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1 | „Hab Acht!“

Auf die Haltung kommt es an

Ein Gottesdienst wird schon dadurch einfach anders, indem wir uns zunächst auf sein Wesen (neu) besinnen. Das bewirkt Halt, gibt Anhaltspunkte und lässt uns unsere Haltung bewusst werden. Es verändert unser Verhalten ihm gegenüber: Habe ich ein Freundschaftsverhältnis zu einer Person, dann wird mein Verhalten aufgrund dieser meiner Haltung von Vertrauen und Freundlichkeit bestimmt. Haltung prägt Verhalten. Deshalb eine kleine Übung gleich zu Beginn:

Übung: Welche Assoziationen und Begriffe verbindest du mit „Gottesdienst“? Was spiegelt sich davon in deinem Verhalten ihm gegenüber wider? (Dafür lohnt es sich, mal eine Pause zu machen …)

1.1 Der Gottesdienst: Fest und Spiel

Gottesdienste werden nicht – zumindest nicht in erster Linie – effektiv ausgearbeitet, geplant und durchgeführt oder zielorientiert konzipiert. Gottesdienste werden gefeiert! Sickert nur diese Einsicht in uns ein, verändert sich unser Verhalten zum Gottesdienst und der Arbeit daran nachhaltig.

Zur Verdeutlichung: Wer kennt nicht die Verwandtschaftsfeste, einen 40. oder 70. Geburtstag, eine Hochzeit? Feste führen „verwandte Menschen“ zusammen. Fröhlich, heiter, leicht. Und auffällig dabei: Dort hat das Spiel in Form von Theater- oder Sketchspiel einen festen Platz. Das provoziert wesentliche Fragen:

• Ist der feiernde Mensch immer auch ein spielender Mensch?

• Ist der Gottesdienst nicht auch ein solches Fest, eine Feier vor und mit Gott, bei der sich ja auch Menschen sammeln, die in einer gewissen Weise miteinander verbunden sind?

• Kann der Gottesdienst als Spiel-Raum verstanden werden?

Wäre schön, aber: Während bei Festen gelacht, gespielt und gegessen wird, wird in Gottesdiensten in ernster Weise weitgehend aufgeklärt, unterrichtet, appelliert. Eher selten dabei: Lachen, Spielen – oder sogar Abendmahl-Feiern. Etwas versöhnlich stimmt, dass im Anschluss – nach dem Gottesdienst – beim Catering vieles davon angesagt ist. Aber man wagt es kaum, zu träumen: Was würde das für einen Unterschied machen, wenn manches davon schon im Gottesdienst erfahrbar wäre? (Vielleicht müssten wir dann weniger Kuchen backen, Kaffee kochen und Tische stellen für weitere Festveranstaltungen? Hier wird deutlich, wie sehr unsere Haltung auch in Verbindung zu unseren Ressourcen steht. Aber dazu später mehr.)

Übung: Wie würdest du die Grundatmosphäre, den „Sound“ eurer Gottesdienstfeier beschreiben? Auf welchen Begriff, in welches Bild könntest du dies bringen? Lässt es Festlichkeit ahnen?

1.2 Das Wesen des Gottesdienst-Feierns

Der Gottesdienst hat das Zeug zum Fest, denn er setzt dem herausfordernden Alltag ein anderes, ein festliches Leben entgegen. Wir feiern ja Gott in unserer Mitte. Er hat sich angesagt, zugesagt – bedingungslos und freigiebig: In Christus hat er ein eindeutiges entschlossenes „Ja“ (2. Kor 1,19 f.) zu uns gesprochen. Mit jedem Gottesdienst erinnern wir uns dieser „guten alten Zeit“ und vergegenwärtigen sie: pure Bejahung meines Lebens. Grund genug, gemeinsam zu feiern.

Machen wir uns anhand folgender Bibel-Geschichte deutlich, was das gottesdienstliche Grundgeschehen auszeichnet:

„Es war schon spätabends an diesem ersten Wochentag nach dem Sabbat. Die Jünger waren beieinander und hatten die Türen fest verschlossen. Denn sie hatten Angst vor den jüdischen Behörden. Da kam Jesus zu ihnen. Er trat in ihre Mitte und sagte: ‚Friede sei mit euch!’ Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Die Jünger waren voll Freude, weil sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal: ‚Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so beauftrage ich jetzt euch!’ Dann hauchte er sie an und sagte: ‚Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr seine Schuld vergebt, dem ist sie wirklich vergeben. Wem ihr sie aber nicht vergebt, dem ist sie nicht vergeben.’ (Joh 20,19-23)“


Eine verstörte, verschlossene Jüngerschaft. Jesu Freunde haben sich nach dessen Scheitern am Karfreitag verschlossen. Eingeschlossen in Ängste, Ungewissheit, Perspektivlosigkeit. Aber dann das Unerwartete: Es klopft – und der Herr des Lebens tritt ein. Gottes Lebendigkeit in ihm ist größer als die Todes-Wunden an seinem Körper. Die Jünger werden durch diese Begegnung froh – und erhalten Vollmacht durch den Heiligen Geist, mutig und befreiend hinaus in die Welt zu treten.

