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Kapitel IV. Die alte und die neue Liebe

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Während Katharina wie immer in die Schule ging und die Kinder kutschierte, wurden die nächsten Tage für Christine ein ganz eigenartiges Unternehmen. Sie machte sich den Spaß und besuchte jeden einzelnen auf ihrer Liste. Sie hatte genug Zeit, ein gutes Auto und so bekam nach und nach jeder das geplante Domizil des Treffens zu sehen. Zumindest diejenigen, die in Paris und Umgebung lebten ….. Bis auf einen, dessen Lebenslauf sie kurzzeitig sogar auf die Couch ihres Therapeuten warf.

Katharina dachte immerzu an Jean und dessen Visitenkarte war schon ganz abgewetzt vom in die Hand nehmen. Nur anrufen wollte sie ihn nicht. Sie ertappte sich sogar dabei während des Unterrichts damit zu spielen. Die Schüler schrieben still das Tafelbild ab und sie starrte gedankenverloren auf das kleine Stück Papier. Ein Paar Zahlen, Buchstaben und ein ganzes Leben dahinter. Vielleicht eines das sie gerne teilen würde, wenn da nicht die Narben der Vergangenheit wären.

Madame... wir sind alle fertig. Was sollen wir denn jetzt machen?“: weckte sie der Klassenprimus aus den Tagträumen und seine Lehrerin erschrak erst mal. Sie legte die Karte beiseite und räusperte sich. Dann führte sie den Stoff weiter aus und konzentrierte sich auf ihre Arbeit.

Aber auch ihre Kollegen bemerkten, dass sie sich abkapselte und stiller war als sonst. Wenn sie sich unbeobachtet fühlte, musste auch in den Pausen das Kärtchen die Erinnerungen an den schönsten Moment seit Jahren wecken. Sie sah verliebt aus und kurz danach wieder deprimiert. Jemand der sie kannte, merkte das auch und sprach sie an. Mit zwei Tassen Kaffee in der Hand kam Lucien an. Er lächelte sie an wie immer und sprach:„ Du hast doch was auf dem Herzen. Seit 1-2 Wochen könnte man meinen du wärst wie ausgewechselt. Aber so unstet... ist was passiert? Hast du Probleme mit deinen Schülern?“

Katharina tat so als wäre nichts und nahm ihm eine der Tassen ab. Lucien war jetzt der letzte dem sie sich offenbare wollte und bestimmt war sein Hilfsangebot nur ein Vorwand um Intimität zu erhaschen. Ein typisch männliches Verhalten, erst den Beschützer spielen und dann zur Klette werden. „Ich habe drei Kinder, da ist immer was. Pascal wird übermorgen 8, das ist kein Problem. Aber meine Tochter wird am 12.Dezember 15 Jahre alt und da fangen die Probleme an. Danke für den Kaffee“.

Lucien war fast schon etwas enttäuscht, als er mit diesen Lappalien abgespeist wurde. Aber er war das gewohnt und Katharina vertiefte sich schnell wieder in ihre Arbeit. Ein unmissverständlicher Hinweis, dass sie nicht gestört werden wollte. Lucien stand noch ein paar Sekunden daneben und strich sich dann über die Reste seiner einst dichten Haarpracht, von der die Zeit nur mehr kümmerliche Reste verschont hatte. Aber für ein Haarteil war er zu eitel und jeder kannte ihn mit fast Vollglatze. Beim Sportunterricht wäre es auch unpraktisch und so verzichtete er darauf. Mit einem letzten wehmütigen Blick sah er auf seine Flamme und ging dann zurück zu seinen Bildern. Er musste sich noch die Arbeiten seiner Kunstklassen ansehen. Sport und Kunst, das war sein Metier.

Katharina sah ihm hinterher und fühlte Mitleid, aber eben keine Zuneigung. Egal was Lucien auch machte oder sagte, es beeindruckte sie nicht.

Nach der Arbeit machte sie noch einen Abstecher in die Stadt und besorgte ein Geschenk für ihren Sohn. Er würde wie immer bei seinen Fußballern feiern, weil es ihm drin zu eng war. Seine Feier bestand in einem Fußballspiel auf dem Rasenplatz. 10 Kilometer außerhalb gab es da ein kleines Regionalstadion mit Festsaal für 100 Personen. Da war sein Verein untergebracht und da wollte er feiern. Mit Pascal hatte sie also keine Probleme, der war versorgt und billig glücklich zu machen. Ariane wollte natürlich ihre erste richtige Party als gesellschaftliches Ereignis der oberen 25 des Schulhofes platziert wissen. Das konnte aber nur bedeuten, dass es alles, nur kein Kindergeburtstag, sein durfte. Alkohol, Nikotin und mal was kiffen waren bei den älteren Jungs ein Muss und etwas Knutschen mehr als erbeten; Eltern und kleine Brüder waren dagegen völlig unerwünscht. Ariane hatte schon mal diese kleinen Details durchblicken lassen und ihre Mutter auf das Schlimmste vorbereitet.

Doch der große Knall lies noch auf sich warten, es waren nur noch 14 Tage hin und viel weiter aufschieben lies es sich nicht. Sie wollte es ihr auch schon schonend beibringen, aber Katharina war morgens wie abends immer so unzugänglich. Weshalb das Partyproblem unausgesprochen vor sich hin schwelte. Bis, ja bis zu diesem Abend, als Katharina das Geschenk für Pascal besorgt hatte. Ein neues Paar Fußballschuhe, die er sich gewünscht hatte und dazu eine Karte. Den Kuchen würden die anderen Mütter backen, weil es Katharina nicht so lag. Andere rissen sich förmlich in diesem Verein darum und an den Geburtstagen wurden, traditionsgemäß, runde Torten mit Schwarzweißen Fünf- und Sechsecken serviert. Halt Fußballverrückte unter sich, die alles über das runde Leder wussten.

Nach dem Essen kam Katharina zu Ariane und bat sie die Karte zu unterschreiben. Julien konnte seinen Namen schon schreiben und hatte seine krakelige Unterschrift unter den gedruckten Namen seines Bruders gesetzt. „Dein Bruder feiert doch am Wochenende. Hier ist die Karte.... was ist eigentlich jetzt genau bei deiner Partyplanung herausgekommen. Hast ja bisher nur so schaurige Andeutungen gemacht“: fragte sie und hielt ihr die Karte und den Stift hin. Im Scherz hatte Ariane gemeint ob sie ihren Hexensabbat bei Vollmond zelebrieren dürfte.

Ariane bekam ganz feuchte Hände und unterschrieb hastig und sehr unleserlich. Dann schrieb Katharina noch ihr Kürzel darunter, malte ein Herz und steckte es in die Schublade zu den anderen Dingen, die sie immer wieder mal brauchte.

