Читать книгу Niemand schaut in mich rein - Steffen Kabela - Страница 3
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ОглавлениеHerbst wird, was bringt er
Ich kann nicht darüber nachdenken, wie schnell die Zeit vergeht. Nun haben wir schon wieder Herbst. Vor einem Jahr war unser Martyrium in vollem Gange, Mami war schwerst krank und die Abstände wurden immer geringer, dass wir den Notarzt rufen mussten. Und somit wurden unsere Erlebnisse mit der Rettung und dem Krankenhaus immer krasser und schrecklicher. Mami hatte nach dem Tablettenentzug die schlimmen Albträume und die immer wiederkehrende Luftnot. Es ist eingebrannt in meinem Kopf, ich muss oft und viel daran denken. Auch immer wieder höre ich den Spruch unserer Hausärztin bei der Nachfrage nach einem Sauerstoffgerät, als sie meinte, „Machen Sie doch die Balkontüre auf, da hat sie genug Sauerstoff, das zahlt die Kasse nicht“. Immer wieder kämpfe ich mit Gänsehaut und Tränen im Gesicht. Es war furchtbar. Jetzt bleibt mir nur eines, meine Gedanken und Erinnerungen und der Besuch unserer Grabstätte. Ich werde sie neu bepflanzen für den Herbst, damit alles wieder schön aussieht.
Viele Baustellen gibt es in meinem Leben. Ich kämpfe sehr stark mit mir und meiner großen Enttäuschung. Ich habe wieder einmal Vertrauen geschenkt und auch noch daran geglaubt. Schon lag ich wieder auf der Nase und dieser Absturz tat richtig weh. Ich weiß, ich kann niemanden vertrauen und Glauben schenken, schon gar nicht den „Halbgöttern in Weiß“. Das funktioniert nicht. Es war eine herbe Enttäuschung und ist bittere Realität. Ich habe es getan, ich habe Gefühle zugelassen, ich habe über Gefühle gesprochen und schlimmer noch, ich habe Gefühle gezeigt. Damit war ich komplett allein und unverstanden. Ich wusste, dass ich es nicht machen kann, die Quittung folgte unverzüglich. Die Konsequenz steht für mich fest, ich werde nie wieder einen Menschen an mich heranlassen und Gefühle zeigen. Ich bin tieftraurig und niedergeschlagen. In diesem Tagebuch schreibe ich mir ein wenig von der Seele. Mehr geht nicht. Über viele Jahre hinweg war ich pflegender Angehöriger und habe viel erleben müssen und dürfen. Einfach wurde es uns nie gemacht, immer richtig schwer. Es sollte vielleicht so sein, ich weiß es nicht, es ist Spekulation. Einige Jahre pflegte ich meine Mama, ich war rund um die Uhr bei ihr, Tag und Nacht, wir waren immer zusammen, Mami brauchte auch meine Hilfe. Ich habe es gerne getan, nicht nur gerne, sogar sehr gerne, ich habe mit Liebe gepflegt und alles für meine Mami und vor allem mit ihr gemeinsam gemacht. Egal ob Haushalt oder Essen gekocht, egal ob Küche, Bad oder Schlafzimmer … wir waren immer zusammen und alles wurde gemeinsam erledigt. Wir haben gemeinsam die Körperpflege erledigt, die Toilettengänge, wir haben gemeinsam gelacht und auch geweint. Und das war sehr schön. Ich war immer für meine Mami da, wenn auch Mal ein „Unglück“ geschah, ich habe es bereinigt. Sie brauchte und musste sich nicht schämen, sie konnte ja nichts dafür. Hätte unsere Hausärztin reagiert, wäre es nicht so weit gekommen, der Beweis wurde erbracht. Im Krankenhaus geschah auch ein kleines Malheur in der Nacht. Mami konnte nicht reagieren, die Schwestern verabreichten ihr Schlafmittel wegen dem unruhigen Schlaf, den störenden Albträumen. Und genau diese Albträume hatte das Krankenhaus zu verantworten mit ihrem abrupten Tablettenentzug. Das wusste auch die Ärztin. Mami schämte sich sehr und hatte Angst davor, vor den Albträumen und auch dem Ruhigstellen. Mami war so unwahrscheinlich sauber. Aber es half nichts, die Schwestern wollten ihre Ruhe haben, somit wurden die Patienten mit Medikamenten ruhiggestellt und die Klingeln hoch gehangen. Eine Schwester hatte meine Mami wegen dem kleinen Malheur böse ausgeschimpft. Sie erzählte es mir und die Bettnachbarin bestätigte, wie bösartig die Schwester war. Ich suchte das Schwesternzimmer auf, fand sie und machte ihr eine dementsprechende klare Ansage vor allen Anwesenden. Feuerrot lief sie an, mich interessierte es nicht. Andere Angehörige stimmten mir auch noch zu. Natürlich fasste ich meine Mami ohne Gummihandschuhe an. Das ist doch normal für mich. Auch das passte einer Pflegekraft nicht und ich wurde an geraunt mit den Worten „Sie fassen die wohl so an“, ich antwortete „Natürlich, warum nicht, es ist doch meine Mama“. Aus der Pflegekraft dröhnte ein bösartiges „Pfui“ und sie verschwand. Ich war erschrocken, sprachlos und geschockt. Nicht nur ich, auch die Bettnachbarinnen. Ich schoss ihr unverzüglich hinterher und machte ihr auf dem Gang eine weitere Ansage. In letzter Konsequenz musste sie sich bei mir entschuldigen, tat es auch mit einem Grinsen im Gesicht. Diese Gedanken belasten mich sehr und gehen mir regelmäßig durch den Kopf. Außerdem fehlen mir die Worte wegen der Dreistigkeit. Genau vor einem Jahr war es wieder soweit und meine Mami musste in das Krankenhaus. In meinem Kopf ist das reine Wirrwarr. Den Notarzt hatte ich informiert und Mami wurde wieder in die Klinik mitgenommen. Sofort war mir klar, dass es wieder Probleme geben wird, denn kein Delitzscher Rettungswagen hatte den notwendigen Rettungsstuhl an Bord. Trotz Kenntnis der Verantwortlichen darüber, änderte sich nichts. Somit kam die Rettungsdecke zum Einsatz. Drei Rettungssanitäter und eine Notärztin waren bei meiner Mama. Ich verwies auf die Klinikberichte und den damit untersagten Transport in einer Rettungsdecke. Das interessierte die Notärztin nicht und tat es ab mit dem Argument, dass kein Personal vorhanden sei. Ein anderer Rettungssanitäter wollte von mir, dass ich Mami mit der Treppe herunter befördere und die Rettungsdecke mittrage. Das lehnte aus gesundheitlichen Gründen ab. Sehr lautstark beschimpfe er mich und betitelte mich als „Fauler Hund“. Jetzt gingen sich die Rettungssanitäter untereinander regelrecht an die Kehle. Ein anderer Sanitäter schaute mich an sagte zu mir „Das werden Sie sich doch nicht gefallen lassen“ – das lässt tief blicken. Es half nichts, 3 Männer und eine Frau trugen Mami in der Rettungsdecke 40 Stufen hinab und schlugen dabei immer wieder ihren Körper auf die Treppe auf. Mami standen Tränen in den Augen, sie stöhnte bei jedem Aufschlagen und nahm wie immer die Prozedur einfach hin. Am Ende hatte sie an den Armen Schürfwunden und am Rücken und Steißbein riesige blaue Flecke. Musste das sein? Sicherlich nicht. Ich beschwerte mich über diese unhaltbaren Zustände bei den Behörden. Ändern tat sich nie etwas. Es betraf bloß einen alten und kranken Menschen, also ohne Bedeutung für die Beamten. Wie steht es so schön in unserem Grundgesetz : Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das stimmt auch, aber im schönen nordsächsischen Delitzsch, am schönen Loberstrand, ticken die Uhren etwas anders. Hier ist die Würde des Menschen nicht unantastbar, hier tritt man sie mit Füßen. Und das belastet mich sehr, weil es noch viel mehr solcher Vorkommnisse gab. Mein Grübeln ist in der Endlosschleife. Es war einfach alles zu viel für mich. Mami ertrug immer alles so geduldig, die Hauptsache war für sie, ich war da und bei ihr. Das war ich, ich war immer bei ihr und kümmerte mich um meine Mama.
