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Industriekapitalismus

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Die Ursprünge von Russlands industrieller Entwicklung reichen ins 18. Jahrhundert zurück, als die im Staatsbesitz befindlichen Minen und Metallfabriken des Urals weltweit führend gewesen waren. Aber es war die Einsicht, dass Russland im Vergleich mit dem internationalen System zurückfiel, die den Staat motivierte, ein Programm forcierter Industrialisierung ins Leben zu rufen.84 Iwan Wischnegradski, Finanzminister von 1887 bis 1892, förderte den Eisenbahnbau, um den einheimischen Bergbau sowie die Eisen- und Stahlindustrie anzukurbeln; er stabilisierte den Rubel und verstärkte die Getreideexporte, damit die Regierung sich auf den internationalen Finanzmärkten Kredite beschaffen konnte. Ferner belegte er Kohle und Öl mit hohen Einfuhrzöllen, um die junge russische Industrie zu schützen. Erst sein Nachfolger Sergej Witte (Finanzminister von 1892 bis 1903) rief ein ehrgeiziges Programm für eine staatlich gestützte Industrialisierung ins Leben. Zwischen 1890 und 1901 wuchs das Schienennetz von 30.600 auf 56.500 Kilometer, wobei die bemerkenswerteste Errungenschaft die Transsibirische Eisenbahn (Transsib) war, die natürlich erstrangige strategische Bedeutung hatte, während sie vor 1914 kaum wirtschaftlichen Gewinn abwarf. Der Eisenbahnbau wiederum stimulierte die Bergbau- und metallverarbeitende Industrie im Donezbecken, einer Region besonderen Interesses für ausländische Kapitalinvestitionen.

Das 1894 geschlossene Bündnis mit Frankreich beschleunigte französische (und belgische) Privatinvestitionen, die hauptsächlich dem Bergbau, der metallverarbeitenden Industrie und dem Maschinenbau zugutekamen, aber auch das Bank-, Versicherungs- und Handelswesen prosperieren ließen. Britische Privatinvestitionen waren von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der jungen Ölindustrie in Baku, Batumi und Grosny sowie für die Ausbeutung von Goldminen. Auch deutsche Investitionen waren wichtig, ungeachtet der Tatsache, dass Deutschland die strategischen Interessen des russischen Reichs bedrohte. 1897 übernahm Russland, wie vor ihm schon andere Länder, den Goldstandard, weil die Regierung annahm, es könnte ihr und privaten Kreditnehmern die Aufnahme von Anleihen auf den Kapitalmärkten erleichtern. 1913 machte ausländisches Kapital etwa 41 Prozent der in Industrie und Bankwesen getätigten Gesamtinvestitionen aus. Eine mögliche Sorgenquelle war das Ausmaß des Handelsvolumens mit Deutschland, das sich per Valuta auf etwa 40 Prozent des gesamten Außenhandels belief.85 Die staatlich geförderte Industrialisierung wurde finanziell durch den Getreideexport abgesichert, wobei der Wert der Außenhandelsumsätze zwischen den 1860er Jahren und 1909–1913 um das Achtfache stieg.

Jedoch sollte man bei der zweifellos wichtigen Rolle des Staats nicht vergessen, dass die russische Industrie über einen robusten Privatsektor verfügte. Die Industrieproduktion wurde von Konsumgütern beherrscht, wobei Textilien und Lebensmittel 1914 etwa die Hälfte des Bruttoausstoßes ausmachten. Die in den 1890er Jahren noch beachtenswerten Wachstumsraten gingen von 1900 bis 1908 ständig zurück. Danach gab das Rüstungsprogramm dem Industriewachstum einen neuen Schub: Der Gesamtausstoß wuchs zwischen 1909 und 1913 pro Jahr um fünf Prozent, während es zwischen 1885 und 1913 insgesamt im Durchschnitt 3,4 Prozent gewesen waren.86 1913 belegte Russland in der Tabelle der Industrienationen den fünften Rang (hinter den USA, Deutschland, Großbritannien und Frankreich) – ein beachtlicher Erfolg. Doch gemessen am Pro-Kopf-Ausstoß lag Russland näher an Bulgarien und Rumänien, in den USA war der Ausstoß sechsmal größer. Zudem blieb Russland im Wesentlichen Exporteur von Lebensmitteln, während es vorwiegend Fertig- und Halbfertigprodukte einführen musste.

