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Die Schlacht bei Tours und Poitiers 732

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ULRICH NONN

„Sie (die Sarazenen) brachen mit ihrem König namens Abdirama auf, überschritten die Garonne und gelangten in die Stadt Bordeaux; nachdem sie die Kirchen niedergebrannt und das Volk niedergemetzelt hatten, zogen sie nach Poitiers weiter; sie zündeten die Kirche des heiligen Hilarius an – die bloße Erwähnung bereitet mir Schmerz – und beschlossen, auch die Kirche des hochheiligen Martinus (von Tours) zu zerstören. Gegen sie stellte der Princeps Karl kühn eine Schlachtreihe auf und stürmte als großer Krieger gegen sie los. Mit Christi Beistand zerstörte er ihre Zelte und eilte in den Kampf, um ein großes Gemetzel anzurichten; er tötete ihren König Abdirama, vernichtete ihn, rieb ihr Heer auf, kämpfte und siegte; so triumphierte er als Sieger über die Feinde.“

Mit diesen Worten schildert eine zeitgenössische Chronik den Sieg des fränkischen Hausmeiers Karl Martell über „das treulose/ungläubige Volk der Sarazenen“ (gens perfida Saracinorum) im Oktober 732: jene Schlacht bei Tours und Poitiers, die seit jeher im allgemeinen Geschichtsbild zu den ‚Höhepunkten des Mittelalters‘ zählt und zu den wenigen Daten des 8. Jahrhunderts gehört, die bis heute auch in knappen Geschichtsbüchern ihren Platz behaupten. Der fränkische Chronist schreibt in ihm vertrauten Vorstellungen und bezeichnet die Akteure mit ihm geläufigen Titeln: Karl Martell, nominell als Hausmeier nur der oberste Hof beamte des merowingischen Königs, der längst zum unbedeutenden ‚Schattenkönig‘ geworden war, ist in Wirklichkeit der princeps, der faktisch die Geschicke des Frankenreichs lenkt. Und Abdarrahman, den Statthalter des Kalifen in Spanien, kann er sich nur als „König der Sarazenen“ vorstellen; die muslimische Welt, ein Reich der Ungläubigen, ist ihm fremd. Wie war es aber dazu gekommen, dass die Sarazenen von Spanien her so weit ins Herz des Frankenreichs vorgedrungen waren und jetzt sogar die Martinskirche von Tours bedrohten, wo mit dem Mantel des heiligen Martin die wichtigste Reliquie des fränkischen Reichspatrons verwahrt und verehrt wurde, von der man so viele Wundertaten zu berichten wusste und die Scharen von Pilgern anzog?