Mami war so ein liebevoller, geduldiger, zufriedener und großartiger Mensch, einfach ein Schatz. Ich achte sie sehr.
Nun stellt sich wieder einmal für mich die Frage nach dem Warum. Warum immer wir, warum immer ich, warum schon wieder? Wegen dem Virus verfügte die Sächsische Corona-Verordnung über das Tragen der Mund-Nasen-Maske in Öffentlichen Verkehrsmitteln und beim Einkauf. Mich betreffen nur der Einkauf, Bus und Bahn kann ich wegen meiner Krankheit nicht benutzen. Ich ging bereits im Supermarkt zu Boden und lag unter den Kartoffeln und im Discounter fiel ich einfach um und der Einkaufswagen begrub mich, weil es mir schwarz vor Augen wurde durch Atemnot und Panik. Ich sehe die Notwenigkeit ein und versuche eine Maske zu tragen, sehr oft unter der Nase. Ich bin im Besitz eines Schwerbehindertenausweises. In der Verordnung des Staatsministeriums steht geschrieben, dass mich der Schwerbehindertenausweis berechtigt, die Maske nicht zu tragen, wenn ich dazu nicht in der Lage bin. Bin ich in der Lage, dann trage ich sie auch über dem Mund, nicht über der Nase. Und weil ich den Ausweis besitze, bekomme ich keine Befreiung vom Arzt. So ist es vom Staat gewollt. Von einem Mitarbeiter des Ordnungsamtes, so stand es jedenfalls auf seiner Uniformjacke, wurde ich aufgefordert, die Maske über die Nase zu ziehen. Ich widersprach und händigte ihm meinen Schwerbehindertenausweis aus. Das interessierte ihn nicht, er wollte die Corona - Befreiung vom Arzt sehen. Dieses Attest konnte ich nicht nachweisen. Da ich der Aufforderung mit der Nasenbedeckung nicht nachkam, forderte er meinen Personalausweis und notierte sich meine Daten für die Ausfertigung einer Anzeige. Ich rief das Gesundheitsamt in der „Faultierfarm“ an, dort erhielt ich die Auskunft , der Schwerbehindertenausweis reicht für den Beweis der Maskenbefreiung. Was ist denn nun hier richtig? Was soll das wieder? Nun warte ich gespannt auf die Anzeige des Amtes. Keiner weiß was das soll, aber alle machen mit. So vergehen die Tage. Die letzten warmen Sonnenstrahlen erreichen uns und die Bäume beginnen langsam ihr Laub zu färben. Damals konnte es mich daran erfreuen. Heute funktioniert das nicht. Was ist Freude, ich weiß es nicht mehr. Ich habe es verlernt, mich zu freuen.
Ich bin sehr traurig und gestern war nichts mit mir los. Ich bekam große Angst und viele Weinattacken hintereinander. Meine Gedanken spielten verrückt … die Gefühle übermannten mich, sie mussten aus mir raus. Hilfe dabei habe ich leider keine mehr, ich bin auf mich selbst gestellt. Wir durften immer zur Hilfe bereit sein und haben es auch sehr gerne getan. Ich muss mit mir selbst klarkommen, das macht mich sehr traurig. Es muss so weitergehen … egal.
Es ist sehr schwer und tut mir auch furchtbar zusätzlich noch weh. Wenn mein Körper auch etwas anderes sagt, ich bleibe nicht einfach so liegen, ich stehe auf und mache weiter. Das bin ich meiner Familie schuldig. Einfach Aufgeben ist auch nicht meine Art, ich musste immer kämpfen, habe immer gekämpft und kämpfe auch jetzt. Ist das ein Scheiß Spiel!
Und es geht immer so weiter, die Gedanken sind frei und kreisen im Kopf herum. Vor einem Jahr kam Mama wieder aus der Klinik nach Hause. Der Arztbrief berichtete von über 12 Liter Wasser, was aus dem Körper ausgeschwemmt wurde. Mama war einfach nur glücklich wieder zu Hause zu sein, sie lebte förmlich auf. Ich war genau so glücklich und kümmerte mich nun auch wieder rund um die Uhr um sie. Dank und Lohn für meine Arbeit war ihr zufriedenes und glückliches Lächeln. Der Weg bis zu diesem erneuten Lächeln war wieder sehr steinig. Ich kann das alles nicht verstehen und verarbeiten, auch nicht nach einem Jahr. Alles wurde für die Entlassung vorbereitet und angegeben. Für Vormittag war die Entlassung geplant und bestätigt wurden vom Deutschen Roten Kreuz, alles wie immer. Wir waren erfahren und erprobt und wussten, dass wieder alles schief gehen wird. Und so kam es auch. Die Abholung im Krankenhaus erfolgte am Nachmittag, natürlich ohne den bestellten Rettungsstuhl, den Treppensteiger, von zwei Rettungssanitätern, einer Frau und einem Mann. Beide klein und zierlich, die Sanitäterin war nach eigenen Angaben nicht aus von hier. Nun standen sie im normalen Transportstuhl vor der Haustür und bekamen Mama nicht die 40 Stufen nach oben. Der Rettungsstuhl wurde nachgefordert über die Leitstelle, allerdings der befand sich auf einem Rettungswagen in Schkeuditz und genau da lag das Problem. Die junge Sanitäterin telefonierte und bekam die Antwort „Nein wir kommen nicht, da muss die Alte schon hochlaufen oder ihr bringt sie zurück auf Station, wir haben Feierabend“ – sie war sprachlos und fragte mich ob das hier immer so sei. Von mir gab es ein klares JA als Antwort. Nun wurde auch wie schon mehrere Male die Feuerwehr zur Hilfe gerufen. Allerdings musste meine Mami nun auf die Toilette, sie hatte ja Wassermittel bekommen. Ich lief hoch und holte den Toilettenstuhl herunter. Den stellte ich vor die Treppe, zog Mami die Hosen herunter und setzte sie auf den Stuhl. Natürlich war auch Besucherverkehr im Haus. Fassungslos schüttelten die Leute den Kopf und auch der Kommentar „Armes Deutschland, was machen die nur mit den kranken Menschen!“ - und da kann ich auch wieder nur Recht geben. Nach über einer Stunde Wartezeit im Hauseingang und mehreren Toilettenstuhlbesuchen kam der Oberhäuptling der Feuerwehr vorgefahren und begutachtete unfreundlich und schlecht gelaunt die Lage. Jetzt kamen die Rettungskräfte im Löschfahrzeug angerückt, 8 Feuerwehrleute an der Zahl und der Einsatz begann. Zwei schmächtige junge Kameraden nahmen den Transportstuhl des Roten Kreuzes und trugen Mami ohne abzusetzen 40 Stufen hinauf in die Wohnung. Die anderen Feuerwehrkameraden und 2 Sanitäter liefen mit den Händen in den Taschen hinterher. Niemand von denen brachte den Toilettenstuhl mit nach oben, ich lief ihnen dann hinterher und holte den Stuhl wieder hoch. Danke Kameraden, kann man da nur sagen, aber alles Scheißegal … Mami war wieder bei mir und wir waren wieder zusammen.
