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Gefangen in Afrika
ОглавлениеDie trostlose Küste Afrikas war die Universität, in die mich zu schicken es dem Herrn gefiel, und ich wage nicht, dies in Frage zu stellen.
JOHN NEWTON, BRIEF AN »D. W.«, 1793
Je weiter die Harwich nach Süden segelte, desto mehr wurde Newton von Schwermut erfasst. Wenn man ihnen auch verboten hatte, mit ihm zu sprechen, so schützten die Offiziere vom Achterdeck ihn zunächst vor schlechter Behandlung. Aber mit der Zeit ließ ihr Interesse an ihm nach. Kapitän Carteret, der ihn aufgrund der Fürsprache Kapitän Newtons aufs Achterdeck versetzt hatte, war verbittert, dass sein Vertrauen missbraucht worden war, und zeigte ihm ganz offen seinen Groll.
Doch Newton sah seine Degradierung keineswegs als natürliche Konsequenz seines impulsiven Verhaltens. Vielmehr fühlte er sich als Opfer von Ungerechtigkeit. Er dachte schon an Selbstmord, und nur seine Gefühle für Mary sowie der Gedanke, dass er keine Rache an Kapitän Carteret üben konnte, wenn er sein Leben beendete, ließen ihn vor dieser Tat zurückschrecken. Er bezeugte später, dass er ernsthaft daran gedacht hatte, den Kapitän zu ermorden. Diese Mischung aus Liebe und Hass gab ihm den Willen zum Leben. »Nichts, was ich fühlte oder fürchtete, brachte mich so zur Verzweiflung, als mich auf diese Weise gewaltsam vom Gegenstand meiner Zuneigung weggerissen zu sehen. Denn ich wusste, wie unwahrscheinlich es war, sie wiederzusehen oder einmal so zurückzukehren, dass ich die Hoffnung haben könnte, sie die Meine zu nennen.«
Das Freidenkertum hatte ihn von der Angst vor Gottes Strafe befreit. Ohne Himmel und Hölle war der Tod nur ein Verlöschen. Es gab nichts zu fürchten, weder Selbstmord noch Todesstrafe. »Meine Liebe war nun das Einzige, das mich vor dem Schlimmsten zurückhielt … Allein dieser Gedanke, der mich nicht von tausend geringeren Übeln abgehalten hatte, erwies sich als mein Schutz gegen die größten Versuchungen.«
Das Leben an Bord der Harwich hing wie auf jedem anderen Kriegsschiff vom Rang ab. Für James Mitchell, Kapitän Carterets Sekretär, war die Reise eine lehrreiche und bildende Erfahrung. Er hatte Zeit, Wolkenformationen zu bestaunen und diverse Spezies fliegender Fische zu identifizieren. Es war sogar Zeit für Spaß, Tanz und Spiele. Ein Tagebucheintrag lautet: »Bei Tage geben wir uns allem möglichen Zeitvertreib hin, wie ›Sturm auf das Schloss‹, ›Der Müller‹, ›König Arthur‹, ›Der Richter‹, ›Ein unverschämter Harlekin‹ und ›Prügel‹. Abends singen wir, erzählen lustige Geschichten – viele auch geschmacklos oder lächerlich – oder Geschichten von Heldentaten.«
George Ratcliffe, der mit Newton unter Deck Dienst tat, schrieb nie von fliegenden Fischen oder Spielen. Für die Seeleute der untersten Ränge war das Leben an Bord mühsam und oft brutal. Er erwähnte einmal, dass ein Seeman ausgepeitscht wurde, weil er versucht hatte, mit dem Zimmermannsjungen Analverkehr zu haben. Peter de Cruse, ein schwarzer Portugiese, erhielt dieselbe Strafe, weil er mit einem Schaf Unzucht trieb.
