Читать книгу Über die Toten nur Gutes - Stephanie Carle - Страница 5
Kapitel 2 Kapitel 2
ОглавлениеMontag, 19. Oktober, 3.30 Uhr
„Scheiße Mann, weißt du überhaupt, wie spät es ist?“, Adrians Stimme klang durch das Telefon äußerst müde und gequält.
„Schaff deinen Arsch aus dem Bett, Glover, gib deiner Liebsten einen Kuss und werf dich in Schale. Ich bin in zehn Minuten bei dir“, sagte Marc und lenkte seinen Wagen auf die um diese Uhrzeit menschenleere Straße. Von Sonntag auf Montag war wahrscheinlich die einzige Nacht, in der die Stadt wirklich schlief. Entweder die Bewohner waren so müde vom durchfeierten Wochenendpartygetöse oder sie wollten für den beginnenden Arbeitsalltag ausgeschlafen sein. Marc konnte das nur Recht sein. Captain Harper hatte am Telefon alles andere als geduldig gewirkt. Ein Mord in der High Society von Shreveport war nicht gerade eine wünschenswerte Sache und keine gute Publicity, gerade jetzt, wo die Wahlen bevorstanden. Öffentliche Drohungen gegen Politiker waren da an der Tagesordnung, doch hier ging es um einen toten Politiker und das war ein himmelgroßer Unterschied.
„Nur weil du froh bist, Carlas Betttyrannei zu entkommen, heißt das nicht, dass jeder mitten in der Nacht abhauen will“, grummelte Adrian, klang aber deutlich wacher. „Ich meine, es gibt Menschen, die haben tolle Beziehungen, einen tollen Partner und wirklich tollen Sex…“
„Ja, ja, bla, bla. Wie gesagt, zehn Minuten für dich, Sexgott.“ Marc drückte den Anruf weg. „Telefonieren am Steuer führt zu grober Unaufmerksamkeit und dem erhöhten Risiko eines Unfalls“, so lautete die offizielle Begründung für das Zwanzig-Dollar-Knöllchen, das man sich einhandelte, wenn man dabei erwischt wurde. Eine Lappalie im Vergleich zu der Schimpftirade, die er sich von seiner Verlobten Carla anhören musste. Irgendwie hatte Marc das Gefühl, er liebte das Telefonieren während der Autofahrt gerade deshalb so sehr, weil Carla es verabscheute. Er liebte auch seine blondierten Rasta nur aus diesem einen Grund und wenn er ehrlich war, rasierte er sich auch nur deswegen jeden Morgen. Insgeheim fände er sich mit einem verwegenen Dreitagebart auch viel sexier.
Und seit sein bester Freund und Partner nun seit geraumer Zeit der Liebe seines Lebens begegnet war und die wunderhübsche Samantha mit dem unleugbar sexy Hintern bei ihm eingezogen war, verstärkten sich Marcs Zweifel nur noch. Nicht, dass er Adrian das Glück nicht gönnte, im Gegenteil; er und Samantha waren das glücklichste Paar, dem er je begegnet war und sie waren wie füreinander geschaffen. Nur jetzt, da er diesen glücklichen, strahlenden, zufriedenen, ausgeglichenen Adrian jeden Tag ertragen musste, führte ihm diese Tatsache immer mehr vor Augen, was seiner Beziehung zu Carla fehlte. Leider ein bisschen zu spät, Detective Williams!, beendete er seinen Gedankengang. Du musstest ihr ja einen Antrag machen.
Adrian verströmte den Duft von herbem Duschgel mit einer leicht sinnlichen Note, nach der bald der ganze Wagen roch. „Hätte ich gewusst, dass du in Parfum badest, hätte ich dir ein paar Minuten mehr Zeit gegeben, damit du besser unter die Dusche springen kannst“, beschwerte sich Marc und begrüßte innerlich die mittlerweile zur Gewohnheit gewordene schlechte Laune über seinen aufblühenden Partner. Das Schlimme war, dass Adrian genau wusste, wo der Schuh ihn drückte und ihm schon sein halbes Leben vorbetete, dass Carla nicht die Richtige für ihn war und er den Absprung schaffen sollte, solange es noch möglich war. Vielleicht hätte Marc einmal auf ihn hören sollen. Jetzt war es zu spät.
„Du bist ja mal wieder bestens gelaunt“, stellte Adrian fest und band sich die Schuhe, bevor er sich anschnallte. „Und was gibt es so dringendes, das uns mitten in der Nacht auf die Straße führt?“
„Toter Politiker“, sagte Marc kurz und wechselte die Spur.
