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Füreinander statt gegeneinander
ОглавлениеLiebe Leserin, lieber Leser,
Menschen fragen mich oft, warum ich Mentalcoach geworden bin. Ich antworte ihnen dann: Weil ich schon früh im Leben meine Mentalität verändern musste. Jetzt musst du nicht unbedingt gleich Mentalcoach werden. Aber wahrscheinlich kennst du auch Situationen, die dich scheinbar in einer Sackgasse aus Trauer, Unzufriedenheit oder Machtlosigkeit zurücklassen.
Wir befinden uns in einer Zeit, die eher von Buzzwords wie Verantwortung, Transformation und Revolution geprägt wird. Alles starke Begriffe, über die wir viel diskutieren und die in Reden und Texten von Politikern und Experten ständig auftauchen. Doch im Leben jedes einzelnen Menschen spielen sie meiner Meinung nach noch viel zu selten eine Rolle.
Na klar hast du täglich mit Verantwortung und Veränderungen zu tun. Und es ist auch normal, dass du das als anstrengend empfindest. Ganz besonders dann, wenn du das Gefühl nicht loswirst, sowieso nichts wirklich beeinflussen zu können. Und wo sollst du eigentlich noch die Energie hernehmen, um, wenn wir mal bei der Revolution bleiben, auf Barrikaden zu gehen?
Das möchte ich dir in diesem Buch zeigen. Du wirst erfahren, wie du deine innere Haltung so transformierst, dass du scheinbar unveränderbare Verhältnisse beeinflussen und damit dein Leben ab jetzt neu denken und prägen kannst. Denn ich bin überzeugt davon, dass wir eine mentale Revolution brauchen. Die Art, wie wir mit all dem umgehen, was wir nicht beeinflussen können, und alte Systeme und Muster, in denen wir feststecken, lähmen uns zu einer Zeit, in der jeder für sich und wir alle gemeinsam aktiv sein sollten.
Um dir zu zeigen, wie ich zu meinen Erkenntnissen gekommen bin und zu den Visionen, die ich mit dir teile, möchte ich dir zunächst einen Einblick in mein Leben und meinen Weg geben. Aber bitte nicht falsch verstehen. In diesem Buch geht es nicht um mich. Es geht um dich und deine mentale Revolution. Meine Geschichte ist jedoch ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig die Transformation unserer Haltung und unserer Denkweise für den Lebensweg jedes Einzelnen sein kann.
Seit ich ein kleines Kind war, liebte ich den Tennissport. Es fing damit an, dass ich ein Bewunderer von Boris Becker war, begeistert von seiner mentalen Stärke, seiner Ausstrahlung und seinem Siegeswillen. Mich faszinierten die Eleganz, die Anmut und die Dynamik dieses Sports. Ich musste unbedingt selbst spielen.
Deshalb bettelte ich monatelang bei meinen Eltern, Tennisunterricht nehmen zu dürfen. Nach einem Jahr des fast täglichen Nachfragens hatte ich es geschafft. Ich durfte endlich auf den Tennisplatz und ich habe es von der ersten Sekunde an geliebt. Der Platz wurde außerdem zu meinem persönlichen Zufluchtsort, an dem ich endlich mal selbst Kontrolle darüber hatte, wie erfolgreich ich sein würde – ganz anders als sonst in meinem Leben.
Ich will mich nicht beschweren, als Einzelkind von zwei tollen Eltern ging es mir gut. Mein Vater und auch meine Mutter liebten mich sehr und ich sie natürlich auch. Dennoch war mein Zuhause alles andere als ein Platz der Glückseligkeit. Meine Mutter war seit meiner Kindheit schwer alkoholkrank und ich versuchte sie im wahrsten Sinne des Wortes zu retten. Ich wollte, dass sie glücklich und natürlich auch gesund wird. Doch egal, was ich alles tat – ihr Zustand wurde nicht besser. Das gleiche Schicksal erlebte ich beim Versuch, die Ehe meiner Eltern zu retten, die nicht zuletzt durch die Alkoholkrankheit meiner Mutter immer größere Risse bekam. Auch hier musste ich die bittere Erfahrung machen: Kein Kind auf der Welt kann seine Eltern retten. Es liegt einfach nicht in seiner Macht und, das möchte ich nicht unerwähnt lassen, auch nicht in seiner Verantwortung.
Als ich dann elf Jahre alt war, ließen meine Eltern sich scheiden und meine Mutter transformierte ihre Alkoholsucht in eine Magersucht. Ich fühlte mich gescheitert und unfähig, die Dinge zu erreichen, die mir wirklich wichtig waren. Mein Selbstvertrauen war damals im Minusbereich und ich fühlte mich innerlich völlig leer. Nur auf dem Tennisplatz konnte ich diese innere Leere eine Zeit lang verdrängen. Ich spielte also, so oft ich konnte, und ich hatte durchaus Talent und schlitterte in den Hochleistungssport. Ab dann ging es um mehr als nur um das Spiel. Es ging um meinen Beruf und um meine Existenz.
