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2 | „Nimm wahr!“

Ein kleiner Persönlichkeitstest

Gottesdienst wird einfach anders, wenn wir vor den Spiegel treten und einen ehrlichen Blick hineinwerfen. Es geht darum, nicht unser falsches, sondern „wahres Selbst“ (Thomas Merton) in den Blick zu bekommen. Nicht wofür wir uns halten oder wer wir gern sein würden, zählt hier, sondern allein, wer wir wirklich sind. Dieses Ich ist der Mensch, den Gott ansieht und unendlich liebt. Diesen liebenden Blick Gottes auf mein Ich mit all seinen Fragwürdigkeiten zu meinem Blick auf mich selbst werden zu lassen, ist eine Lebensaufgabe. Gern nehmen wir auch hier die Abkürzung und werden blind gegenüber den eigenen Gaben und Grenzen. Die Querelen in Kirchengemeinderäten, Gottesdienstteams oder die Langweiligkeit unseres Feierns bezeugen die Risiken und Nebenwirkungen dieser Blindheit. Wo aber Menschen ihre Persönlichkeit mit Sonnen- und Schattenseiten kennen und lieben, da steigt die Kommunikations- und Teamfähigkeit – und das Feiern selbst kann zum Abenteuer werden.

2.1 Menschentypen – Kräfte in uns

Psychologie und andere Erkenntnisweisen versorgen uns – mehr oder minder wissenschaftlich – mit allerlei typensensiblen Quadrantenmodellen, mit denen wir uns als Person im psychologischen, sozialen oder liturgischen Raum besser verorten und uns zu Anderen und Anderem klarer in Beziehung setzen können. Das macht „Betroffenen“ mit einem Schlag klar, dass sie nicht der Nabel der Welt und der Weisheit letzter Schluss sind, sondern dass es neben ihnen noch andere gibt. Dies fördert die – auch gottesdienstlich nicht irrelevante – Einsicht: Man könnte es so machen … – oder aber auch ganz anders.

Bekannte psychologische Modelle diesbezüglich sind etwa das ältere Riemann’sche oder das neuere DISG-Modell. Das folgende orientiert sich an solchen Typenmodellen, färbt sie aber religiös ein.


Übung: Welchen Polen würdest du diese biblischen Hauptakteure zuordnen? (Unabhängig davon, was du wirklich von ihnen weißt.) Petrus, Paulus, Maria, Johannes der Täufer, Maria von Magdala, Johannes der Lieblingsjünger, Mose, David

Die Gefahren solcher Typenmodelle liegen auf der Hand: Menschen werden festgenagelt bzw. in Schubladen eingeordnet. Nicht nur andere durch mich, auch ich selbst nagle mich in bestimmter Weise fest. Der Blick auf die Vielseitigkeit einer Person wird verbaut, auch auf ihr vom jeweiligen Kontext abhängiges variantenreiches Verhaltensrepertoire. Kurz: Man kann blind für die jeweilige Einzigartigkeit werden. Mitunter wird dann gewertet: Welcher Typ ist der wichtigere, bessere?

Den Gefahren ins Gesicht geschaut, können uns solche Typenmodelle aber helfen, die in uns schwingenden Grundkräfte schärfer zu sehen. Wir sind dann nicht dieser oder jener Pol, aber: Wir nehmen deutlich anziehende Kräfte in diese oder jene bestimmte Richtung wahr. So können wir uns selbst und andere besser verstehen und anerkennen – denn alle Kräfte werden sowohl allgemein im Leben als auch im Besonderen fürs Gottesdienst-Feiern gebraucht und sind wertvoll, ja gleichwertig.