Ihr habt doch Partyrat abgehalten, also in zwei Wochen willst du feiern und wir wollten noch was Schönes für dich zum Anziehen kaufen. Wann wollen wir das denn machen? Ich habe ja auch nicht immer Zeit wie du es dir gerade denkst“.

Ist mir jetzt noch gar nicht aufgefallen“.

Werd nicht patzig Fräulein. Ich muss ja schließlich auch für euch arbeiten und kann nicht ständig über Partys nachdenken“.

Scheinbar doch?“

Was soll das heißen?“

Seit du mit deiner Freundin weggefahren bist, hast du dich verändert. Du schaust dauernd auf diese Visitenkarte und auf das Telefon. Wer ist das denn? Doch bestimmt ein Kerl“.

Ein Architekt, er ist der Freund von Christine... mehr nicht. Jetzt erwarte ich eine Antwort auf meine Frage“.

Welche war das denn jetzt noch gleich?“: meinte sie frech.

Wann wir einkaufen wollen? Deine Garderobe muss aufgefrischt werden, wie du meintest und deswegen müssen wir einkaufen. Oder nicht! Außerdem muss ich wissen was du gedenkst an deinem Geburtstag zu veranstalten!“

Also einkaufen können wir, wann immer du Zeit hast. Wegen der Party, also dass ist so ne Sache. Wegen der Jungs und so. Wir wollen ja keinen Kindergeburtstag feiern.. wie bisher“.

Sondern ne geile Sause mit allem was dazugehört! Mal so richtig einen drauf machen“: sprach Katharina weiter. „Du hast es erraten. Also das muss richtig gut abgehen, bloß keine langweilige Fete. Das ruiniert ja meinen Ruf... Du kuckst ja so böse. Ich meine ja nur, und so“.

Das kannst du dir abschminken. Dann kannst du schon mal für deinen Job am Theater üben“.

Oper, es ist ein Opernhaus. Aber warum denn das jetzt?“ : sagt Ariane erregt.

Falls du es vergessen hast. Du feierst deinen 15 Geburtstag und nicht deine Aufnahme ins Moulin Rouge. Ich bin schließlich noch deine Mutter und nicht dein Concierge“.

Ja wohl Madame... dann sag mir doch wie ich das machen soll. Ich bin kein Kind mehr“: sagte sie eingeschnappt und drückte ihre Brüste vor. Sie waren unübersehbar, aber trotzdem kein Freifahrtschein in die Welt der Erwachsenen.

Das ist was anderes. Ich hab das damals auch nicht so übertrieben. Wenn wir ne Fete hatten, gab es keinen Alkohol und gequalmt hat auch fast keiner. Von Sex will ich gar nicht reden. Ein Zungenkuss war schon das äußerste“.

Ja aber da hat man die Pariser auch noch in Francs bezahlt. Heute ist das alles anders. Wenn ich so ne Party abhalte, mach ich mich zum Gespött der Gegend. Man wird mit Fingern auf mich zeigen und mich im Internet verlachen ... das wäre mein gesellschaftliches Ende. Dann wohne ich hier noch in hundert Jahren, finde nie einen Mann und muss am Ende noch lesbisch werden. Willst du das?“.

Cool oder In sein, ist nicht alles Ariane“: meinte ihre Mutter belehrend.

Nicht alles??... es ist das einzige was heute zählt!!“.

Dann musst du eben damit warten bist du älter bist. Du wirst mir später dafür dankbar sein“.

Ich wäre dir aber lieber jetzt schon dankbar. Bitttte“: fing sie förmlich an zu flehen.

Du gibst nicht auf. Aber ich gebe auch nicht auf. Einer von uns wird also bald sehr enttäuscht sein. Ich kann dir jetzt schon sagen, wer das sein wird. Also sei vernünftig“.

Du warst bestimmt auch nicht immer vernünftig. Sonst hättest du Papa ja nicht geheiratet“: wurde sie jetzt verletzend und das mit voller Absicht.

Ich glaube kaum, dass du dich darüber äußern kannst. Ohne unsere Ehe wärst du ja nicht auf der Welt. Außerdem habe ich erst mit ... ach das ist doch gar nicht der Punkt. Ich will nicht das meine Kinder sich so einen Lebenswandel angewöhnen. Alkohol zu trinken ist absolut nicht cool und Zigaretten sind seit Jahren total out. Heute rauchen nur noch die, die es überhaupt nicht lassen können. Es gibt außerdem auch noch Gesetze zum Schutz der Jugend. Dazu zählst du ja wohl auch noch mit 15 Fräulein“.

Ich pass schon auf... Was würdest du mir denn erlauben. Was darf ich denn an meinem Geburtstag machen. Jetzt sag nicht Kaffee und Kuchen und um 20.30 gehen alle nach Hause?“

Katharina war einerseits froh, dass Ariane langsam einsichtig wurde und nicht mehr so kindisch auf ihrem Standpunkt herum ritt. Aber Katharina war auch schon aufgebracht, wegen der frechen Art und deshalb machte sie jetzt mal das gleiche mit ihr. „Also Koffein ist nichts für kleine Mädchen. Da kommen die nicht zur Ruhe, wo doch um 18.00 das Sandmännchen kommt“.

Haha. Verarsch mich nur.... jetzt sag schon was ich darf!“

Du darfst in dein Zimmer gehen und mir nachher deine Hausaufgaben zeigen. Ich werde mir noch überlegen was du darfst und was nicht. Außerdem hätte ich gerne noch gewusst wie viele Gäste du einlädst und wie alt die sind“.

Ich glaube da kommt gar keiner, höchstens die zurückgebliebenen... ich gehe dann auf mein Zimmer und sitze die Zeit ab... bis ich volljährig bin. Damit hattest du jedenfalls Recht“.

Womit bitte

Einer von uns wird sehr enttäuscht sein. Bist du jetzt wenigstens zufrieden?“

Für Katharina schien die Woche und der Ärger kein Ende zu nehmen. Als Ariane den Raum verlassen hatte, fing ihre Mutter an zu weinen. Sie weinte hemmungslos und war ganz verzweifelt. Ihr Liebesleben war ein vermintes Trümmerfeld, ihre Tochter schien sich ein Leben als Schlampe in Suff und Exzessen vorzuziehen und wo sie auch hinsah, nichts als Probleme. Nachdem sie so richtig die Schleuse geöffnet hatte, kam ihr Sohn in die Küche. Pascal sah das sich seine Mutter schnell die Tränen wegwischte und ging auf sie zu. Er nahm sie in den Arm und meinte:„ Ich vermisse Papa auch so doll. Warum kann er denn nicht wieder bei uns sein?“.

Katharina drückte ihr Kind fest an sich und weinte still weiter. Er verstand nicht, dass Didier nur ein kleiner Grund für ihre Tränen war. Aber das wollte sie ihm nicht an den Kopf werfen. Das Kind konnte ja nichts dafür und das es seinen Vater liebte war nur natürlich.