Unter solchen Bedingungen musste der degradierte Newton nun leben. »Ich fühlte mich rundum elend, wie man sich wohl vorstellen kann. Mein Herz war erfüllt von furchtbarsten Leidenschaften, begierigem Verlangen, bitterem Zorn und schwarzer Verzweiflung. Zu jeder Stunde sah ich mich neuen Beleidigungen und Nöten ausgesetzt, ohne Hoffnung auf Erleichterung oder Linderung, ohne einen Freund, der für mich Partei ergriff oder sich meine Klagen anhörte.«
Am 27. April erreichte die Harwich, zusammen mit der Winchester, der Scarborough, der Lincoln, der Kent und der Admiral Vernon Madeira, eine portugiesische Inselkolonie westlich von Marokko, und ging vor der Hauptstadt Funchal vor Anker. Das war der einzige Anlaufhafen vor Afrika, hier mussten vor allem die Wasser-, Wein- und Holzvorräte aufgestockt und kleinere Reparaturen vorgenommen werden.
James Mitchell ging zwecks Erkundigung an Land, rühmte die Vielfalt der Weine und Früchte und beklagte sich über die schlechte Qualität des Fleisches. Er beschrieb die Straßen von Funchal als eng und schmutzig, während die zahlreichen Kirchen für seinen Geschmack zu schlicht waren. Dennoch war er von einem Besuch in einem Kloster fasziniert. Die Nonnen dort versuchten, ihm Körbe mit künstlichen Blumen zu verkaufen, und in der Kapelle zierten menschliche Schädel und Gebeine die Wände und Decken.
Sechs Tage nach der Ankunft auf Madeira schlief Newton gerade aus, als ihm einer seiner alten Kameraden vom Achterdeck einen Besuch abstattete. Der Freund bemerkte, dass er noch nicht wach war, und spielte ihm einen Streich, indem er das Seil seiner Hängematte mit einem Messer durchschnitt. Newton erwachte höchst unsanft, indem er zu Boden knallte. »Ich war sehr ärgerlich«, sagte Newton mit typischer Untertreibung, »wagte aber nicht, es ihm übel zu nehmen.«
Widerstrebend zog er sich an und folgte seinem Freund auf das Hauptdeck. Dort bemerkte er einen Seemann, der sich gerade bereit machte, die Harwich auf einem Tender zu verlassen. Auf die Frage, weshalb der Mann von Bord ging, antwortete man ihm, dass zwei seefahrende Kaufleute von einem in der Nähe ankernden englischen Schiff mit zwei Männern von der Harwich ausgetauscht worden seien. Das war gängige Praxis. Das Leben bei der königlichen Marine war rauer und disziplinierter, und daher tauschten die Kapitäne der Handelsschiffe widerspenstige Männer gern aus.
Newtons Herz brannte bei dieser Nachricht sofort wie Feuer. Er wollte der zweite Mann sein, der die Harwich verließ, und flehte den Dienst habenden Leutnant an, ihn zu nehmen. Es gab eigentlich keinen Grund, weshalb er vom Dienst auf der Harwich suspendiert werden sollte; aber vermutlich sagte man sich, das Schiff wäre ohne ihn besser dran … und nach Rücksprache mit Kapitän Carteret wurde er tatsächlich entlassen.
»Auch wenn ich früher auf schlechtem Fuß mit diesen Offizieren gestanden und ihnen allen der Reihe nach zu Leide gelebt hatte, empfanden sie doch Mitleid mit mir und taten mir nun diesen Gefallen … Vor einer halben Stunde hatte ich noch in meinem Bett geschlafen, nun war ich entlassen und an Bord eines anderen Schiffes.«
Der Appell auf der Harwich bestätigt Newtons Geschichte. Am 3. Mai 1745, als das Schiff vor Funchal an der Küste von Madeira vor Anker lag, wurden William Langworthy und John Newton entlassen. Am selben Tag traten Archibald Farley und Francis Viera von einem ungenannten Handelschiff »an ihrer statt« in den Dienst ein.