Die rasche Ausbreitung des Islam im 7. Jahrhundert

Mit einer weltgeschichtlich wohl einmaligen Schnelligkeit hatte sich der Islam nach Mohammeds Tod (632) verbreitet; im Lauf des 7. Jahrhunderts fielen ihm das Persische Reich und dann zahlreiche Provinzen des Byzantinischen Reiches zu. Nach der Eroberung Ägyptens (639–641) geriet der südliche Mittelmeerraum Stück für Stück in muslimische Hände; 697 wurde Karthago zerstört, um die Jahrhundertwende war Marokko unterworfen; nur noch die Meerenge trennte die Araber von den Christen des spanischen Westgotenreiches. Dessen König Witiza starb 710; ihm folgte nicht einer seiner Söhne, sondern der Adel erhob Roderich zum Nachfolger, was zu heftigen Widerständen und Flügelkämpfen führte. So war das Reich geschwächt, als die ersten Araber nach 710 auf ersten Streifzügen an der Küste erschienen. 711 landete dann der Statthalter Tarik mit einem kleinen, hauptsächlich aus Berbern bestehenden Heer bei Gibraltar (Dschabal Tarik = Berg des Tarik) und errichtete auf dem Felsen ein Lager. Die umliegenden Landschaften wurden verwüstet. Roderich zog ihnen mit einem Heer entgegen, und im Juli kam es zu einer blutigen Schlacht am Fluss Guadalete (südlich von Sevilla). Die Westgoten unterlagen, Roderich fand den Tod. Er soll von den oppositionellen Anhängern der Witiza-Familie verraten worden sein. Der westgotische Widerstand brach rasch zusammen, die Muselmanen drangen schnell weiter vor, eroberten die Hauptstadt Toledo und gewannen den königlichen Schatz. Zahlreiche weitere Orte kapitulierten ohne größeren Widerstand. Die zum Feind übergelaufenen Anhänger Witizas wurden jedoch bald enttäuscht: Aus den „Hilfstruppen in einem Bürgerkrieg“ wurden schnell die neuen Herren des Westgotenreichs, die allerdings für die unterworfenen Städte durchaus ehrenhafte Bedingungen stellten. „Es handelte sich also um Bündnis und Unterwerfung zugleich“ (J. M. Lacarra). In den Jahren 716–719 wurde dann auch der Norden der Halbinsel mit Barcelona unterworfen. Nur im Nordwesten, im schwer zugänglichen Bergland Asturiens, formierte sich christlicher Widerstand gegen die Invasoren, angeführt von einem aus Südspanien geflohenen westgotischen Adligen Pelagius, der hier 718 zum Fürsten gewählt wurde.

As-Samh, seit 719 neuer Statthalter Spaniens, entschloss sich, über die Pyrenäen vorzudringen. 719/720 besetzte er Narbonne und zog von hier weiter in Richtung Toulouse, der früheren Hauptstadt des gallischen Westgotenreichs, die jetzt von Herzog Eudo von Aquitanien verteidigt wurde; nominell vom Frankenkönig abhängig, übte Eudo eine weitgehend selbstständige Herrschaft aus. Gegen die andrängenden Araber errang er einen glänzenden Sieg, as-Samh fiel in der Schlacht. Dieser früher viel zu wenig gewürdigte Erfolg war „die erste ernsthafte Niederlage des Islam im Okzident“ (M. Rouche). Nutznießer dieses Rückschlags waren zweifellos auch die christlichen Widerständler Asturiens; ihrem Fürsten Pelagius gelang 722 bei Cavadonga (Provinz Oviedo) ein Sieg über die Araber. Das waren die Anfänge des Königreichs Asturien, das seit Pelagius’ Schwiegersohn, Alfons I. dem Katholischen (739–757), zur Keimzelle der Reconquista wurde (die erst 1492 mit der Eroberung Granadas zum Abschluss kommen sollte).

Der neue Statthalter Anbasa (721–726) gab trotz der Niederlage die Pläne seines Vorgängers nicht auf, sammelte Truppen aus ganz Spanien und drang erneut vor; er konnte Carcassonne und Nîmes einnehmen. Parallel dazu erfolgte ein Einmarsch in Burgund durch das Rhône- und Saône-Tal, 725 wurde Autun geplündert und zerstört. In den folgenden Jahren ebbten die Angriffe – zumindest nach dem Schweigen der Quellen zu urteilen – wieder ab; Auseinandersetzungen innerhalb der muslimischen Führungsschicht haben offensichtlich die Stoßkraft ihrer Heere geschwächt. Die ständige Bedrohung Aquitaniens blieb aber weiterhin eine dauernde Gefahr für Eudo. Mit Karl Martell hatte Eudo eine amicitia, eine Schwurfreundschaft, geschlossen; dieses Bündnis war aber offensichtlich nicht spannungsfrei. Seit 730/731 begegnet ihm als neuer Statthalter Spaniens Abdarrahman al-Ghafiki. Zu dessen Gegenspieler wurde ein Berber namens Munnuz; er beherrschte die Hochebene von Cerdagne (östlich Urgel), eine strategische Schlüsselstellung in den Pyrenäen, und war damit Nachbar Eudos. Auch mit ihm schloss Eudo ein Bündnis und gab ihm zur Bekräftigung seine Tochter zur Frau. Munnuz bedurfte der Unterstützung Eudos; denn als er von ungerechter Behandlung seiner Landsleute, der Berber in Nordafrika, durch die Sarazenen erfuhr, entschloss er sich, gegen sie und ihren Statthalter vorzugehen. Aber schon bald wurde er in Cerdagne von Abdarrahmans Truppen eingeschlossen, doch gelang ihm zusammen mit seiner Gemahlin die Flucht ins Gebirge. Farbig schildert eine spanische Chronik (von 754) das weitere Drama: Die Flüchtlinge, von Hunger und Durst geschwächt, wurden bald eingeholt. Um der Schmach der Gefangenschaft zu entgehen, stürzte sich der bereits verwundete Munnuz von einer Felsspitze herab und fand so den Tod; dennoch schlugen ihm die Soldaten des Statthalters auch noch den Kopf ab. Seine Gemahlin nahmen sie fest und brachten sie zu Abdarrahman, der die schöne Frau dem Kalifen als Geschenk übersandte.