Sie machte ihm deswegen keinen Vorwurf, aber es machte die Sache auch nicht gerade leichter.

Nach einer Weile trockneten dann auch ihre Tränen und Pascal erklärte den Grund, warum er sie sprechen wollte. „Du Mama, darf Papa mit zu meinem Geburtstag. Ich feiere doch mit den anderen in unserem Clubheim. Bitte ich will das Papa dabei ist, die sagen nämlich alle.... dass ich keinen Papa habe!“

Das stimmt doch gar nicht“: tröstete sie ihn aber er meinte gleich weiter:„ Aber die sagen das alle, weil mein Papa nie dabei ist wenn ich spiele und auch nie für mich Zeit hat. Bitte ruf ihn an und sag, dass ich will das er kommt“.

Und wenn ich mit dir hingehe? Ach nein ich will ja mir deiner Schwester einkaufen gehen“.

Ich will das Papa mitgeht! Du darfst auch kommen, aber Papa muss kommen. Bitte mach das er kommt. Versprich es mir. Zum Geburtstag“.

Ich kann dir das nicht versprechen Pascal. Wenn Papa keine Zeit hat dann..“

Dann ist er nicht mehr mein Papa. Dann will ich einen anderen!“: sagte er beleidigt und stampfte mit dem Fuß auf. Dabei fing er an zu weinen und rannte in sein Zimmer. Er wollte nicht das seine Mutter ihn so sieht. Schließlich war er ja der Mann im Haus.

Was soll ich nur machen?“: stieß sie aus. Sie kramte die Nummer von Didier raus und rief an. Er hob nicht ab, sondern nur sein Anrufbeantworter. Sie sprach ihm vorwurfsvoll aufs Band:„ Hallo Didier, dein Sohn hat am 22. Geburtstag. Er will das du ihn besuchst und mit ihm zu seinem Fußballclub gehst. Er braucht dich und will sonst nichts von dir haben. Wenigstens einmal im Jahr könntest du ja mal so tun, als ob du dich für ihn interessierst... du Rabenvater.“: brach sie am Schluss ab und warf den Hörer auf die Gabel. Dann ging sie zu Ariane und sah sich deren Hausaufgaben an. Es war natürlich nicht so wie sie sich das vorgestellt hatte, aber das hatte sie auch nicht erwartet.

Du glaubst doch nicht im Ernst, dass du damit ein gutes Zeugnis bekommst. Wovon willst du denn leben? Selbst als plappernder Schminkkoffer musst du zumindest die Schule abschließen“.

Dafür wird es schon noch reichen. Ich will meine Kindheit genießen und mich nicht unnötig mit so komplizierten Sachen abgeben. Das schadet nur meiner Entwicklung, ich bin einfach noch nicht so weit. Die Pubertät halt,.. du verstehst?“.

Sag mal soll das jetzt witzig sein oder bist du wirklich dumm?“

Ich bin wirklich so witzig und will auch kein Pauker werden“.

Du wirst überhaupt nichts werden, wenn du so anfängst. Deine Party ist jedenfalls gestrichen und deine Klamotten, kaufen wir weiter in der Kinderabteilung. Das scheint ja dein Niveau zu sein“: beschloss Katharina resolut und drohend. Ariane fing jetzt auch an zu heulen und schluchzte: „Das ist so ungerecht. Immer wenn dir was nicht gefällt, dann verbietest du gleich alles. Wie soll ich denn da jemals lernen wie man einen Kompromiss findet. Wenn Papa noch da wäre, wäre alles besser. Du lässt nur deinen Frust bei mir ab, weil ich genau den Spaß haben kann, den du schon lange nicht mehr hast“.

Katharina fühlte sich tief gekränkt. Machte sie nicht alles für ihre Kinder? War sie denn keine gute Mutter? Was konnte sie dafür, dass Didier nicht mehr hier wohnte? Sie schob das alles auf Arianes Unmündigkeit und fehlende Lebenserfahrung.

Wenn du erst mal so alt bist wie ich, dann...“

Bin ich bestimmt nicht geschieden und habe Kinder, denen ich vertraue und die ich erwachsen werde lasse“.

Ich lass es lieber sein, wir streiten heute Abend nicht mehr weiter. Es ist schon spät... ach ja. Übrigens! Bevor ich es vergesse. Es wird ab morgen keinen Hungerstreik geben, du wirst weiter essen und nicht auch noch mit so was anfangen. Ich kenne ja deinen Wahn zur Diät“.

Ariane verzog das Gesicht und hörte abrupt wieder auf zu weinen. Sie selbst war gar nicht auf diese Idee gekommen und fand es auch ziemlich unnötig. Für wen sollte sie sich schlank halten, wenn eh nichts abging und alles flach fiel. Sie schwieg und ihre Mutter ging mit einem Gute Nacht Wunsch aus ihrem Zimmer. Dann sah sie noch nach den beiden Kleinen und ging nach dem Badezimmer ins Bett.

Sie wollte eigentlich noch etwas arbeiten, aber sie kramte zur Entspannung lieber das Dossier von Christine aus. Sie hatte es beiseitegelegt und nicht darin geschmökert.

Katharina war entsetzt wie detailliert es war. Da stand alles was man in Erfahrung bringen konnte. Adressen, Beruf, Familienstand und die grobe finanzielle Lage. Das war ja fast schon kriminell. Von wegen fast, das war kriminell. Der Geheimdienst lieferte ja nicht solche Arbeit ab, wahrscheinlich weil die sich auch Gesetze halten müssen. Christine hatte auf den Datenschutz was gehustet, sie hatte sogar die jeweiligen Frisöre selbst mal besucht um mehr zu erfahren.... Aber auch interessant und Katharina las sich alles durch was es zu lesen gab. Natürlich verurteilte sie Christines Schnüffelei, aber praktisch war das schon. Wenn sie die anderen wiedersehen würde, könnte sie jeden durchschauen, der sich für etwas ausgab was er nicht war. So las sie immer weiter, schaute sich Fotos an, schwelgte in Erinnerungen. Sie verglich die Erinnerungen von damals und den Erwartungen, die sie von jedem hatte. Eigentlich lag sie überall richtig. Außer bei einem, der fiel völlig aus der Reihe und das gab ihr zu denken. Sie las leise vor sich hin: „Stephan. Wie denn das? Der ist jetzt was... leitender Direktor an der Staatsoper... da will Ariane doch anfangen... Verheiratet mit Caroline. 3 Kinder... Anwärter auf die Mitgliedschaft der Academie Français, 2. Präsident der MENSA, IQ 139... Autor und Choreograph mehrerer Stücke und Dr. der Philosophie und Kunstgeschichte. Ach du Scheiße“.

