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Die Bekehrung des Merowingerkönigs Chlodwig 496
ОглавлениеGEORG SCHEIBELREITER
Im Herbst des Jahres 1996 kam es in Frankreich zu einer lebhaften Auseinandersetzung in Tageszeitungen und Wochenblättern. Bald griffen auch Rundfunk und Fernsehen in den Streit ein, der zwar nicht das politische Tagesgeschehen beherrschte, aber doch geeignet war, auf der Ebene des nationalen und intellektuellen Selbstverständnisses vieler Franzosen Gräben zwischen den einzelnen Überzeugungen aufzureißen. Schließlich wandte sich Präsident François Mitterand an die Nation, um die erhitzten Gemüter zu beruhigen.
Der Anlass für diesen über die Medien geführten Schlagabtausch war der Hinweis auf den Übertritt des heidnischen Frankenkönigs Chlodwig (Clovis) zum Katholizismus, der sich zum 1500. Mal jährte! Das Ereignis selbst hätte eigentlich zuerst die Zunft der Mediävisten betroffen und wahrscheinlich zu Festschriften und Symposien geführt – was ja auch wirklich geschah. Dass dieses Erinnern aber ein solches Aufsehen erregte, lag an den aus der Tatsache abgeleiteten Folgerungen. Chlodwig wurde aufgrund seiner Konversion schlichtweg zum Ahnherrn Frankreichs erklärt, zur Gründergestalt des französischen Staates. Diese historisch durchaus anfechtbare, aber zur Schaffung eines politischen Symbols geeignete traditionelle Ansicht, die einem wenig reflektierten, aber lange anerkannten Geschichtsbild entsprach, rief sofort die liberalen Demokraten auf den Plan: Sie konnten sich mit einem solchen katholisch-monarchistischen Gründungsmythos ihres Staates nicht abfinden. Das moderne Frankreich wäre nichts anderes als das Ergebnis der Französischen Revolution, mit Clovis hingegen und mit seiner auch das Volk verpflichtenden Annahme des Katholizismus hätte das unselige Bündnis von Thron und Altar seinen Anfang genommen, was auch der aus diesem Anlass erfolgende Besuch Papst Johannes Pauls II. unterstreiche. Mit jener verhängnisvollen Entwicklung und ihren unerträglich gewordenen Auswüchsen hätten der intellektuell geleitete Dritte Stand und die Masse der Werktätigen jedoch 1789 Schluss gemacht und das Frankreich geschaffen, mit dem einzig der Franzose von 1996 sich identifizieren könne! Das Frankreich Chlodwigs und seiner Nachfolger habe mit dem heutigen nur im geographischen und chronologischen, niemals aber im ideologischen Sinne zu tun; es bleibe daher Aufgabe eines beschränkten Kreises – der Mittelalterhistoriker –, sich im Rahmen ihrer die breitere Öffentlichkeit nur selten erreichenden Möglichkeiten mit diesem Jubiläum zu beschäftigen! Dieser wütenden Absage an einen nationalen Ahnherrn Chlodwig folgten konservative Repliken und so war die Konversion des fränkischen Königs ein Thema geworden, das für kurze Zeit grundsätzliche Bedeutung erlangte, bis die versöhnliche Stimme des Präsidenten die Gegensätze zu entschärfen vermochte.
Der Mediävist, der sich mit der merowingischen Geschichte befasst, wird das Phänomen dieses Religionswechsels aus den Gegebenheiten jener Jahrhunderte, aus der gesellschaftlichen, politischen, rechtlichen und kulturellen Situation der Zeit und der davon geprägten Mentalität ihrer führenden Schichten zu erfassen und zu erklären suchen. Dabei wird man aber zu keinem glatten Ergebnis kommen, das sich ins allgemeine Verstehen unserer Gegenwart lückenlos übertragen ließe. Man wird berücksichtigen müssen, welche Konsequenzen das Bekenntnis Chlodwigs zum orthodoxen Christentum des 5. Jahrhunderts gehabt hat, zumal es sich ja nicht um den bloßen Wandel einer persönlichen Überzeugung handelte. Insofern hat die vom modernen Subjektivismus bestimmte Kritik der liberalen, dem Rationalismus huldigenden Franzosen Recht: Des Königs Entscheidung verpflichtete die anderen; freilich nicht in der Weise, wie es die vom frühneuzeitlichen Absolutismus in ihrer Herrscherauffassung bestimmten Demokraten des 20. Jahrhunderts behaupteten. Wäre dem fränkischen Reich des 6. Jahrhunderts das politische Schicksal anderer germanischer Reiche des Frühmittelalters bestimmt gewesen, hätte Chlodwigs religiöse Entscheidung historisches Interesse gefunden, wäre aber letztlich als ephemeres Geschehen nicht darüber hinaus wirkmächtig geworden. So aber gelangte das Reich der Merowinger nicht nur zur Vormachtstellung unter den Nachfolgestaaten des Imperiums, sondern es wies den Weg zu einem abendländischen Europa, dessen Kerngebiete und Herrschaftszentren nördlich der Alpen lagen und nicht mehr zum Mittelmeer hin orientiert waren!
Chlodwigs Entscheidung kam also aus heutiger Sicht eine Bedeutung zu, die nicht leicht zu überschätzen ist, selbst wenn man sich mit der Vorstellung „Männer machen Geschichte“ nur schwer anfreunden kann. Chlodwig dachte nicht daran, die Welt zu verändern und sie für alle Zukunft auf eine bestimmte Bahn zu bringen! Er dachte an seine politischen Möglichkeiten und deren konsequente Umsetzung, noch einfacher und barbarischer: an die Steigerung seiner persönlichen Macht und an die Hilfsmittel, die ihm dafür zur Verfügung standen. So konnte er sich Nachruhm erwerben, der über das gewöhnliche Sippengedenken hinausging, und einen neuen Mythos schaffen, der einzig mit seiner Person verbunden blieb – für alle Geschlechter, die danach kamen!
Wenn man das bedenkt, wird klar, dass es zu unterscheiden gilt zwischen der Tat des Augenblicks, entstanden aus dem Horizont des gegenwärtigen Wissens, und ihren geschichtlichen Implikationen. Diese führen oft zu einem späteren Verständnis des Geschehens, das die wirklichen historischen Bedingtheiten nicht mehr nachvollziehen kann oder will, weil sich jenes längst zu einem Mythos verdichtet hat, von dem unzählige Traditionen abhängen. Solche sind vielfach Bausteine des Selbstverständnisses ganzer Gruppen und nicht deswegen schon schlecht, weil sie von den Erkenntnissen seriöser Forschung abweichen.
Unter diesen Voraussetzungen muss man sich der conversio des merowingischen Königs von zwei Seiten nähern: zunächst vom historischen Ereignis her und seiner Einordnung in die zeitlichen Bedingungen. Dazu ist es notwendig, sich mit dem Geschehen, wie es uns erzählt wird, vertraut zu machen.