„Aha. Hätte der nicht bis morgen warten können?“
„Sehr witzig.“
Adrian klappte die Sonnenblende herunter und durchwühlte seine Haare, während er in dem kleinen Spiegel prüfte, ob sie so zum Liegen kamen, wie er es wünschte.
„Bist du über Nacht zur Tussi geworden?“, fragte Marc.
Adrian grinste. „Sam steht auf wuschelige Haare“, erklärte er. Dann breitete sich sein Grinsen noch aus und mit einem schelmischen Gesichtsausdruck fügte er zu Marc blickend hinzu: „Und das andere, auf das sie sogar noch mehr steht, ist ganz und gar nicht Tussi-like.“
Marc verdrehte die Augen, sparte sich jedoch einen Kommentar.
„Wo fahren wir hin?“, erkundigte sich Adrian nach einigen Minuten Stille.
„Lakeshore Drive.“
Adrian fuhr herum und starrte Marc ungläubig an. „Was? Jetzt sag bitte nicht, dass der tote Politiker ‚Prince Charming‘ ist?“
„Woher kommt bloß dieser beschissene Spitzname?“, fragte Marc. „Der Kerl ist überhaupt nicht charming.“
„Und mit großer Sicherheit auch kein Prinz“, stimmte Adrian ihm zu. „Aber wenn er wirklich der Tote ist, dann wird meine Laune gleich genauso schlecht wie deine.“
„Ich hab’s befürchtet“, seufzte Adrian, als Marc den Wagen in der parkähnlichen Hoffeinfahrt der Politikervilla parkte. „Diese Journalisten sind echte Geier.“
Tatsächlich wimmelte es von Kameras, Mikrofonen und Menschen, die Kameras umhertrugen oder in Mikrofone sprachen. Direkt hinter Marc fuhr gerade ein mobiler Fernsehwagen eines sehr bekannten regionalen Senders an.
Marc nickte in Richtung Eingangstür, wo ein einzelner Officer alle Hände voll zu tun hatte, die neugierige Meute draußen zu halten. „Armer Kerl.“
„Hm. Na, komm schon, kämpfen wir uns zu dem Aas vor, bevor die da das Haus stürmen und nichts mehr von ihm übrig ist“, beschloss Adrian und Marc folgte ihm wortlos auf den Fersen.
Verschieden Varianten ein und derselben Frage stürmten in den unterschiedlichsten Stimmen auf sie ein, nachdem die Pressemeute sie als Ermittler erkannt hatte. Marc schob mit einem stets freundlichen „Kein Kommentar“ kunterbunte Mikrofone zur Seite, während Adrian etwas ruppiger die Journalisten auf Distanz zu halten versuchte und anstelle der zwei üblichen Worte böse Blicke austeilte. Beide Verhaltensweisen führten nicht zu dem erwünschten Ergebnis, denn Papparazzi waren nun mal anhänglich und informationsgeil. Jeder wollte der erste sein.
Schließlich gelang es ihnen aber doch, sich bis zur Haustür durchzukämpfen und der genervte junge Officer ließ sie passieren. „Da seid ihr ja endlich! AM, hier her!“ Das war Conrad Harper. Der Captain des Teams. Mitte fünfzig, zuweilen mürrisch und sehr ausfallend, wenn ‚Journalistenschweine‘ – sein Lieblingswort – in der Nähe waren. „Diese Journalistenschweine rauben mir noch den letzten Nerv. Wie kommt es, dass die immer so schnell Lunte riechen? Wer bestellt diese Aasgeier hierher?“
„Conrad!“, erklärte eine freundliche, aber bestimmte Stimme, die von der jungen Detective aus dem Hintergrund herrührte. „Officer Baker hat doch alles unter Kontrolle. Warne lieber Adrian und Marc vor, das hier drinnen ist wirklich kein schöner Anblick.“ Hope Cromworth sah so fit aus, als wäre es mitten am Tag und nicht mitten in der Nacht, doch ihre sonst so strahlend blauen Augen wirkten angespannt.
„Wieso? Was ist mit unserem Prince Charming?“, erkundigte sich Adrian.
Hope zuckte die Achseln und ihre langen, schwarzen Locken wippten dabei wie Sprungfedern. „Sagen wir es so, er ist nicht mehr ganz so ‚charming‘.“
„Hey, Black Blondie! Das da ist was für dich“, begrüßte Tom Bishop Marc wie immer mit einem neuen schmeichelnden Kosenamen.
