Читать книгу Chicago - L.A. - Steffen Digeser - Страница 8
Chicago erleben
ОглавлениеNach einem kurzen Telefonat mit Sally machten wir uns auf den Weg in einen Chicagoer Vorort. Je näher wir der Adresse kamen, umso verwahrloster wurde die Gegend, bis wir schließlich mitten in einem Schwarzen-Ghetto landeten. Es stellte sich heraus, dass Sally die Bewährungshelferin eines Häftlings war. In dessen Auftrag sollte sie die Maschine verkaufen, um Geld für die Bewährungskaution aufzutreiben. Sie führte uns hinter das Haus zu einem alten Schuppen. Die Kawa Z900 stand versifft und verrostet in einer Ecke. Bei der ersten Untersuchung stellten wir fest, dass die Auspuff-Endtöpfe fehlten, der Kupplungszug gerissen und die Batterie defekt war. Das sollte uns von einer Probefahrt jedoch nicht abhalten. Also setzte ich mich auf die „Z“, Joe schob mich an, ich riss ohne Kupplung den zweiten Gang rein, der Motor schluckte kurz, dann aber zündete er mit so einem mächtigen Brüller, dass mir die Ohren klingelten. Gleich darauf schob die Maschine nach vorne und man vernahm den unnachahmlichen Sound einer Vierzylinder Kawa und das ohne Auspuff. Einfach nur geil. Ich fuhr die nicht asphaltierte Hinterhofstraße hinauf; Beim Zwischengas für den dritten Gang bollerten einige Fehlzündungen, die von langen Stichflammen aus den Auspuffkrümmern begleitet wurden. Ein paar Jugendliche die das Treiben beobachteten, warfen die Hände in die Höhe und riefen: „This guy drive all the shit out oft the engine“. Der Kübel lief und war billig. So gaben wir Sally das Geld und vereinbarten, dass wir die Kawa abholen sobald ein Unterstellplatz gefunden war.
Es dauerte einige Zeit bis wir den Inder, Besitzer unseres verwanzten Billigmotels überzeugt hatten, unsere neue Errungenschaft so lange in seiner Garage zu lagern, bis sie vom Spediteur abgeholt werden sollte. Deshalb waren wir erst wieder am späten Nachmittag in der bekannten Gegend. Nun war jedoch die Euphorie des Vormittags verflogen und wir registrierten erst jetzt in welches bad neighborhood wir uns hier vorwagten. Der Schuppen war schnell wiedergefunden. Wir versuchten den Motor erneut zum Leben zu erwecken, was uns dieses Mal jedoch nicht gelang. Wir schraubten und schoben und fluchten. Dieses Treiben blieb in der Gegend nicht unbemerkt und so sammelten sich nach und nach Zuschauer, die uns interessiert aber auch misstrauisch beobachteten. Wir waren mit unserer Maschine beschäftigt und bemerkten deshalb erst spät, dass sich ein doch erheblicher Menschenauflauf vor dem Schuppen angesammelt hatte. Dann plötzlich hörten wir das dumpfe Brabbeln eines mächtigen V8 Aggregats. Die Zuschauer traten zur Seite und in der engen Hinterhofstraße stand ein 71er Chrysler Newport Coupé. Es war der großvolumige 6,3 Liter Motor der sein Auftauchen ankündigte. Das war eigentlich unser Traumwagen aber in dieser Situation eher ein Albtraum, denn bei diesem Exemplar fehlte die Frontscheibe und auf der breiten vorderen Sitzbank saßen, nein thronten, drei sehr kräftige schwarze Jungs mit verchromten Schneidezähnen und Halsketten so dick wie Abschleppseile. Aus den Boxen des Dreitürers wummerte ein Bass, der die Spiegel unserer Kawa zum Zittern brachte.
Das ist der Zeitpunkt, bei dem sich die Löwen normalerweise zurückziehen und die Beute den Hyänen überlassen. Doch hier kam uns die menschliche Evolution oder schlicht die Kreativität von Joe zu Hilfe. Er zog den hinteren Haltegurt unseres Leihwagens soweit es ging aus dem Abrollmechanismus heraus, klemmte ihn zwischen Tür und Rahmen ein, sodass eine Schlaufe aus der Hecktür heraushing. Ich sprang auf die Kawa hielt mich am Gurt fest, und schon setzten wir uns in Bewegung.