Die Verbindung zwischen Industrialisierung und Urbanisierung war nicht so eng wie in anderen Ländern, weil insbesondere die Textilunternehmer wegen billiger Arbeitskräfte ihre Fabriken aufs Land verlagerten. Dennoch waren Industrie und vor allem Handel ein entscheidender Faktor für das schnelle Wachstum der russischen Städte: Zwischen 1897 und 1917 verdoppelte sich die Stadtbevölkerung auf 25,8 Millionen (immer noch nicht ganz ein Fünftel der Gesamtbevölkerung). 1913 gab es 100 Städte mit über 50.000 und mehr als 20 mit über 100.000 Einwohnern.87 1914 war St. Petersburg mit 2,2 Millionen Einwohnern die achtgrößte Stadt der Welt, während Moskau 1,6 Millionen Einwohner hatte. Neuerdings haben Historiker das von Anton Tschechow inspirierte Bild der Provinzstädte als kultureller Wüsten, aus denen die Gebildeten unbedingt fliehen wollten, in Frage gestellt. Viele Provinzhauptstädte konnten sich einer Schicht von Gebildeten rühmen, die mit einigem Stolz Naturgeschichte und Ethnographie ihrer Region aufzeichneten sowie Schulen, Museen, Bibliotheken und Theater errichteten und die lokale Presse entwickelten.88

Der zahlenmäßige Anstieg der Stadtbevölkerung war vorwiegend auf die Zuwanderung vom Lande zurückzuführen, wobei diese häufig saisonalen Charakter besaß, denn zur Erntezeit kehrten die Bauern aufs Land zurück. Im Jahr 1900 waren 69 Prozent der Bevölkerung von St. Petersburg nicht in der Stadt geboren. Das schnelle Wachstum der Stadtbevölkerung hatte verabscheuungswürdige Wohn- und Lebensbedingungen zur Folge: Im Durchschnitt bewohnten 3,2 Personen eine Einzimmerwohnung und 3,4 Personen mussten in Kellerräumen hausen – doppelt so viele wie in Berlin, Wien oder Paris.89 St. Petersburg genoss den zweifelhaften Ruf, die in sanitärer Hinsicht unsauberste Hauptstadt Europas zu sein: 1910 starben über 100.000 Menschen an der Cholera, und 1920 besaßen 42 Prozent der Wohnungen keine Anschlüsse für Trinkwasser und Brauchwasser.90 Das schnelle Wachstum nahm die Stadtverwaltungen in die Pflicht; sie mussten für Wasseranschlüsse, Straßenbeleuchtung, Transportmöglichkeiten, Schulen und Krankenhäuser sorgen, doch war die Qualität dieser Dienstleistungen oft erbärmlich. Das lag am mangelhaften Steueraufkommen, aber auch an der oftmals beachtlichen Inkompetenz der städtischen Behörden. Moskau bildete da eine Ausnahme: Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte die Stadtduma für die Installation von 20 Kilometern Straßen mit elektrischer Beleuchtung, einer funktionierenden Kanalisation, einem Straßenbahnnetz und einem kostenlosen Gesundheitssystem gesorgt. Die Armen mit grundlegenden medizinischen und anderen sozialen Dienstleistungen zu versorgen, blieb zumeist karitativen Organisationen überlassen.

Mit dem wirtschaftlichen Fortschritt bildete sich nach Region und Industriesektor differenziert eine Klasse von Industriellen und Finanziers heraus, deren Unterschiedlichkeit Auswirkungen auf ihre Stellung und Einstellung zur Autokratie hatte. Obwohl manche Kapitalisten aus dem traditionellen Kaufmannsstand (kupetschestwo) und, in geringerem Umfang, dem Stadtbürgertum (meschtschane) hervorgingen, betrieb, wer die vom Wirtschaftswachstum gebotenen Möglichkeiten nutzte, Handel. Die Textilfabrikanten in der Moskauer Industrieregion bildeten den einflussreichsten Sektor der einheimischen Kapitalisten; sie waren in der Führung ihrer Betriebe eher konservativ und paternalistisch. Viele entstammten einer Familie von Altgläubigen. Anders als die Eisen- und Stahlfabrikanten waren sie nicht von staatlichen Aufträgen abhängig und unterstützten nach 1905 die Forderung nach politischen Reformen, gründeten sogar eine recht lautstarke „Fortschrittspartei“ (Progressiwnaja partija).91 Im Gegensatz dazu waren die Textilfabrikanten in der Region von Lódź, das auch das polnische Manchester genannt wurde, überwiegend Deutsche, die einer autokratischen Form industriell-staatlicher Beziehungen anhingen.