„Wenn du darüber lachst, bring ich dich um“, drohte Marc seinem Partner, der die Mundwinkel schon wieder zu einem Grinsen verzogen hatte. „Weiß überhaupt jemand, wie du ohne deinen Schneeanzug aussiehst?“, wandte er sich dann an den Leiter der Spurensicherung und betrat dabei das gigantisch große Wohnzimmer des Politikerhauses.
„So lebt also die High Society“, murmelte Adrian hinter ihm, anscheinend ebenso perplex über diesen Prunk wie Marc.
Der Großteil der Möbel war antik und bestimmt sündhaft teuer. Ebenso wie die exklusiven Drinks in der überdimensionalen, von LED-Lämpchen in verschiedenen Farben beleuchteten Vitrine an der hinteren Wand. Links von Marc zog ein großer Flachfernseher die Aufmerksamkeit auf sich, mindestens 55 Zoll Bildschirmdiagonale, was Adrian ein anerkennendes Pfeifen entlockte. Die gesamte Breite des Wohnraums war verglast, jedoch hatte jemand die Rollos zugezogen, entweder um neugierige Journalisten draußen zu halten oder um zu verhindern, dass jemand ihm beim Morden zusah. Ein Punkt, der noch zu klären blieb.
In der Mitte lag ein toter Körper auf einem Perserteppich, wie Marc vermutete, der jedoch durch die blutige Rotfärbung einiges an Wert eingebüßt hatte. „Das sieht ja aus, wie in einem Schlachthaus“, stellte er fest. „Der Mörder hatte offensichtlich Spaß.“
„Sehe ich genauso“, meldete Tom sich wieder zu Wort. „Ein Schuss ins erste Knie, ein Schuss ins zweite Knie und schließlich einer in die Schulter. Netter Zeitvertreib. Politikerschießen.“
Marc kam näher, achtete dabei aber genau auf seine Schritte. Es war wirklich verdammt viel Blut. Zu Füßen der Leiche kam er zum Stehen und betrachtete das Blutbad, während er seinen Blick von unten nach oben über den toten Mann gleiten ließ. An seiner männlichsten Stelle jedoch hielt er inne und spürte, wie sich sein Magen umdrehte. „Schande… Wo ist…“ Er würgte und musste sich wegdrehen. Auch sein Partner war blass geworden.
„Das ist das Tolle an der Sache“, plapperte Tom aufgeregt weiter, als ob es reinste Routine war, einen halbzerstückelten Menschen zu finden. „Diesmal haben wir nämlich den elften Finger direkt am Tatort gefunden.“ Er lachte. Adrian zog geräuschvoll die Nase hoch, machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Zimmer. „Okay, der war schlecht“, gab der Spurensicherer zu.
„Der war unterste Schublade“, kommentierte Marc. Und vollkommen fehl am Platz. Zugegeben, Adrian hatte die schreckliche Mordserie in diesem Frühjahr, bei der er fast seine geliebte Samantha verloren hätte, mittlerweile recht gut verkraftet, doch keiner konnte erwarten, dass er jemals einen Scherz über abgetrennte Gliedmaße ertragen konnte. Und gerade bei diesem fehlenden Körperteil hier, war Marc alles andere als nach Lachen zumute. „Jemand hat unseren Prince Charming ganz schön gehasst.“
„Könnte man so sagen“, stimmte Harper ihm zu, der sich offensichtlich wieder beruhigt hatte.
„Wer hat ihn gefunden?“
„Seine Frau“, sagte Hope. „Sie ist im Schlafzimmer ein Stockwerk höher. Bertram ist bei ihr.“
„Ich würde mich auch gern mit ihr unterhalten“, sagte Marc. Harper nickte, ohne ihn dabei direkt anzusehen. „Da ist noch etwas, stimmt‘s?“
Harper wand sich; schließlich erklärte Hope: „Unser Märchenprinz hat einen Sohn. Er ist fünf. Er hat seinen Dad gefunden.“
„Fuck.“ Mehr fiel Marc dazu nicht ein.
„Nach Angabe der Mutter lief dröhnend laute Musik im Wohnzimmer und sie bat ihren Sohn, diese abzustellen“, fuhr Hope fort. „Die Nachbarn haben den Lärm bestätigt. Es sei jedoch nichts Ungewöhnliches gewesen. Prince Charming hat wohl öfter Party gemacht. Besonders wenn seine Frau nicht zu Hause war.“
„Dann ist sie unschuldig“, kommentierte Adrian, den Marc überhaupt nicht zurückkommen gehört hatte.
„Was?“, fragte Hope verwirrt.