Mein Buch ist veröffentlicht, als Buch und auch als elektronisches Buch. Jetzt wäre Zeit, richtig stolz darauf zu sein und sich zu freuen. Und wie ist das? Diese Frage stelle ich mir. Freude, weiß ich nicht, wie das geht und was das ist. Stolz darauf – wie fühlt sich das an? Ich verspüre nur die Leere und es tut sehr weh, alles noch einmal zu durchleben. Es sollte helfen, meinen die Spezialisten. Ich verspüre nur die Trauer und den Schmerz. Ich gebe trotzdem nicht auf und kämpfe weiter. Die schlaflosen Nächte nutze ich auch mit, einen weiteren Entschluss umzusetzen. Ich machte mich an ein weiteres Projekt, ein Kochbuch mit den schönen Rezepten aus unserer Küche. Aber auch unsere Familientraditionen durften nicht zu kurz kommen. Auch unsere Familiengeschichte schrieb ich nieder. Aus einem Projekt sind jetzt drei Projekte geworden. Das Kochbuch ist auch schon veröffentlicht und heute habe ich unsere „Familiengeschichte“ auf den Markt gebracht. Heute hat mein Onkel Fritzer Geburtstag. Er wäre heute 95 Jahr alt geworden, Mamis Bruder. Und mein letztes Projekt als Autor wird dieses Tagebuch sein. Das ziehe ich noch durch...auch für Fritzer.
Von Tag zu Tag werde ich unruhiger. Mein 58. Geburtstag steht vor der Tür. Es ist der erste Geburtstag, den ich ganz alleine verbringen werde, ohne meine kleine Familie, ohne meine Mama. Vor diesem Tag graut mir. Es ist ein Sonntag und ich werde kaum zu Hause verbringen. Es ist ein goldener Herbst, für mich nur trist und dunkelgrau. Ich werde mehrmals an unser Grab gehen und zu den anderen Gräbern auf den Friedhöfen in Wiedemar und Radefeld fahren. Ja, es quält mich sehr, ist aber nicht zu ändern. Es warten noch viel schlimmere und schrecklichere Tage auf mich. Seit Omis Tod gab es keine Geburtstagsfeiern mehr bei uns, das werden in wenigen Wochen 30 Jahre. Und seit Papis Tod tranken wir nur noch im engsten Kreis Kaffee und aßen Kuchen. Ich möchte fortan nichts mehr machen, es ist ein Tag wie jeder andere und doch anders.
Ich stehe nur mit wenigen Menschen in Kontakt. Zu einer guten Bekannten meiner Mama stehe ich im telefonischen Kontakt. Das sollte sich nun ändern. Der Gedanke daran war schon furchtbar, aber ich wagte es und machte den Termin für den nächsten Nachmittag fest. Je näher die Zeit heranrückte, wurde ich immer unruhiger und rastloser. Von den „gerne genommen“ – Pillen schoss ich mir welche ein und wagte das Unterfangen. Mit den Pillen war der Nachmittag schön, aber dieser Ausflug machte mich sehr traurig und noch unruhiger. Alles kam in mir hoch. Bald eine Woche später habe ich daran immer noch zu tun – Angst und Panik sind meine ständigen Begleiter nach wie vor. Nun weiß ich aber, dass mir solche Ausflüge nur sehr schlecht bekommen, also werden die ab sofort unterbleiben.