Gregor von Tours’ Bericht
Der Geschichtsschreiber Gregor von Tours (538–594) berichtet in seinen Historien (II 30): Chlodwig, König der salischen Franken, geriet in einen Krieg mit den Alamannen. Als es zur Schlacht kam, entstand ein blutiges Gemetzel, und die Franken wurden mehr und mehr von der Angriffswucht der Alamannen zurückgedrängt. In dieser Gefahr erinnerte sich der König an die Mahnungen seiner Frau Chrodhild. Sie hatte ihn schon lange gedrängt, von seinen Göttern abzulassen und sich zum einzig wahren, christlichen Gott zu bekennen. Er hatte das stets verächtlich von sich gewiesen, doch nun – die Niederlage vor Augen – erhob er die Augen zum Himmel und rief unter Tränen und mit zerknirschtem Herzen: „Jesus Christ, Chrodhild verkündet, du seiest der Sohn des lebendigen Gottes; Hilfe, sagt man, gebest du den Bedrängten, Sieg denen, die auf dich hoffen – ich flehe dich demütig an um deinen mächtigen Beistand. Gewährst du mir jetzt den Sieg über meine Feinde und erfahre ich so jene Macht, die das Volk, das deinem Namen sich weiht, an dir erprobt zu haben rühmt, so will ich an dich glauben und mich taufen lassen auf deinen Namen. Denn ich habe meine Götter angerufen, aber, wie ich erfahre, sind sie weit davon entfernt, mir zu helfen. Ich meine daher, ohnmächtig sind sie, da sie denen nicht helfen, die ihnen gehorchen. Dich nun rufe ich an und ich verlange, an dich zu glauben; nur entreiße mich aus der Hand meiner Widersacher!“ Kaum hatte er mit seinen Worten geendet, begann sich das Schlachtgeschehen umzukehren. Der König der Alamannen fiel, seine Leute gaben den Kampf auf und unterwarfen sich Chlodwig. Der König kehrte heim und erzählte seiner Gemahlin, auf welche Weise er den Sieg errungen hatte: durch die Anrufung Jesu Christi.
Gregor gestaltet hier eine Szene von großer Eindringlichkeit. Die Darstellung ist zunächst knapp, aber bewegt; sie lenkt bei Verzicht auf jedes Detail auf das wesentliche Ereignis hin. Dann wird der Bericht ungewöhnlich ausführlich. Der Geschichtsschreiber gibt den Monolog des Königs genau wieder und trachtet dennoch danach, möglichst bildhaft zu sein. Umtobt von der blutigen Schlacht wird Chlodwig herausgehoben aus dem Geschehen und taucht in der Hinwendung zu Gott in eine Aura des Alleinseins. Dadurch fällt alles Licht auf sein Tun, das eigentlich nur ein Rufen ist, aber dennoch die zukünftige Entwicklung schon sieghaft in sich trägt! Es liegt eine ungeheure Dramatik in diesem Geschehen am Wendepunkt des Kampfes, und nur diesem Augenblick wird mit literarischen Mitteln bildhaft Ausdruck verliehen. Nachdem die Verbindung mit Gott hergestellt, das Gelübde geleistet ist, kehrt der Bericht wieder auf die Ebene der Schlacht zurück und wird vom Erzähler mit knappen, eher summarischen Wendungen beendet.
Jeder, der diesen Text liest, wird zugeben müssen, dass Gregors Vorhaben geglückt ist. Die Darstellung des erschütterten barbarischen Königs auf seinem Schlachtross prägt sich ein und hat immer wieder zur bildlichen Gestaltung gereizt. Hat es sich aber wirklich so verhalten, hat sich Chlodwig wirklich von einem Augenblick zum anderen für das Christentum entschieden? Wenn man den fränkischen König im Rahmen von Zeit und Gesellschaft des 5. Jahrhunderts betrachtet, zeigt sich, dass die historiographische Darstellung zwar nicht falsch – ein Fantasieprodukt Gregors – ist, dass er aber ein weit verzweigtes, uns leider nur in geringem Maße bekanntes Geschehen samt seinen vielfältigen Wurzeln und Verflechtungen zu einem dramatischen Höhepunkt (mit Vor- und Nachspiel) verdichtet hat.
Chrodhilds Bekehrungsversuche
Das westliche Kaisertum hatte 476 zu bestehen aufgehört, der Westteil des Römischen Reichs war in germanische Herrschaftsgebilde aufgelöst worden. An deren Spitze standen Könige, die einem oberflächlichen Christentum arianischer Richtung anhingen und ihre Stammes- und Glaubensbrüder von der Masse ,römischer‘, katholischer Bevölkerung fern hielten. Der bedeutendste unter diesen Herrschern war der Ostgote Theoderich der Große, der eine Pax Gothica als Grundlage einer Friedensordnung anstrebte. Zu diesem Zweck schloss er Heiratsbündnisse mit anderen königlichen Geschlechtern und adoptierte fremde Könige. Ein wichtiges Bindeglied dieser Allianzen war der Arianismus, zu dem sich auch heidnische Herrscher bald im Sinne Theoderichs bekannten. Sie folgten damit jener theologischen Richtung innerhalb des Christentums, die auf den alexandrinischen Priester Arius (4. Jahrhundert) zurückging. Dieser hatte gelehrt, dass Gottvater und Gottsohn nicht wesensgleich wären und der Heilige Geist daher nicht von beiden ausginge. Diese Lehre stand in schroffem Gegensatz zum orthodoxen Katholizismus. Im Großen und Ganzen erwiesen sich die arianischen Könige der katholischen Bevölkerung gegenüber tolerant oder zumindest indifferent; nur vereinzelt gab es Bedrückungen, Verfolgungen waren selten.
Chlodwig, zunächst (481) nur ein fränkischer Kleinkönig unter anderen, erregte das Interesse Theoderichs erst, als er sich 486 im nördlichen Gallien durchgesetzt hatte und das Gebiet zwischen Atlantik, Loire und Ardennen beherrschte. Anfang der neunziger Jahre vermählte sich der Ostgote mit Audofled, einer Schwester des fränkischen Machthabers. Diese trat offensichtlich zum Arianismus über, wie auch Lanthild, eine weitere Schwester. Chlodwig sah sich auf diese Weise in die Allianz Theoderichs aufgenommen, was ihn zunächst im Inneren stärken mochte. Er befand sich nun in einem Spannungsfeld zwischen der eigenen mythischen Überlieferung, auf der seine Herrschaft über die salischen Franken mit all ihren Konsequenzen beruhte, zwischen einer arianischen Verwandt- und Schwägerschaft auf der Linie der anderen Könige, zu denen er sich erst durch seine kriegerischen Erfolge erhoben hatte, und der Masse katholischer Untertanen, die von ihren einflussreichen Bischöfen geleitet wurden. Zu diesen bestanden erträgliche Verhältnisse, ohne dass Chlodwig wohl die Neigung oder gar Notwendigkeit verspürte, ihrer religiösen Überzeugung zu folgen. Um im ostgotischen System der Könige seinen gebührenden Platz zu finden, musste der Franke nun ebenfalls ein Ehebündnis eingehen. Eine Ehe minderen Rechts hatte er schon geschlossen, und der daraus entsprossene Sohn Theuderich zeigte durch seinen Namen, an wem sich sein Vater politisch orientierte. Nun musste Chlodwig aber eine Königstochter aus dem Kreis der arianischen Könige wählen. Er entschied sich für Chrodhild, Tochter des bereits verstorbenen burgundischen Chilperich und Nichte des bedeutenden Königs Gundobad. Die Burgunder waren Arianer, Chrodhild aber bekannte sich zum Katholizismus!