Nun muss ich erwähnen, dass der Eisenhaufen auf dem ich saß schlappe 250 Kilogramm wog und mir der Arm langezogen wurde. Aber das fällt ja in die Kategorie Weichei.
Als unsere Beobachter die Abschleppaktion sahen, schlug ihre feindselige Einstellung plötzlich in Überraschung und zum Schluss in sowas wie Begeisterung um. Das ging so weit, dass einige Ghetto-Kids am Straßenrand eine Art afrikanischen Freudentanz aufführten und uns zujubelten.
Wir brachten die Kawa in die besagte Garage des Inders und waren froh, heil aus der Sache herausgekommen zu sein. Der Kauf der zweiten Maschine war weniger spektakulär, denn wir fanden ein schönes Teil etwas östlich von Chicago, im Bundesstaat Indiana. Die Gegend war sauber mit gepflegten Vorgärten und schönen weißen Einfamilienhäusern. Vor einem dieser Häuser erwartete uns der etwa fünfzigjährige Verkäufer. Die alte „Z“ stand im Garten und war sehr gepflegt, hatte aber zu unserem Leidwesen eine riesige Plastik-Frontverkleidung mit einer noch größeren Scheibe darüber. Wir erklärten, dass die Maschine O.K. sei aber die Verkleidung könnten wir nicht gebrauchen. Das hässliche Teil beleidigte das Auge. Der Besitzer war aber gerade auf diese Stolz, da man ja so den Fahrtwind und die Mücken nicht immer ins Gesicht bekommt. Daraufhin versuchten wir ihm klar zu machen, dass man in Deutschland sowieso mit Helm fahren muss und sich somit das Problem gar nicht erst stellt. Nun war der gute Mann ganz von den Socken. Immer mit Helm? Das kann doch nicht sein, was ist das für ein komisches Land? Man kann doch mit Helm gar nicht richtig Motorrad fahren und außerdem macht das dann gar keinen Spaß.
Wir kauften schließlich das Motorrad mitsamt der Plastik-Mütze.
Bei einem Gebrauchtteile-Händler fanden wir für unsere erste Maschine die begehrte 4 in 4 Auspuffanlage und für die zweite Z900 den original Frontscheinwerfer, der nach Demontage des Plastikfurunkels fehlte. Die Zubehör-Verkleidung wollten wir dem Händler in Zahlung geben, doch der hatte dafür nichts als ein breites Grinsen übrig, denn dieses hässliche Ding würde nur seinen Müllcontainer zum Überlaufen bringen. Nun hatten wir jedoch noch ein Ass im Ärmel oder besser gesagt ein Stereo-Kassettenradio in der Frontverkleidung. Der Deal lautete dann also: Mr. Wertstoffhändler schmeißt für uns den Plastik-Eimer weg und bekommt dafür das dort eingebaute Radio. Hand drauf. Diese blaue Kawa Z900 wurde nach Bereinigung der Frontpartie zusammen mit der Abgasanlage in die Garage gestellt.
Es war der 29.08.1992. Heute sollte Fausti in Chicago eintreffen, deshalb machten wir uns von Rock Island aus auf den Weg in die Weltstadt um ihn abzuholen. Seine Maschine landete pünktlich, jetzt war die Mannschaft komplett. Vom Flughafen aus steuerten wir direkt Chicago Downtown an. Heute wollten wir mal die Stadt so richtig genießen und alle Sehenswürdigkeiten besuchen. Die Hausaufgaben waren zwar noch nicht ganz erledigt, denn der Straßenkreuzer fehlte noch, trotzdem gönnten wir uns eine Sightseeing Tour. Das wortwörtliche Highlight dieser Tour war das John Hancock Center, von dem man einen fantastischen Blick über die Stadt hat. Übrigens ist der Blick um einiges schöner als vom bekannteren Sears-Tower, da das Hancock Center direkt am Ufer des Lake Michigan liegt. Beim Warten auf den Sonnenuntergang in etwa 340 Meter Höhe studierten wir, wie inzwischen zur Gewohnheit geworden, die einschlägigen Gebrauchtwagen-Journale und wurden fündig. Ein 82er Chevy Caprice Station Wagen in Weiß mit brauner Holzapplikation für schlappe 900 Dollar. Der Händler war im Großraum Chicago. Noch auf der Aussichtsplattform vereinbarten wir eine Besichtigung. Natürlich vom Münztelefon aus, Handys gab es noch nicht.