Adrian zog Schultern und Brauen hoch. „Keine fürsorgliche Mutter würde ihrem Kind einen solchen Anblick zumuten. Demnach hat sie nichts davon gewusst, also ist sie wohl unschuldig.“
Seine Argumentation klang logisch. Mit einer Ausnahme. „Wer hat gesagt, dass sie eine ‚fürsorgliche‘ Mutter ist?“, fragte Marc.
„Ist das nicht jede Mutter?“, fragte Adrian zurück.
Marc seufzte. „Du hast eindeutig keine Ahnung von der Welt, verwöhntes Muttersöhnchen.“ Er scannte den Raum auf weitere Dinge, die eventuell von Bedeutung sein könnten, doch spontan sprang ihm nichts ins Auge. „Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte, bevor ich mir die Frau vorknöpfe?“, erkundigte er sich. „Gab es keine Security?“
„Doch“, mischte sich Tom wieder ein. Er war wie eine verfluchte Schmeißfliege, die man einfach nicht loswurde. „Zwei, um genau zu sein. Wir haben sie draußen im Gebüsch gefunden. Zweimal sauberer Kopfschuss. Ich würde sagen, unser Mann versteht etwas von Waffen. Und vom Schießen. Naja, entweder sie haben ihn überhaupt nicht bemerkt oder er war so verdammt schnell, dass sie gar keine Zeit hatten, ihre eigenen Waffen zu ziehen.“
„Oder sie kannten den Täter“, dachte Marc laut nach. „Ich würde sagen, wir sprechen jetzt gleich mit der Frau. Los, Glover, Abmarsch ins Schlafzimmer.“ Noch während er die Worte aussprach, erwartete er eine Antwort nach dem Motto ‚Wenn Sam das sagt, hört es sich tausendmal erotischer an‘, doch Adrian schien die ganze Sache zu stark mitzunehmen, als dass er noch zu Scherzen aufgelegt war.
„Hey Bertram“, grüßte Marc den ältesten Teamkollegen, der zwar selten Worte fand, aber in seinem Gesicht deutlich erkennen ließ, dass er froh war, abgelöst zu werden. Mit einer angedeuteten Geste an einen imaginären Hut erhob er sich, verabschiedete sich mit einem kurzen Satz von der in Tränen aufgelösten Frau, die auf dem Bett saß, und flüsterte im Vorbeigehen: „Mrs. Chesterway gehört euch, Jungs.“
„Unser aufrichtiges Beileid“, sagte Marc, während er die Reaktion der Frau genauestens beobachtete. Sie war jung, fast zu jung für ein fünfjähriges Kind, doch vielleicht täuschte auch nur die Menge an Schminke über ihr wahres Alter hinweg. Sie war perlenbehängt und ihr pfefferminzfarbenes Kleid umspielte die üppigen Kurven ihres Körpers wie ein Windhauch. Ihre rotgefärbten Haare hatte sie in einer kunstvollen Frisur nach oben gesteckt und die Diamanten an ihren Ohren kosteten wohl mehr als Marc in seinem ganzen Leben als Detective verdienen würde. Sie war durchaus eine Frau, die ein Mann wie Prince Charming vorzeigen konnte.
Mrs. Chesterway zeigte ein angedeutetes Nicken.
„Dürfen wir uns setzen?“, fragte Marc.
Wieder ein Nicken.
„Mrs. Chesterway, wir würden Ihnen gern ein paar Fragen stellen“, fuhr er dann fort und diesmal kam ihr Nicken zögerlicher.
„Wer tut so etwas Grauenvolles?“, fragte sie in den Raum hinein und klang dabei ehrlich erschüttert. Das war das Problem bei guten Schauspielern, man merkte nicht, dass sie spielten. Und in den Kreisen, in denen die Chesterways verkehrten, war es durchaus überlebenswichtig, gewisse Schauspielerqualitäten zu besitzen.
„Das wollen wir herausfinden“, sagte Adrian mit sanfter Stimme und suchte den Augenkontakt der jungen Frau. „Würden Sie uns dabei helfen?“
„Ja“, erklärte sie mit erstickter Stimme, kramte ungeschickt ein Taschentuch aus der vor ihr liegenden Verpackung und putzte sich mit zitternden Händen die Nase. „Ich habe Ihrem Kollegen eigentlich schon alles erzählt, was ich weiß…“
„Erzählen Sie es uns einfach noch einmal“, ermutigte Marc sie zum Weitersprechen.
Mrs. Chesterway holte tief Luft. „Ich fahre jeden Sonntag mit Christopher zu meiner Mom. Sie wohnt drüben, in Minden. Percy kommt nicht mit. Die beiden… verstehen sich nicht sonderlich gut.“
Marc und Adrian tauschten vielsagende Blicke aus.