Während spätere Geschichtsschreiber ihren Glaubenseifer schon während der Werbung des fränkischen Königs hervorheben und sie zuerst zögerte, einen Heiden zu ehelichen, obwohl sie unter ihrem königlichen Onkel (der angeblich ihre Eltern getötet hatte!) sehr litt, ist bei Gregor von Tours davon überhaupt keine Rede. Erst als Chrodhild ihren ersten Sohn gebiert, bricht der religiöse Konflikt zwischen den Eheleuten aus. Die Katholikin will ihn taufen lassen, Chlodwig ist dagegen. Gregor schaltet nun eine flammende Rede der Königin ein, in der sie die Götter ihres Gemahls für sinnlose Idole erklärt und ihm die wahre Größe des christlichen Gottes vor Augen stellt. Wenn Chrodhild voll Abscheu über Jupiter, Juno, Merkur und Mars spricht, so weiß man, dass hier nicht die Königin redet, sondern der engagierte Geschichtsschreiber, der auf spätantike aggressiv-apologetische Predigten zurückgreift, um seiner Schilderung Farbe, aber auch Inhalt zu verleihen. Chlodwig verehrte ganz andere Götter, die Chrodhild wohl bekannt waren, nicht aber dem Bischof von Tours achtzig Jahre später. Wie die Mehrzahl der gallorömischen Bildungsmenschen machte er sich nicht die Mühe, von der germanischen Mythologie auch nur oberflächlich Kenntnis zu nehmen.
Möglicherweise aber ,übersetzte‘ sich Gregor die Götternamen einfach ins Römische, wobei er von den gleichen Funktionen der mythischen Gestalten ausging. Wie auch immer: Chlodwig ließ die Taufe geschehen, nur um sich bestätigt zu finden, als der Erstgeborene noch in den Tauf kleidern starb! Die Königin trat die Flucht nach vorn an, indem sie den Tod des gerade getauften Kindes als ,Gnade‘ Gottes interpretierte. Man kann sich den Zorn des Königs und die schlechte Stellung Chrodhilds vorstellen, wenn man an die eminente Bedeutung eines Erben in der königlichen Familie denkt. Dennoch gestattete Chlodwig beim nächsten Sohn wieder die Taufe. Als auch dieses Kind erkrankte, wähnte sich der König in seiner religiösen Überzeugung abermals bestärkt; diesmal jedoch gesundete der Sohn – aufgrund der Gebete seiner Mutter, wie Gregor von Tours berichtet.
Obwohl der Knabe Chlodomer am Leben blieb, ist es sehr unwahrscheinlich, dass der König von der Kraft und Zuneigung des christlichen Gottes einen besonderen Eindruck hatte. Für ihn bestand kein Grund, den fränkischen Göttern, den Vorfahren und Garanten seiner Herrschaft, abzusagen.
Man weiß nicht so recht, wie man sich die Bekehrungsversuche der katholischen Burgunderin vorzustellen hat. Aus Gregors Bericht, der sicher auf eine Überlieferung zurückgeht, in deren Zentrum Chrodhild selbst stand (sie lebte nach Chlodwigs Tod 511 über dreißig Jahre in Tours!), erfährt man nur beispielhaft von der ehelichen Auseinandersetzung wegen der Kindertaufe. Die Nachschreiber des Bischofs von Tours sehen Chrodhild mit anderen Augen. Der so genannte Fredegar (um 660) rühmt ihre Listigkeit, mit der sie Gundobad die Zustimmung zur Ehe mit Chlodwig abgewann und die sie nun auch bei ihrem Gemahl in Glaubensfragen anwendete. Mit schönen Worten und Schmeicheleien trachtete sie ihn für das katholische Bekenntnis geneigt zu machen. Der Historiograph des 7. Jahrhunderts übernimmt die von Gregor berichteten Episoden, fügt aber die typische Art weiblicher Überredung summarisch hinzu; eine Leerformel, die besonders auffällt, weil Fredegar die Werbung um Chrodhild und ihre endliche Erringung durch Chlodwigs Gesandten in eine detaillierte Erzählung kleidet und damit weit über den nüchternen Gregor von Tours hinausgeht. Der unbekannte fränkische Verfasser eines nach 727 entstandenen Geschichtswerks, des Liber Historiae Francorum, schlägt in dieselbe Kerbe und rückt die ersten Versuche Chrodhilds, den König für das katholische Christentum zu begeistern, gleich in die Hochzeitsnacht. Bedeutsam ist, dass sie dabei den Glauben an den dreifaltigen Gott hervorhebt. Sie lässt ihren eben Angetrauten nicht im Unklaren, dass sie mit dem Arianismus, der dem heidnischen König durch seine Umgebung und die Familie der Könige als nächstliegende Form des Christentums erscheinen musste, nichts zu tun haben wollte! Fast ebenso wichtig ist der jungen Königin aber der ihr zustehende Hort, den ihr mörderischer Onkel Gundobad zurückbehalten hat! Diesen Schatz soll Chlodwig möglichst rasch, wenn nötig mit Gewalt, einfordern! Die Rache für den Tod ihrer Eltern hingegen will sie Gott überlassen!
Für das moderne Empfinden ist dieses Nebeneinander von materieller Gier und Missionseifer im Grunde absurd. Man kann annehmen, dass die Forderung nach Blutrache ebenso dazugehörte, doch der geistliche Verfasser hat diese Krassheit im frommen Sinne abgemildert. Doch darf man nicht den Fehler machen zu glauben, dass dieser hochzeitsnächtliche Forderungskatalog der Braut einem barbarischen König widersprüchlich, die Werbung für die katholische Religion sinnentleert erschienen wäre. Gerade Chlodwigs weitere Geschichte zeigt, wie gut sich barbarische Lebenssicht und christliche Religion vertrugen. Der Geschichtsschreiber des 8. Jahrhunderts gibt uns ein Bild der Königin, wie es die Volksüberlieferung zurechtgemacht hat und also der fränkischen Sichtweise durchaus entsprach. Dass die bereits von Gregor erzählte Geschichte von der Ermordung der Eltern Chrodhilds durch Gundobad sehr unwahrscheinlich ist, tut nichts zur Sache. Man wird also nicht an eine Blutrache Chrodhilds glauben, sehr wohl aber an eine listige, durchaus barbarisch empfindende Königin, deren Versuche, ihren Gemahl zum Christentum zu bekehren, sicher nicht so missionarisch und beziehungslos zu dessen Welt erfolgten, wie es uns vor allem Gregor von Tours weismacht.