Die entscheidenden Sektoren der Schwerindustrie und des Transportwesens hingen von staatlichen Aufträgen, Subventionen und Vorzugszöllen ab, weshalb die Unternehmer, die oftmals Ausländer waren, hier kaum mehr taten als sich über bürokratische Kontrollen zu beschweren. In St. Petersburg waren die Besitzer der Fabriken für Metallverarbeitung und Maschinenbau zusammen mit den Großbankiers recht gut organisiert, jedoch vor allem um ihren Einfluss auf Regierungskreise bemüht, statt politische Reformen oder die Modernisierung der industriellen Produktionsverhältnisse zu unterstützen. Im Donezbecken waren die Minen und Eisengießereien häufig im Besitz von Ausländern – der Waliser John Hughes gründete die Eisenwerke, um die herum später die Stadt Donezk entstand –, und so blieb es an den Ingenieuren als Managern, die selbst ethnisch uneinheitlich waren, moderate Reformen durchzuführen, wobei es hauptsächlich darum ging, den häufigen Wechsel von Arbeitskräften zu minimieren. Im Allgemeinen waren die Industriellen von Südrussland (wie sie sich selbst nannten) damit zufrieden, Verhältnisse zu tolerieren, die bestenfalls paternalistisch und schlimmstenfalls mehr als raubeinig waren. Für politische Reformen waren sie nicht zu haben.92

Die Regierungspolitik begünstigte Handel und Industrie.93 Steuern für städtische Gebäude, geschäftliche Lizenzen, unternehmerisches Kapitalvermögen und Gewinne, Einkünfte aus Aktien, Bankkonten und Erbschaften waren eher niedrig, und eine Einkommenssteuer wurde erst 1916 eingeführt. Dennoch wäre die Behauptung falsch, dass die Regierung immer nur die Interessen des Industriekapitals berücksichtigt hätte. So setzten z.B. viele Staatsbeamte Privatunternehmen mit persönlicher Bereicherung und Ausbeutung des „Volkes“ gleich. Diese Gruppe war vor allem im Innenministerium stark vertreten und drängte im Hinblick auf soziale Stabilität die Unternehmer, für ihre Beschäftigten eine Politik der „Vormundschaft“ auszuüben. Demgegenüber empfahl das Finanzministerium eine modernere Auffassung der Produktionsbedingungen, wozu auch ein gewisses Maß an Arbeitsschutzgesetzen gehörte. Um deren Wirksamkeit zu überprüfen, wurde bereits 1882 eine Behörde für Fabrikaufsicht eingerichtet. Da aber die Autokratie im Konfliktfall stets auf Seiten der Arbeitgeber stand, war deren Macht durch Gesetze nur unerheblich eingeschränkt.