Fühlte Karl Martell sich durch Eudos Bündnis mit Munnuz hintergangen? Wir wissen es nicht; aber mehrere fränkische Quellen berichten zu 731 von zwei Strafzügen des Hausmeiers nach Aquitanien gegen Eudo; die Stadt Bourges wurde verwüstet, mit reicher Beute kehrte Karl zurück. Der Tod seines Verbündeten Munnuz brachte Eudo nun aber auch die sarazenischen Feinde ins Land. Im Frühjahr 732 zog Abdarrahman von Pamplona aus mit einem gewaltigen Heer durch das Baskenland nach Aquitanien; an der Garonne brachte er Eudo eine schwere Niederlage bei, nach der „nur Gott die Zahl der Sterbenden und Untergehenden kennt“ (wie die spanische Chronik vermerkt). Die Vorstädte von Bordeaux wurden eingenommen. Hilfe suchend floh Eudo zu Karl Martell und erinnerte ihn an die geschlossene Schwurfreundschaft; trotz der vorherigen Auseinandersetzungen versagte Karl diese Hilfe nicht. Derweilen zog Abdarrahman ungehindert weiter gegen Norden. In Poitiers – wir hörten es eingangs – ging die Kirche des heiligen Hilarius in Flammen auf. Noch ca. 77 Kilometer (Luftlinie) bis zum erklärten Ziel, dem fränkischen Nationalheiligtum in Tours! Auf diesem Zug trat ihm nun der Hausmeier mit einem Heer aus Franken (und wohl auch Burgundern) entgegen, ad Pectavis (bei Poitiers), wie die Mehrzahl der Quellen angibt. Die bis in die jüngste Zeit andauernde, im Wesentlichen von französischen Forschern geführte Diskussion um eine genaue Lokalisierung des Schlachtortes ist mangels genauer Quellenzeugnisse und archäologischer Funde wenig aussichtsreich. Bei der nicht geringen Entfernung zwischen Tours und Poitiers und da keine Quelle als Schlachtort „bei Tours“ angibt, sollte man wohl sinnvoller nur noch von der „Schlacht bei Poitiers“ sprechen.