Mein Grübelzwang ist allgegenwärtig. Letztes Jahr, genau zur gleichen Zeit, bekam meine Mama rote Unterschenkel. Eines Morgens war über Nacht eine Stelle am rechten Schienbein zu sehen. Ich konnte es beobachten, da ich früh Mami die Kompressionsstrümpfe im Bett anzog und am Abend sie ihr vor dem allabendlichen Waschen wieder auszog. Innerhalb weniger Tage waren beide Unterschenkel so rot, dass ich es mit der Angst zu tun bekam. Ich verständigte unsere Hausarztpraxis und bat um einen Hausbesuch. Am frühen Nachmittag kam auch unsere Hausärztin zum Hausbesuch. Sie war übel gelaunt, das war deutlich zu spüren. Sofort wollte sie die Unterschenkel sehen, ich zog Mami die Kompressionsstrümpfe aus. Hätte ich die Kompressionsstrümpfe schon früher ausgezogen, dann hätte sie wieder gemeckert. Das Spiel kannten wir schon. Und nun auch noch das nächste Problem, die Unterschenkel befanden sich unten… Frau Doktor krabbelte auf dem Teppich herum, schaute und guckte, stand auf, setzte sich auf das Sofa, zog den Tisch an sich heran und fing an zu Schreiben. Mami schaute mich an und ich sie, Verwunderung machte sich breit. Dann klingelte ihr Handy, der Angetraute war am anderen Ende. Und genau diese Frage, die er jetzt stellte war falsch. Der Anschiss folgte unverzüglich und es wurde noch einmal nachgelegt. Zoff … passiert schon mal. Dann packte sie zusammen, legte mir die Rezepte hin und das war es. Jetzt wollte ich schon wissen, was los ist und fragte nach. Die Auskunft war kurz, präzise und knappgehalten „offene nässende Unterschenkel durch den hohen Zucker“. Der Zuckerwert war 6,1, da fehlten mir schon etwas die Worte. Ich wollte nun wissen, wie es weiter geht. Da bekam ich zur Antwort „Verbinden, das werden Sie schon schaffen.“ Schon war der Rauscheengel verschwunden, Mami und ich schauten leicht dusslig aus der Wäsche. Ich lief in die Apotheke und gab die Rezepte ab. Am nächsten Morgen ging ich wieder in die Apotheke und holte meine Ware ab. Die Apotheke fragte nach, wer die Verbände anlegen wird und ich sagte, dass ich das machen werde. Dem Apotheker blieb gleich der Mund offenstehen und ich berichtete von dem Hausbesuch. Meinen Bericht konnte er gut folgen, denn ganz ähnliche Berichte bekam er von vielen Kunden. Nun klärte er mich auf, dass ich die Kompressionsverbände nicht anlegen darf, die Wunde muss fachgerecht versorgt werden. Welche Wunde? Es gab keine Wunde. Nun schaute der Apotheker noch verwunderter aus der Wäsche. Ich rief die Schwester vom Pflegedienst an, welche die Pflegekontrolle bei uns durchführte, sie kam auch sofort und schaute sich alles an. Sie sah die roten Unterschenkel, allerdings keine offenen stark nässenden Beine. Sie wusste nicht , was sie machen sollte. Nun fuhr sie selber in die Praxis, denn sie benötigte noch eine Verordnung. Auch die Schwester hatte keine Erklärung, auch nicht die Erklärung, wie ich das machen sollte. Und ich machte bis jetzt alles für meine Mami, ohne Hilfe. Ich machte es vorsichtig und mit viel Liebe. Am Nachmittag kam die Schwester wieder zu uns und war richtig sauer. Das Praxispersonal behandelte die Schwester, wie eigentlich fast alle Schwestern, wie ein kleines dummes Mädchen. Ja, es sind offene stark nässende Unterschenkel, dass hätte sie diagnostiziert und gesehen. Kommt vom Zucker und muss verbunden werden. „Der Sohn wollte das doch machen“ – so ihre Worte und das war eine Lüge. Jetzt unterschrieb sie die Verordnung, gab sie der Pflegeschwester mit den Worten „So wie es da darauf steht ist es zu machen“. Auf die trockenen und feuerroten Unterschenkel wurden die verordneten Silikonkompressen gelegt , dann wurde mit Mullbinden verbunden und darüber wurden die Kompressionsbinden gebunden. Keine halbe Stunde hielt der Verband, er wickelte sich von innen her ab und viel einfach herunter. Am nächsten Morgen das gleiche Spiel. Keine Schwester sah die offenen stark nässenden Unterschenkel, verband sie trotzdem wie verordnet mit dem teuren Verbandsmaterial und ging. Eine halbe Stunde später vielen die Verbände wie von Geisterhand wieder ab. Es war ja Herbst, da fallen auch die Blätter von den Bäumen… die Verordnung war für zehn Tage ausgestellt. Die Unterschenkel veränderten sich nicht, Frau Doktor bestand auf ihre Sichtweise. Achtzehn Augen sahen keine nässenden Beine … ohne Worte. Ich war verzweifelt, zeigte es Mami aber nicht. Jetzt musste ich mir etwas einfallen lassen, wie das mit den Beinen weiter gehen soll. Mami ärgerte sich auch über den Auftritt der Hausärztin, so ist sie bekannt in der Stadt.
Nun ist er vorbei, mein 58. Geburtstag. Es war ein ganz schlimmer Tag für mich. Es tat furchtbar weh. Meine Gedanken kreisten und ich grübelte in der Endlosschleife. Die größte Überraschung bereitete mir eine sehr gute Bekannte meiner Mami, eine sehr treue Seele, Frau Klein. Nach einer sehr schweren Krankheit und noch nicht genesen, lebt sie jetzt im Heim. Den Kontakt habe ich nie abreisen lassen. Und sie stand als Überraschung unten mit ihrer Tochter in der Haustür. Ich war sprachlos, es tat so gut sie zu sehen. Die Nacht zuvor hatte ich kaum geschlafen, bin von Raum zu Raum gewandert und den Tag überstand ich nur mit Beruhigungsmittel, werden ja gerne genommen laut einer absoluten Fachkraft, einem „Deppendoktor“. Die Tabletten standen mir bei, in der Folgenacht war ich ebenfalls wieder auf Wanderschaft. Ich finde keine Ruhe und auch nur sehr schlecht den notwendigen Schlaf.
Und auch jetzt bin ich nur in Gedanken, in Gedanken bei meiner Mama und einer weiteren Odyssee vor 365 Tagen.
Es war der 22. September ich musste wieder den Notarzt rufen. Der Rettungswagen kam aus dem kleinen und beschaulichen Krostitz, die beiden Sanitäter waren sehr nett. Der Notarzt aus Eilenburg sprach mit mir, dass meine Mama ins Krankenhaus muss. Aber wie…kein Rettungsstuhl auf dem alten Rettungswagen. Der Fahrer des Rettungswagens fand das auch nicht lustig, in Leipzig gibt es die neuen elektronischen Rettungsstühle, das Randgebiet hat teilweise die Rettungsstühle und auf dem „platten Land“ ein zarter Hauch von Nichts und nur alte Rettungswagen. Die Rettungsdecke kam zum Einsatz, Mami wurde dann nach unten gebracht mit Angst und Panik, Atemnot und Aufschreie. Das Ergebnis dieser Aktion waren Hautabschürfungen am Arm , Prellungen und jede Menge Angst. Das war dann mal eine richtig tolle Rettung, wie aus einem nordsächsischen „Leerbuch“. Ich weiß, wie Lehrbuch geschrieben wird! Da ich das Krankenhaus ausreichend kenne, fuhr ich sofort hinterher und ging in die Notaufnahme. Kurz darauf ließ mich die Schwester zu meiner Mama. Von da an, über 2 Stunden, war keine Schwester oder Arzt zu sehen, kein Notrufknopf vorhanden. Mami lag auf der Pritsche und ich stand die ganze Zeit neben ihr. Mami war die einzigste Patientin in einem Notfallzimmer, ein sogenannter Penner, wie die Schwester sagte, lag auf der Erde und schlief seinen Rausch aus im eigenen frischen Erbrochenem. Schwestern und Ärzte befanden sich in irgendeinem Raum und hatten sehr viel Spaß. Es gab nichts zu tun, sie lachten, hatten Spaß und die Kaffeetassen knallten auf den Tisch. Die Sonne schien meiner Mami schon auf den Kopf, ich sorgte dafür, dass es ihr nicht zu warm wurde. Sie