Sie las sich das mehrmals durch und fasste es einfach nicht. Stephan hatte sich gemausert, trug keine Brille mehr und sah sehr gut aus für sein Alter. Das Bild zeigte ihn mit seiner Frau Caroline und man sah beiden an, dass sie glücklich waren. Caroline und er kannten sich aus der Schulzeit. Während Katharina sich ja immer von ihm fern hielt, hatte sie sich scheinbar das größte Goldstück aus dem Teich geangelt. Zufällig hatte Katharina noch vor der Fahrt über ihn gesprochen und jetzt fiel es ihr auch wieder ein, wie sie ihn damals eingeschätzt hatte. Sicher, er war immer etwas aus der Rolle gefallen, ein Einzelgänger, intelligent aber wenig erfolgreich. Sein Hang zur Oper und zum Ballett war auch wenig geeignet um in den 80.er Jahren Punkte zu sammeln. Er hatte auch mehrmals versucht ihr auf diese Weise näher zu kommen. Katharina jedoch hatte zwar immer zugesagt, ihn aber auch immer hängen lassen. Scheinbar hatte er sich jemand anderen gesucht, der zu ihm hielt und diejenige war auch nicht enttäuscht worden. Das er so über sich hinauswachsen würde, hätte sie nie für möglich gehalten. Er würde bald der Chef ihrer Tochter werden und ... sie würde ihm und seiner Frau an dem Treffen begegnen. Er würde bestimmt noch wissen wer sie war und.. vielleicht würde er auch gar nichts sagen und sich nichts anmerken lassen.

Wenn überhaupt etwas an Katharinas Selbstbild wackeln konnte, dann das dieser unscheinbare Junge, den sie immer abgewiesen hatte. Das ausgerechnet der jetzt so heraus stach. Das wurmte sie und das gab ihr zu denken. Raoul hätte Hoteldirektor werden können, war aber laut seiner Akte nur ein kleiner Gastronom ohne große Ambitionen. Die zweite Ehe und ein Kind. Naja wie nett.

Nachdem sie sich alle Lebensläufe durchgesehen hatte, war ihr Weltbild ziemlich im Arsch. War ihre Menschenkenntnis so schlecht, konnte sie nicht einschätzen wer Talent besaß und wer nur Durchschnitt war? Katharina fragte sich das nicht nur aus dem Bedürfnis heraus ihre Beziehungsprobleme zu durchschauen. Auch als Lehrerin klassifizierte sie jeden Schüler und das wirkte sich auch auf deren Noten und damit deren Leben aus. Sie war dabei weder boshaft noch nachtragend. Sie machte es einfach und bei dem Gedanken, dass sie so eine Perle übersehen, vielleicht sogar in den Sumpf werfen könnte, gab ihr doch zu denken.

Sie machte das Licht aus und erlebte einen Traum, der sich völlig von dem unterschied, was sie sonst träumte. Auf einmal war sie wieder in der Schule und sah Stephan dabei zu wie er sich gab. Es wirkte jetzt auf einmal ganz anders und viel attraktiver. Alles was sie vielleicht mal an ihm auszusetzen hatte, war nicht mehr da. Caroline umgarnte ihn und er mochte das. Katharina war in ihrem Traum nur ein Statist. Sie sah wie Caroline ihn küsste und aus Stephan, das wurde was er heute war. Der Frosch war ein Prinz geworden.

Katharina wurde von ein paar anderen bedrängt und einer nach dem anderen wurde älter, unattraktiver und uninteressanter. So als würde die Zeit gegen sie und für Stephan arbeiten.

Dann sah sie wie Lucien in den Raum kam, er war Lehrer und schien Katharina zu fixieren. Er rief sie an die Tafel und fragte sie über ihr Leben aus. Sie konnte keine guten Antworten geben und alle lachten über sie. Sie bekam von ihm viele Tadel und dann kam Caroline an die Tafel. Sie konnte glänzen und alle bewunderten sie. So ging das ständig weiter in ihrem Traum, als ob die Welt plötzlich auf den Kopf gestellt wurde. Katharina sah sich und ihr Leben, als völlig gescheitert an und die Aussichten für die Zukunft waren grau in grau. Das sagte Lucien in ihrem Traum ständig; ihre Attribute wären Langweile, Ärger und alt werden. Kein Menschen würde je von ihr Notiz nehmen.

Katharina erwachte aus ihrem Alptraum, noch bevor der Wecker klingelte. Sie war ziemlich fertig, der Stress der letzten Zeit hatte ihre Nerven blank gelegt und ihr Liebesleben war auch kein Grund zum Jubeln. Sie erinnerte sich an ihren Traum und wusste nicht wie sie damit umgehen sollte. Aber sie wusste was er zu bedeuten hatte.

Sie hatte den einzigen Ausweg aus ihrer Misere zwar oft genug vor sich gehabt. War ihm aber immer aus dem Weg gegangen. Sie hatte sich immer die Männer ausgesucht, nie hatte sie jemand ausgesucht. Der einzige, der es versucht hatte, der wäre es gewesen. Und jetzt wusste sie nicht mehr weiter. Ihre Tochter würde ihn bald kennen lernen, vermutlich wussten beide nicht, wer der andere war. Doch spätestens am Klassentreffen würde Katharina ihren beiden wichtigen Männern begegnen. Jean und Stephan.

Sie ging in die Küche und machte sich Kaffee. Während er durchlief, bereitete sie das Frühstück vor. 5.27 Uhr zeigte der Radiowecker an. Normal wäre 6.00 Uhr, aber so hatte sie wenigstens etwas mehr Zeit sich die Arbeit einzuteilen. Sie schlich sich ins Bad und machte sich frisch. Dann weckte sie Ihre Kinder in der gewohnten Reihenfolge und begann den Tag mit einer neuen Sichtweise.

Auf dem Schulparkplatz parkte Lucien schon neben ihrem Stammplatz. Wie immer. Auch er gab nicht auf, sondern bewies Tag um Tag, was sie ihm bedeutete. Aber sie liebte ihn eben nicht. Die ersten beiden Unterrichtsstunden hatte sich Katharina schon wieder gefangen und zog ihren Stoff auf die gewohnte Weise durch. Nur in der Pause, da machte sie sich Gedanken. Sie glaubte zu wissen wer in der Klasse mit wem ging und zog Parallelen zu sich und ihren Erlebnissen. Aber auch das potentielle Liebesleben ihrer Tochter ging ihr durch den Kopf.

Ariane stand mit ihren Freundinnen ziemlich verloren auf dem Pausenhof ihrer Schule. Sie erzählte von dem Stress zu Hause und der geplatzten Party. Yvette, ihre beste Freundin hatte es schon vor der Schule erfahren. Sie war erst in drei Monaten mit ihrer Boum dran und die Aussichten standen nicht gerade auf freie Fahrt. Yvette hatte im Gegensatz zu Ariane, blonde kurze Haare. War etwas molliger und hatte für ihr Alter eine sehr reife Figur. Die sie aber unter weiten Pullis zu verstecken suchte. Die Blicke der Männer waren ihr einfach unangenehm. Wenn aber keiner kuckte war das auch nicht viel besser. Dann waren da noch die beiden Zwillinge Sophie und Marie. Sie kannten das Problem schon von ihrem Geburtstag im September. Sie hatten dunkelblonde Haare und waren für ihr Alter schon recht gut entwickelt. Zum Leidwesen der Eltern.