Die berühmte Schlacht und weitere Kämpfe bis 738

Ausführlicher als die eingangs zitierte fränkische Chronik, die prokarolingisch gefärbte zweite Fortsetzung der so genannten Fredegar-Chronik, schildert uns der schon erwähnte spanische Chronist von 754 den Hergang des Kampfes. „Darauf verfolgte Abdarrahman den oben erwähnten Dux Eudo, und während er danach strebte, die Kirche von Tours zu plündern und dabei Paläste zerstörte und Kirchen in Brand setzte, traf er auf den Konsul des inneren austrischen Franken mit Namen Karl, einen von Jugend auf kriegerischen und in militärischen Dingen erfahrenen Mann, der von Eudo gewarnt worden war.“ War dem fränkischen Chronisten die muslimische Welt fremd und hatte er den Statthalter Spaniens zum „König der Sarazenen“ gemacht, so wusste der spanische Autor (wohl ein Geistlicher aus Toledo) kaum etwas über die fränkische Reichsverfassung und titulierte den Hausmeier Karl Martell, der ja seine ursprüngliche Machtbasis in Austrasien hatte, ungewöhnlich als „Konsul des inneren austrischen Franken“ (consul Francie interioris Austrie). Sieben Tage stehen sich die beiden Heere in quälender Erwartung gegenüber, dann kommt es zur Schlacht: „Und während sie heftig kämpfen, stehen augenblicklich die nördlichen Stämme wie eine unbewegliche Mauer und verharren starr wie eine Zone eisiger Erstarrung und töten die Araber mit dem Schwert.“ Ihr „König“ Abdarrahman fällt. Bis in den Abend wogt die Schlacht. Am nächsten Morgen, bei Tageslicht, erblicken die Franken (hier als Europenses bezeichnet) die unzähligen wohl geordneten Lager der Araber und erwarten einen neuen Angriff. Aber sie finden die Zelte sämtlich leer, die Feinde sind heimlich geflohen. Die Franken verzichten auf weitere Verfolgung; und nachdem sie die reiche Kriegsbeute gerecht unter sich aufgeteilt haben, kehren sie frohgemut in ihre Heimat zurück. Wenn wir dem Zeugnis einer zeitgenössischen Heiligenvita, der Lebensbeschreibung eines Abtes aus der Gegend von Limoges, Glauben schenken dürfen, verübten die fliehenden Soldaten auf ihrem Rückweg noch schreckliche Gräueltaten: „… und noch mehr aus dem Volk der Ismaheliten ergriffen die Flucht, und an allen Orten, durch die sie zurückzogen, metzelten sie einen jeden Christenmenschen nieder, den sie vorfanden, und wo immer sie Klöstern und heiligen Stätten begegneten, ließen sie sie in Flammen aufgehen.“ Auf jeden Fall zogen sich die Araber erst einmal über das östliche Aquitanien zurück nach Septimanien zu ihrem festen Stützpunkt, der Stadt Narbonne. War die Gefahr gebannt, hatte der strahlende Sieger Karl Martell das Abendland gerettet, wie man es in älteren Darstellungen immer wieder lesen kann?

Davon konnte noch keine Rede sein. Nach dem Tod Eudos 735 zog Karl Martell erneut über die Loire bis nach Bordeaux; Eudos Sohn Hunoald erkannte er als Herzog Aquitaniens an. Abdelmalik, der neu ernannte Statthalter von Spanien, unternahm 735/736 einen erneuten Zug über die Pyrenäen, blieb aber erfolglos. Daneben aber gab es eine zweite Front im Südosten des Frankenreichs. Hier waren es zunächst die einheimischen Großen, die sich nicht der fränkischen Reichsgewalt – vertreten durch den Hausmeier – fügen wollten. Zwar hatte Karl Martell seit 733 schrittweise das südliche Burgund unterworfen; bereits zu 733 vermeldet der fränkische Chronist: „Er gab das Gebiet dieses Reiches seinen bewährten Getreuen, Männern, die tüchtig genug waren, um aufständische und ungläubige Völker abzuwehren.“ Aber der hartnäckige Widerstand der Großen der Provence schuf eine unsichere Lage, die die Araber auszunutzen versuchten – paktierten doch manche der Adligen mit den Feinden und überließen ihnen sogar die Stadt Arles, die Karl allerdings 736 wieder befreien konnte. Als aber 737 ein neuerlicher, vom Dux Maurontus angezettelter Aufstand in der Provence ausbrach, nutzten die Araber die Chance, sich in Avignon festzusetzen. Die stark befestigte Stadt machten sie zu ihrem Stützpunkt, von wo aus sie südburgundisch-provençalische Landstriche und auch Teile Aquitaniens verheerten. Besonders um Vienne und Lyon hören wir von schwersten Verwüstungen. Karl erschien zunächst nicht selbst, sondern schickte unter Führung seines Stief bruders Childebrand ein Heer zur Belagerung Avignons; dann kam er selbst mit Verstärkungstruppen nach. Dramatisch, mit wörtlichen Anklängen an das biblische Buch Josua schildert der fränkische Chronist den zweiten großen Sieg über die Araber: „Wie bei Jericho griffen sie unter Kriegsgeheul und Tubenklängen mit Belagerungsgeräten und Strickleitern die Stadt- und Hausmauern an, drangen in diese wohlbefestigte Stadt ein und steckten sie in Brand; sie nahmen das Heer ihrer Feinde gefangen, metzelten und warfen sie nieder und brachten die Stadt mit Erfolg wieder in ihre Gewalt.“