Chicago bietet neben den wunderschönen Orten, die die Touristen besuchen und zuhauf fotografieren auch noch ein paar „interessante“ Ecken. Das erzählte uns Joe, der schon einige Monate in Chicago leben durfte. Da wir ja keine Touristen waren, sondern Abenteurer, mussten wir natürlich auch dieses andere Gesicht der Stadt sehen. Also los, ich am Steuer, Joe als Road-Captain neben mir und Fausti auf der Rückbank. So fuhren wir Richtung South Side. Die Häuser wurden niedriger, mit eisernen Feuertreppen, die außen an den Fassade herunter in dunkle enge Gassen führten. Zwischendurch immer wieder diese schwarzen auf Stelzen stehenden Wassertanks. Solche Kulissen konnte selbst Hollywood nicht besser bauen. Die Sonne ging unter und je weiter wir Richtung Süden fuhren, desto verwahrloster wurden die Häuser und die Straßen. Wo eben noch Straßenlaternen etwas Licht gaben, war nach der nächsten Abzweigung keine funktionierende Infrastruktur mehr zu erkennen. Auf der Kreuzung stand ein brennendes Ölfass, das die Umgebung etwas ausleuchtete. Man sah dunkle Gestalten die ihre schwarzen Kapuzen weit ins Gesicht gezogen hatten. Wir fuhren langsam an den Menschen vorbei. Als sie unsere helle Hautfarbe entdeckten, waren Unruhe und Aufregung zu spüren. Es folgten einige Pfiffe und Schreie. Das Ganze war uns unheimlich und wir versuchten diesen Ort zu verlassen. Einfach zweimal rechts abbiegen war die Anweisung von Joe. Da immer wieder Gerümpel und Einkaufswägen mitten auf der Straße auftauchten und der Straßenbelag große Löcher aufwies, kam ich nur im Schritttempo voran. An der nächsten „4-way-stop“ erkannten wir eine Menschenmasse, die so wie es schien, neben den brennenden Tonnen nur auf uns wartete. Obwohl es inzwischen dunkle Nacht geworden war, sahen wir, dass einige der Jungs Baseballschläger bei sich trugen. Plötzlich sprang eine dunkelhäutige Frau auf die Straße, direkt vor unser Auto, hob ihren Rock hoch und kreischte. Was sie uns zurief konnten wir beim besten Willen nicht verstehen. Etwa ein Dutzend der Männer bewegten sich jetzt aus der Masse direkt auf uns zu, einige drohten uns dabei mit ihren Baseballschlägern und versuchten unser Auto zu treffen. „Gib Gas, hau ab, halt an keiner Ampel an“. Das schrie mir in diesem Moment mein jetzt extrem aufgeregter Beifahrer zu, während er die Türen von innen verriegelte. Ich schob meinen rechten Fuß auf das Pedal und drückte es ganz durch. Der Automat reagierte sofort und sortierte sich zwei Gänge nach unten ein, der Motor heulte auf und wir beschleunigten los. Ich hielt auf die drohenden Gestalten zu, diese sprangen zur Seite, der Weg war frei. Ohne nochmals den Fuß vom Gas zu nehmen, folgte ich den Anweisungen und bog zweimal teils mit quietschenden Rädern teils im wilden Drift ab. Erst jetzt bemerkte ich, dass Joe im Beifahrerfußraum Deckung gesucht hatte und Fausti flach auf der Rücksitzbank kauerte. Mein Körper war so voll Adrenalin, dass ich die Situation gar nicht richtig begriff und auch keine Furcht verspürte. Trotz jahrtausendlanger Zivilisation hat unser Körper die Fluchtmechanismen noch nicht verlernt. Das hat uns wohl gerade das Leben gerettet. Nun haben wir auch die South Side von Chicago gesehen. So toll die Kulisse ist, kann ich weder den Touristen noch den Abenteurern empfehlen, diese „Sehenswürdigkeit“ zu besuchen.