Deine Mutter ist wie meine. Die hat mir verboten auf deine Boum zu gehen, wenn da getrunken wird“.

Ich glaube wir haben uns da zu viel vorgenommen. Die Alten lassen da nicht mit sich spaßen“:

meinten Sophie und Marie.

Als wir damals die erste Periode hatten und BHs statt Puppen brauchten, da fing es an. Seitdem ist unsere Mutter ganz eifrig drauf bedacht uns für ein Leben im Kloster vorzubereiten“: sagte Marie resignierend zu Ariane.

Du hättest meine Mutter mal hören sollen, als ich ihr von meinem Praktikum in der Oper erzählt habe“.

Ich hab dir gleich gesagt, erzähl es ihr nicht. Gibt nur Ärger. Eigenes Geld heißt eigenes Leben. Wenn man sie nicht mehr anpumpen muss, wird man unabhängig. Das wollen sie verhindern“: dozierte Sophie über die höheren Regeln der Erziehung, aus ihrer Sicht.

Ich würde meiner Mutter nicht sagen, dass ich mich fotografieren lasse“.

Aber uns doch oder?“: meinte Ariane neugierig.

Ja also es nichts Sicheres. Aber mich hat ein Photograph angesprochen. Er meinte ich wäre ein hübsches Mädchen und könnte damit Geld verdienen. Also als Modell“.

„Dazu musst er deine Eltern um Erlaubnis bitten, weil du noch Minderjährig bist. Ich muss meine Mutter auch noch dazu bringen, dass sie mir die Erklärung unterschreibt“.

Alle vier sahen sich an und dachte so ziemlich dasselbe. Solange sie nicht 18 waren, würden sie immer die Unterschrift ihrer Eltern brauchen. Vom Geld mal ganz abgesehen.

Salut Ariane. Na wie läufst so?“: sprach Robert sie plötzlich von hinten an. Er war in ihrer Klasse und so alt wie sie. Also uninteressant. Sein jugendliches Aussehen, sein ganzes unsicheres Auftreten, das alles lies ihn als völlig unattraktiv erscheinen.

Ich stehe gerade. Also läuft es nicht so besonders“.

Und schon wurde er unsicher. Die Mädchen sahen ihn als Störenfried an und so schnell wie er gekommen war, war er auch schon wieder weg.

Der steht auf dich. Deswegen will er wissen wie es bei dir läuft“: meinte Marie dann, als er außer Hörweite war. „Robert ist mir aber total egal. Ich weiß genau wie der Mann mal aussehen soll, den ich mal heiraten werde. Bestimmt nicht so, das steht fest“.

Mein Mann muss aussehen, wie Brad Pitt in Troja und Humor haben. Geld wäre auch nicht schlecht!“: meinte Sophie und Ariane ergänzte noch:„ Wenn er wenigstens gut küssen kann, wäre es schon mal ein Anfang“. Alle vier seufzten zustimmend aus und dann klingelte es für die nächste Stunde. Die Pausen der Mädchen waren in etwa immer gleich. Wenn es Taschengeld gab, wurde über Klamotten gesprochen. War es alle, über Männer mit Geld, die sie mal heiraten würden und die dann Geld für Klamotten und Schmuck raus rückten. Zwischendurch plante man die Termine/ Partys auf denen man, mit den neuen Klamotten, einen Typen mit Geld kennen lernen konnte. Typen wie Robert spielten in ihren Gesprächen keine Rolle, zumindest keine die solche Typen gerne spielen würden. Robert und seine Freunde, schwärmten dafür dann auch nie über die Mädels in ihrem Umfeld, sondern nur von Stars und Modells, die sich ebenso wenig auf ihren Schulhof verirrten, wie tolle, reiche Männer auf Partys von Schulmädchen. Alles in allem eine ziemliche Scheinwelt ohne Aussicht auf Bestand.

Katharinas Traumwelt war schon abgebrannt und ihr Robert hieß Lucien. Nach seinem Unterricht, hatte er wie üblich im Lehrerzimmer auf seine große Liebe gewartet. Während er dies tat, zeichnete er eine kleine Radierung. Katharina, nackt wie Gott sie schuf, an der Brüstung eines Balkons und in zwei weiteren Motiven, beim Baden und auf Laken. Wie sie aussah, das wusste er blind und er konnte alle ihre Details zeichnen oder zumindest aus der Phantasie ergänzen. Ohne Kleider, hatte er sie ja noch nie gesehen. Sehr zu seinem Bedauern, aber er überhöhte sie in jeder Beziehung und konnte sich denken, dass eine Frau nach drei Schwangerschaften niemals so eine Figur haben konnte.

Katharinas Schulunterricht wurde im Laufe des Tages immer mehr zur Belastung. Und als die letzte Stunde um war, da freute sie sich fast mehr darüber als ihre Schüler. Genervt und unausgeschlafen kam sie ins Lehrerzimmer. Dort saß Lucien und packte schnell seine Zeichnung weg. Sie tat so als ob er gar nicht da wäre. Erinnerte sich aber auch daran, dass er in ihrem Traum eine Rolle gespielt hatte. Er hatte sie schlecht beurteilt und das war ihr unangenehm. Das er sie liebte, war ihr nicht verborgen geblieben. Aber nie sagte er etwas dazu, immer nur himmelte er sie aus der Entfernung an und wollte doch so oft es ging in ihrer Nähe sein. Selbst wenn es nur der symbolische Parkplatz neben ihr war.

Eigentlich hatte sie die Wahl zwischen Jean und ihm. Wo der eine forsch und einnehmend war, da war der andere sensibel und ... unscheinbar, ängstlich. Lucien schien überhaupt kein Selbstvertrauen zu haben und Katharina wunderte sich in diesem Moment, als sie seine Blicke spürte, wieso er denn nicht wenigstens mal versuchte sie ernsthaft kennenzulernen. Ein seltsamer Gedanke, wo sie sich immer über seine auffällig unauffälligen Annäherungsversuche aufgeregt hatte. Nein, es war ausgeschlossen, einen Mann zu lieben konnte man nicht mit Vernunft oder Logik begründen. Da spielten Mächte mit, die weit über den irdischen Nichtigkeiten rankten. Sie hätte es selbst nicht beschreiben können, aber grob gesagt war es keine Frage des Aussehens. Sondern wie begehrt ein Mann bei den Damen war. So als ob es einen Aktienkurs gab, der umso schneller steigt, wenn jeder denkt die Aktie wäre wertvoll. Etwas was alle anderen wollen, wollte man dann auch selbst haben, weil die anderen ja nicht grundlos an etwas hingen.