Was für ein Gleichnis für das gottesdienstliche Geschehen! Denn: Wir öffnen (uns) ihm, der in unsere Mitte kommt. Der da ist also einer, der das Leben entängstigt und aufschließt. Mit seinem Wort, mit seinem Leib. Der durch die gottesdienstliche Begegnung mit ihm Geistesgegenwart wirkt und bevollmächtigt. Und am Ende sendet uns sein Segen hinaus in die neue Woche und die gottgeliebte Welt, um befreit befreiend zu leben. Dieser Gottes-Duft bestimmt die Gottesdienst-Luft. Wer ihn inhaliert, wird fit fürs Feiern.

Und zum Spielen, denn wie gesagt: Das Spiel ist dem Feiern nicht fremd. Eine (er)lösende Glaubenserfahrung kultiviert Lebensfreude und den Sinn fürs Spiel und Lachen. Wir entdecken den Gottesdienst als heiliges Spiel: Hier muss nicht von vorn bis hinten alles strengstens durchgeplant sein; hier erfährt man Spiel-Raum und ist neugierig, was sich daraus ergibt (beim Singen, bei der Moderation, bei der Verkündigung). Solche Glaubenserfahrung macht experimentierfreudig, neue Kräfte und Möglichkeiten werden entdeckt und ausprobiert. Sie macht fehlertolerant und mutig gegenüber der ständigen Sorge, ob man pünktlich landen wird oder ob die Musik hält, was sie vertont. Sie zeigt sich voller Vertrauen in den Spielmeister selbst: Christus. (Der übrigens im Weisheitsstrom des Alten Testaments als Gottes Liebling schon immer, von Anfang an Spielwitz und -lust besitzt: „Ich war als sein Liebling bei ihm, ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit; ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern“ (Spr 8,30 f. Luther).

Wird der Gottesdienst als Fest und Spiel verstanden, dann ist das keine platte Feierabend-Party mit drögen „Helau“-Sprüchen. Gottesdienst wird schöpferischer Lebens- und Spielraum gegenüber allen knech-tenden Mächten, gegenüber aller Zweckorientierung und allem Nutzendenken. Und dieser Freiraum verdankt sich allein einem Gott, der mit seiner Liebe zu Mensch und Schöpfung ernst gemacht und die Schattenmacht des Todes durch sein Kreuz gebrochen hat.

Um ihn geht es letztlich beim Gottesdienst-Feiern: Christus. Ihn kommen zu lassen, ist die eigentliche Kunst des Feierns!

Als das neue Gottesdiensthaus in Torgau 1544 eingeweiht wurde, skizziert Martin Luther einfach, aber prägnant den künftigen Spielplan desselben: „… auf dass dieses neue Haus dahin gerichtet werde, dass nichts anderes darin geschehe, als dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir umgekehrt mit ihm reden durch unser Gebet und Lobgesang.“ Christus ansprechend kommen zu lassen – darum geht es beim Gottesdienst-Feiern, dem Namen „Christus“ Raum zu geben und dessen Gegenwart zu feiern. Biblisch drückt sich das so aus: „Warte ruhig, was der Herr tut! Sei gespannt, was er unternimmt (Ps 37,7a)! Oder: „Hört auf zu kämpfen und erkennt: ,Ich allein bin Gott‘“ (Ps 46,11a)!


Dies zu beherzigen, würde einen davor bewahren, dass aus aller Experimentierfreudigkeit ein Stress-Experiment wird. Natürlich kann Christus über den Bruder, die Schwester und das, was sie planen und gestalten, in die Mitte treten. Aber mindestens ebenso spannend und verheißungsvoll sind die gottesdienstlichen Freiräume – wie Pausen, Stille, Vor- und Nachklänge, Improvisationen, Lobpreis, handlungsorientierte Selbstbesinnungen, gesprächsorientierte Gruppenbesinnungen. Schade, wenn man hier nicht mehr erwartet.

Übung: Wo und wie hat Christus bei euren Gottesdienst-Feiern Raum, zu euch zu kommen? Wo und wie kann das Unerwartete geschehen?