Mein Ziel: als Tennisprofi mein Geld zu verdienen. Die Liebe zu diesem Sport war dafür groß genug. Ganz im Gegensatz zu meiner Liebe zum Wettbewerb. Ich hasste es, andere zu Verlierern zu machen, nur um selbst ein Sieger zu sein. Ich sträubte mich innerlich gegen diesen ständigen Vergleich mit anderen und dagegen, immer besser und erfolgreicher sein zu müssen. Ganz unmerklich wurde meine innere Leere immer größer. Ich lebte in einem inneren Spannungsfeld aus Flucht vor meinem Leben, Wettkampf gegen andere und dem Krieg gegen mich selbst.
Einige Jahre später, um genau zu sein am 31. Juli 2003, veränderte sich mein Leben für immer. Meine Mutter lag mit einer Leberzirrhose im Krankenhaus. Sie war wenige Jahre zuvor wieder rückfällig geworden. Und dieses Mal hatte der Alkohol sie endgültig zerstört. Ich stand an ihrem Bett und sah ihr beim Sterben zu. In diesem Moment hatte ich eine lebensverändernde Erkenntnis. Meine Mutter war ein wunderbarer Mensch mit einem großen Herzen. Sie liebte die Menschen und die Menschen liebten sie. Nur sich selbst liebte sie nicht. In ihr schlummerten enorme Talente, eine Menge Temperament und Leidenschaft. Sie war also ein Mensch voller Potenzial. Und mir wurde klar, dass dieses große Potenzial, größtenteils ungenutzt, nun in den nächsten Stunden mit ihr aus dieser Welt gehen würde. Ein großes Drama für sie, für mich und für viele Menschen, die davon hätten profitieren können.
In diesem Moment wurde mir aber auch bewusst, was mich in meinem Leben wirklich von ganzem Herzen inspirieren würde: die Vorstellung, Menschen dabei zu helfen, ihre Potenziale nicht zu verschwenden und ihr Leben nicht einfach so wegzuwerfen. Sie dabei zu unterstützten, das Beste aus ihren Möglichkeiten zu machen, um etwas Gutes in der Welt und im Leben anderer zu bewirken. Meine Schlüsselerkenntnis war:
Ich möchte ab jetzt für Menschen arbeiten, nicht mehr gegen sie.
Ich möchte anderen Menschen helfen, anstatt sie zu besiegen.
Im wettbewerbsorientierten Leistungssport ging es von morgens bis abends, von Montag bis Sonntag immer nur darum, andere zu besiegen. Mein ganzes Leben war gefühlt ein einziger Kampf. Ich kämpfte um das Leben meiner Mutter. Sie kämpfte gegen sich selbst, gegen ihren Körper und gegen die Dämonen in ihrem Kopf. Meine Eltern kämpften gegeneinander und ich kämpfte um ihre Ehe. Und obwohl ich dieses ständige Kämpfen so satthatte, war ich mittlerweile selbst zum Wettkämpfer geworden. Auch ich geriet in dieses Muster, gegen andere zu kämpfen und zuletzt auch gegen mich selbst.
»Steffen, wenn du deinen größten Feind erkennen willst, den du bezwingen musst, dann schau in den Spiegel«, sagte mir mein damaliger Trainer. Ich weiß, dass er es gut meinte. Aber diese Haltung, mit sich selbst zu kämpfen, führt aus meiner Sicht zu innerem Unfrieden und somit auch zu ständiger innerer Unzufriedenheit. Denn beim Kampf gegen sich selbst gibt es keinen Gewinner. Auf diese Weise wird man im Idealfall vielleicht vorübergehend erfolgreich, aber niemals wirklich glücklich. So entschied ich mich, damit aufzuhören. Ich tauschte den Wettbewerb gegen die Kooperation – aktiven Leistungssport gegen die mentale Unterstützung anderer auf dem Weg zum Sieg. Denn wahrer Erfolg ist aus meiner Sicht erst dann gegeben, wenn mehr als einer gewinnt. Dafür musste ich anfangs auf drei Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Ich war Manager eines Volleyballclubs, leitete eine Tennisschule und begann parallel dazu noch ein Fernstudium im Bereich Sportmanagement. Von da an förderte ich junge Talente auf dem Tennisplatz und führte lange Gespräche mit Erwachsenen. Und schon bald suchten auch Entscheider in Unternehmen den Kontakt zu mir und baten mich um Einschätzungen und neue Sichtweisen. Ich erkannte, dass ich die größte Erfüllung darin fand, anderen Menschen zu helfen und sie zu inspirieren. Also bildete ich mich in verschiedenen Gebieten der Psychologie weiter und saugte alles auf, was es international an Wissen und Know-how gab.
