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Einführung

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Wie religiös du bist, hängt vom Inhalt und der Kraft deiner Glaubenssätze ab und wie stark du dich mit ihnen identifizierst. Wie spirituell du bist, hängt vom Grad deiner Gegenwärtigkeit im Alltag ab, das heißt, vom Zustand deines Bewusstseins.

Der Kern aller Spiritualität ist Gegenwärtigkeit, ein Zustand des Bewusstseins, der das Denken transzendiert. Es gibt einen Raum hinter und zwischen den Gedanken und Emotionen. Wenn dir dieser Raum bewusst wird, bist du gegenwärtig, und du begreifst, dass deine persönliche Geschichte, die aus Gedanken besteht, nicht deine wahre Identität, nicht dein eigentliches Wesen ist. Was ist dieser Raum, diese innere Offenheit? Er ist Ruhe, ein stilles Zentrum. Er ist reines Bewusstsein, ein transzendentes ICH BIN, das sich seiner selbst bewusst wird. Der Buddha nannte es shunyata, Leerheit. Es ist das „Königreich des Himmels“, von dem Jesus sprach; es liegt in dir, hier und jetzt.

Wenn diese Präsenz dir immer bewusster wird, manifestiert sie sich auf unterschiedliche Art und Weise: als innerer Friede, Einfühlungsvermögen, ein Ausdruck guten Willens gegenüber deinen Mitmenschen, Kreativität, ein intensiveres Erleben deiner eigenen Lebendigkeit, der Befreiung von unproduktivem und zwanghaftem Denken und als eine tiefe Wertschätzung des gegenwärtigen Moments. Diese und andere Veränderungen verbessern deine Lebensqualität entscheidend.

Gegenwärtigkeit stärkt und inspiriert auch das gesprochene und geschriebene Wort. Alle wahrhaft spirituellen Lehren verweisen mit Worten auf diese transzendente Dimension des Bewusstseins, die in Gegenwärtigkeit besteht. In einer ganz geheimnisvollen Weise verfügen die Worte, die aus der Gegenwärtigkeit kommen, über eine Kraft, die über die reine Informationsvermittlung hinausgeht und Ausdruck eben dieser Gegenwärtigkeit ist. Diese Kraft kann in Menschen, die diese Worte hören oder lesen, zu einem Erwachen oder Vertiefen ihrer eigenen Präsenz führen. Alle wirklich spirituellen Werke haben diese Kraft. Du kannst, ja, du willst dich ihnen sicherlich immer wieder neu zuwenden und sie lesen, denn dabei findet eine Veränderung im Bewusstsein statt. Du trittst in die Gegenwärtigkeit ein.

Stille ist eines dieser seltenen Bücher. Es ist ein Werk der Poesie, eine Sparte der Literatur, die bereits im Altertum als geeignetes Mittel für den Ausdruck und die Vermittlung spiritueller Wahrheiten galt. Viele dieser alten Schriften sind poetische Texte oder an der Grenze zwischen Lyrik und Prosa angesiedelt. Die Upanischaden, die Bhagavadgita, der Dhammapada und das Tao Te Ching sind alle von großer poetischer Kraft. In diesen Texten wirken Bedeutung, Bild, Klang und Rhythmus zusammen, um ein harmonisches Ganzes zu erschaffen, das transformative Kräfte im Bewusstsein der Leser und Leserinnen aktiviert. Ich weise auf die großen mystischen Dichter des Sufismus hin, auf Hafiz, Rumi, Kabir und Attar, sowie die buddhistischen Dichter Basho und Milarepa. In der christlichen Tradition gibt es bedeutende mystische Dichter wie Johannes vom Kreuz, Angelus Silesius und natürlich Meister Eckhart, dessen Schriften mit treffenden Bildern und Metaphern man poetische Prosa nennen könnte. In neuerer Zeit findet sich die spirituelle Dimension in den Werken zahlreicher Dichter, etwa bei Wordsworth, Whitman, Rilke und vielen anderen.

Steve Taylors Stille ist eine zeitgenössische Inkarnation dieser alten Tradition der poetisch-spirituellen Literatur. Das zentrale Thema fast jedes dieser Sinnsprüche ist die Qualität des Bewusstseins der Leserinnen und Leser. Wenn du dich ihrer transformativen Kraft öffnest, wenn du langsam und aufmerksam liest, wirst du erfahren, wie der Zauber jedes einzelnen Gedichts in dir wirkt und dich zu einer feinen, aber deutlichen Veränderung in deinem Bewusstsein leitet. Dies befreit dich von dem mentalen Lärm des zwanghaften Denkens und verbindet dich mit einer wachen, inneren Ruhe – eben mit Gegenwärtigkeit. Du erwachst für die spirituelle Dimension des Lebens. Und wenn du diese Gedichte mehrmals liest, wird die gesammelte Wirkung möglicherweise dein Leben verändern.

Ich möchte dir empfehlen, ein Exemplar dieses Buches an deinem Bett und ein weiteres an deinem Arbeitsplatz aufzubewahren, damit du dich in Pausen, wie kurz diese auch immer sein mögen, spirituell anregen kannst. Jeder dieser Texte kann eine kurze Meditation sein, und in vielen Fällen mag es genügen, einen einzigen davon zu lesen. Ich habe einige Gedichte von Steve Taylor in meinen Retreats vorgelesen, wo sie auf große Begeisterung trafen. Vielleicht möchtest du das Gedicht, das dir am besten gefällt, auch einmal vorlesen und mit Partnern, Familienmitgliedern oder Freunden teilen. Es wird dir und allen, die zuhören, guttun und die Qualität deiner Beziehungen verbessern. Stelle aber bitte sicher, dass die andere Person dafür offen und empfänglich ist; niemand sollte sich gezwungen fühlen, diese Schätze zu empfangen.

Gestatte mir, deinem Genuss dieser spirituellen Lektüre mit einem Ausschnitt aus einem Gedicht einen guten Anfang zu geben:

Bist du traurig oder einsam,

Wünschte ich, ich könnte

dir das erstaunliche Licht

deines eig‘nen Wesens zeigen!*

Dieses kleine Juwel ist auf den Seiten dieses Buches sicherlich nicht fehl am Platze. Und doch wurden diese Zeilen schon vor über 600 Jahren von dem großen persischen Sufidichter Hafiz verfasst, der von der Nachwelt die „mystische Zunge“ genannt wurde – was uns zeigt, dass Worte, die aus der Gegenwärtigkeit kommen, zeitlos sind.

Eckhart Tolle, Autor von

Jetzt! Die Kraft der Gegenwart und Eine neue Erde

* Daniel Ladinsky: Ich hörte Gott lachen. Gedichte inspiriert von Hafiz. Arbor Verlag, Freiburg im Breisgau 2011.

Stille

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