schlief ganz ruhig, wachte immer wieder auf, sah mich an und schlief zufrieden wieder ein. Meine Mutti bekam wieder Luftnot. Klingeln zwecklos, es gab ja keine Klingel. Ich rief nach einem Arzt. Es geschah nichts. Ich rief lauter. Nach ein paar Minuten kam dann auch die Ärztin und in diesem Augenblick sah ich, dass die Sauerstoffbrille zwar auf der Nase war, aber nicht angeschlossen am Wandanschluss. Daraufhin fragte ich die Ärztin, was das für eine Brille auf der Nase sei, natürlich ironisch. Sie sprach „Für die Beatmung“ . Ich: „Sie sind wohl ein ganz modernes Krankenhaus und verabreichen Sauerstoff digital“. Ein skeptischer Blick und ein „nein“. Dann schickte ich ihren Blick auf Reisen, Richtung Schlauch und Anschluss, dass dieser gar nicht angeschlossen sei. Sie steckte den Schlauch auf den Anschluss und meinte nur dazu, dass die Schwestern das wohl vergessen hätten. Diese Halbgöttin in Weiß sagte doch dann ernsthaft zu mir, „Schauen Sie mal, der Sauerstoffgehalt steigt wieder“ … wie das wohl kommt?!?! Der Rauscheengel rauschte wieder zu ihrer Kaffeetasse zurück. Einige Zeit später rückte sie an zum bürokratischen Akt. Das ist wichtiger wie ein Mensch und ein Menschenleben. Über den „Penner“ stiegen die Schwerstern einfach hinweg. Frau Doktor drückte zwischendurch einmal kurz den Button auf dem Überwachungsmonitor zum Blutdruckmessen. Sie teilte uns dieses auch mit. Ich schaute Mami an, sie war jetzt wach. Das Gerät brummte und schickte Druckluft auf die Manschette, nur Mami hatte keine Manschette am Arm. Beide grinsten wir uns an. Das hochmoderne digitale Gerät hatte keinen Blutdruck zu bieten. Also noch einmal , Knöpfchen drücken und warten. Auf einmal erspähte ich, wie sich neben dem Monitor der Papierstapel bedrohlich erhob. Frau Weißkittel erkannte die Lage nicht, natürlich nicht, sie war ja digital vernetzt! Der Erfolg blieb leider wieder aus. Daraufhin sprach ich „Zuhause machen wir das anders. Da haben wir so eine Manschette, die legen wir um den Arm, drücken so einen großen grauen Knopf und messen. Das klappt fast immer, ich weiß, Sie sind moderner und messen auch den Blutdruck lieber digital“. „Hier ist das wohl nicht so?“ - meine Frage. „Doch“ – sprach die promovierte Ärztin, hier ist das auch so und merkte noch nicht einmal meinen Zynismus und sprach „Da habe die Kollegen doch den Blutdruck vergessen anzuschließen“ und tat es rasch Es war ja nur die Notaufnahme, alles kein Problem für eine Ausbildungsstätte einer großen Uniklinik unweit von diesem Krankenhaus. Nach diesem Prozedere kam Mami wieder auf Station und genau in das Zimmer, wo unser Papscher eingeschlafen war und für immer von uns gegangen ist. „Sonntag schieben wir hier doch keine Betten um“ – so die Aussage der Schwester von der Station 3, nach meinem Einwand. „Die wird´s schon überleben“. Am nächsten Tag begann der Krankenhausaufenthalt auf einer anderen Station, der 5 und wieder wurde Wasser aus dem Körper ausgeschwemmt. Nun müssen wir wieder abwarten, Hoffen und Bangen. Und das tat ich auch. Mami tat mir so unwahrscheinlich leid. Ich hoffte und bangte sehr, war die gesamte Besuchszeit und darüber hinaus bei ihr, an ihrem Bett und bei meiner Mama. Sie brauchte meine Hilfe, auf die Hilfe vom Fachpersonal brauchte keiner Hoffen. Vier Frauen lagen in dem Zimmer, eine intensive Zumutung. Und alle vier Frauen hatten ihre Erfahrungen mit dem Personal gemacht. Mami hatte es besonders schwer, sie litt unter den Sprüchen so mancher Schwester. Mami hatte immer noch die vielen Albträume durch den Medikamentenentzug und der Angst, sie träumte und das auch laut. Sie schrie förmlich teilweise auf. Verschuldet durch diese Station, durch eine Oberärztin. Und Mami musste nun darunter leiden. Anstatt Abhilfe zu schaffen, bekamen die anderen Patientinnen Ohrstöpsel auf Krankenkassenkosten. Eine Punktion der Lunge wurde angedacht, man wollte auch mit mir sprechen. Nur beim Willen blieb es. Selbst ein Arztgespräch wurde nicht mit mir geführt. Einer Schwester missfiel der Umgang und sie sprach mit mir. Ich sollte dranbleiben, mir würde täglich ein Arztgespräch zustehen, so würde das nicht funktionieren. Nun bekam ich mein Arztgespräch und ich bekam auch gesagt, dass am nächsten Morgen die Punktion stattfinden wird. Ich willigte gemeinsam mit meiner Mami ein, wir besprachen immer alles miteinander. Schon am Vormittag ging ich in die Klinik, die Visite war gerade vorbei. Ich meldete ein Arztgespräch an, für die Arztsprechstunde am Nachmittag. Mami erzählte mir ganz stolz, was die Ärzte zu berichten hatten. Eine Punktion braucht nicht gemacht zu werden, sehr viel Wasser war bereits ausgeschwemmt wurden aus dem Körper und die Geräusche in der Lunge wurden weniger. Mami hatten einen enormen Kampfgeist und Lebenswillen und das war schön anzusehen. Sie hatte nur ein Ziel, gesund wieder nach Hause zu kommen. Am Nachmittag bekam ich dann mein Arztgespräche, aber auch nur deswegen, weil ich mich auf dem Gang in Stellung brachte. Ein ärztliches Entwischen gab es jetzt nicht … und ich bekam mein Gespräch. Nur dieser blonde Rauscheengel im weißen Kittel kam unvorbereitet zur Veranstaltung. Vielleicht wollte sie auch zum Friseur, ich weiß es nicht. Jedenfalls wollte sie mir einreden, die Werte hätten sich verschlechtert und Mami hätte die Ultraschalluntersuchung nicht durchführen lassen und auch die Punktion verweigert. Es gab nur ein Problem dabei: bei der Sonographie war ich mit dabei und mir wurden die Bilder erklärt, ich wusste bereits von den verbesserten Werten und das die Ärzte sich gegen eine Punktierung entschieden hatten. Nun widersprach ich dem blonden Arztengel, dass fand sie überhaupt nicht schick und schön. Ich wurde böse und sie holte die Akte und schlug nach. Schamröte schoss in ihr bleiches goldenes Haupt und meinte nur, sie wäre nicht mit bei der Visite gewesen und hätte das nur so von der Ferne gehört. Dazu der Kommentar „Die Angehörigen wissen eh alles besser“. In diesem Fall war es wohl wieder einmal so korrekt, die Ansage meinerseits folgte und der Rauscheengel schoss von Station, sie schwebte in ihr Dienstende. Die Innere Station ist die Loreley-Station, „Sag mir was soll es bedeuten“. Besser für Frau Doktor, sie soll sich eine Auszeit gönnen. Auch Schwestern bekamen das mit und in einem kurzen Gespräch bekam ich gesagt „Lassen Sie sich das nicht gefallen“. Das stößt irgendwie bitter auf. Ich ließ es mir auch nicht gefallen, ich verfasste eine Petition an unsere Regierung und eine Beschwerde an die Sächsische Staatsregierung. Die Bundesregierung interessiert nicht, was in Sachsen los ist, so die Antwort, der Herr Bundespräsident sei dafür nicht zuständig, auch nicht gegen einen Verstoß von §1 des Grundgesetzes. Und unser schönes sächsisches Sozialministerium war auch überfordert und machte sich noch Lustig auf unsere Kosten. Ist halt die Politik, sie kümmern sich nur um sich, aber das richtig gut. Meine Gedanken kreisten unaufhaltsam. Mami war nur noch wichtig und am wichtigsten. Meine Entscheidung, immer für sie da zu sein war genau die richtige Entscheidung. Diese Entscheidung stand schon seit Jahren und ich war froh darüber. Mami war glücklich und zufrieden und das war schön.