Chlodwig im Konflikt zwischen Mythos und Katholizismus
Ausmaß und Wirkung der christlichen Bemühungen der burgundischen Prinzessin bleiben also letztlich offen. Dass es sie gegeben haben muss, beweist der Bericht über die Taufe der beiden erstgeborenen Söhne Chrodhilds, der nicht erfunden ist. Man hat vermutet, dass dieses Gewährenlassen ein gewisses Interesse des Königs für das Christentum voraussetzt. Unerklärlich bleibt vor allem das Zugeständnis Chlodwigs, als die Königin den zweiten Sohn taufen lassen will. Der Tod des ersten Sohnes hatte dem König ja scheinbar Recht gegeben. Was wäre wohl geschehen, wenn auch Chlodomer von seiner Erkrankung nicht mehr genesen wäre?! Hätte Chlodwig noch ein drittes Mal einer Taufe zugestimmt? Kaum. Hätte es schließlich das Gelöbnis in der Alamannenschlacht gegeben?
Die Bereitschaft Chlodwigs, eine Taufe seiner Söhne zuzulassen, bleibt unter den gegebenen Umständen der Überlieferung also unerklärlich. Wir haben nur den Bericht Gregors von Tours, der mit größter Wahrscheinlichkeit auf Chrodhild selbst zurückgeht. Sie erwähnt zwar das Widerstreben ihres Gemahls, doch nicht die Gründe, die ihn bewogen haben, einer solchen christlichen Kulthandlung immerhin zuzustimmen. Es ist nicht anzunehmen, dass Chlodwig sich über die Folgen der Taufe im Klaren war; dass die Aufnahme in die christliche Religionsgemeinschaft grundsätzlich jede andere religiöse Verpflichtung ausschloss. Der fränkische König wird den christlichen Gott als zusätzlichen Spender von Heil angesehen haben. Dazu mochte auch die prächtige Ausgestaltung des Kultgeschehens beitragen, die Chrodhild ins Werk setzen ließ. Eine solche Sicht Chlodwigs entspräche dem Gelübde in der Schlacht, wo der christliche Gott das Heil bringen sollte, das die eigenen Götter diesmal versagten! Wir wissen nicht genau, durch welchen kultischen Akt die neugeborenen heidnischen Frankenkinder in die Gemeinschaft von Sippe und Volk aufgenommen wurden und ob es einen solchen überhaupt gab. Gregor spricht von einer dedicatio, einer Weihe an die Götter, was aber wohl eine christliche Interpretation darstellt. Von germanischer Wasserweihe ist gelegentlich die Rede; wenn dergleichen bei den Franken gebräuchlich war, konnte Chlodwig die äußere Form der Taufe nicht allzu fremd erscheinen.
Der Name des Erstgeborenen, Ingomer – als Männername in der merowingischen Sippe sonst unbekannt –, deutet wohl kaum auf eine Verbindung zu einer erst später in die Königsfamilie einheiratenden Adelsgruppe, sondern auf eine besondere Hingabe an den Gott Ing-Freyr, was gleichsam eine heidnische Absicherung vor unheilvollen christlichen Einflüssen sein sollte. Der Tod des Kindes erzeugte wohl eine große Krise, nicht nur im Verhältnis des königlichen Ehepaares, sondern auch in Hinblick auf die Stellung Chlodwigs als König, der die mythisch-fränkische Tradition durch sein Nachgeben in Frage gestellt und in seinem Heer dadurch zumindest Unbehagen ausgelöst haben mochte. Die zweite Zustimmung erteilt Chlodwig mit einer resignativen Skepsis, mit der er durch die plötzliche Erkrankung Chlodomers Recht zu behalten scheint. Gerade diese Haltung des Königs zeigt, dass die ganze Geschichte post eventum gesehen wird, von Chrodhild lang nach dem Geschehen aus der Erinnerung mitgeteilt – aus einer frohen, selbstzufriedenen Erinnerung heraus, die die eigene Leistung und zähe Ausdauer ins rechte Licht zu rücken weiß. Die Königinwitwe brauchte sich nicht mit der Wiedergabe langer Streitgespräche aufzuhalten; die wird es aber seinerzeit zweifellos gegeben haben, denn es ist schwer, sich vorzustellen, dass Chlodwig nach der bösen Erfahrung mit Ingomer der Taufe Chlodomers ohne Weiteres zustimmte. Die Darstellung Gregors von Tours bedarf der Nacherzählung solcher Auseinandersetzungen jedenfalls nicht, weil sie stets vom Unglauben des überzeugten Heiden zum erlösenden Bekehrungserlebnis führt. Dabei nimmt die zweite Taufe ein Mittelposition ein, die uns einen zweifelnden, resignativen Heiden zeigt, dessen Abneigung gegen das Christentum und seinen dreieinigen Gott durch die Genesung des getauften Sohnes bereits etwas abgeschwächt erscheint.
Die formale Gestaltung des so wichtigen Geschehens basiert also wesentlich auf dem rückwärts gewandten Bericht, der von der geglückten Bekehrung und ihren Folgen her eine sukzessive Entwicklung bei der Verchristlichung Chlodwigs suggeriert. So wird die Wirklichkeit jedoch nicht ausgesehen haben. Der König hat gewiss in christlicher Umgebung seinen Horizont erweitert und an seiner Toleranz darf man nicht zweifeln. Doch erwuchs daraus offensichtlich kein Interesse für die Religion des Christengotts, in welcher Ausprägung auch immer. Dass ihm dieser sein Königsheil zusätzlich stärken könnte, mag er hingegen nicht für unmöglich gehalten haben. Seit der Taufe Ingomers musste er aber begreifen, dass jener Gott nicht heilsam war und die eigenen Götter in ihrer Wirkung beeinträchtigte. Man muss sich die Lage des Königs vorstellen: in der fränkischen Überlieferung mit ihren gesellschaftlichen Bedingungen wurzelnd, durch Sippentradition und auffällige Haartracht als Spross mythischer Ahnen ausgewiesen, Heer und Volk gegenüber gerade dadurch legitimiert, aber auch verantwortlich. Durch seine kriegerischen Erfolge in eine gallo-römische Welt gestellt, deren Strukturen er mit der ihm überlieferten und von ihm vertretenen Weltanschauung nicht mehr bewältigen konnte. Damit verwoben eine seinem Denken fremde Religion, die in mehreren Formen um ihn herum gelebt wurde und die der künftigen Politik Vorteile bieten könnte. Schon die Heirat mit der Burgunderin öffnete ihm diese christliche Welt und erweiterte so die Möglichkeiten, die eigene Macht durchzusetzen, aber noch lange nicht gegen andere abzugrenzen! Was Chlodwig als synkretistische Eventualität einer fernen Zukunft in Erwägung ziehen mochte, das wurde ihm nun im eigenen Hause kompromisslos aufgedrängt. Und dadurch mochten die Bekehrungsversuche Chrodhilds scheitern, denn dass sie sich um eine Konversion Chlodwigs bemühte, ist nicht zu bezweifeln.