Noch geschockt von unserem Streifzug durch die Slums der Stadt, machten wir uns wieder auf den Weg zurück in die aufgeräumte Innenstadt. An der Ecke Ontario Street / Clark Street befinden sich die bekannten Touristen-Kneipen Rainforest Cafe, Hard Rock Cafe und Planet Hollywood aber auch der Rock´n´Roll McDonald`s. Auch wenn man, wie wir, kein Freund dieser Fast-Food Kette ist, so ist ein Besuch dieser speziellen Filiale doch zu empfehlen. Die Ausstattung ähnelt einem 50er Jahre Diner, an den Wänden hängen Relikte aus den „good old days“ und aus den Lautsprechern klingt Rock´n`Roll-Musik vom Feinsten. An diesem schönen Abend hatte wohl ein Navy Schulschiff am Pier angelegt und die jungen Kadetten, in ihren schnieken blau-weißen Popeye Uniformen, belagerten zu Hunderten den Platz zwischen Hard Rock Cafe und diesem besagten Mc. Die strammen Jungs waren offensichtlich auf der Suche nach etwas Amüsement während ihres Landgangs. Sie, aber auch wir, die gerade zufällig zur Stelle waren, sollten nicht enttäuscht werden. Vier junge, gut gebaute und zugegebenermaßen sehr kokette Mädels, Marke Chicago Bulls Cheerleaders, stiegen in einen offenen Ford Mustang ein. Schon diese Aktion wurde von den soldier boys mit Applaus belohnt. Angeturnt von der erhaschten Aufmerksamkeit, setzte die etwa siebzehnjährige blonde Fahrerin lässig den Wagen zurück, ohne dabei nur einen Blick über die Schulter oder gar in den Rückspiegel zu werfen, denn ihre glänzenden Augen hingen an den pfeifenden Jungs wie der Säugling am Schnuller. Deshalb entging ihr, dass sie gerade eine Begrenzungs-Pylone überfuhr. Nun hätte dieser Vorgang allein kein größeres Aufsehen erzeugt, das Interessante dabei war die Tatsache, dass sich diese Pylone zwischen der Stoßstange und der Rückleuchte des Cabrios verklemmte. Dazu kam, dass diese mit einem Seil mit weiteren Pylonen verbunden war, die so die Einfahrt des Parkplatzes markierten. Die Matrosen schrien und winkten um auf das Problem aufmerksam zu machen. Ja hundert Punkte, jetzt waren die vier Teenager im siebten Himmel! Zirka fünfzig herausgeputzte potentielle boyfriends winkten ihnen zu. Da gab es kein Halten mehr, sie setzten ihr schönstes Lächeln auf, warfen die langen Haare nach hinten und winkten wie wild zurück. Dabei trat die Fahrerin aufs Gas und fuhr zwischen den tobenden Jungs hindurch. Hinter dem Sportwagen hingen jetzt etwa Dreißig Pylonen aufgereiht wie eine Perlenkette, die über den Parkplatz gezogen wurden. Dabei hüpften sie wie Gartenzwerge auf LSD auf und ab. Die Warnrufe der Anwesenden gingen nun in schallendes Gelächter über. Die Szene war zu skurril. Je mehr die Menge johlte, desto besser fühlten sich die Mädels und winkten wie beim Karnevalumzug in Köln aus ihrem mit der Pylonenkette geschmückten Festwagen. Zur Krönung setzten sich die im Fond befindlichen Girlies noch auf die Lehne der hinteren Polsterung, um sich besser in Szene zu setzen. Das Spektakel endete schlagartig, als sich die letzte Pylone an einem Laternenpfahl verfing und mit einem Ruck die Stoßstange aus der Verankerung gerissen wurde. Jetzt erst begriffen die vier Schönheiten, warum sie im Mittelpunkt dieser Szenerie standen.
Zu dieser Zeit gab es leider noch keine Smartphones mit Videofunktion und YouTube war auch noch nicht am Start, ansonsten hätten wir mit dem Video über eine Million Klicks ergattert.