Diese Kräfte prägen unsere ganze Persönlichkeit: wie wir kommunizieren, wie wir Menschen begegnen, was wir wertschätzen, was uns Mühe macht, wie wir Probleme angehen. Auch, welche Rolle wir wie in unserem Gottesdienstteam oder im Gottesdienst einnehmen, wie wir uns einen „guten Gottesdienst“ vorstellen – und welche Formen uns Mühe machen. Ebenso rühren etliche Spannungen in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen aus diesem unterschiedlichen „Kräfte-Setting“ zwischen uns. (Das Ganze ist natürlich noch viel komplexer. Wir sollten bei der Betrachtung solcher Typenmodelle nie meinen, dass wir es jetzt begriffen, sondern vielmehr, dass wir „eine konkretere Ahnung“ bekommen haben.)

Übung: Schau nochmals auf die obige Grafik: Welche Kräfte wirken in dir, welche Kräfte manifestieren sich auf welche Weise beim Feiern eurer Gottesdienste? Durch welche Personen? Gibt es Spannungen, die sich mit dieser „Kräfte-Karte“ besser wahrnehmen und verstehen lassen?

2.2 Gaben als Aufgaben

Die kleine Kräfte-Karte für den Persönlichkeitstest fordert uns heraus – zum Reifen: Nicht ich bin das Maß aller Dinge, sondern die friedvolle respektvolle Balance zwischen den Kräften bzw. Persönlichkeiten.

Ich werde bestimmte Kräfte in mein Gottesdienstengagement einbringen können und wollen – andere weniger.

Ich werde für bestimmte Kräfte des Gottesdienst-Feierns ansprechbar und empfänglich sein – für andere weniger.

Ich werde für bestimmte Kräfte bei Problemlösungen offen sein – für andere weniger.

Wenn ich dies nicht durchschaue, werde ich meine Anliegen immer verallgemeinern und als die eigentlich wichtigen unbewusst oder bewusst höher bewerten. Dies verhindert Ausgewogenheit, Balance, Frieden – und nicht zuletzt dann auch Segen.

Dahinter steht, dass die uns von Gott gegebenen Gaben immer auch zugleich Aufgaben sind: In allem, was in dir liegt, wo dein Herz schwingt und wo du starke Fähigkeiten besitzt, sitzt auch die Versuchung: Du kannst brillant reden – sieh dich vor, dass du andere dadurch nicht stumm werden lässt. Du kannst gut musizieren – sieh dich vor, dass andere deshalb nicht mehr zum Instrument greifen. Du hast tolle geistliche und biblische Erkenntnisse – sieh dich vor, dass du dies nicht schon für die ganze Wahrheit hältst und den Christus im Bruder, in der Schwester ausschaltest.

Übung: Welche meiner persönlichen Gaben erfreuen mich und bringe ich gern ins Gottesdienst-Feiern ein? Welche Aufgaben bergen sie, nach welcher Verantwortung fragen sie?

2.3 Meine gottesdienstliche Berufung entdecken

Wer bin ich und was kann ich eigentlich? – Das sind Fragen, die sich uns in unserem Menschenleben immer wieder stellen. Das hat keine/keiner ein für alle Mal in der Tasche. Eine festschreibende Definition wäre auch lebensgefährlich, weil sie unsere weitere Entwicklung und unser weiteres Lernen blockieren würde. Stillstand auf allen Ebenen. Die Orientierung an Typenmodellen öffnet hilfreiche Türen zu Antworten auf diese Fragen.

Die Suche nach der eigenen Berufung ist mit diesen eng verwandt, spitzt sie aber für unser Leben mit Gott zu: Was ist mein spezifischer unverwechselbarer Beitrag für das Reich Gottes? Kurz: Was ist „mein Ding“? Wofür schlägt mein Herz? Dass sich dies lebensgeschichtlich immer wieder mal ändern kann, ja, vielleicht sogar muss, soll nur am Rande erwähnt sein. Jedenfalls zeigt sich das Berufungsgeschehen dynamisch, und der Geist Gottes kann immer wieder andere Schwerpunkte im Laufe eines Lebens setzen. Dies tut er in der Regel nicht additiv – wie so oft in der Gemeindearbeit – nach dem Motto „Immer noch eins drauf!“, sondern sukzessiv. Beispiel Mose: Als dieser zum Befreier Israels berufen wurde, hat er seine Brötchen nicht länger als Hirte verdient. Sogar die Familie musste er zurücklassen. Die Rückseite einer neuen konkreten Berufung hat stets mit Loslassen des bisher Geltenden zu tun.