Bischof Nicetius von Trier (525–567) schreibt um die Mitte der 560er-Jahre an die fränkische Prinzessin Chlodswinth, die den Langobardenkönig Alboin geheiratet hat, sie solle sich unablässig bemühen, diesen Arianer zum wahren christlichen Glauben zu bekehren, so wie ihre Großmutter Chrodhild ihren heidnischen Ehemann für das Christentum gewonnen habe. Dieser Brief, ungefähr zwei Generationen nach Chlodwigs Konversion geschrieben, ist ein unabhängiges Zeugnis für die Bemühungen Chrodhilds, den König zu bekehren. Freilich dürfte auch dieser Hinweis auf die Erzählungen der alten Königin in Tours zurückgehen, die Bischof Nicetius noch selbst gekannt haben wird. Gregor von Tours und der Bischof von Trier schöpfen so aus der gleichen Quelle, ersterer allerdings nur mittelbar (Gregor wurde 538 in Clermont geboren, Chrodhild starb 544 in Tours).
Vertreter der neueren Forschung haben nun eine Persönlichkeit eingeführt, welcher ein bedeutendes Verdienst an der Bekehrung Chlodwigs zukommen soll: die heilige Genovefa. Aus der 520 entstandenen Lebensbeschreibung dieser merkwürdigen, in ihrer gesellschaftlichen Stellung schwer einzuordnenden Frau wird eine umfassende Tätigkeit deutlich, die dem stagnierenden Christentum des nördlichen Gallien neue Impulse gab: die Erbauung einer Kirche über der Grabstätte des Märtyrers Dionysius sowie die Förderung des Martinskults in Tours. Dass Chlodwig diese Kulte übernahm und sich bei Genovefas Grab in Paris bestatten ließ, könnte auf eine Verbindung mit dieser hoch angesehenen Frau hinweisen. Eher noch denkt man an eine Unterstützung Chrodhilds bei ihrem Bekehrungswerk durch Genovefa, was freilich nicht so weit gehen darf, dass man eine Allianz dieser beiden – die man nicht beweisen kann – als entscheidend für des Königs Übertritt zum katholischen Christentum ansieht.
Die zeitliche Einordnung der Alamannenschlacht
Man wird festhalten können, dass der Merowinger um die Mitte der neunziger Jahre des 5. Jahrhunderts mit dem Christentum auf verschiedene Weise in Kontakt kam – am intensivsten fraglos durch seine Frau Chrodhild. Gregors Bericht über Chrodhilds Bekehrungsversuche dürfte im Kern zwar stimmen, doch erhalten sie aus literarischen Rücksichten eine Folgerichtigkeit, die so sicher nicht vorhanden war. Dem noch kaum schwankenden König, dessen ursprüngliche traditionelle Sicherheit vielleicht gemindert, aber keineswegs verloren gegangen war, musste im epischen Auf bau des erzählten Geschehens nun ein Erlebnis zuteil werden, wie es Paulus vor Damaskus gehabt hatte! Dafür eignete sich die Alamannenschlacht.
Die Forschung hat aus Ungereimtheiten bei Gregor, aber auch durch Hinweise aus anderen Quellen ermittelt, dass es unter Chlodwig offenbar mehrere Kämpfe zwischen Franken und Alamannen gegeben hat. Der Bischof von Tours ist so auf das Bekehrungswunder fixiert, dass er keinen Ort für das Aufeinandertreffen der beiden Heere nennt. Einige Handschriften seiner Historien enthalten die Nachricht, dass dies im 15. Jahr von Chlodwigs Herrschaft (496/497) geschah. Die angeblich so folgenreiche Schlacht wird allgemein nach dem Ort Zülpich (Tolbiacum), südwestlich von Köln, benannt. Doch hat es den Anschein, als würde es sich dort um ein Abwehrgefecht der rheinischen Franken gehandelt haben, wobei deren König Sigibert verletzt wurde. Die salischen Franken und Chlodwig wären in diesen Kampf gar nicht verwickelt gewesen. Ein Brief Theoderichs des Großen an seinen fränkischen Schwager aus dem Jahr 506 gratuliert diesem zu einem Sieg über die Alamannen, deren König gefallen sei. Aus dem Schreiben geht hervor, dass sich ein Teil des besiegten Volks Chlodwig unterworfen, ein anderer sich unter die Schutzherrschaft des Ostgotenkönigs begeben habe. Bei Fredegar steht, dass die Alamannen nach der ersten Niederlage gegen Chlodwig neun Jahre umhergeirrt wären, bevor sie wieder zu den Waffen griffen. Die Sicherheit der Angaben für das Jahr 506 haben manche Forscher bewogen, in diesem Kampf die eigentliche Alamannenschlacht Chlodwigs zu sehen, die seinen Glaubensübertritt zur Folge hatte. Dieser wäre dann etwa 508 erfolgt. Das heißt, sie übertragen das von Gregor geschilderte dramatische Ereignis auf die letzten Jahre des Königs.
Tatsächlich herrscht keine Einigkeit über das Alamannenproblem. Es soll und kann hier auch nicht gelöst werden. Dennoch bleibt zu bedenken, dass die Geburten Ingomers und Chlodomers mit guten Gründen auf die Jahre 494 und 495 zu datieren sind und Gregors Bericht nicht danach klingt, als ob zwischen den Taufen und der Schlacht gegen die Alamannen mehr als ein Jahrzehnt vergangen wäre. Ein Jahrzehnt, in dem sich Chrodhild nimmermüde um Chlodwigs Seelenheil bemühte, ohne dass man einen sichtbaren Erfolg feststellen könnte. Die mittlerweile geborenen Kinder Childebert, Chlothar und Chlodswinth wären dann aber auch nicht Gegenstand von Taufdiskussionen und erbaulichen Predigten gewesen, was eine totale Gleichgültigkeit oder Resignation des Königs voraussetzen würde. Und so gelangt man immer weiter in spekulative Bereiche. Chlodwig muss also doch an einer Schlacht gegen die Alamannen 496 oder 497 beteiligt gewesen sein. Ob es sich dabei um einen Kampf im Gefolge der rheinfränkischen Niederlage bei Zülpich handelte oder um eine spätere Auseinandersetzung, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Doch wäre es durchaus möglich, dass Chlodwig die nach ihrem Sieg über die Rheinfranken weiterstürmenden Alamannen erfolgreich zum Stehen brachte. Dazu könnte auch die Aussage Gregors passen, dass die Schlacht sich für die salischen Franken zunächst verhängnisvoll gestaltete, selbst wenn man die Tendenz des Geschichtsschreibers berücksichtigt. Chlodwig wäre dann seinem Verwandten Sigibert nur mit einem schnell zusammengerafften Aufgebot zu Hilfe gekommen, dass zahlenmäßig den Alamannen wohl unterlegen war, die noch dazu von ihrem Erfolg berauscht eine beachtliche Kampf kraft entwickelten.