Lucien aber sah seine Liebe wieder einmal durch die Tür entschwinden und ihm blieben nur seine Zeichnungen. Er hatte sich auch ein paar Worte einfallen lassen, aber schon am Blick von Katharina konnte er ablesen, wie wenig Interesse sie dafür aufbringen würde. Er war gehetzt und wenig auffordernd.

Eigentlich machte Lucien sich selbst etwas vor. Er erfand immer wieder Gründe, den entscheidenden Schritt nicht zu wagen, um sich nicht selbst der Illusion zu berauben. Solange er nichts entscheidendes sagte oder tat, konnte er hoffen, dass sie ihn vielleicht doch noch sympathisch finden würde. Wäre er den entscheidenden Schritt gegangen und gestürzt, wäre er aller Illusionen beraubt. Als er damals mitbekommen hatte wie ihre Scheidung verlief, selbst da war er zu feige. Er tat sich in diesem Moment mehr leid als Katharina ihn bemitleidete. Auf eine Chance zu hoffen, die man doch nie ergreift, kann auf Dauer nicht motivieren.

Katharina kam ziemlich groggy zu Hause an. Machte sich einen Tee, legte sich auf die Couch und hörte sanfte klassische Musik. Nichts kompliziertes, ganz sanft und seicht, die Moldau. Eine Fußmassage wäre jetzt genau das richtige. Als Lektüre nahm sie sich wieder das Klassentreffen Dossier vor. Sie lass es mindestens drei Mal und konnte es nicht fassen. Stephan war nun Chef der Comedie francais. Eine Einrichtung mit über 300 Jahren Tradition.

Da fiel ihr ein, dass Ariane immer so ein Szene und Kulturmagazin auf ihrem Schreibtisch herumliegen hatte. Da drin würde bestimmt auch stehen, was da so alles ablief. Sie ging mit einem schlechten Gewissen in das Zimmer ihrer Tochter und sah sich um. Das Pariscope, so hieß das Journal lag neben ihrem Bett. Das Deckblatt war schon zur Hälfte ab, aber es war das gewünschte Heft.

Sie nahm es sich mit und schmökerte darin. Zu ihrem Erstaunen war auch der Aufführungsplan der Comedie darin aufgeführt. Das Impressum, aber sonst auch nichts. Jedenfalls nichts über ihren alten Bekannten. Das hatte aber nichts heißen müssen. Ein Anruf bei Christine würde vielleicht Klarheit bringen. Oder noch einfacher, dass Internet. In der Schule gab es einen Computer für die Lehrkräfte, sie würde dort nachforschen und dann... bis hierhin kam sie noch, dann war der Traum auch schon zu ende.

Was sollte sie mit diesen Informationen anfangen. Ihn anrufen oder vorbeifahren. Seine Frau bitten ihm eine Nachricht zu hinterlassen... Vielleicht wegen Ariane ein paar Sachen wissen wollen. Aber auch das wäre ohne Sinn. Katharina bemerkte, dass sie sich eindeutig in einer emotionalen Sackgassen verrannt hatte. Ihren Ex wollte sie nicht mehr und Stephan hatte sie selbst nie gewollt. Nur Jean oder Lucien blieben da noch übrig. Und da wählte sie lieber den Mann, der sie glücklich machen konnte.

Ich ruf ihn jetzt an und verabrede mich mit ihm“: das war ihr Plan und ihr Entschluss. Nach allem hin und her schien es die einzige Alternative. In ihrer Handtasche fand sie seine Visitenkarte, eigentlich brauchte sie die nicht. Die Nummer hatte sie so oft angestarrt, sie müsste sie eigentlich rückwärts auswendig aufsagen können. Aber sicher ist sicher. Sie wählte seine Nummer und stand mit Herzklopfen neben dem Apparat. Doch dies war einfach zu unbequem und während es klingelte, setzte sich in ihren Sessel daneben. Bloß nicht verkrampft wirken.

Hallo Jean Walieront“.

Jean. Hallo ich bin’s Katharina. Die Freundin von Christine“.

Ah sieh an ... ich dachte schon du hättest mich vergessen oder die Karte verloren. Aber schön dass du dich trotzdem noch meldest. Wirklich schön ist das“.

Ja ich weiß es tut mir auch echt leid. Ich war etwas verwirrt und nicht ganz auf dem Damm. Ich würde dich gerne wiedersehen. Bald wiedersehen“.

Das klingt gut, aber ich muss dich leider etwas hinhalten. Ich werde diesen Freitag für 2 Wochen in Urlaub fahren. Das ist schon lange geplant und ... kannst du nicht mitfahren. Dich nehme ich sofort mit“: schlug er vor und hielt das für eine super Idee. Katharina konnte und wollte aber nicht mit. Erstens, weil sie drei Kinder hatte und in die Schule musste. Zweitens weil ihr das zu schnell ging und drittens konnte sie diese zwei Wochen auch noch warten. Vom Finanziellen mal ganz abgesehen.

Was ist Katharina. Ich lade dich ein und wir verbringen einen tollen Urlaub zusammen“.

Leider geht das nicht. Ich bekomme so kurzfristig keinen Urlaub und bin auch nicht alleine. Können wir uns nicht vorher kurz sehen oder nach dem Urlaub“.

Vorher... du ich ruf dich zurück. Versprochen. Ich muss jetzt weiterarbeiten und erst in meinen Terminkalender schauen. Ich hatte auch nicht mehr mit dir gerechnet und ... aber ich versuchs. Versprochen“.

Ok. Ich freu mich drauf“: seufzte sie erleichtert aus.

Ja ich mich doch auch. Machs gut und bussi“: hauchte er in den Hörer und legte dann auf. Ein anderer Anrufer war in der Leitung. Sein Freund und Geschäftspartner Gilles.

Hi Jean“.

Hi Gilles. Na alles im Lot?“

Logisch und bei dir. Du haust am Freitag ab wie man hört“.

Ja zwei Wochen nach Martinique. Fast wäre ich mit meiner Traumfrau hin gejettet“.

Traumfrau. Wen meinst du damit?“

Na die süße Maus, die ich damals bei dem Besuch meiner Ex kennen gelernt hab. Die hat echt Klasse. Sieht super aus und hat auch was im Kopf. Ein echter Hinkucker“.

Du hast ein Glück. Dann lern ich sie bald kennen?“

Fast. Sie kommt nicht mit. Aber spätestens danach treffen wir uns. Wird bestimmt der Knaller. Dir zeig ich sie erst, wenn ich den Sack zugemacht habe. Sonst spannst du mir die auch noch aus“.

Du hast es gerade nötig“.

Hör zu Gilles. Ich muss noch was arbeiten. Der Urlaub will ja verdient sein und ich hab hier noch jede Menge zu tun. Wir sehen uns... ich ruf dich an ok?“.