Der strahlende Sieger zog darauf hin über die Rhône nach Septimanien und belagerte den zentralen Stützpunkt der Sarazenen, „jene hochberühmte Stadt“ Narbonne, in der nun der Statthalter Jussuf ibn-Abdáraman eingeschlossen war. Als dies in Spanien bekannt wurde, rückte von dort ein großes Heer „unter einem anderen König namens Omar ibn-Chaled“ mit Belagerungswerkzeugen heran. Karl zog dem Entsatzheer entgegen. Wenige Kilometer südlich von Narbonne, am Flüßchen Berre, entbrannte die Schlacht, die mit einer völligen Niederlage der Araber endete. Ihr Anführer Omar wurde getötet, was die Geschlagenen in Panik versetzte und sie zur wilden Flucht veranlasste: „Jene, die entkommen waren, versuchten zu Schiff zu entkommen; wie sie aber im seichten Meer schwammen, behinderten sie sich gegenseitig. Bald drangen die Franken mit Schiffen und Wurfspeeren auf sie ein, durchbohrten sie in den Fluten und töteten sie. So triumphierten schließlich die Franken über die Feinde und eroberten viel Kriegsbeute. Als sie viele Gefangene gemacht hatten, verwüsteten die Franken mit ihrem siegreichen Feldherrn das Gotenland.“ So zerstörte Karl auf dem Rückmarsch nach Austrasien die Städte Béziers, Agde, Maguelonne und Nîmes völlig; damals erst wurde das immer noch erhaltene römische Amphitheater von Nîmes zerstört. Die beiden Siege machten 737 zum großen Erfolgsjahr Karls im Kampf gegen die Ungläubigen. Keiner der zahlreichen Feldzüge des Hausmeiers hat der Fredegar-Fortsetzer so farbig und klangvoll geschildert wie diese Kämpfe; und so beendet er das Kapitel denn auch mit einer besonders feierlichen und ungewöhnlich umfangreichen Schlussformel: „Als er, der bei allen Entscheidungen von Christus geleitet wurde, in dem allein das Heil des Sieges liegt, das Heer seiner Feinde besiegt hatte, kehrte er wohlbehalten in sein Gebiet zurück, ins Land der Franken, den Sitz seiner Herrschaft.“

Allerdings kam es 738 noch einmal zu einem Einfall der Araber in die Provence. Da Karl Martell gerade auf einem Feldzug in Sachsen weilte, wandte er sich mit einem Hilfegesuch an seinen Bundesgenossen, den Langobardenkönig Liutprand (der im Jahr zuvor Karls Sohn Pippin adoptiert hatte). Liutprand versagte sich nicht und rückte mit einem großen Heer heran; es kam aber nicht zur Schlacht, da die Araber angesichts der langobardischen Übermacht kampflos wieder abzogen. Schließlich hören wir zu 739 von einem neuerlichen Zug Karls und seines Stief bruders Childebrand in die Provence. Avignon wurde erneut eingenommen, der immer noch aufrührerische Dux Maurontus in die Flucht geschlagen. Karl – mit den Worten des fränkischen Chronisten – „unterstellte das ganze Gebiet bis zur Meeresküste wieder seiner Herrschaft“. Burgund und die Provence waren jetzt endgültig in das fränkische Reich einbezogen, die immer wieder aufgelebte Angriffslust der Araber war endlich gebrochen. Allerdings blieb der größte Teil Septimaniens unbezwungen, dessen Zentrum Narbonne weiter von den Ungläubigen beherrscht wurde (erst 759 sollte es König Pippin gelingen, diese letzte muslimische Bastion einzunehmen).