Die junge Witwe putzte sich ein weiteres Mal die Nase, bevor sie weitersprach. „Normalerweise bleiben wir über Nacht, weil Christopher seine Grandma über alles liebt. Nur gestern Abend bat Percy mich, nicht bis morgen wegzubleiben, weil er seinen ultrawichtigen Fernsehtermin hat und da sollte ich dabei sein. Deshalb bin ich mit Christopher zurückgefahren.“ Ihre Worte wurden unter Schluchzen und Tränen undeutlicher und weil sie das selbst zu merken schien, hielt sie inne und versuchte sich zu sammeln.
„Mrs. Chesterway“, begann Marc langsam. „Als Sie nach Hause kamen, ist Ihnen irgendetwas verdächtig vorgekommen? War etwas anders als sonst?“
Sie überlegte kurz. Dann sagte sie: „Die beiden Bodyguards meines Mannes standen nicht vor der Tür, wie das normalerweise nachts üblich ist. Aber ich habe mir darüber keine Gedanken gemacht, denn ich hörte ja die laute Musik aus dem Wohnzimmer. Percy hört oft Musik, wenn er nicht schlafen kann, und ich wusste, wie nervös er vor dem Interview morgen war.“
„Worum sollte es denn in dem Interview gehen?“, hakte Adrian nach, um die Frau am Sprechen zu halten.
„Um Politik“, lachte sie bitter. „Der Wahlkampf. Sie wissen schon, dass demnächst die Wahlen anstehen?“
Marc nickte. „Ist es richtig, dass Ihr Sohn die Leiche seines Vaters gefunden hat?“
„Ja“, sie brach wieder in Tränen aus. „Ich habe ihn geschickt, die Musik leiser zu machen. Mein Gott, ich konnte doch nicht ahnen…! Und dann hat er geschrien und ich bin zu ihm gerannt und… Oh Gott, oh Gott…“ Sie brach ab.
Mit einem angedeuteten Kopfschütteln bedeutete Adrian Marc, dass es keinen Sinn machte, in dieser Richtung weiter zu forschen. Die Frau schien wirklich am Ende zu sein und keiner hatte etwas davon, wenn sie völlig zusammenbrach. Ganz besonders nicht der kleine Christopher, der sie jetzt wahrscheinlich dringender als je zuvor brauchte. „Nur noch eine Sache, Mrs. Chesterway“, sagte Marc. „Politiker haben viele Gegner, viele Neider, viele Feinde… Gibt es irgendjemanden, der Ihrem Mann tatsächlich schaden wollte?“
Die Angesprochene dachte offensichtlich über die Frage nach. Schließlich schüttelte sie den Kopf. „Gegner sind die Demokraten, Neider die Möchtegernpolitiker, die keine Wahl gewinnen; aber richtige Feinde… Leute, die ihn töten wollen… Nein – nein.“ Das klang entschieden.
„Danke, Mrs. Chesterway“, beendete Adrian das Gespräch. „Ich schlage vor, Sie nehmen Ihren Sohn, wir rufen Ihnen ein Taxi und Sie fahren zu Ihrer Mutter nach Minden. Wenn Sie Officer Thai“, er zeigte zur Tür, vor der der genannte Polizist postiert war, „die Adresse geben, unter der wir Sie bitte jederzeit erreichen können, halte ich es für das Beste für Sie und Ihren Sohn, wenn Sie nicht alleine sind, bis Sie die Sache verarbeitet haben.“
Sie nickte dankend. „Wir melden uns bei Ihnen“, versprach Marc, bevor sie das Schlafzimmer verlassen hatte. „Was denkst du?“, wandte er sich an seinen Partner, als die Tür hinter ihr wieder ins Schloss gefallen war.
„Puh, für mich hörte sich das ehrlich an“, begann dieser nachdenklich. „Ich würde mich gerne noch mit dem Sohn unterhalten, aber Hope sagt, Grace und Dr. Parker sind bei ihm und die Hexe wird uns sicher nicht jetzt schon zu ihm lassen.“
Marc grinste. Adrian hatte also seinen Humor nicht vollkommen verloren. „Das verrate ich Sam, dass du ihre beste Freundin als ‚Hexe‘ bezeichnest“, drohte er scherzhaft.
„Dann sage ich Carla, dass du sie mit Lynne betrügst.“
„Bitte was?“, fragte Marc, der glaubte, sich verhört zu haben. „Ich betrüge Carla mit überhaupt niemandem!“
„Na und“, sagte Adrian leichthin. „Wenn sie es glaubt, bist du sie wenigstens los.“