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2. VON DER REFORMZEIT ZUM KRIEG, 1906–1917

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Zunächst schien die Verkündung des Oktobermanifests eine umfassende Reform des politischen Systems einzuleiten und somit eine Wiederaufnahme des unter Alexander II. in den 1860er Jahren begonnenen Kurses zu sein, der nach der Ermordung des Zaren abgebrochen worden war. Doch bald wurde deutlich, dass Nikolaus die Einrichtung eines Parlaments mit höchst eingeschränkten Möglichkeiten gewährt hatte. Das Grundgesetz vom April 1906 sah zwar eine Art konstitutioneller Monarchie, eine Duma, Bürgerrechte, begrenzte Rechte für Gewerkschaften und eine Einschränkung der Zensur vor, bekräftigte aber Nikolaus’ Selbstherrschaft, indem es ihm die vollständige Kontrolle über Außenpolitik, Kirche und Streitkräfte beließ. Am 3. Juni 1907 gab es den endgültigen Beweis dafür, dass sich das Machtgefüge wieder zugunsten des Establishments verschoben hatte, als die Regierung die Zweite Duma auflöste und einige ihrer Mitglieder verhaften ließ. Pjotr Stolypin, der im Juli 1906 als Ministerpräsident Nachfolger von Witte geworden war, setzte einen entscheidenden Wandel in der Zusammensetzung der für die Duma Wahlberechtigten durch: Die Vertretung der unteren Klassen wurde zugunsten der Besitzenden drastisch zurückgeschnitten, wodurch sich die Anzahl der liberalen und sozialistischen Abgeordneten in der Dritten Duma, die im November 1917 zusammentrat, beträchtlich reduzierte.1

Nach dem Oktobermanifest entstanden rasch viele neue Parteien, die sich um den Einzug in die Duma bewarben. Die liberalen Konstitutionellen Demokraten („Kadetten“) forderten eine Verfassunggebende Versammlung und das allgemeine Wahlrecht; ergänzend dazu gab es ein relativ radikales Sozialprogramm mit einem Vorschlag für die Landreform, der die Zwangsenteignung von Gütern der Großgrundbesitzer vorsah. In dieser Zeit neigten die Kadetten eher zur Zusammenarbeit mit den gemäßigteren Sozialdemokraten als mit konservativen Abgeordneten. Die Oktobristen unterstützten, ihrem Namen gemäß, die im Oktobermanifest vorgetragenen Regelungen. Ihre Vorstellungen hinsichtlich der Landreform waren konservativ, und sie sahen die revolutionären Unruhen mit Angst und Schrecken.

Nun kehrten auch sozialistische Führer wie Lenin und die Menschewiki Julius Martow und Fjodor Dan aus dem Exil zurück (Trotzki war schon im Februar heimlich zurückgekommen). Im Gegensatz zu den Bolschewiki nahmen Menschewiki und Sozialrevolutionäre an den Wahlen zur Ersten Duma (mit mäßigen Ergebnissen) teil. Im Bündnis mit den linksgerichteten, nicht parteigebundenen Trudowiki, die die Bauern vertraten, errangen die Kadetten bei den Wahlen die Mehrheit, und die Erste Duma machte sich daran, ein ganzes Paket substantiell fortschrittlicher Gesetze zu verabschieden. Doch wurde die Duma bereits nach zehn Wochen aufgelöst, als Verhandlungen mit dem Ministerrat, der vom Zaren berufen wurde und ihm verantwortlich war, in Hass und Erbitterung endeten.2

Die Wahlen zur Zweiten Duma wurden von Stolypin sorgfältig vorbereitet; er verbot Versammlungen, strich Wähler aus den Wahllisten und unterstützte rechtsgerichtete Kandidaten finanziell. Obwohl die radikale Rechte bedeutende Zugewinne erzielen konnte, war die Linke erneut die klare Siegerin: Die Sozialisten konnten die Zahl ihrer Sitze verdoppeln (die Bolschewiki hatten diesmal teilgenommen); allerdings hatten die Kadetten stark an Einfluss verloren und nahmen allmählich Abstand von der radikalen Einstellung, die sie noch in der Ersten Duma gezeigt hatten. Nunmehr wollten sie enger mit der Regierung zusammenarbeiten. Auch der Zweiten Duma war kein langes Leben beschieden, sie überwarf sich mit der Regierung in Fragen der Landreform und dem Problem der Unterdrückungspolitik. Als Stolypins Forderung, sozialdemokratische Abgeordnete auszuschließen und die parlamentarische Immunität einiger dieser Deputierter aufzuheben, zurückgewiesen wurde, löste die Regierung die Duma am 3. Juni 1907auf.3 Zudem gab es – als Reaktion auf den Radikalismus der ersten beiden Dumas – eine neue politische Entwicklung in Gestalt einer rechtsradikalen Politik der Straße, die sich im Aufstieg des Bundes des russischen Volks und anderer Organisationen manifestierte. Sie mobilisierten Unterschichten für ein ultranationalistisches, antidemokratisches und antirevolutionäres Programm.4

Nikolaus’ Entschlossenheit, seine ihm, wie er glaubte, von Gott verliehene Position als allmächtiger Autokrat zu bewahren, wurde angesichts der von den ersten beiden Dumas vorgetragenen radikalen Politik noch beträchtlich verstärkt. Damit aber schwand die Hoffnung, die er gehegt haben mochte, das geheiligte Band zwischen Zar und Volk neu zu knüpfen. Zugleich verschaffte das seit dem Sommer 1906 zu beobachtende Abebben der Massenbewegung ihm die Möglichkeit, den Unterdrückungsapparat des Staates umfassend zu nutzen, um den Aufstand niederzuschlagen. Schon Ende 1905 hatten Strafexpeditionen Ruhe und Ordnung auf dem Land wiederhergestellt, und auch im Baltikum und im Kaukasus wurden die Aufständischen energisch bekämpft. Nach einem Bombenanschlag von sozialrevolutionären „Maximalisten“ auf Stolypins Villa, bei dem es 28 Tote, darunter auch seine Tochter, gab, setzte der Ministerpräsident Kriegsgerichte ein, die zwischen 1906 und 1909 bis zu 3000 Insurgenten summarisch verurteilten und erhängten („Stolypins Halstuch“).5 Mit Unterstützung des Zaren und im Verbund mit paramilitärischen Einheiten namens „Schwarze Hundert“ bekämpfte der Bund des russischen Volks die Revolutionäre auf der Straße und organisierte Judenpogrome. Diese Aktionen zielten auf die völlige Wiederherstellung der „wahren“ Autokratie und der Vernichtung all dessen, was mit den verhassten Neuerungen vom Oktober 1905 zusammenhing. Dabei bedienten sich diese Rechtsradikalen allerdings moderner Methoden der Massenmobilisierung. Daneben verübten die Revolutionäre weitere Terrorakte in tausendfacher Zahl. Beteiligt waren größtenteils Sozialrevolutionäre und Nationalisten, und ihre Opfer suchten sie sich nicht mehr unter den hochrangigen Mitgliedern der politischen Eliten, sondern unter niederen Beamten und Polizisten. Stolypin wurde jedoch 1911 in Kiew von einem jüdischen Anarchisten umgebracht, möglicherweise mit schweigender Duldung seitens der extremen Rechten.6 Die Bolschewiki lehnten den Terrorismus als Taktik ab, führten jedoch bei Banken und Regierungsbehörden mit Waffengewalt finanzielle „Enteignungen“ durch.

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