Insgesamt lässt sich also feststellen: Karl Martell hat das Vordringen der Sarazenen ins Frankenreich erfolgreich aufgehalten und die gens perfida in mehreren Schlachten besiegt; am Ende seiner Herrschaftszeit waren sie auf einen Küstenstreifen im äußersten Süden seines Reiches um Narbonne beschränkt. In Karls frühen Jahren hatte ein Angriff der Araber im Osten die christliche Welt erschüttert: Im Spätsommer 717 rückte ein gewaltiges Heer gegen Konstantinopel vor, zusätzlich erschien eine riesige Flotte im Marmarameer, die Kaiserstadt drohte in muslimische Hände zu fallen. Nach einjähriger Belagerung mussten die Feinde, geschwächt durch einen harten Winter, Seuchen und Hunger, den Rückzug antreten. Nur wenige der zahlreichen Schiffe erreichten die Heimat; das ‚Zweite Rom‘ war gerettet. „Die Schlacht um Konstantinopel zählt zu den entscheidendsten der Weltgeschichte“, urteilte zu Recht O. Mazal 1976 und fügte hinzu: „Ähnlich wie der Sieg Karl Martells bei Tours und Poitiers rettete der byzantinische Sieg die Hauptzentren der abendländischen Kultur vor der arabischen Überflutung.“

Kritische Betrachtung historischer Quellen

Sahen die Zeitgenossen das Einzelereignis von 732 als ebenso entscheidend an, war es „ein Sieg, den die Kirche sofort als weltgeschichtliches Ereignis begriff“ (K. Lamprecht)? Überblickt man die zeitgenössischen Quellen, so sucht man ein solches Urteil vergebens. Auch die knappen frühkarolingischen Annalen vermerken in der Entwicklung der fränkisch-sarazenischen Auseinandersetzungen in der Zeit Karl Martells mehrere bedeutende Abwehrerfolge. Sowohl der erste Gegenschlag Eudos bei Toulouse 721 wie die beiden Feldzüge des Hausmeiers 732 und 737 werden festgehalten; dabei werden Karls Siege bei Poitiers und am Flüsschen Berre insofern hervorgehoben, als der jeweilige Wochentag angegeben wird: Die Schlachten tobten am Sonntag bzw. Samstag. Eine konkrete Ortsangabe findet sich allerdings nur zu 732: „bei Poitiers“ (ad Pectavis) – sollte hier eine der Wurzeln für die Verfestigung des Begriffs „Schlacht bei Poitiers“ und ihrer besonderen Hervorhebung liegen? Andererseits sahen wir, dass der zeitgenössische fränkische Chronist (der Fredegar-Fortsetzer) zwar beide Siege würdigt, dabei aber die Schlacht von 737 besonders farbig und klangvoll schildert. Dass die Sarazenensiege Karls insgesamt wohl ein größeres Echo in ihrer Zeit fanden, als sich aus der dürftigen Geschichtsschreibung ergibt, zeigt eine damals in Byzanz kolportierte Weissagung: Danach würden der Löwe (Kaiser) und der Löwensohn (Karl Martell) den Waldesel (Islam) verschlingen.