Die Befreiung vom rauen Leben auf der Harwich war für Newton das Beste an dem Leben auf dem kleineren Schiff, das auf dem Weg nach Sierra Leone war, um Sklaven zu kaufen. Allerdings konnte er nicht ahnen, dass ihn dieses Schiff an einen Ort bringen würde, an dem er zunächst in noch tiefere Verzweiflung gestürzt werden sollte, bevor er wieder Freude empfinden würde. »Dies war einer der vielen entscheidenden Wendepunkte in meinem Leben, in denen es dem Herrn gefiel, mir seine Fürsorge zu erweisen, indem er fast im gleichen Augenblick viele unerwartete Umstände eintreten ließ«, schrieb er später rückblickend. »Solche plötzlich auftretenden Gelegenheiten ereigneten sich fast immer im unmöglichsten Moment. Jede versetzte mich in vollkommen neue Lebensumstände.«
Newton nannte den Namen des Schiffes nicht. Er erwähnte nur, dass es ein englisches war und Sklaven von der Küste Guineas zum Verkauf in Westindien an Bord nehmen sollte und dass der Kapitän starb, bevor das Schiff Afrika verließ. Das einzige Schiff, auf das diese Beschreibung zutrifft und das sowohl im Buch der Mittelmeerpassagen, als auch im Hafenregister von Jamaika verzeichnet ist, ist die Levant, ein Schiff von 200 Bruttoregistertonnen. Es verließ im März 1745 Bristol unter Kapitän James Phelps, nahm Kurs auf Afrika und traf im März 1746 unter Kapitän William Miller auf Jamaika ein.
Der Kapitän, der Johns Vater offenbar kannte, erwies dem Sohn die Freundschaft, indem er ihn zum Steward machte. Und das, obwohl der Seemann, den er ersetzte, nur am Fockmast gearbeitet hatte. Selbst in seiner Abwesenheit machte Kapitän Newtons Einfluss seinem Sohn das Leben leichter. Doch trotz dieses glücklichen Umstands und obwohl er nach eigenen Angaben sehr freundlich aufgenommen wurde, verspürte er den inneren Drang, all das wieder zunichtezumachen. Er musste einfach Gefahr und Konflikte heraufbeschwören.
Später sagte er über diese Zeit, er sei »äußerst abscheulich« gewesen, nannte jedoch keine Einzelheiten. Vielleicht wollte er die Gefühle der Christen nicht verletzten, die seine Autobiografie einmal lesen würden, oder sein Gewissen wurde mit dem Alter empfindsamer. Da er keine Beispiele für seine Abscheulichkeiten lieferte, nahmen einige viktorianische Kommentatoren an, dass er seine Bosheit wohl übertrieben hatte. Sir James Stephen schrieb 1860 über Newton: »Er beging den Fehler, auch im gedruckten Wort die Sprache des Betsaals zu verwenden.«
Gotteslästerung und Missachtung der Autorität waren die Sünden, die er am häufigsten erwähnte. Auf diesem Schiff verweigerte er nicht nur Dienste, sondern verfasste beleidigende Lieder über den Kapitän, die er dann der übrigen Mannschaft beibrachte. Der Kapitän hörte sie, und es war ihm, wie Newton es ausdrückte, »weder die Absicht noch der Verfasser fremd«. Gleichzeitig wurden seine Angriffe auf den christlichen Glauben immer heftiger. In einem Brief aus dem Jahr 1754 gab Newton zu, dass er damals nicht eine Stunde mit jemandem zusammen war, »ohne den Versuch zu machen, ihn zu verderben«.
Vielleicht hat er auch sexuelle Beziehungen mit Sklavinnen gehabt. Dies hat er zwar nie ausdrücklich erwähnt, aber er machte doch Andeutungen in dieser Richtung. So beschrieb er seinen moralischen Zustand zu jener Zeit mit den Worten des Apostels Petrus: »(Sie) haben Augen voll Ehebruch, nimmer satt der Sünde, locken an sich leichtfertige Menschen, haben ein Herz getrieben von Habsucht – verfluchte Leute!« (2. Petrus 2,14) An anderer Stelle schilderte er die lüsternen Seeleute, die nach den jungen Sklavinnen schielten: »In Gedanken wird die Beute sofort aufgeteilt. Sie warten nur darauf, dass sich eine günstige Gelegenheit bietet. Wo Widerstand oder Weigerung ohnehin völlig vergebens wäre, kommt kaum einer auf den Gedanken, die Frauen um Einwilligung zu bitten.« Er berichtete Dr. David Jennings, dem Pastor seiner Kindertage, er sei »ein Sklave jeglichen Lasters« gewesen – eine merkwürdige Formulierung, wenn sich seine Sünden nur auf verbale Unflätigkeiten und Ungehorsam beschränkt hätten.