Was wird bei der nächsten Entlassung? Kommt da wieder ein ganzer Löschzug der Feuerwehr? Oder kommt wieder die Rettungsdecke zum Einsatz, weil Schkeuditz mit dem Rettungsstuhl schon Feierabend hat? Was wird, diese Frage stellt sich mir. Deutschland hat das beste Gesundheitssystem der Welt, die besten Krankenhausserien im TV, die besten Krankenhausreportagen, nur krank und alt darf man nicht werden und nicht außerhalb von Großstädten leben. Die Politik sollte sich schämen und braucht sich nicht zu wundern über die Entscheidungen der Wähler.
Ich bin gerade wieder nach Hause gekommen, ich war wie so oft am Grab meiner Familie. Täglich bin ich mehrmals an unserem Grab. Mich zieht es richtig dort hin, ich pendele förmlich zwischen meinem Zuhause und unserem Familiengrab. Es gibt mir Halt und Kraft. Außerdem muss ich sehr viel Gießen, alles ist sehr trocken, richtig dürr. Es fehlt sehr viel Regen. Delitzsch hatte einen sehr schönen Friedhof, angelegt wie ein Park. Und er war sehr gepflegt. Herr Zenker, der damalige Friedhofsverwalter, er arbeitete, lebte und wohnte auf dem Friedhof, hatte alles fest im Griff. Es war ein friedlicher, verwunschener und sauberer Ort der Ruhe und Stille, ein gepflegter Gottesacker. Das ist über 30 lange Jahre her. Jetzt ist der Friedhof nur noch heruntergekommen. Schade darum. Heute wird Rasen gemäht, es stand so im Kalender, im Arbeitsplan. Und da wird auch gemäht, obwohl kaum Rasen nachgewachsen ist. Das letzte bisschen Rasen muss weg, die kahlen Dreckstellen kommen hervor. Alles kein Problem, die Stadt und ihre Stadtverordneten haben mitgedacht. Koste es was es wolle, Geld ist vorhanden. Erst im Frühjahr hat die Stadt für eine satte Preiserhöhung gesorgt. Es ist ja das letzte Mal, wo die Stadt dem toten Bürger so richtig in die Tasche greifen kann! Wenn Herr Zenker das Chaos sieht, dann dreht er sich so schnell in seinem Grab herum, dass ihn der Himmel als Ventilator nutzen kann. Es ist richtig traurig, aber wahr.
Immer öfter kommt die starke Sehnsucht nach meiner Mami, sie fehlt mir so sehr und ist jetzt in meinem Herzen. Ich weine sehr oft und viel, bekomme richtige Attacken. Ich kann es nicht verstehen, ich kann es nicht begreifen. Mein Kopf signalisiert mir immer wieder eine vorübergehende Abwesenheit, so wie es immer war. Ich weiß, dass das biologische Ende der Tod ist. Und genau damit habe ich ein Problem. Zu oft und zu viele Beerdigungen und Trauerfeiern von Familienangehörigen, Bekannten, Verwandten und Freunden habe ich erlebt, das hat mich verändert und geprägt. Ich kann es nicht begreifen und verstehen, bei mir kommt es einfach nicht an. Ich stehe am Grab und weine, es ist alles so surreal. Die vielen „W“ – Fragen kreisen in meinem Kopf. Wieso, Weshalb, Warum – ich finde keine Antwort. Die vielen Fragen bleiben unbeantwortet. Omis und Papis Tod waren und sind ein schwerer Schlag, ein großer und herber Verlust. Vor allem, was alles Geschehen war. Mamis Tod ist der größte und schwerste Verlust, mein Herz blutet, es tut so unendlich weh. Die Mutti war und ist es. Ich habe ein gebrochenes Herz. Es ist zu viel drumherum geschehen, was alles mit Mami und auch mit mir gemacht wurde, war anormal. Das Erlebte geht nicht zu verarbeiten, auch wenn die Seelenklempner auf Verdrängen plädieren. Kann man das verdrängen? Geht das überhaupt. Die Schmerzen sind zu derb und das Loch in dem ich sitze und noch tiefer gefallen bin ist zu tief, dunkel und kalt. Warum nur! Die Gedanken zermürben mich in meiner unendlichen Trauer. Ein großer Teil von mir ist gestorben, ich bin leer und von einer großen Dunkelheit umgeben. Das Leben geht weiter, ohne Frage, aber wie! Immer neue Schicksalsschläge kommen hinzu. Kann das noch normal sein? Halt finde ich im Glauben, das ist mir wichtig.
Immer wieder hörte ich den Spruch „Das ist ja ganz schön hart, Du kannst doch ein Buch schreiben“ oder „Schreiben Sie doch mal alles auf in einem Buch, das wird helfen“. Der Entschluss keimte in mir und ich befasste mich erst einmal damit. Nun ging ich den Schritt und schrieb mein erstes Buch, ich wollte einfach nur von meinem Leben erzählen und mir alles von der Seele schreiben. Schon bald erkannte ich, dass ich alles noch einmal durchleben muss und das tat furchtbar weh. Ich beschloss, nicht alles Durchlebte aufzuschreiben, es etwas abzumildern und auszublenden. Aufgeben kam nicht in Frage, dass wollte ich mir nicht antun. Und so veröffentlichte ich mein erstes Buch mit dem Titel „Warum hat mich das Glück vergessen“. Ich hänge sehr an diesem Buch und fasste den Entschluss, ich schreibe weiter. Es tut mir schrecklich weh, ich erlebe noch einmal alles eins zu eins – aber in meinen Gedanken bin ich bei meinen Eltern, meiner Omi und meiner Familie. Das ist schön. Das es mir gut tut und ich mir tatsächlich etwas von der Seele schreibe, kann ich nicht feststellen. Ich schaffe ein Denkmal, ein Mahnmal, eine Erinnerung. Ein Koch- und Traditionsbuch meiner Familie, die Familiengeschichte und ein Reiseführer nach Nordböhmen, die Heimat meines Papis sind fertiggestellt und auf dem Markt. Ich schreibe noch an den Reiseführer über Ostpreußen, Mamis Heimat und an meinem, diesem Tagebuch.