Es bleibt die Frage: Woher rührt die spätere herausragende Bewertung der einen Schlacht 732? Eine mögliche Wurzel findet sich in einem der berühmtesten Geschichtswerke des frühen Mittelalters, der Ende des 8. Jahrhunderts verfassten Langobardengeschichte des Paulus Diaconus. Der Autor berichtet den Zug der Sarazenen übers Meer und die Eroberung ganz Spaniens, zehn Jahre später den Einfall in Aquitanien, Karls Auseinandersetzungen mit Eudo und schließlich doch ihren gemeinsamen Kampf gegen die Feinde: „Denn die Franken brachen über diese herein und töteten 375 000 Sarazenen; auf fränkischer Seite fielen dort nur 1500. Auch Eudo stürmte mit den Seinen über ihre Lager her, tötete gleichfalls viele und verwüstete alles.“ Die phantastische Zahl 375 000 ist natürlich eine groteske Übertreibung (wie auch sonst Zahlenangaben über Sieger und Besiegte in mittelalterlichen Quellen stets mit Skepsis aufzunehmen sind).

Woher hatte Paulus diese Zahlenangaben? Der Liber Pontificalis, das Papstbuch mit den Lebensbeschreibungen der mittelalterlichen Päpste, bringt uns auf die Spur. In der zeitgenössischen Vita Papst Gregors II., die nachweislich von Paulus benutzt wurde, heißt es: „Im elften Jahr [nach der zuvor erwähnten Eroberung Spaniens] aber wurden die Franken gewaltig gegen die Sarazenen aufgebracht, umzingelten sie und vernichteten sie. 375 000 wurden an einem Tag getötet, wie aus einem Brief der Franken an den Papst hervorgeht; nur 1500 Franken sollen in derselben Schlacht gefallen sein.“ Der Name Karl Martell fällt nicht, und das aus gutem Grund: Handelt es sich doch gar nicht um die Schlacht bei Poitiers, sondern um den glänzenden Sieg Eudos bei Toulouse 721 (Papst Gregor II. starb bereits im Februar 731, lange vor Poitiers!). Paulus Diaconus hat also seine Quelle missverstanden; dass er die Rolle Eudos besonders hervorhebt, fände dadurch eine Erklärung. Das Missverständnis des langobardischen Chronisten wirkte weiter bei anderen Autoren, unter ihnen manche, die durchaus traditionsbildend wirkten. Immer wieder stoßen wir in der Geschichtsschreibung auf die phantastische Zahl. In der Vita des Bischofs Chrodegang von Metz († 766) vom Ende des 10. Jahrhunderts macht der Autor seinen Helden, der am Hof Karl Martells erzogen worden war, kurzerhand zu dessen Enkel und schildert den Hausmeier in überaus verherrlichender Sicht; beim Sarazenensieg erweitert er die Zahl der gefallenen Ungläubigen sogar auf 600 000! Damit hat er allerdings keine Nachfolger gefunden. Otto von Freising, vielleicht der bedeutendste Geschichtsschreiber des Mittelalters, hat dann in seiner 1143–1146 entstandenen Weltchronik der phantastischen Zahl ein Weiterleben gesichert. In seinem zusammenfassenden Bericht über die diversen Kriege Karl Martells schreibt er: „Von den Sarazenen, die mit Weibern und Kindern eingefallen waren, machte er 385 000 nieder, während die Franken in diesem Kampf nur 1 500 Mann verloren, wie Herzog Eudo von Aquitanien in einem Brief an den seligen Papst Gregor II. bezeugt.“ Die Erhöhung der Zahl um 10 000 mag auf einem Lesefehler beruhen. Und auch in spätmittelalterlichen Geschichtswerken tradierte man die abenteuerliche Zahl. Wenn auch ein franziskanischer Chronist am Ende des 13. Jahrhunderts etwas vorsichtiger von „mehr als 300 000“ getöteten Feinden spricht, so stoßen wir in einer Weltchronik aus der Mitte des 14. Jahrhunderts wieder auf die genaue Zahl 375 000.

