington Carver, sind zwar in ihrem Heimatland sehr bekannt, aber kaum im Ausland. Und manche kennt höchstens eine Handvoll Spezialisten.
Wer der Menschheit so viel gegeben hat, dem steht, so meine ich, auch ein angemessener Platz im allgemeinen Bewusstsein zu. Niemand veröffentlicht ein Foto der Mona Lisa ohne den Namen des Malers, aber bei einem Bild der Titanwurz sagt uns kaum jemand, wer die Pflanze zuerst entdeckt, klassifiziert und in die botanischen Gärten der halben Welt eingeführt hat. Ich bin wahrlich ein großer Kunstliebhaber, aber als Forscher schmerzt es mich immer wieder, dass wissenschaftliche Erkenntnisse weniger Anerkennung finden als künstlerische Leistungen. Die Namen der Wissenschaftler, die mit ihrer unermüdlichen, häufig schlecht bezahlten Arbeit das Wissen der Menschheit gemehrt haben und sich dabei vielfach gegen Widerstände durchsetzen mussten, werden oft schlicht vergessen oder gedankenlos verwechselt.
Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch unklug, denn die Unternehmungen, Ziele und Träume dieser Pioniere der Wissenschaft könnten Anreiz, Motivation und Leitfaden für unser eigenes Leben sein. Ihre Fehlschläge und die Feindschaften, denen sie ausgesetzt waren, weil sie hartnäckig an ihren Ideen festhielten, verraten uns viel über das Leben und die Liebe zur Wissenschaft.
Viele Entdeckungen, über die ich in diesem Buch berichte, haben unsere Welt verändert. Wenn wir die wachsende Weltbevölkerung mit ihrem zunehmenden Energiebedarf in den nächsten Jahrzehnten ernähren wollen, dann brauchen wir die visionäre Kraft, die die Protagonisten dieses Buchs besaßen. Laut Welternährungsorganisation muss die Landwirtschaftsproduktion bis 2050 um siebzig Prozent zunehmen, wenn sie der wachsenden Weltbevölkerung – die dann bei 9,3 Milliarden liegen dürfte – und ihren zu erwartenden veränderten Ernährungs- und Konsumgewohnheiten gerecht werden soll. Ich bin davon überzeugt, dass eine solche Produktionssteigerung nur gelingen kann, wenn sich unsere Vorstellung von Landwirtschaft grundlegend wandelt und wir auch die Meere als landwirtschaftliche Produktionsstätte nutzen.
Die Forschungsgruppe, die ich an der Universität Florenz leite, hat deshalb gemeinsam mit Pnat, dem Spin-off unserer Universität (www.pnat.net), ein autarkes schwimmendes Gewächshaus entwickelt, das, so unsere Hoffnung, dazu beitragen kann, das Problem des steigenden Nahrungsbedarfs auf unserer Erde zu lösen. Das schwimmende Gewächshaus ist in puncto Boden, Wasser und Energie vollkommen autonom. Anders gesagt: Weil es auf dem Meer schwimmt, benötigt es keine Erde; weil es Meerwasser entsalzen kann, kein Süßwasser; und weil es seinen Strom aus Sonnenlicht und Wellenbewegungen bezieht, kann es sich selbst mit Energie versorgen. Wir konnten die simple Meeresfabrik, in der viel innovative Technologie steckt, auf der Expo 2015 präsentieren, deren Hauptmotto ja lautete: »Den Planeten ernähren«.
Ist das nun Fantasterei? Ich glaube nicht, eher eine veränderte Einstellung oder, wenn man so will, eine neue Sicht auf die Dinge. So ähnlich wie der Perspektivwechsel, den viele Protagonisten dieses Buches gewagt haben, weil sie – ob als Botaniker, Genetiker, Philosophen, Landwirte oder schlichte Naturliebhaber – unbeirrt an die Wissenschaft glaubten und sie zum Vorteil des Menschen nutzten.
Die meisten Städter haben heute im Grunde keine Beziehung mehr zur Pflanzenwelt. Pflanzen sind für sie nur noch angenehmes Beiwerk oder Bestandteile eines hübschen Landschaftsbildes. Aber der Fortschritt, den wir zu Recht anstreben, darf uns nicht unseren Wurzeln entfremden und unsere Beziehung zur Natur beeinträchtigen. Die zunehmende Abholzung des Regenwalds führt schon heute zu enormen Schäden und verändert oder zerstört das sensible Gleichgewicht der vorhandenen Ökosysteme. Die Folgen des ökonomischen Irrwegs werden sich allerdings erst in vollem Umfang zeigen, wenn der Schaden irreparabel geworden ist. Wenn bislang unerforschte Pflanzenarten aussterben, ist das allein unter Nutzengesichtspunkten ein unschätzbarer Verlust an Ernährungs- und Heilungschancen. So werden beispielsweise über sechzig Prozent der heute eingesetzten oder getesteten Mittel zur Krebsbekämpfung größtenteils aus Pflanzen gewonnen. Es liegt also auf der Hand, dass die Bewahrung der Artenvielfalt für unser eigenes Überleben von fundamentaler Bedeutung ist.