Das Schiff segelte sechs Monate lang die afrikanische Küste entlang, bevor es die volle Ladung Sklaven aufgenommen hatte. Doch während es vor der Küste von Banana Island vor Anker lag und bereit war, nach Jamaika auszulaufen, starb der Kapitän. Newton geriet in Panik, weil der erste Offizier, der nun das Kommando übernahm, noch weniger gut auf ihn zu sprechen war als der Kapitän. Er befürchtete, dass dieser ihn wieder an die königliche Marine ausliefern würde, sobald er die Gelegenheit dazu hätte. Und das wäre für ihn »schrecklicher gewesen als der Tod«.
Doch plötzlich bot sich für beide Parteien eine einfachere Lösung an. Ein ortsansässiger englischer Händler, der an der Reise finanziell beteiligt war, verließ das Schiff vor Banana Island, und man vereinbarte, dass Newton seinen Dienst für die Gesellschaft fortsetzen konnte, indem er in Afrika für diesen Mann arbeitete. Die meisten Sklavenkäufe wurden von Gruppen von Kaufleuten finanziert, deren Partnerschaft sich auflöste, sobald die Gewinne geteilt waren. Die Reise der Levant im Jahr 1745 wurde zum Beispiel von acht Kaufleuten finanziert, von denen zwei, James Laroche und Isaak Hobhouse, bekannte Kaufleute aus Bristol waren.
Britische Schiffseigner gingen zunehmend dazu über, eigene Vertreter in Afrika zu haben, die im Inland Sklaven kauften und sie so lange einpferchten, bis sie abgeholt wurden. Das verkürzte die Liegezeit der Schiffe an der afrikanischen Küste. Die Levant, die die Dreiecksroute (England-Afrika-Jamaika-England) in einem Jahr schaffte, traf mit 410 Sklaven in der Karibik ein, eine ansehnliche Beute für jedes Schiff.
Der Händler beeindruckte Newton. Er war mächtig, reich und unabhängig und hatte keinen Vorgesetzten, der ihm ständig sagte, was er zu tun und zu lassen hatte. Er lebte mit einer afrikanischen Frau zusammen und wollte sich vor der Küste von Sierra Leone auf Plantain Island niederlassen. Angeregt durch sein Beispiel glaubte Newton, er könne ebenfalls ein erfolgreicher Sklavenhändler werden, sich schließlich doch noch in den Augen seines Vaters rehabilitieren und mit genügend Geld nach England zurückkehren, um Mary zu heiraten.
Trotz der erstklassigen Lage von Plantain Island wohnte nur ein anderer Sklavenhändler dort, als Newton und der uns unbekannte Herr gegen Ende des Jahres 1745 dort eintrafen. Die Insel lag zwei Meilen von der Küste entfernt und war von seichtem Wasser umgeben, das ideal zum Ankern war. So war sie auch für die Schaluppen leicht zugänglich, die auf den nahegelegenen Flüssen Sklaven zur Küste brachten. Zudem war Plantain Island sicher: Flucht war nur möglich, wenn jemand ein Boot besaß, doch die Riffe konnten nur von erfahrenen Seeleuten umschifft werden.
Die Insel war keineswegs malerisch. Es gab weder Hügel, Flüsse, Wasserfälle noch faszinierende Ausblicke. Im Nordosten befand sich eine natürliche Bucht mit einem abfallenden Strand und Bäume, die vor den heftigen Stürmen schützten. Newton beschrieb sie als »eine flache, sandige Insel von ungefähr drei Meilen Umfang, nahezu gänzlich von Palmen bewachsen«. Nicholas Owen, ein irischer Händler, der sieben Jahre später dorthin kam, sagte: »Es gibt dort außer Reis sehr wenig Produkte. Die Insel besitzt aber einen guten Hafen, und es besteht ein reger Seehandel.«
Newton und der andere Mann errichteten zunächst Hütten aus Ästen und Schlamm mit strohgedeckten Dächern. Wenn man annimmt, dass sie den zeitgenössischen europäischen Stil nachahmten, bauten sie wahrscheinlich einen separaten Kochraum und ein Vorratshaus hinter das Hauptgebäude. Bestimmt legten sie auch noch einen Garten an, in dem sie Kürbisse, Wassermelonen und Straucherbsen zogen.