Die Anrufung des Christengottes
Die Götter schienen also den rechtsrheinischen Angreifern den Sieg verleihen zu wollen. Sie hatten sich diesmal den Alamannen zugeneigt und Chlodwigs Ruf nicht erhört. Wankelmut und Unberechenbarkeit zeichneten alle Götter aus, besonders aber Wodan, der nicht selten frühere Lieblinge im Schlachtengewühl dem Untergang weihte. Ein Zeichen göttlicher Ohnmacht war das nicht! Doch konnte eine Niederlage des bisher so sieggewohnten Königs gefährliche Folgen haben: Absetzung oder Vertreibung waren möglich, dies hatte Chlodwigs Vater Childerich erfahren müssen; zumindest aber drohte ihm die Abkehr von Gefolgsleuten, die sich anderen Merowingern anschließen und damit die Dominanz des chlodwigschen Königtums erneut in Frage stellen konnten.
So ist es verständlich, dass der gefährdete König sich an den Gott wandte, der ihm wiederholt als allmächtig und gnädig, vor allem aber als äußerst verlässlich gepriesen worden war. Doch musste man diesem unbekannten Gott, der in keine Göttersippe einzureihen war und dessen ,Zuständigkeit‘ vielleicht gar nicht im Kriegswesen lag, ein Angebot machen. Auch das wird noch aus den Worten des Gelübdes, das uns Gregor überliefert, deutlich. Doch dann hören wir einen Chlodwig von bischöf lichen Gnaden sprechen, aus dessen Flehen nur vereinzelte Hinweise auf ein barbarisches Denken und eine barbarische Religiosität ableitbar sind. Schon die äußere Haltung des Königs wird verchristlicht. Dass er die Augen zum Himmel hebt, ist verständlich, dass er Tränen vergießt, entspricht durchaus barbarischer Heftigkeit bei seelischer Bewegtheit: Es sind Tränen der Wut, Tränen einer den Körper erschütternden Lebenssituation! Ablehnen muss man jedoch das „zerknirschte Herz“ (compunctus corde). Seelische Zerknirschung ist das Ergebnis christlichen Sündenbewusstseins und als solches dem heidnischen Barbaren (wie auch dem vorchristlichen antiken Menschen!) unverständlich. Gregor will damit die hartnäckige Weigerung Chlodwigs, sich dem Christentum zuzuwenden, kennzeichnen. Außerdem gehört die Zerknirschung in den Demutskomplex, den er als sprachlichen Topos hier anführt.
Nach dieser Einstimmung des Lesers auf den reuig-demütigen Chlodwig folgt die Erwähnung Chrodhilds, was dem kompositorischen Zusammenhang der Darstellung entspricht – verlässt doch Chlodwig seine Gemahlin, um in die Schlacht zu ziehen, nachdem noch einmal ihre Predigt an seiner Verstocktheit abgeprallt war. Chrodhild dient dem verzweifelten König hier gleichsam als Mittlerin zu dem unbekannten Gott, womit ihr Verdienst an der Bekehrung selbst im Moment der Schlacht angesprochen wird. Dem folgt ein Hinweis darauf, dass Chlodwig in Jesus Christus den Sohn des lebendigen Gottes sieht: also ein deutliches Bekenntnis zum orthodoxen Christentum. Der König lässt keinen Zweifel daran, dass er kein Arianer sein will! Hier spricht der Geschichtsschreiber Gregor von Tours und nicht Chlodwig, der für solche theologischen Unterscheidungen gar keine Zeit hat. Diese Tendenz, die Rechtgläubigkeit des Bekehrten zu betonen, hat der Hagiograph Ionas von Bobbio, der um 640 in der Lebensbeschreibung des heiligen Vedast die Schlachtszene ebenfalls schildert, noch ausgeweitet. In seiner Darstellung hält Chlodwig nicht nur eine umständliche und noch längere Rede, in der er sich dem christlichen Gott verschreibt, er spricht ihn auch geziemend an: „Gott einzigartiger Macht und Majestät!“ Aber auch Gregor lässt seinen König eine gewundene Rede halten, die in das Gelübde mündet, sich taufen zu lassen, wenn der christliche Gott ihm, Chlodwig, den Sieg verleihen sollte. Interessant ist in Gregors Text der Begriff virtus: die Kraft, die der König sichtbar erfahren möchte. Das Wort bedeutet im Sprachgebrauch des christlichen Lateins im thematischen Zusammenhang eine unirdische Kraft, die dem Heiligen gegeben ist, um Wunder zu bewirken; sie könnte im fränkischen Idiom dem Begriff kriegerischer Macht entsprechen. Gregor gibt sich aber erst zufrieden, als sein Held die Ohnmacht der eigenen, bisher so gepriesenen Götter eingesteht. Zuletzt folgt noch einmal die inständige Bitte um Hilfe, verbunden mit der Versicherung, nach der Befreiung aus der tödlichen Gefahr unbedingt glauben zu wollen.
Spätere Geschichtsschreiber haben Bild und Darstellung übernommen, nur einzelne Motive vergröbert und die Prädisposition Chlodwigs für das katholische Christentum verstärkt zum Ausdruck gebracht, hier oder da den Wortlaut der Anrufung Gottes verändert. Dabei hat Fredegar, dessen Bericht überraschend nüchtern gestaltet ist, mit seiner Wiedergabe nolens volens die Mentalität des barbarischen Königs weit besser verstanden als Gregor. Bei ihm ruft Chlodwig: „Ich rufe den Gott herbei, den die Königin Chrodhild verehrt; wenn er mir in diesem Kampf beisteht, sodass ich diese Gegner besiege, werde ich sein treuer Gefolgsmann sein!“ Der König argumentiert nicht, er legt nicht umständlich seine Gründe dar, er theologisiert nicht. Er tut das, was notwendig ist, und schließt dabei den Beistand seiner eigenen Götter nicht unbedingt aus – ein Detail, das Gregor von Tours und wohl schon Chrodhild sehr wichtig war. Gerade dieser Ausschließlichkeitsanspruch der christlichen Religion war aber Chlodwig sicher nicht bewusst, auch nicht im Augenblick der größten Not! Fredegar standen für seine Darstellung wohl schon mehrere Überlieferungen zur Verfügung, auch solche, die sich nicht auf Chrodhild zurückführen lassen. Es ist möglich, dass hier fragmentarische Berichte von Mitkämpfern oder die Überzeugung von Gefolgsleuten in die Erzählung eingeflossen sind; auch volkssprachliche Stilisierungen könnten verarbeitet worden sein. Dass Chlodwig die Worte gleich am Beginn der Schlacht spricht, nachdem er mit dem Versprechen, im Falle eines Sieges Christ zu werden, sich von seiner Gemahlin verabschiedet hat, verleiht dem Geschehen einen ganz anderen Charakter. Chlodwig geht nicht nur von der Vorstellung einer göttlichen Lenkung der Schlacht, sondern von einem Gottesurteil aus. Daher die Bitte gleich zu Anfang, als noch keine Niederlage droht. Daher auch die knappen und genau gewählten Worte, die magische Wirkung erzielen sollen. Der (vorher noch nie) angerufene Gott hat keinen Namen; er ist derjenige, den Chrodhild verehrt, und im Falle einer Erhörung wird sich Chlodwig in dessen Gefolge einreihen, wie es der kriegeraristokratischen religiösen Weltsicht entspricht. Unausgesprochen bleibt, dass er diese Gefolgschaft auch wieder kündigen kann, wenn er in späteren Kämpfen im Stich gelassen würde. Von einer Taufe ist hier keine Rede, und selbst wenn man diese als Aufnahmeritus in die Gefolgschaft des neuen Gottes in Kauf nähme, hat der barbarische Kriegerkönig keine Vorstellung von einem character indelebilis (unzerstörbares Merkmal), der ihn ein für allemal zeichnet. Wie sehr diese Auffassung dem historischen Chlodwig näher kommt als dem verchristlichten, den Gregor entworfen hat, wird auch bei der Taufvorbereitung zu erkennen sein.
