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Musik im Himmel und auf Erden
ОглавлениеEinmal im Jahr werden sie herausgeholt: kleine Engelsfiguren aus Holz, fein geschnitzt, viele von ihnen haben ein Musikinstrument in der Hand. Mit ganzen Engelsorchestern können manche Haushalte aufwarten und nehmen damit die Vorstellung auf, dass zumindest einem Teil der himmlischen Heerscharen vornehmlich musikalische Aufgaben zukommt. In Literatur und Malerei begegnen uns immer wieder musizierende Engel. Dass Engel singen – und zwar schön –, steht außer Frage. Sie verstehen ihr Handwerk. Und ihr Geschmack ist erlesen. Ob sie wirklich – wie der Theologe Karl Barth in Wolfgang Amadeus Mozart meinte – Mozarts Musik bevorzugen? Oder – »eia, eia« (EG 70,5) – lallen sie vielleicht eher? Vielleicht klingt ihre Musik ja auch für jeden anders, gerade so, wie man es braucht?
So weit unsere Vorstellung von himmlischer Musik. Ein Blick in die Bibel zeigt aber noch eine andere Seite. Das wenige, was wir dort über die Musik der Engel konkret erfahren, ist keineswegs nur gefällig. Richtig harmonisch wird der Posaunenschall, mit dem die Engel zum Jüngsten Gericht rufen, wohl nicht sein. Und auch bei Ezechiël stellt sich die himmlische Klangkulisse nicht so dar, wie wir uns musikalischen Wohlklang vorstellen: Sie ist beherrscht vom »Rauschen der Flügel«, das »wie die Brandung des Meeres, wie ein Heerlager, wie die Donnerstimme des allmächtigen Gottes« dröhnt (Ezechiël 1,24). Das muss nicht unbedingt Missklang bedeuten, aber man merkt doch: Engelsmusik ist nicht nur Harfenglissando und Gesäusel.
Entsprechend vielfältig sind die Versuche, Engelsmusik nachzuahmen. So unklar ihre konkrete klangliche Gestalt, so inspirierend ist offenbar die Vorstellung, dass Engel musizieren und wir als Menschen es ihnen darin gleichtun können. Wer Musik auf Erden macht, der orientiert sich vielleicht auch an himmlischen Vorbildern. Eduard Mörike dichtete: »Wer sich die Musik erkiest, / hat ein himmlisch Gut bekommen. / Denn ihr erster Ursprung ist / von dem Himmel selbst genommen, / weil die Engel insgemein / selbsten Musikanten sein.« (Altes Verslein, vertont in Hugo Distlers Mörike-Chorliederbuch)
Das Singen auf Erden als Abbild, Aufnahme und Weiterführung der himmlischen Kantorei ist ein wesentlicher Impuls für jedes kirchenmusikalische Tun. Weit verbreitet ist die Idee einer gemeinsamen himmlischen und irdischen Liturgie: Menschen und Engel musizieren gemeinsam und preisen auf diese Weise ihren Schöpfer – im Himmel und auf Erden.