Ihre Zeit auf der Insel verbrachten die beiden damit, Pflanzen anzubauen, Güter von einheimischen Händlern zu erwerben und Sklaven an die vorbeikommenden Schiffe zu verkaufen. Newton gefiel dieses Leben. Er schien sich auch gut mit seinem Vorgesetzten zu verstehen, der seinerseits die Gesellschaft eines Landsmanns genoss. Doch für dessen afrikanische Geliebte war Newton ein Eindringling. Sie hatte »merkwürdige Vorurteile« gegen ihn, deren Gründe aber nicht genannt wurden.
Diese Frau wurde P. I. genannt (ihr Name klang, als würden die beiden Buchstaben getrennt genannt) und stammte aus der herrschenden Bombo-Familie. Der französische Kapitän Jean Barbot, der während dieser Zeit nach Sierra Leone reiste, erwähnte die Begegnung mit dem König Antonio Bombo. Vielleicht handelte es sich um den Vater von P. I., denn Newton schrieb, dass sein Vorgesetzter seinen Erfolg ihren Verbindungen verdanke. Ortsansässige englische Händler nahmen sich oft eine afrikanische Geliebte. Wenn diese noch aus dem einheimischen Königshaus stammte, konnten sie ihren Einfluss in der Region verstärken. Die männlichen Mulattenkinder aus solchen Verbindungen wurden oft mächtige Mittelsmänner im Sklavenhandel. Sie machten Geschäfte mit einheimischen Entführern und britischen Kapitänen. Es war von Vorteil, wenigstens zwei Sprachen zu sprechen, und manche erhielten sogar eine privilegierte englische Ausbildung.
Die Beziehung zwischen P. I. und Newton verschlechterte sich. Newton sollte zusammen mit seinem Vorgesetzten in der Schaluppe den Rio Nuñez hinauffahren, um Sklaven zu laden, wurde jedoch krank und musste mehrere Wochen auf Plantain Island bleiben. Mit ziemlicher Sicherheit war es Malaria, doch die Krankheit hatte erst vor kurzem einen Namen erhalten; üblicherweise wurde sie als das »Fieber« bezeichnet. Sicher litt er an Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Krämpfen, Muskelschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Delirium. Malaria war die häufigste Todesursache der nach Afrika reisenden Seeleute und der Weißen, die mit dem Sklavenhandel zu tun hatten.
Zunächst zeigte P. I. noch Mitgefühl, doch als Newtons Zustand sich nicht besserte, ignorierte sie ihn einfach. Ja, sie versorgte ihn nicht einmal ordentlich mit Nahrung oder Wasser. Allenfalls gab sie ihm Reste von ihrem eigenen Teller. »So sehr war ich in meinem Stolz gedemütigt«, schrieb er, »dass ich diese dankbar und begierig entgegennahm, so wie der ärmste Bettler ein Almosen nimmt.«
P. I. führte ein angenehmes Leben. Sie speiste von Porzellangeschirr und besaß die neuesten europäischen Luxusgüter, die von den Kapitänen der anlegenden Schiffe herbeigeschafft wurden. Ihre Sklaven lasen ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Newton hingegen musste auf einer Strohmatte schlafen, die auf einem Brett lag, mit einem groben Holzklotz als Kopfkissen. Einmal rief sie ihn zu sich, damit er sich die Reste von ihrer Mahlzeit holte. Er war vom Fieber so geschwächt, dass er seine ganze Kraft aufwenden musste, um allein zu ihrem Tisch zu wanken. Sie reichte ihm den Teller, doch er war zu schwach, um ihn zu halten, sodass er ihm aus den Fingern rutschte und zu Boden fiel. P. I. kreischte vor Vergnügen über seine schwachen Versuche, sich etwas zu essen zu beschaffen, und ließ ihn wieder hungrig auf sein Lager fallen.
Es lag eine berechnende Grausamkeit in der Art, wie sie mit seiner Schwäche und Verletzlichkeit spielte. Manchmal griff sie ihn nur mit Worten an und sagte ihm, wie wertlos und faul er sei, doch zuweilen fügte sie ihm auch körperliche Qualen zu. Sie befahl ihm, von seiner Matte aufzustehen und zu laufen, obwohl sie wusste, dass er kaum stehen konnte. Dann rief sie ihre Sklaven herbei, um seine schwankenden Schritte nachzuäffen. Sie wurden aufgefordert, Newton mit Steinen und faulem Obst zu bewerfen, und bestraft, wenn sie dem Befehl ihrer Herrin nicht Folge leisteten. Insgeheim hatten manche Sklaven sicher Mitleid mit ihm, denn sie begriffen, dass sein Schicksal nun schlimmer war als ihr eigenes.