Gegenüber den Grundberufungen aller Menschen zu Liebe, Barmherzigkeit, Gebet, Zeugnisgabe und Dasein für andere führt die spezifische persönliche Berufung zu ganz konkreten Gestaltungsschwerpunkten in den Handlungsfeldern des Reiches Gottes wie Gemeinde- und Jugendarbeit, Diakonie, Gesellschaft und Mission. „Dafür schlägt mein Herz!“ Dabei sollte, laut Luther, der eigene profane Beruf immer mitgewürdigt werden. Das nimmt Druck aus dem „Berufungs-Kessel“ und schenkt Sicherheit.

In der Regel knüpft die spezifische Gestaltung meiner Berufung an Gaben und Interessen an, die mir verliehen, mitunter auch von mir vergessen oder stiefmütterlich behandelt wurden.

Übung: Wie steht es um meine gottesdienstliche Berufung? Führen mich meine persönlichen Gaben, Stärken, Interessen auf dieses Praxisfeld und, wenn ja, wie? Die folgende Auflistung (inspiriert von: Vopel, Klaus W.: Interaktionsspiele für Jugendliche Band 2, Iskopress, Salzhausen 82003, S.104 ff.) kann dazu beitragen, die eigene gottesdienstliche Berufung zu entdecken und zu schärfen.



1. Welche Stärken sehe ich bei mir und wie würde ich sie bewerten? Priorisiere in der Spalte „Ranking“ und gib der wichtigsten Stärke eine 1, die 2 für die zweitwichtigste usw.

2. Suche sechs ganz erfreuliche Erfahrungen (Erfolge, Highlights aus den letzten Jahren deines Lebens und skizziere sie kurz in Stichworten: Was hast du dabei genau erlebt und getan? Und mit welchem Ergebnis?

3. Welche Qualitäten waren für diese Erfolge ausschlaggebend? Kreuze in den Spalten 1-6 für jedes der Erlebnisse die jeweiligen Fähigkeiten an, die von dir dabei eingebracht wurden.

4. Wie oft wurde diese spezifische Qualität von dir gebraucht? Trage die jeweilige Zeilensumme in die Spalte „total“ ein. In welchem Verhältnis stehen deine „Ranking“-Angaben zu den jetzigen „Total“-Angaben?

5. Wie sieht der „Kernbereich deiner persönlichen Stärken“, die zu deinem tatsächlichen Glück beitragen, demnach aus?

6. Kannst/willst du deine Stärken in das gottesdienstliche Feiern bewusster hineintragen? Auf welche konkreten Interessen- und Gestaltungsfelder führen sie dich? Welche Aspekte des Feierns willst du wie verstärken? Braucht es dazu andere Formate, Medien, Räume, Zeiten, Kooperationen?

Gottesdienst wird einfach anders, wenn aus dem Blick in den Spiegel Kraft und Selbstwirksamkeit gewonnen, Demut und Selbstbegrenzung geübt, Vielfalt und Freiraum kultiviert wird. Wir werden dadurch auf einer tieferen Ebene sensibilisiert und können bewusst Gestaltungsräume eröffnen, auch wenn deren Ergebnisse nicht unseren eigenen Geschmack treffen. Und Gottesdienst wird einfach anders, wenn ich mich mit meiner Persönlichkeit, meinen spezifischen Gaben, Fähigkeiten und Interessen nicht verstecken muss, sondern sie frei einbringen darf – damit Gott schön werde.

Gottesdienst einfach anders

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