Die Geschwindigkeit, mit der wir die Ressourcen unserer Erde verbrauchen, hat in den letzten Jahren besorgniserregend zugenommen. Es ist eine Geschwindigkeit, die keine Erholung der Ressourcen mehr zulässt. Wenn man von einem Bankkonto laufend Geld abhebt, und zwar schneller, als das Konto wieder aufgefüllt wird, ist jedem klar, dass große Probleme oder ein Bankrott die Folge sein werden. Doch während uns die alltägliche Erfahrung die negativen Folgen eines unklugen Finanzgebarens umgehend vor Augen führt, lehrt unser Alltag uns nicht, welche furchtbaren Folgen der Missbrauch unserer begrenzten irdischen Ressourcen hat.
Nur wenn wir vor allem junge Menschen für solche Themen sensibilisieren können, wie es, nebenbei bemerkt, Papst Franziskus mit seiner Umweltenzyklika versucht hat, werden wir das Wohlergehen der Menschheit und der Erde – als Ganzes begriffen – sicherstellen können. Junge Menschen werden die Gefühle und die Begeisterung, die die Protagonisten dieses Buches angetrieben haben, vermutlich am ehesten verstehen. Und wir brauchen heute mehr denn je Vorbilder, die uns zum Gemeinsinn, zum Schutz der Natur und dem Respekt gegenüber allen Lebewesen ermuntern – statt zur persönlichen Vorteilnahme. In diesem Sinne ist es auch heute unser aller Aufgabe, Menschen zu fördern, deren Talent sonst verschwendet wäre.
Die Reihenfolge der Lebensgeschichten in diesem Buch orientiert sich an keiner Chronologie oder wie auch immer gearteten Skala der Bedeutsamkeit. Um ehrlich zu sein, fiel mir erst im Nachhinein auf, dass sie dennoch einer gewissen Logik gehorcht: Die ersten drei Protagonisten sind Landwirte, die folgenden sechs Naturwissenschaftler, und die letzten drei haben auf anderen Gebieten Berühmtheit erlangt und sich sozusagen nur als Hobby mit Pflanzen beschäftigt. Nennen wir sie Liebhaber.
Einige der Protagonisten mussten gegen erhebliche Schwierigkeiten und Vorurteile kämpfen, ehe ihre Ideen – manchmal erst lange nach ihrem Tod – Anerkennung fanden. Der eine starb im Kerker, andere wurden verlacht oder verarmten. Und manche sind wahre Helden: Die Bedeutung ihrer Forschungsarbeit wirkt weit über ihre Zeit hinaus. Ich bin allen gleichermaßen dankbar für das, was ich von ihnen lernen durfte, und ich erzähle ihre Geschichten in der Hoffnung, damit andere Pflanzenliebhaber, ob Wissenschaftler oder Laien, zu inspirieren. Als Visionäre und Pioniere besaßen sie nämlich den Mut, ein Stück weiter zu denken, und jeder von ihnen hat – von seiner Liebe zu den Pflanzen ausgehend – die Welt ein wenig verändert. Es gibt vielleicht andere Möglichkeiten, das zu tun, doch keiner, glaube ich, wohnt ein solcher Zauber inne.
Jemand hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass alle Protagonisten dieses Buches Männer sind. Meine Auswahl hat jedoch sicher nichts mit Frauenfeindlichkeit zu tun. Selbstverständlich gibt und gab es berühmte Botanikerinnen, wenn auch bedauerlicherweise nicht viele. Es wären sicherlich mehr, wenn Frauen immer dieselben Bildungschancen gehabt hätten wie Männer. Doch selbst als Frauen studieren durften, war es für sie aufgrund einer diffusen Frauenfeindlichkeit schwer, ihre Arbeit öffentlich sichtbar zu machen. Fest steht aber auch, dass zur Zeit unserer Urahnen die Männer auf die Jagd gingen, während die Frauen die Früchte des Bodens sammelten. Sie lernten so als Erste, Pflanzenarten zu erkennen, giftige von unschädlichen und Nahrungs- von Heilpflanzen zu unterscheiden. Darum denke ich, dass die Frauen ihre Vorrangstellung in puncto Pflanzenwissen schon bald zurückerobern werden. Jedenfalls sind sie unter meinen Studierenden zweifellos in der Mehrzahl. Außerdem hoffe ich, dass ich den Mangel in Kürze wettmachen kann: mit einem weiteren Buch über das Leben von Frauen und Männern, die die Pflanzen lieben. Aber das wird auch davon abhängen, wie Ihnen dieses Buch gefällt. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen jedenfalls viel Spaß bei der Lektüre.