Magisch ist die Wirkung des Gelübdes jedenfalls. Kaum hat Chlodwig es geleistet, stürzt der König der Alamannen tot zu Boden, die eben noch wuchtig vordringenden Krieger, die den Sieg vor Augen haben, geben den Kampf auf und unterwerfen sich dem fränkischen König! Dieser nimmt sich – nach Gregor – kaum Zeit, die Dinge auf dem Schlachtfeld zu ordnen; rasch eilt er heim, um Chrodhild die wunderbare Begebenheit mitzuteilen. Diese sieht sich am Ziel ihrer Wünsche und verständigt heimlich Bischof Remigius von Reims, damit er den König in die katholische Religion einführe und für die Taufe vorbereite.
Taufe und Abkehr vom germanischen Mythos
Gregor von Tours stellt die Taufe des Königs in engen Zusammenhang mit den Bemühungen seiner Frau und der Alamannenschlacht. Das Bindeglied stellt jeweils Chrodhild dar. Im letzten Abschnitt aber folgt der Historiograph wohl einer Reimser Tradition, die vielleicht durch seinen Ordinator und Amtsbruder Bischof Aegidius von Reims (556–590) vermittelt wurde. Danach erklärte sich Chlodwig grundsätzlich zur Taufe bereit, doch zögerte er im Hinblick auf seine Gefolgschaft, die ihm diese Abkehr von der mythischen Tradition der Franken verübeln und ihn verlassen, ja sein legitimes Königtum in Frage stellen könnte. Doch wunderbarerweise stimmten ihm seine Anhänger zu und erklärten sich ebenfalls freudig für den Gott, den Remigius verkündet. Nun erfolgte unter prachtvollen Zurüstungen der Taufakt, den der Reimser Bischof vornahm, wobei er die berühmten Worte gesprochen haben soll: „Beuge still deinen Nacken, Sigamber, verehre, was du verfolgtest, verfolge, was du verehrtest!“ Mit Chlodwig ließen sich dreitausend Heerleute taufen, ebenso wie seine Schwestern Albofled und Lanthild, die bereits Arianerin war.
Gregor schreibt Chlodwig eine wegweisende Rolle für das katholische Christentum in Richtung auf die arianischen und die noch unbekehrten germanischen Völker zu. Die demütige, ja gottergebene Haltung des Königs, seine fromme Passivität ist eine verengende, zweckorientierte Sicht des Geschehens. Fredegar hingegen zeigt wiederum schlaglichtartig, auf welche Weise Chlodwig das Christentum verstand. Als er – angetan mit den Taufgewändern – von der Passion Christi erfuhr, rief er aus: „Wenn ich mit meinen Franken dort gewesen wäre, hätte ich das Unrecht an ihm gerächt!“ Fredegar deutet das als Beweis einer besonders qualifizierten Christlichkeit, was der barbarischen Denkweise des 7. Jahrhunderts entstammen mochte und dem König und seiner Weltsicht wohl nahe kam.
Die Reimser Überlieferung, zumindest in der Umsetzung Gregors von Tours, bietet sicherlich nur in Ansätzen oder Einzelheiten ein Bild der geschichtlichen Realität. Das gilt für den zeitlichen Abstand zwischen Taufe und Chlodwigs Versprechen ebenso wie für das Problem von Gefolgschaft und Konversion. Mehr als ein Korrektiv zu den historiographischen Quellen sind zwei erhaltene Briefe des 6. Jahrhunderts. Der erste ist das schon erwähnte Schreiben des Bischofs Nicetius von Trier an Chlodwigs Enkelin Chlodswinth. Darin betont der Absender, dass Chlodwig sich nicht eher taufen lassen wollte, bis er die Wahrheit der katholischen Lehre erkannt hatte. Dies sei bei einem Besuch am Grabe des heiligen Martin erfolgt. Das bei Gregor nicht überlieferte Ereignis wird ins Jahr 498 datiert. Damals stieß Chlodwig tief ins westgotische Reich bis Bordeaux vor, auf dem Rückweg wird er das Heiligtum in Tours aufgesucht haben. Dies ist umso wahrscheinlicher, als Genovefa den Kult des heiligen Martin Chrodhild ans Herz gelegt haben dürfte. Dort könnte der König Wunderheilungen gesehen haben, was seinen Eifer für die Taufe erhöhte, weil er nun „die Wahrheit der katholischen Lehre“, wie sich Nicetius ausdrückt, recht handfest erfahren hatte.
Damit in Einklang zu bringen ist der (leider undatierte) Brief des Bischofs Avitus von Vienne (490–518) an Chlodwig selbst; er ist überhaupt das einzige erhaltene zeitgenössische Zeugnis, das den Übertritt des Königs zum Christentum behandelt! Darin wird Chlodwig als competens, als Tauf bewerber, bezeichnet und Weihnachten als Zeitpunkt der Zeremonie angeführt. Wer sich taufen lassen wollte, musste mehrere Monate im Stadium des Katechumenats (in einer Warteposition) verharren, sechs Wochen vor dem in Aussicht gestellten Tauftermin erhielt er die so genannte Kompetenz. Rechnet man von Weihnachten sechs Wochen zurück, kommt man auf den 11. November, den großen Gedenktag Martins. Das würde sehr gut zu Chlodwigs Aufenthalt in Tours passen und damit das ganze Geschehen, auch die Taufe selbst, ins Jahr 498 rücken! Wenn Chlodwig also offensichtlich von den Bischöfen keinen Königsweg für sich forderte, sondern die üblichen Etappen der Tauf bewerbung auf sich nahm, so lässt sich wenn nicht der Zeitpunkt so doch der Zeitraum ungefähr angeben, in dem er das Gelübde ablegte.