Ok. Aber lass dir nicht wieder 3 Wochen damit Zeit und arbeite nicht zu viel. Es gibt auch noch was anderes als das“.

Stimmt. Ich mach jetzt trotzdem Schluss“.

Er legte auf und schloss seine Arbeit ab. Es ging um Statik und Baupläne für ein neues Projekt. Vielleicht würde seine Arbeit anerkannt werden und ein verdienstvoller Auftrag reinkommen. Schaden würde es jedenfalls nicht. Den Rest des Tages und den Abend verbrachte Jean damit, sich für diese Ausschreibung zu qualifizieren. Erst als es schon nach 21.00 Uhr war, verließ er sein Büro und ging in das Atelier. Dort gab er seine Entwürfe im Büro der Zeichner ab, die es morgen graphisch aufbereiten; es visualisieren sollten.

Dann fing für ihn der Feierabend an und Jean fuhr mit seinem Wagen, einem blauen Audi, in die Stadt. Jetzt hatte er Zeit sich in Ruhe auszudenken, wie er mit Katharina verbleiben wollte. Sie war ja auch ein Goldstück und ein Wiedersehen schier unausweichlich. Nur der Stil und die Umgebung musste stimmen. Er wollte sie beeindrucken, ihr richtig zünftig den Hof machen, auch nicht angeben oder schon das Aufgebot bestellen. Es sollte Stil haben und Phantasie beweisen. Er plante, das ganze bei einem Long Drink in seinem Stammlokal auszutüfteln. Es war das „Albért“, eigentlich eine Szenekneipe für Homosexuelle und Yuppies, aber er kannte den Chef gut und das Viertel in dem es lag, das Marais, war der Inbegriff seines schöpferischen Verständnisses. So kultiviert und aristokratisch war es nur hier und außerdem kannte er dort die meisten. Es waren vornehmlich Intellektuelle, Homosexuelle, natürlich auch Juden, denn es war ja das jüdischste Viertel von Paris und außerdem auch viele hübsche Frau. Weiß der Himmel was Albert, der Chef des Albért angestellt hatte, aber es war die einzige Kneipe, in der so eine illustre Szenerie zustande kam. Die Musik vielleicht oder die raffinierten Speisen, das Ambiente bestimmt und eben sein Charme. Das ganz sicher, denn ein Szenetreff in Paris ohne Charmeur als Gastgeber, das war so unglaubwürdig wie der Louvre ohne das Lächeln der Mona Lisa. Albert war ein stattlicher Mann, etwas korpulent, aber das machte ihn eben aus. Obwohl er erst 45 war, hatte er schon graue Schläfen, die er aber mit Würde trug. Sein Bart war wie der eines Seehundes und so sah er auch aus. Wie ein alter Seebär, etwas rau aber innerlich ein feiner Kerl. Man wollte ihn zum Freund haben und sich gut mit ihm verstehen. Er war nie gehässig, nur ironisch und eigentlich sah er in allem immer etwas Positives. Vor Jahren hatte er mal selbst studiert, Kunstgeschichte und Musik. Aber nach 5 Jahren hatte er es satt. Ihm fehlte das Talent etwas zu erschaffen, was man im eigentlichen Sinne als Kunst ansehen konnte. Er hatte sich daher aus Zufall für den Beruf des Wirtes entschlossen. Insofern war er eigentlich doch ein Künstler, denn mit der Zeit malte er Bilder, die dann in seinem Lokal aushingen. Ein echter Albert eben und zusammen mit ihm, einer handverlesenen Schar von Barkeepern, Köchen und Bedienungen war das Albert auf gewisse Art und Weise ein lebendiges Kunstwerk. Seine Bilder fanden jedoch selten einen Käufer, vielleicht wollten die Gäste sich nicht selbst etwas berauben, was in ihren Häusern deplatziert gewirkt hätte. Alberts Bilder gehörten zu ihm und seinem Lebenswerk, woanders hätten sie nicht ihre Wirkung entfalten können.

Salut Albert?“

Salut Jean, wie immer“.

Nein, bring mir die Karte und einen Cuba Libre“.

Also kein Pastis“: meinte er und reichte seinem Freund die Speisekarte. Eigentlich kannte Jean sie ziemlich gut und hatte auch die meisten Sachen schon ausprobiert.

Wie läuft das Geschäft Albert?“: fragte er beiläufig.

Das Wetter ist deprimierend. Da trinken die Leute mehr, also geht es ganz gut. Aber dafür essen sie weniger. Ich habe noch nie so wenig Betrieb in der Küche gehabt, seit die Engländer uns dieses BSE beschert haben. Was willst du essen?“

Also wenn du mich so frägst.... schwierige Sache ich muss ja meine Figur im Auge behalten“.

Was soll das heißen. Sieh mich an. Grau aber keine Falten. Lieber ess ich mehr, das glättet von Innen“.

Ich bin aber noch nicht so weit mich so gehen zu lassen und alle Schranken der Selbstaskese über Bord zu werfen“.

Ach so... eine Frau. Wie heißt sie denn?“

Gut. Sehr gut. Ich muss deine Menschenkenntnis neidlos anerkennen. Selten trifft man jemanden der so unnachahmlich die Tagesform seines Gegenüber durchschaut und dessen Schwächen aufdeckt“.

Du bis aber in guter Form heute... ich höre?“

Ich nehme den grünen Salat, die Spagetti Pesto mit Rotwein und als Nachtisch die Mousse au.. nein lieber nicht. Keinen Nachtisch und statt des Rotweins nur ein Evian“.

Mein Gott, was ist bloß los mit dieser Welt. Kann man denn nicht in Würde alt werden. Müssen sich alle Menschen dem Diktat vom Vogue und Mens Health unterwerfen“.

Sicher ist sicher. Fett werden kann man ja zusammen, aber bis es soweit ist...“

Mimst du hier den Frauenversteher und treibst die arme Frau in eine Scham- und Diätspirale. Wo soll das nur hinführen, wenn alle Wasser trinken?“: klagte Albert und streichelte seinen Bauch mit beiden Händen. Dann gab er die Bestellung weiter und kümmerte sich um andere Gäste, die seinem Ideal des, bewussten savoir vivre mehr entsprachen. Jean wusste das zu schätzen und setze sich an einen leeren Tisch, von dem aus er sich den Place des Vosges und seine Paläste als ruhenden Pol ansah. Diese mondäne Aura und die Beleuchtung ließen ihn immer wieder ins Schwärmen geraten. Er hätte hier einfach nichts besser machen wollen. Nur etwas reinlicher, aber nicht wirklich kleinlich oder pedantisch. Etwas Schmutz und Dreck wirken eben auch realer und in einer perfekten Welt würden fehlerhafte Menschen ja auch stören. Also besser man sieht nicht alles so genau, dann kommt man auch besser mit sich und den anderen zurecht.