Dieser Verlust an Würde muss furchtbar für Newton gewesen sein. Afrikaner wurden damals als unkultiviert, unwissend, faul und bestialisch angesehen. Dazu kam, dass Frauen sich Männern gegenüber unterwürfig verhalten und ihre Entscheidungen nicht in Frage stellen sollten. Für einen Engländer verstieß es schier gegen das Naturgesetz, wenn er von einer afrikanischen Frau so herablassend behandelt wurde. In einem Brief an Mary sprach er davon, dass er beinahe nackt leben musste, dass seine Haut über und über mit Hitzeblasen bedeckt war. »Manchmal bekomme ich innerhalb eines Monats nicht mal eine halbe anständige Mahlzeit«, schrieb er weiter.
Wenn P. I. nicht anwesend war, steckten ihm einige Sklaven Bissen von ihrer eigenen Mahlzeit zu. Nachts kroch er aus seiner Hütte und riss Maniokwurzeln aus, die er im Meer wusch und roh verspeiste. Maniokwurzeln ergaben gekocht oder gebraten eine gute Mahlzeit, waren jedoch, wie Newton erkannte, »zum rohen Verzehr so ungeeignet wie Kartoffeln«.
Plantain Island wurde zum Bezugspunkt, an dem er in Zukunft stets seine geistlichen und sozialen Fortschritte maß. Wenn er später je versucht war, auf seine natürlichen Fähigkeiten oder seine hohe Moral stolz zu sein, dachte er an die Zeit zurück, als er sich auf einer niedrigeren Stufe befand als die Sklaven. Daran muss er auch gedacht haben, als er sich selbst im Lied einen »Elenden« nannte. 1795 schrieb er an seinen Freund William Bull: »Ich habe mir vorgenommen, mich jeden Tag an Afrika zu erinnern und den Weg zurückzuverfolgen, den der Herr mich 47 Jahre lang geführt hat, seit er mich aus dem Zustand des Unglaubens und Wahnsinns berufen hat.« Sogar in seinem Testament bezeichnete er seine damalige Verfassung als »diesen Zustand des Elends an der afrikanischen Küste, in den mich meine Verderbtheit gestürzt hat.« Auch in der Grabinschrift, die er für sich selbst verfasste, erwähnte er diese Zeit, in der er »ein Diener von Sklaven in Afrika« gewesen sei.
Dieses Elend war natürlich nicht nur selbst verschuldet, vielmehr war er ein Opfer von P. I.’s Eifersucht und Rachsucht. Man kann wohl sagen, dass gegen ihn mindestens so viel gesündigt wurde wie er selbst schuldig wurde. Doch Newton betrachtete seine damalige Situation aus einer größeren Perspektive. Er erkannte, dass er durch eine Reihe falscher Entscheidungen in diese Lage gekommen war, und verglich sich mit dem verlorenen Sohn aus dem Lukasevangelium, der am Ende Schweine füttern musste. Hätte er nämlich seine Abmachung mit Joseph Manesty eingehalten, wäre er nicht zwangsrekrutiert worden. Wäre er nicht von der Harwich desertiert, hätte man ihn nicht degradiert. Hätte er auf dem Sklavenschiff keine Zwietracht geschürt, wäre er nicht auf Plantain Island gelandet mit dem Ziel, ein erfolgreicher Sklavenhändler zu werden.