Wichtig dabei ist mir, dass ich das an meinem Rückzugsort machen kann, unserer, nun meiner, Wohnung. Mir wird immer bewusster, dass nur hier meine Heimat ist. Unsere Wohnung, unser Heim, gibt mir Wärme, Schutz und Geborgenheit, in über 55 Jahren. Ich bin sehr dankbar dafür und auch dankbar, dass ich auf andere Menschen gehört habe, die mir zugesprochen haben, in der Wohnung zu bleiben. Hier an dem Ort, wo meine Mami für immer eingeschlafen ist und ich bei ihr sein durfte. Die Bilder haften in mir. Und das ist auch gut so. Es gibt mir einen innerlichen Frieden.
Im Jahr zuvor war ich jeden Tag im Krankenhaus bei meiner Mami, täglich bis zu 11 Stunden. Am Vormittag fuhr ich schon in die Klinik und erst am späten Abend fuhr ich wieder nach Hause. Sie brauchte meine Hilfe und meine Anwesenheit tat ihr gut. Aber nicht nur Mami brauchte meine Hilfe, auch die anderen 3 Frauen im Zimmer waren froh über meine Anwesenheit. Ärzte und Schwestern hingegen waren nicht darüber amüsiert. Sie wussten auch warum, ich bekam viel mit, zu viel. Ich konnte mich teilweise nur wundern, ohne Verständnis… allerdings viele gewollte Schikanen. Wegen Personalnotstand wurden die kranken Menschen nicht einmal an den Bettrand gesetzt. Sie mussten liegen bleiben. Meine Mami setzte ich ins Bett, sie war sehr froh und dankbar dafür. Auch die Schwestern freuten sich, dass Mami am Bettrand saß, ich hatte es ja gemacht, weil das Personal keine Zeit für die Kranken hat. Keine fünf Minuten dauerte die Physiotherapie, dann rauschten sie wieder ab. Was soll da werden, frage ich mich. Und die Verpflegung erst, die Kranken mögen es nicht, die Schwestern weigerten sich es zu essen und die Küchenfrauen nennen es „Fraß“. So erfuhr ich, dass der Essensplan halbjährlich geändert werden sollte. Aber es geschah nichts, die einzige Änderung bestand darin, dass die Königsberger Klopse jetzt nicht mehr mit Kartoffelbrei, sondern mit Salzkartoffeln auf Wunsch der Verwaltung vorgesetzt werden. Somit gibt es den gleichen Essensplan schon seit vielen Jahren. Essbar sind die Nudelsuppe und die Kartoffelsuppe. Ja, essbar, mehr nicht, kein Genuss. Und zum Abend gab es teilweise die Reste vom Mittag, sich wellendes Brot und kräuselnde Wurst. Allerdings war das auch abhängig, welche Küchenfrau gerade Dienst hatte. Eine Dame bereitete es mit viel Liebe für die Patienten zu, dass sah man. Mittags gab es ein Hähnchengericht und es schmeckte wie alte Schuhsohle. Am Abend gab es das Hähnchenfleisch wieder zum Brot, einfach in einen Plastenapp geknallt und fertig. Die Küchenkraft bot dieses als Brathering aus Unkenntnis an und es ging reisend weg. Die Bettnachbarin meiner Mami nahm auch von dem Brathering und freute sich. Mami aß auch ein Stück Brathering, allerdings von zu Hause. Die Frau lüftete dann das Geheimnis, es war das Fleisch vom Mittag, kalt und zäh. Die Krankenkasse zahlt doch – kein Problem. Im Durchschnitt war ich 11 Stunden täglich bei meiner Mami und zwar richtig gerne. In der Nacht kochte ich vor und habe die Wäsche gewaschen. Irgendwann legte ich mich dann in mein Bett. Schlafen, dass klappte kaum. Am Morgen machte ich den Haushalt fertig, packte für Mami das Essen für Mittag und das Abendbrot ein und fuhr auf den Friedhof unsere Gräber pflegen. Danach fuhr ich zu Mami. Tag ein, Tag aus. Ich tat es mit und viel Liebe, überaus viel Liebe. Ja, ich war am Ende, Kraft hatte ich keine mehr, ich funktionierte nur noch. Aber auch das Funktionieren machte ich mit viel Liebe. Es ist und war doch meine Mama, mehr Worte gibt es dafür nicht. Ich machte alles für Mama und für mich, ich machte alles für uns. Das war mir sehr wichtig und ich machte es gerne, nicht weil ich es musste. Was mich richtig fertig machte, der ständige, fast tägliche Kampf mit Ämtern und Behörden, mit der Klinik oder den Ärzten. Dieser nervenaufreibende Kampf war schrecklich, es funktionierte einfach nichts. Und immer mehr wurde mir klar, dass es nicht nur bei uns so ist. Das machte mich noch mehr trauriger und wütender. Alte und kranke Menschen haben in unserer Gesellschaft keinen Wert mehr.