Die Mehrzahl der karolingerzeitlichen Geschichtsschreiber kennt allerdings diese Zahlenangaben nicht; sie berichten aber alle mehr oder weniger ausführlich über die sarazenischen Eroberungen in Gallien und die fränkischen Gegenzüge unter dem herausragenden Feldherrn Karl Martell. Dabei werden meistens die beiden großen Siege – 732 bei Poitiers und 737 am Flüsschen Berre – hervorgehoben. Hier wirkte sicher traditionsbildend Einhard, der Biograph Karls des Großen. Die außergewöhnliche Breitenwirkung seiner Vita Karoli Magni spiegelt sich in den achtzig erhaltenen mittelalterlichen Handschriften; und so zitieren mittelalterliche Autoren immer wieder seinen Satz über Karl Martell: „Denn sein Vater Karl, der die Unabhängigkeitsgelüste der Großen im ganzen Frankenlande unterdrückte und die Sarazenen, die die Eroberung Galliens versuchten, in zwei großen Schlachten, in Aquitanien bei der Stadt Poitiers, dann bei Narbonne an der Berre schlug und zur Rückkehr nach Spanien nötigte …“ Wenn also in der Regel die Schlacht bei Poitiers nur neben dem zweiten großen Sieg am Flüsschen Berre genannt wird, so kann man sogar Chroniken und Annalen finden, die zwar Karl Martell und seine Herrschaft behandeln, aber das Ereignis vom Oktober 732 – angeblich doch die herausragende Leistung im Wirken des Hausmeiers – überhaupt nicht erwähnen.

Verallgemeinernd lässt sich feststellen, dass Karl Martell in der mittelalterlichen Geschichtsschreibung als großer Kriegsheld zahlreicher Schlachten weiterlebt; diesen Kriegstaten verdankt er wohl seinen seit dem 9. Jahrhundert bezeugten Beinamen Martellus = ‚der Hammer‘ (noch in einem modernen amerikanischen Jugendbuch ist er „the hammer of Gaul“). Über die Jahrhunderte hinweg würdigen die meisten Quellen dabei auch seine großen Abwehrerfolge gegen die Sarazenen, ohne allerdings die eine Schlacht von 732 zum weltgeschichtlichen ‚Top-Ereignis‘ zu stilisieren. Diese Überbewertung ist erst das Ergebnis moderner Historiographie, vor allem in Lehr- und Schulbüchern, populärwissenschaftlichen Darstellungen und Nachschlagewerken und schließlich im Internet. In der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung findet sich eine breite Skala von Bewertungen zwischen Überschätzung und völliger Unterbewertung. So steht der kritischen und abgewogenen Darstellung Leopold von Rankes 1884 im 5. Band seiner Weltgeschichte Karl Lamprechts wenige Jahre später geschriebenes grandioses Fehlurteil vom „Sieg, den die Kirche sofort als weltgeschichtliches Ereignis begriff“, gegenüber. Und im selben 1. Band des Handbuchs der europäischen Geschichte von 1976 findet sich neben dem bereits zitierten Urteil Otto Mazals, der den Sieg von Poitiers ähnlich wie die Schlacht um Konstantinopel 717/718 „zu den entscheidendsten der Weltgeschichte“ zählt, die Bewertung Theodor Schieffers: „Bei dieser Schlacht von Poitiers stand zwar nicht die Islamisierung Europas auf dem Spiel, aber sie hat in ähnlicher Weise wie 717/718 die Verteidigung von Konstantinopel die arabische Expansion, die allerdings schon abzuflauen begann, zum Stehen gebracht, ohne jedoch mit einem Schlage die Kämpfe zu beenden und der Reichsautorität einen mühelosen Weg nach dem Süden zu ebnen.“ Dieses abgewogene Urteil hat auch heute noch Gültigkeit – ohne dass damit die Verdienste des strahlenden Siegers von Poitiers geschmälert werden.

Höhepunkte des Mittelalters

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