Vom November 498 kann man sicher über ein Jahr zurückrechnen, um zum Datum von Chlodwigs erstem Entschluss zu gelangen. Dazwischen scheint er einigermaßen mit der Realisierung des in der Not gegebenen Versprechens gezögert zu haben. Die als Anlass dafür angenommene Schlacht kann aber dem Kriegsbrauch der Zeit gemäß spätestens im September 497 stattgefunden haben. Von einer Schlacht gegen die Alamannen erwähnt jedoch Avitus in diesem Zusammenhang nichts! Auch die Verdienste Chrodhilds um die Bekehrung des Königs bleiben in seinem Schreiben außer Betracht, hingegen finden sich versteckte Hinweise auf arianische Propaganda am merowingischen Hof. Der Brief, der als Antwort auf eine Anzeige Chlodwigs geschrieben wurde, musste freilich Rücksicht auf die arianischen Herrscher Burgunds nehmen. So waren politische Kommentare tunlichst zu unterlassen und auch die Hervorhebung der katholischen Burgunderin und Königsnichte Chrodhild mochte den Hof Gundobads verstimmen. Daraus wiederum konnten dem katholischen Klerus des Burgunderreichs Schwierigkeiten erwachsen, wie einzelne Fälle vor allem bei den Westgoten zeigten. Ob das zur Erklärung ausreicht, warum weder Schlacht noch Königin im Zusammenhang mit Chlodwigs Taufe von Avitus erwähnt wurden, ist sehr ungewiss.
Jedenfalls scheint sich der König mit der Einlösung seines Gelübdes Zeit gelassen zu haben. Der Grund war zunächst die ungewisse Reaktion seiner Gefolgsleute, ja schließlich des ganzen fränkischen Heeres, soweit es sich nicht um die Reste römischer Truppen handelte, die er von der zusammenbrechenden Reichsverwaltung übernommen hatte. Als Heerkönig war Chlodwig Garant für die Einhaltung der gentilen Traditionen, auf denen weitgehend das Verhältnis zwischen freiem Franken, Adeligen und König basierte. Ein Aufgeben dieser Überlieferungen musste eine Unordnung hervorrufen, die für das Königtum schwer wiegende Folgen haben konnte. Was bei Gregor als Wunder der Zustimmung geschildert wird, kann nur nach längeren Vorbereitungen und Verhandlungen durchgesetzt worden sein – wohl auf einer der üblichen Heeresversammlungen (Märzfeld 498?) erklärte sich das Volk der Franken bereit, den Übertritt des Königs anzuerkennen. Die weitere Gefolgschaft (Gregor: dreitausend Mann) versprach ebenfalls die Taufe. Stellt man sich das Erreichen dieses Zieles als sehr schwierig und langwierig vor, dann wäre durchaus auch 496 als Datum der Alamannenschlacht plausibel.
Vielleicht noch schwieriger war die geforderte Abkehr vom germanischen Mythos, in den die Merowinger, wie alle Königsgeschlechter, verflochten waren und aus dem sie ganz wesentlich ihr Selbstverständnis ableiteten. Avitus gibt zu verstehen, dass ihm diese Schwierigkeiten bekannt sind. Er spricht sogar die mythische Abstammung Chlodwigs direkt an und lobt ihn dafür, sich von dieser abzukehren und künftig mit dem irdischen Adel zufrieden zu sein.
Auch die Gemeinschaft mit den heidnischen Vorfahren, die nach christlicher Lehre in einem zukünftigen Jenseits nicht mehr bestehen würde, war tief im barbarischen Denken verankert. Avitus übergeht dieses Problem, indem er Chlodwig als neuen Stammvater seiner Sippe stilisiert, der die Bedeutung seiner guten Vorfahren noch weit überträfe! All das bedingte einen längeren Reflexionsprozess, der es unmöglich machte, das in der Not des Kampfes gegebene Versprechen sogleich in die Tat umzusetzen. Dem König war wohl auch von seinen traditionellen und mentalen Voraussetzungen aus im Augenblick des Gelübdes weder bekannt noch bewusst, dass die Anrufung des Gottes, dessen Verehrung ihm Chrodhild immer wieder nahe legte, mit solchen radikalen Forderungen verbunden war. Chlodwig dachte, die Unterstützung eines neuen Gottes im Gedränge der Schlacht zu erringen, da seine Götter diesmal die Alamannen begünstigten, und diesen in sein Pantheon aufzunehmen. Da der neue Gott und seine irdischen Vertreter nun aber verlangten, die gesellschaftlichen und religiösen Grundlagen, auf denen sein Selbstverständnis ruhte, zu verändern und da sie seine bisher sichere Weltsicht erschütterten, wollte er einen übereilten Schritt vermeiden. Chlodwig musste erst mit sich ins Reine kommen sowie Gefolgsleute und Heer auf seine Seite bringen. Das bedeutete aber, sie von der Notwendigkeit des Religionsübertritts zu überzeugen und vielen nahe zu legen, ihm dabei zu folgen!
Chlodwig – ein machtpolitischer Stratege?
Politisch mochte seine Konversion als kluger Schachzug erscheinen, als Tat eines berechnenden Taktikers, der sich mit einem Zug der politischen Bevormundung durch seinen Schwager Theoderich entzog und zugleich die gallorömische Bevölkerung, vor allem aber die Bischöfe, auf sich verpflichtete. Über diese und deren Familien war es ein Leichtes, auf die Städte Galliens einzuwirken. Eine zukünftige fränkische Expansion konnte mit weit reichender Unterstützung rechnen und musste kaum innere Schwierigkeiten fürchten. Solche Überlegungen – wenn auch sicher nicht in der systematischen Klarheit – mögen Chlodwig günstig beeinflusst haben. Alle Bedenken aus dem Weg geräumt haben sie ihm sicher nicht; der fränkische König war kein weit blickender Realpolitiker des 19. oder 20. Jahrhunderts, sondern ein Mann, dessen Denken und Planen vielmehr an Rücksichten gebunden war. Und diese bezogen sich auf existenzielle Probleme, die in einem tieferen Bereich wurzelten als rationale Erwägungen.
Chlodwigs Entscheidung war ein persönlicher Kraftakt, der viele mitriss. Er eröffnete einen Weg, der erst zu gehen war: durch ihn, seine Nachkommen, sein Volk. Er war aber zugleich die Straße, die von der mediterranen Orientierung wegführte, wie sie Theoderich mit seinem Bündnissystem der germanischen Reiche auf römischem Boden immer noch vertrat. Obwohl der fränkische König den Anschluss an das romzentrierte katholische Christentum vollzog, bedeutete sein Entschluss letztlich eine Absage an das römische Imperium. Chlodwig hat das wohl kaum so empfunden; sein Denken beschränkte sich bestimmt auf den persönlichen Gewinn von Macht und Ansehen. Überlegungen über künftige Kulturräume waren seiner barbarischen Mentalität fremd. Doch war nach der Einigung Galliens die Richtung der fränkischen Expansion vorgezeichnet und diese führte nach Norden und Osten. Damit aber wurde die mittelmeerische Einheit aufgelöst und die Entstehung des Abendlands ermöglicht. Insofern war Chlodwigs Konversion tatsächlich eine Epoche unserer Geschichte, eine Epoche in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes: ein Einschnitt, ein Wendepunkt.