1.3 Grundkoordinaten des Gottesdienst-Feierns

Wir finden in der Bibel kein Kapitel, das überschrieben ist mit: „Die Lehre vom Gottesdienst“. Wie Menschen ihrem Gott Raum gegeben und ihm wiederum geantwortet haben, ist vielfältig. Steinaltäre, Zelt, Bundeslade, Tempel, Synagoge und Häuser sprechen eine Sprache der Vielfalt. Entsprechend unterschiedlich waren die Praxis und ihre Formen. Genau hier wird es eben eng für alle Arten von Definitionen bezüglich des Gottesdienst-Feierns. „Gottesdienst ist eigentlich …“ – „nie so oder so“ muss man sagen! Für Christen gilt das von Anfang an. Die ersten Christusfreunde feierten auf unterschiedlichste Weise Gottesdienst: im Tempel anders als in der Synagoge. Und daheim in ihren Häusern nochmal anders: Gerade dort stand der Tisch und die Mahlfeier im Mittelpunkt. Das Evangelium wurde nicht nur aus den vorgelesenen Briefen der Apostel gehört – nein, es wurde „verkostet“ (wie es der alte Ignatius schön auf den Begriff brachte). Brot und Wein drangen durch den ganzen Leib. Das Evangelium der Liebe Gottes ging in der Tat durch den Magen. Gottesdienstliche Vielfaltskultur des Neuen Testaments.


Aus diesen knappen Beobachtungen ergeben sich nun gewisse Grundkoordinaten für unser Gottesdienst-Feiern heute, die für sich schon anregen, den Gottesdienst einfach anders zu gestalten:

• Das Feiern von Gottesdiensten ist stets in vielen Formen möglich. Die Favorisierung einer bestimmten Agende mag für einen Kulturkreis oder ein Milieu eine verlässliche Funktion haben – für Menschen aus einem anderen Kulturkreis oder einer anderen Lebenswelt aber muss dies keine „Heimatgefühle“ auslösen. Ganz im Gegenteil!

• Der eine Gottesdienst als eine Veranstaltungsform für alle zu einer Uhrzeit und unter einem Dach kann nicht die „Mitte der Gemeinde“ sein. Christus selbst ist diese Mitte. Und wenn gottesdienstlich der Name Christus gefeiert wird, dann geschieht dies in verschiedensten Formen. Entsprechend der „Vielnamigkeit“ Christi: Sohn Davids, Erlöser, Friedefürst, Herr, Meister usw. Eine liturgische Gesamtkonzeption einer Gemeinde, die Auskunft darüber gibt, wie wer mit wem wann wo Gottesdienst feiert, könnte diesem Rechnung tragen (siehe Kapitel 10).

• Entscheidend ist nicht die Form, vielmehr lebt alles davon, dass Christus kommen kann. Es gilt demnach, geistesgegenwärtig zu feiern. Dies heißt nicht, dass der Geist Gottes keine Formen liebt. Formen halten ja in Form! Aber: Verantwortliche und Akteure des Feierns müssen darauf achten, Gefäß zu sein bzw. ein hörendes Herz zu haben – und weniger darauf, wie alles haargenau dem liturgischen Plan entspricht oder wie der Sound mit einem weiteren Equalizer noch optimiert werden kann. Wie in der Musik gilt: Der Mensch spielt den einzigartigen Ton, nicht die Maschine. Dafür ist es notwendig, die eigene Persönlichkeitsstruktur zu kennen, damit die eigene Persönlichkeit segensreich zum Zuge kommen kann – und nicht (unbewusst) zum Hindernis wird.

• Das Evangelium spricht nicht nur unseren Kopf an. Denn wir alle sind nicht nur Kopf-Menschen, die noch „irgendwie einen Klotz am Hals“ mit sich tragen. Wir haben nicht nur einen Körper – wir sind Körper. Die Verkündigung des Evangeliums fragt nach Tiefe, nach Sinnlichkeit, nach Ganzheit, nach Menschlichkeit.

• Gottesdienst wird nicht für andere gefeiert. Auch nicht aus missionarischen Gründen. Die jeweils feiernde Gruppe oder Gemeinde gibt Gott so Raum, wie es ihr entspricht. Wir dürfen darauf vertrauen, dass dies auch missionarisch wirkt. In jedem Fall entspricht das Feiern so unseren Ressourcen und Möglichkeiten. Niemand hat ein Feuerwerk für andere zu veranstalten, die in der Regel dann trotzdem nicht erscheinen. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass Gott unserem Team die Gaben mitgegeben hat, die es für unser Feiern braucht.

• Gefeiert wird „Immanuel“, der „Gott mit uns“. Zweckfrei und heilsam. Dieser inneren Ausrichtung nach müsste man die Stühle im Kreis und nicht in Reihen stellen, denn die Reihen fördern eher Hierarchien und eine religiös-kopforientierte Unterweisung.

Übung: Wo und wie höre ich die Rede vom „einen Gottesdienst“? Welche Motive und Interessen bestimmen diese Diskussion?

Gottesdienst wird einfach anders, wo wir das, was ihn ausmacht, beherzigen und Christus glauben, dass er kommt, wie er uns zugesagt hat, und selbst unter uns wirkt. Auch wenn wir augenscheinlich verantwortlich sind und agieren, so sind wir letztlich immer noch Empfangende und Beschenkte.

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