Im Laufe der letzten Jahre habe ich Hunderte von Coachings gegeben, unzählige Gespräche geführt und mit über zehntausend Menschen in meinen Seminaren gearbeitet, um sie auf ihrem Weg zu unterstützen. Dabei bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass es im Leben im Kern um zwei Dinge geht: zu wachsen und zu helfen.
Wachstum und Mitwirkung gehören beide zu den sechs emotionalen Grundbedürfnissen eines jeden Menschen. Wachstum ist deshalb wichtig, weil es dazu dient, noch besser mitwirken, also helfen zu können. Wer persönlich gewachsen ist, besitzt mehr Größe und mehr Möglichkeiten. Dadurch kann er auch einen größeren Beitrag für andere leisten. Wenn das eigene Wachstum begrenzt ist, sind auch die Möglichkeiten entsprechend begrenzt, etwas für andere zu bewirken.
Im Kern haben wir also zwei Aufgaben im Leben:
1.Wir müssen so viel Freude und Wachstum wie möglich in unser eigenes Leben zu bringen.
2.Wir sollten möglichst viel Freude und Wachstum ins Leben anderer Menschen bringen.
Was wir nicht mehr brauchen, ist diese veraltete Egozentrik, nach dem Motto: »Mein Haus, mein Auto, meine Yacht, mein Blablabla.« Ganz ehrlich – es geht nicht nur um dich in dieser Welt!
Um unserem Auftrag in der Welt nachzukommen, sollten wir die Egozentrik, die das Ich ins Zentrum stellt, durch »sozialen Egoismus« ersetzen. Mit sozialem Egoismus meine ich, dass wir auf uns selbst achten und auch zu jeder Zeit sicherstellen, dass es uns selbst gut geht. Allerdings sollte das eben nicht einem egozentrischen Selbstzweck dienen, sondern ein Mittel zu einem sozialen Zweck sein: dem Auftrag, auch etwas Gutes für andere zu bewirken. Denn nichts in der Natur existiert nur aus reinem Selbstzweck.
Die Konsequenz: Wir müssen aufhören, zu versuchen, auf Kosten anderer zu wachsen. Denn persönliches Wachstum ist nicht das Endziel, sondern lediglich die Voraussetzung dafür, etwas von unserem Wachstum weiterzugeben. Denn Erfolg ist nicht dazu da, um ihn zu besitzen, sondern um ihn zu teilen.
Leider führt das aber bei manchen Menschen dazu, der Selbstlosigkeit zu erliegen. Sie vergessen sich komplett selbst, weil sie von ihrer Nächstenliebe so geblendet sind. Das kann nicht gut gehen. Denn wer sein Selbst vergisst, kann auch keine Selbstliebe, kein Selbstwertgefühl und dann natürlich auch kein Selbstvertrauen aufbauen. Wer sich selbst vergisst, bleibt klein und arm. Und wer materiell und auch emotional arm ist, dessen Bankkonto und Energiekonto sind leer. Es gilt die alte Regel: Wer nichts hat, kann auch nichts geben.
Menschen, die selbst wenig Lebensfreude und Lebensenergie haben, können auch anderen Menschen auf Dauer nichts davon vermitteln und somit auch nicht helfen. Natürlich funktioniert das eine Weile. Über einige Zeit hinweg kann man durchaus mehr geben, als man hat. Doch damit überzieht man sprichwörtlich sein eigenes Konto immer mehr und stürzt langfristig in eine noch tiefere innere und äußere Armut. Diese Armut führt dann in der Regel zu Folgeerscheinungen wie Insolvenzen, Depressionen, Burn-out, Streit oder Scheidung. Was lernen wir daraus? Wer sich um andere kümmern will, muss sich zuerst und genauso intensiv um sich selbst kümmern. Das ist der eine Teil der Lektion. Der andere Teil ist aber auch: Selbst erfolgreich und glücklich zu sein ist kein reiner Selbstzweck, sondern die Grundlage dafür, diesen Wohlstand an andere weiterzugeben. Nicht, ihn zu verteidigen. Es steht ja schon im Grundgesetz: Eigentum verpflichtet. Eigentlich ein alter Gedanke. Aber immer noch einer, für den wir in unserer Gesellschaft, in der Wirtschaft und ganz besonders in uns selbst eine mentale Revolution anzetteln müssen. Lass uns das gemeinsam tun. Füreinander und nicht gegeneinander.
Dein Steffen Kirchner