Am 1. Oktober letztes Jahr wurde der Entlassungstermin meiner Mutti aus dem Krankenhaus bekanntgegeben. Sofort klärte die verantwortliche Pflegekraft den Termin ab und informierte mich, telefonisch(???) , über die Krankenhausentlassung am Folgetag gegen Mittag. Angefordert werden musste ein Schwertransport mit Rettungsstuhl, was zwar niemand verstand, aber es war halt so. Ich fuhr am Vormittag ins Krankenhaus und zog meine Mama für die Heimfahrt an. Die Reisetasche nahm ich schon mit und fuhr nach Hause. Da konnte ich bereits die Klinikwäsche waschen und war danach nur für meine Mama da. Nur es geschah nichts. Ich telefonierte mit Mama, dann sah alles ganz anders aus. Es war zu erwarten, Probleme. Transport ja, Schwertransport, Treppenstuhl nein. Unverständnis bei den Krankenhausmitarbeitern, wobei selbst die verantwortliche Schwester noch nicht einmal benachrichtigt wurde. Unverständnis auch bei dem Begriff Schwertransport. Nun zofte sich die Klinik mit dem Rettungsdienst über den Begriff Schwertransport und das auf Kosten eines kranken Menschen. Warum macht man das mit meiner Mutti? - fragte ich mich. Es gibt keine Antwort auf die Frage. Nach über 3 Stunden geduldiges Warten keinerlei Reaktion. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland heißt es doch so schön : Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ist es richtig, dass dies nicht auf unseren Freistaat Sachsen zutrifft? Hier und im speziellen in Nordsachsen tastet man die Menschenwürde nicht an, man tritt sie mit Füssen. Alte und kranke Menschen haben keinen Wert mehr, wie meine Schilderungen zeigen. Kurz vor Halbfünf stand plötzlich der Rettungswagen mit 3 Rettungssanitäter vor der Haustür, die beiden Rettungssanitäterinnen waren uns schon bekannt, ein Sanitäter und 4 Feuerwehrmänner als Unterstützung im Schlepp. Die Verspätung lag daran, dass die Transportart erst einmal abgeklärt werden musste und zwar von den beiden Rettungssanitäterinnen. Diesen beiden jungen Frauen war der Name und die Sache an sich bekannt und sie reagierten und veranlassten, dass die Feuerwehr sofort und unverzüglich vor Ort ist und war. Die Äußerung eines Feuerwehrmannes lies mich aufhorchen: Zitat „Die da Oben sollten weniger Feiern und dafür so einen verdammten Stuhl beschaffen, aber der kostet ja nur wieder Geld.“ Dieser Ausspruch ist sehr traurig, aber wahr...Mami war wieder zu Hause und darüber freute sie sich sehr. Ich war glücklich. Es war wieder einmal alles überstanden, Mami ihre Augen strahlten vor Glück. Sie war sehr schwach vom Liegen im Krankenbett. Und dann noch das Problem mit dem Heimtransport. Das nahm sie sehr mit. Von nun an kümmerte ich mich wieder voll und ganz um uns beide und den gesamten Haushalt. Mami stand dabei im Mittelpunkt. Ihr musste es gut gehen, dafür sorgte ich. Und es ging ihr gut…
Unsere Ämter, Behörden, Institutionen, Staatsbediensteten und Politiker … ohne Worte. Da sind wir wieder bei der Loreley, die Loreley ist keine deutsche Sage, nein, sie ist real – Sag mir was soll es bedeuten! In Indien nennen sie nun schon ihre Kinder Covid und Corona. Mich wundert nichts mehr. Wir haben Indien schon überholt. Ich kann zwar das Wort Corona nicht mehr hören, stört mich aber nicht. Was kann man unserer Politik überhaupt noch glauben, außer Nichts. Woher kommt meine Erkenntnis? Aus meinem letzten Abenteuer. Mein Personalausweis läuft nach zehn Jahren ab und ich benötige einen neuen Ausweis. Dazu muss man auf ein Amt, eine Behörde. Und genau das ist fatal. Ich bin im Besitz eines Schwerbehindertenausweises, leide unter anderem an Luftnot. Zweimal betrachtete ich mir schon die Ladenflächen von unten, ich bin einfach mit Mundschutz umgefallen. Es ist nicht schön, Luftnot zu haben, umzufallen, einen Blackout zu haben und dann auch noch körperliche Schmerzen vom Fall. Das Verständnis für das Tragen der Maske habe ich und mache ich auch, wenn ich dazu in der Lage bin. Der öffentliche Nahverkehr kommt für mich wegen meiner Krankheit sowieso nicht in Frage. Die Maske trage ich, die Nase bedecke ich nicht. Und wenn ich nicht mehr kann, nehme ich die Maske einfach ab. Das tut weniger weh wie ein Sturz. Meine Erfahrung hatte ich schon bei der Fahrzeugummeldung gemacht. Der „amtliche Kampfhund“ in der Eingangstür sah das schon anders und wollte meinen Schwerbehindertenausweis nicht akzeptieren. Es gab eine böse Diskussion mit anschließender Ummeldung. Also es ging ja doch. Und nun das Gleiche wieder. Die Stadtverwaltung besteht auf die Mundschutzpflicht, es ist jeder in der Lage, eine Mund-Nasen-Maske zu tragen, so die Dame der Stadtverwaltung. Die sächsische Staatskanzlei beschließt und verordnet in der Corona-Verordnung des Freistaates, dass entweder der Schwerbehindertenausweis oder die Befreiung vorliegen muss. Die Corona – Hotline versteht das Handeln auch nicht. Das Amt auf dem platten Land weiß aber was es tut, es interessiert sich für die Verordnungen einfach nicht – das Loreley-Amt. Nun bin ich einfach mal gespannt, wie ich noch zu meinem Personalausweis kommen werden, bevor er abgelaufen ist bei steigenden Infektionszahlen. Ich komme mir vor wie bei Rumpelstilzchen – Ach wie gut das niemand weiß, alte Behörde, neuer Scheiß. Ich habe den Kanal so voll, warum immer wir, warum immer ich.
Mein Mundschutzproblem wurde geklärt, ich konnte mit akzeptiertem Schwerbehindertenausweis die heiligen Räume der Behörde, des Amtes, betreten. Nun streikte aber die Technik und das richtig. Das Geld musste ich bezahlen, eine Quittung bekam ich nicht. Technik halt.
Vor einem Jahr war meine Mama zu Hause und alle waren froh darüber. Mami ging es den Umständen entsprechend gut, sie war schlapp und ihr Lebensmut war ungebrochen. Sie versprühte so viel Energie, auch schon wegen mir. Trotzdem spürte ich ihre Angst und Traurigkeit. Ich war immer in ihrer Nähe und machte alles, Haushalt, Einkauf, Wäsche, Kochen, Pflege. Ich war für meine Mami immer da. Mama war sehr glücklich darüber. Bei jeder Anstrengung setzte sofort die Luftnot ein und das ist etwas ganz Schreckliches. Ich kenne das Gefühl selber. Ich passte den Tagesablauf so an, dass es nur noch wenige Möglichkeiten einer Anstrengung gab. In der Nacht saß ich oft und viel an ihrem Bett, wenn sie schlief. Ich wachte für sie, um gleich reagieren zu können und zu helfen. Jede kleinste Bewegung registrierte ich, es war schon jahrelange Erfahrung. Unsere Hausärztin kannte die Luftnot und versteckte sich nach wie vor hinter ihrer Aussage, dass die Krankenkasse keine Sauerstoffgabe bezahlt. Ich sollte immer noch die Balkontür groß aufmachen oder so einen Automaten selber kaufen. Kurz, knapp, dreist. Ich versuchte es mit Sauerstoff aus der Sprayflasche, es half kurzzeitig und das machte Mut. Mami konnte durch den O2-Spray etwas mehr durchatmen. Es war eine Unterstützung, Frau Doktor war nämlich keine. In der Zwischenzeit ging mir diese Person auch schon richtig am Arsch vorbei. Ich hatte nur noch Wut auf diese Frau. Ein Wechsel war in dieser Situation auch nicht möglich. Also: Augen zu und durch. Jeder weitere Hausbesuch wurde nur noch zur Qual, irgendetwas versaute sie immer. Ich hatte hinterher nur noch zusätzliche Wege zu erledigen. Natürlich teilte ich das ihr auch entsprechend mit, was sie überhaupt nicht bewegt. In der Zwischenzeit ist mir bekannt, dass es noch viel mehr gleichgelagerte Fälle wie bei uns gibt. Es ist bekannt und wird auch noch geduldet. Nichts passiert, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Es ist Realität, bewiesenen Realität.