Die Arbeitsbedingungen waren äußerst schlecht. Sergej Witte zufolge war der „mit den frugalen Gewohnheiten des Landlebens großgewordene“ Arbeiter „viel leichter zufriedenzustellen“ als sein Kollege im Westen, sodass „niedrige Löhne dem russischen Unternehmen als Glücksfall beschert wurden“.94 Üblich war ein Arbeitstag von 10 bis 11 Stunden. Bisweilen schliefen die Arbeiter neben ihren Maschinen oder in verdreckten Schlafsälen. Arbeitsunfälle gab es am laufenden Band, doch waren die Arbeiter nicht sozialversichert und hatten Glück, wenn sie im Fall einer Verletzung ein paar Rubel Entschädigung erhielten. Die zwei wichtigsten Gesetze zur Fabrikarbeit wurden 1885 und 1897 erlassen; das erstere verbot die Nachtarbeit für Frauen und Kinder, das letztere begrenzte den Arbeitstag auf elfeinhalb Stunden. Allerdings blieben kleinere Betriebe von der Gesetzgebung ausgenommen, obwohl sie wahrscheinlich die Mehrheit der Arbeiterschaft und darunter sicherlich die meisten Frauen beschäftigten. Streiks und Gewerkschaften waren natürlich verboten. Immerhin gab es einige Arbeitgeber, vor allem unter den Textilfabrikanten der Moskauer Industrieregion, die die Lage ihrer Beschäftigten zu verbessern suchten. 1900 gewann die Moskauer Trechgornaja-Mühle auf der Pariser Weltausstellung eine Goldmedaille für „hygienische Bedingungen und die Fürsorge für den Alltag der Arbeiter“. Die Mühle gehörte der Kaufmannsdynastie der Prochorows. Nach dem Oktober 1917 blieb Iwan N. Prochorow als Berater für den mittlerweile verstaatlichten Betrieb bei der Arbeit.95

Industrialisierung und Urbanisierung erschütterten das System der Ständegesellschaft, mittels derer der Staat durch die Geschichte hindurch versucht hatte, die Gesellschaft durch Schaffung unterschiedlicher verwaltungsrechtlicher Kategorien, deren jede mit unterschiedlichen Privilegien und Verpflichtungen versehen war, zu verwalten. Insbesondere sollten dadurch die Armee mit Rekruten und der Staat mit Steuern versorgt werden. Historisch gesehen betraf der wichtigste Unterschied einerseits all jene, die die – 1880 abgeschaffte – Kopfsteuer zahlen mussten, und andererseits diejenigen, die davon befreit waren. Ob man zum Adel oder Klerus, zum Kaufmannsstand, zum Stadtbürgertum oder zur Bauernschaft gehörte, immer bestimmte der jeweilige Status, welche Steuern man zahlte. Nach dem Bauernstand war der nächstgrößte der der Stadtbürger (meschtschane), der Handwerker, kleine Händler und Hausbesitzer umfasste. 1897 gehörten diesem Stand 13,4 Millionen Personen an.96

Die von Alexander II. durchgeführten Reformen hatten auf eine allmähliche Eliminierung der Standeskategorien gezielt, doch unter seinen Nachfolgern setzte die Regierung darauf, das System zu bewahren, um die soziale Kontrolle zu verschärfen. Die Bauern mussten auch weiterhin Pässe haben, um ihren Heimatort zu verlassen, für Bauern und Adlige wurden getrennte Agrarbanken eingerichtet, die Wahlen zu den Semstwos begünstigten den Adel, der auch weiterhin privilegierten Zugang zu hohen Beamtenstellen oder Militärgraden besaß. Allerdings verschloss sich das System nicht vollständig wirtschaftlichem und sozialem Wandel.97 Bauern stellten Anträge auf Stadtbürgerschaft, Stadtbürger wollten Kaufleute werden (1917 betrug ihre Zahl 600.000), und reiche Kaufleute aspirierten auf den Adel. Dennoch behielten die Kaufmanns- und besonders die Stadtbürgerstände einen korporativen und patriarchalen Charakter, der immer weniger zu sozialen und kulturellen Wandlungsprozessen passte. Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts waren die lokalen Vorstände, die die Angelegenheiten des jeweiligen Standes regelten, beständig knapp bei Kasse, weil sie vorwiegend damit beschäftigt waren, ihren notleidenden Mitgliedern finanziell auszuhelfen, statt staatliche Aufgaben wahrzunehmen.98