Jean wusste das er sich nicht mehr ewig als Junggeselle herumtreiben konnte. Abends immer unter Menschen und doch alleine zu sein, wie ein einsamer Wolf, dass war nicht mehr seine Welt.

Katharina schien ihm die Richtige zu sein und dafür lohnte es sich auch zu kämpfen. Jedenfalls wollte er es diesmal anders angehen und ihr von Anfang an ehrlich gegenüber treten. Leider wusste er nichts genaues über sie, ihre Telefonnummer hatte er auf dem Apparat gespeichert. Vielmehr kannte er von ihr nicht, von der Schönheit ihres Wesens mal abgesehen. Christine hätte er fragen können, doch das wollte er nicht, obwohl er sich denken konnte, dass seine Ex über ihn schon alles erzählt hatte.

Vielleicht hatte Katharina sich deshalb soviel Zeit gelassen mit dem Anruf.

Jedenfalls wäre das nächste Treffen schon mehr als eine zufällige Begegnung und sicherlich sein bisher aufregendstes Rendezvous seit Jahren. Da durften keine Kosten und Mühen gescheut werden oder wäre es vielleicht besser sich nicht zu sehr der Planung hinzugehen. Den Architekten mal zu Hause lassen und dem Zufall eine Chance geben. Obwohl man in Paris eigentlich kaum etwas anderes machen konnte, als sich an romantischen Orten und beeindruckenden Kulissen verzaubern zu lassen. Sich der eigenen Verliebtheit hinzugeben und vor allen den Moment genießen ohne es zu bereuen. Möglichkeiten gab es ja genug, aber das würde eventuelle zu offensichtlich gestellt wirken. Ein Spaziergang an den Ufern der Seine, oder Montmarte, hmmh das waren Touristenfallen und der echte Bewohner der Capitale hatte das eigentlich als Klischee ansehen müssen.

Ein Besuch der „Mur des je t'aime“, das wäre am Valentinstag eine schöne Sache, wenn nur weniger verliebte Paare sich dort ein Stelldichein geben würden. Aber die Horden von Digitalkameras, die den Tauben hinterher schielten, waren wohl kaum die richtige Kulisse für den Beginn einer tiefen, ernsthaften Beziehung. So billig geht das nicht.

Dein Essen... du bist wohl weit weg mit deinen Gedanken, Jean“: sagte Josephine, eine Bedienung und stellte ihm seinen Salat und den Cuba Libre hin. „Der Drink geht aufs Haus. Albert kann dich nicht so leiden sehen. Salat mit Evian, da gehst du doch voll am Leben vorbei. Meinte er“.

Na gut, weil du es bist“.

Was grübelst du denn so nachdenklich vor dich hin. Du bist verliebt oder?“

Ja. Sieht man das?“

Eine Frau sieht das“: meinte sie und legte noch das Besteck neben den Teller.

Wohin würdest du gerne mit einem Mann hingehen, wenn ihr ein Rendezvous hättet“.

„Das kommt drauf an... vielleicht ( sie nahm Albert wahr, der mit seiner Mimik spielte und mit den Armen einen großen Kreis vollzog) ins Albért und danach noch einen Spaziergang durch das Viertel. Wenn es das Wetter erlaubt“.

Jean sah sich um und erkannte Albért, der sofort auf beschäftigt mimte. Er polierte ein Glas nach und tat so, als wäre ganz woanders.

Soso ins Albért würdest du gehen. Danke Josephine. Du hast mir sehr geholfen. Wer außer Albert ähm dir wäre auf so eine brillante Lösung gekommen. Aber mal angenommen, die weltbeste Kneipe im Universum hätte geschlossen wegen ... eines tragischen Todesfalls. Wohin würdest du dann gehen?“

Na auf die Beerdigung vom Chef“: sagte Albert und kam von hinten an. Die Gesellschaft hörte jetzt auch hin und mischte sich ein. Frederic, einer von den Stammgästen sagte dann so halblaut zu seinem Freund:„ Weißt du noch wo wir uns kennen gelernt haben“.

Jean rollte nur mit den Augen, nippte an seinem Log Drink und aß dann den Salat auf. Den Rest des Abends überlegte er natürlich weiter und kam immer wieder zu der Erkenntnis, dass er es nicht so planen konnte, wie er wollte. Die Unwägbarkeiten waren enorm. Je schöner die Kulisse, desto eher war mit einem Volksauflauf zu rechnen und je mehr es ihn ins Freie zog, umso mehr würde das Wetter eine Rolle spielen. Außerdem war noch zu berücksichtigen, dass Katharina entschied wann sie sich treffen wollten. Sein eigener Terminplan lies auch keine großen Kapriolen zu. Vielleicht war es da wirklich das Beste auf gewohntem Terrain anzufangen und keine Experimente zu wagen.

Nachdem er gegessen und bezahlt hatte, fuhr er in seine Wohnung. Bis nach seinem Urlaub hatte er ja noch Zeit und bis dahin würde ihn schon niemand dazwischen funken.

Ein paar Tage später flatterte Post in Katharinas Briefkasten. Die Einladung zu dem Treffen inkl. Wegbeschreibung von der jeweiligen Adresse aus. Hübsch aufgemacht und originell gestaltet.

Das hatte Christine mit Sicherheit von einem Fachmann machen lassen. So gut würde ein Amateur das mit Sicherheit nicht zustande bekommen. Katharina überflog die Zeilen und wusste schon was darin stand. Es war so beschrieben wie sie es besprochen hatten. Von Jean hatte sie am Abend zuvor schon einen Anruf aus dem Urlaub erhalten. Sie fehlte ihm und angeblich wären da nur alte, hässliche Frauen, die den Vergleich mit ihr nicht standhalten konnten. Wer’s glaubt.

Was für ein Treffen würde das werden? Sie wäre womöglich bis dahin die Hausherrin und eigentlich sogar in bisschen mit Christine verwandt. Was für ein Gedanke, den Ex ihrer Schulfreundin zu nehmen.

Mit Ariane, der Rakete in der Pubertätsstufe, hatte sie Waffenstillstand geschlossen. Sie wollte eine normale Party veranstalten und dafür ansonsten an die lange Leine kommen. Sprich, ihr Ausflug in die Welt des Theaters und der Oper war von der obersten Familienleitung genehmigt worden. Das Geld kam gerade recht. Weihnachten und Sylvester standen vor der Tür. Damit einher gingen die Weihnachtsferien und eigentlich hatte sie da auch mal die Zeit sich zu sammeln. Jean würde sie sehen wollen und sie ihn auch. Auch sie dachte intensiv über das erste Mal nach. Es lag wohl einfach daran, dass sie diese Zeit zwischen ihrem Wiedersehen mit dem Gedanken an das Nächste ausfüllten.


Das Klassentreffen - réun - d'anciens

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