Читать книгу Über das Schreiben eines Romans: 55 Schreibtipps für Profis - Stephan Waldscheidt - Страница 4

Zur Grobplanung eines komplizierten Romanplots

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Was muss passiert sein, damit Frodo das Schiff besteigen kann?

Irgendwie schien alles miteinander verbunden – was sie getan hatte, was mit den Männern geschehen war, die sie ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt hatte, was mit diesen Typen in Princeton geschehen war. Löse eins davon auf und der Rest erledigt sich von allein. Ob es ihr gefiel oder nicht, ihr Leben war mit diesem Schlamassel verwoben. Sie konnte nicht einfach weggehen.

In seinem Thriller »Caught« (Signet 2010 / eigene Übersetzung / dt. »In seinen Händen«, Page und Turner*) beschreibt Harlan Coben in einem inneren Monolog seiner Heldin indirekt auch, worauf es im Bauplan eines gut konstruierten, spannenden Plots ankommt.

In den letzten beiden Sätzen des Zitats wird gesagt, dass die Heldin selbst in diesen Schlamassel involviert sein sollte. Ihr Einsatz hat sich im Laufe der Handlung immer weiter erhöht. Zunächst war sie nur eine Kommentatorin des Geschehens, dann eine, die versucht hat, es aufzuklären. Schließlich wird sie selbst darin verwickelt. Und zwar auf eine Weise, dass es für sie keinen Weg hinaus gibt – es sei denn, sie klärt alles auf.

Für Ihren Roman bedeutet das Zitat: Gegen Ende (nicht erst am Ende, sondern noch vor dem Höhepunkt) soll der Leser erkennen, dass alles in Ihrem Roman miteinander verbunden ist. Die Puzzleteile ergeben plötzlich ein zusammenhängendes Bild. (Die Auflösung während des Höhepunkts wird zu oft so dargestellt, dass der Schurke dem Helden den Plot erklärt. Aber eigentlich erklärt er es dem Leser. Höchste Klischeegefahr!)

Coben schreibt auch, wie Ihre Heldin zum Erfolg kommen kann: Indem sie eins der Rätsel, einen Subplot vollständig löst, ergeben sich die Lösungen für die anderen ungeklärten Subplots.

Um das zu schaffen, brauchen Sie, gerade wenn Sie mit mehreren Subplots und einer komplexeren Struktur arbeiten, einen Plan.

Vieles löst sich eben nicht von allein. Auch nicht bei Autoren, die behaupten, sie planen nicht, sondern schrieben einfach drauf los. Diese Autoren überarbeiten lediglich mehr und häufiger, bis sie diese Puzzleteile so angeordnet haben, dass sie dann doch ein Bild ergeben.

Oder sie sind Genies. Erfahrene Genies, die schon ein Dutzend Romane geschrieben haben und instinktiv wissen, was sie tun müssen, um eine solche komplexe Struktur zu konstruieren.

Eine einfache Möglichkeit, einen komplizierteren Plot zunächst grob zu planen und Ideen zu sammeln, ist die Was-muss-passiert-sein-Methode. Das Ende sollten Sie dazu, zumindest grob, im Kopf haben. Doch je genauer sie es kennen, umso präziser können Ihre Fragen sein und entsprechend präziser fallen auch die Antworten aus.

Beispiel.

Gandalf, Frodo und Bilbo Beutlin und eine illustre Schar Gesellen aus Mittelerde besteigen das Schiff an den Grauen Anfurten. In Mittelerde herrscht Frieden.

Was muss passiert sein, damit das geschieht?

Der Eine Ring muss in den Rachen des Schicksalsbergs geworfen werden. Sonst lebte die illustre Schar nicht mehr und es gäbe auch keinen Frieden in Mittelerde.

Was muss passiert sein, damit das geschieht?

Jemand muss ihn hineingeworfen haben.

Was muss passiert sein, damit das geschieht?

Jemand muss ihn dorthin gebracht haben.

Was muss passiert sein, damit das geschieht?

Dieser Jemand muss an den Ring gekommen sein.

Und so weiter …

Hilfreich ergänzen lässt sich dieses Vorgehen mit Hilfe der Plot-Meilensteine: die großen Wendepunkte am Ende von Akt 1 und Akt 2, der Höhepunkt und die Auflösung, Pinch Points, Krisen, auslösendes Ereignis.

Jeder dieser Meilensteine ist mit einer Frage verbunden. Der erste Wendepunkt (Plot Point) etwa mit der Frage, was geschehen muss, damit der Held seine Romanaufgabe annimmt, damit er sich so weit verpflichtet, dass er keinen Rückzieher mehr machen kann.

Auf diese Weise finden Sie übrigens auch eher den richtigen Einstieg und wollen nicht schon, wie das gerade Anfänger oft tun, hundert Meter vor der Haltestelle in den Plot-Bus steigen.

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*) An dieser Stelle möchte ich den Marketing-Menschen hochleben lassen, der sich den Namen für das Random-House-Imprint Page und Turner hat einfallen lassen. Cheerio!

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