Industrialisierung und Urbanisierung schufen eine Arbeiterklasse, die nicht in das traditionelle Ständesystem passte (die meisten Arbeiter wurden weiterhin offiziell dem Bauernstand zugerechnet). 1900 waren in Fabriken, im Berg- und Eisenbahnbau und auf Dampfschiffen 2,81 Millionen Arbeiter beschäftigt. Nimmt man Bauarbeiter, Handwerker, Hilfsarbeiter sowie Lohnarbeiter in der Forst- und Landwirtschaft hinzu, kommt man auf 14 Millionen.99 Die Zahl der im Bergbau und in Fabriken beschäftigten Arbeiter wuchs bis 1917 auf etwa 3,6 Millionen an, während die Lohnarbeiterschaft zu dieser Zeit fast 20 Millionen umfasste.100 1913 waren 92 Prozent der Industriearbeiterschaft im europäischen Teil konzentriert: Während im ältesten Industriezentrum, den Uralprovinzen, der Anteil der Arbeiterschaft von 15,2 Prozent in den 1870er Jahren auf 10,2 Prozent im Jahr 1913 zurückging, war er im Donezbecken mit enormer Schnelligkeit auf 15,3 Prozent gestiegen.101 Die Arbeiter wurden überwiegend aus der Bauernschaft rekrutiert und, wie Trotzki zutreffend bemerkte, „vom Pflug weg zum Hochofen gerissen“.102

Zweifellos fand ein Proletarisierungsprozess statt, in dem die Arbeiter ihre Verbindungen zum Landleben kappten, was sich besonders deutlich an St. Petersburg zeigen lässt. Für 1910 geht man davon aus, dass etwa 60 Prozent der städtischen Arbeiterschaft in der Stadt selbst geboren worden waren. 1908 betrug die durchschnittliche Arbeitsdauer der Metallarbeiter von St. Petersburg fünf Jahre und drei Monate; und 53 Prozent der verheirateten Metallarbeiter besaßen keine Bindungen zum Land, während es bei den unverheirateten nur 35 Prozent waren. Die Arbeiter kamen aus weiter entfernten Provinzen, weshalb es für sie schwieriger war als in anderen Städten, die Verbindung zum Landleben fortbestehen zu lassen.103 In Gebieten wie der zentralen Industrieregion, einem Zentrum der Textilproduktion, und im Ural, dem jahrhundertealten Zentrum von Bergbau und Metallverarbeitung, gab es engere Verbindungen zwischen Feld und Fabrik: Einige Familienmitglieder arbeiteten für Lohn, während andere sich um den Hof kümmerten. Dem Industriezensus von 1918 zufolge hatten 30 Prozent der Arbeiter Zugang zu einem Grundstück der Familie, und 20 Prozent verrichteten mit Hilfe von Familienmitgliedern Feldarbeit.104

Allmählich wuchs die durchschnittliche Beschäftigungsdauer von Industriearbeitern landesweit und auch der Anteil derjenigen, deren Eltern schon Arbeiter gewesen waren. Dieser Prozess wurde durch die hohe Konzentration an Arbeitskräften begünstigt. Im europäischen Teil waren etwa 58 Prozent der Industriearbeiter in Betrieben mit mehr als 500 Arbeitern beschäftigt; das war ein viel höherer Konzentrationsgrad als in Westeuropa, und das erklärt auch, warum es verhältnismäßig einfach war, diese Arbeiter für Streiks und Demonstrationen zu mobilisieren. In einigen Städten entwickelten sich Arbeiterviertel, so im Petersburger Stadteil Wyborg und im Moskauer Viertel Samoskworetsche. Gerade für junge Arbeiter bot die Stadt kulturelle Anreize – Abendschulen, Schulen, Klubs, Bibliotheken, Theater, und natürlich die (im 2. Kapitel erörterten) kommerziellen Freizeitangebote. Damit wuchs ihre innere wie äußere Distanz zu jener Welt, in der ihre Eltern und Großeltern aufgewachsen waren. Bereits 1897 waren die Hälfte aller männlichen urbanen Arbeiter und zwei Drittel der Metallarbeiter alphabetisiert.105 Dennoch sollte die Entstehung einer sich selbst bewussten Arbeiterklasse nicht auf soziale Homogenität schließen lassen. Die unterschiedlich starken Bindungen an das Land, die Geschlechterdifferenz, große Unterschiede in Ausbildung und Fähigkeiten sowie in den je nach Industrie- und Handelssektor herrschenden Arbeitsbedingungen – all das trug zur Uneinheitlichkeit der Arbeiter bei. Politische Aktivitäten und ideologische Auseinandersetzungen würden nötig sein, um aus einer heterogenen Arbeiterschaft eine Klasse zu formen.

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