Newton zweifelte nicht an dieser Verkettung von Ereignissen. Niemals machte er andere für seine Misere verantwortlich. »Als ich nach wiederholter Gewissensprüfung eigensinnig alle Beschränkungen der Religion durchbrach, gefiel es Gott, mich eine Zeit lang meinem eigenen Mutwillen und meiner Torheit anheimfallen zu lassen, wie je eine armselige Kreatur sich selbst überlassen wurde, die schließlich nicht zugrunde ging. Der Weg der Übeltäter ist stets mühselig, und bei mir war es nicht anders. Das Elend, in das ich mich selbst stürzte, konnte nur durch die abgrundtiefe Verderbtheit meines Herzens und Lebens übertroffen werden. Schließlich wurde ich zu der verzweifelten Entschlossenheit getrieben, an der Küste Afrikas zu leben.«
Auf Plantain Island schien es, als würde ihn seine Vergangenheit einholen. Das Streben nach Reichtum und Ehre hatte ihn in Armut und Elend gestürzt. Zum ersten Mal war seine äußere Erscheinung ein Abbild seines inneren Wollens. Welch bessere Darstellung eines Elenden gab es, als die eines hohlwangigen, gebeugten, abgemagerten, zerzausten, mit Blasen übersäten, schmutzigen, barfüßigen, halbnackten Mannes, der auf der Suche nach Essen über den Sand einer afrikanischen Insel kroch und in Furcht vor Bestrafung und Spott sein Leben fristete? Er besaß nur ein einziges Hemd, das er im Schutz der Dunkelheit auf den Steinen wusch und beim Schlafen trug, um es zu trocknen. Wenn Schiffe anlegten, versteckte er sich vor Scham im Wald. Doch nach eigener Aussage war sein inneres Elend weitaus schlimmer. »Mein Verhalten, meine Grundsätze und mein Herz waren noch düsterer als meine äußere Lage.«
In seinen späteren Schriften legte Newton die Vermutung nahe, dass P. I., wegen ihrer Verbindung zur örtlichen Herrscherfamilie, mächtiger war als der Engländer, der »sehr unter ihrer Fuchtel« stand. Daher nutzte es nichts, wenn Newton sich bei seinem Herrn über P. I. beschwerte, als dieser von seiner Reise zurückkehrte. »Er konnte mir nicht glauben; und dass sie in Hörweite war, als ich mit ihm sprach, machte die Sache nicht besser.«
Er kam rechtzeitig zu Kräften, um beim nächsten Mal mit seinem Herrn fiussaufwärts zu fahren. Die beiden kamen so lange gut miteinander aus, bis ein anderer Händler Lügen über ihn verbreitete. Er behauptete, Newton bediene sich von den Waren auf der Schaluppe, während sein Herr an Land seinen Geschäften nachging – und der glaubte die Geschichte. Fortan durfte Newton das Schiff nicht mehr verlassen. Der Engländer kettete ihn an Deck an und ließ ihm nichts als eine Schüssel Reis da, bis er wieder zurückkam.
Manchmal war der Händler zwei Tage oder länger unterwegs. Dann musste Newton mit einem Haken ohne Köder Fische fangen, um nicht zu verhungern. Zudem hatte gerade die Regenzeit eingesetzt, und so war er schutzlos den extremsten Wetterlagen ausgeliefert – am Tage der glühenden Hitze, ohne sich in den Schatten flüchten zu können, und nachts heftigen Stürmen, ohne Schutz vor Kälte und Nässe. Seine einzige Bekleidung bestand aus seinem Hemd, einer Hose und einem Baumwolltaschentuch, aus dem er sich eine Kopfbedeckung geknotet hatte. Diese Mischung aus Sonne, Regen, Hitze und Kälte zerbrach seine ohnehin schon schwache Konstitution und verdunkelte seinen Geist noch mehr. Er bekam, wie es scheint, eine rheumatische Arthritis, Schmerzen, die ihn für den Rest seines Lebens begleiten sollten. Er deutete sie als »Erinnerung an den Dienst und Lohn der Sünde«.
Obwohl Newton niemals den Namen des Herrn erwähnte, der ihn so schlecht behandelte, haben ihn einige der letzten Biografen Clow genannt, weil er später mit einem Händler namens Mr. Clow Geschäfte machte, der auf Plantain Island lebte und P. I. kannte. Auch der Historiker Hugh Thomas bezeichnete in seiner großartigen Untersuchung The Slave Trade P. I. als »Mrs. Clow«. Eine genaue Lektüre von Newtons Bericht stützt diese These jedoch nicht. Als er Clow in seinen späteren Tagebüchern einführt, erwähnt er nicht, dass er schon früher eine Beziehung zu ihm hatte, obwohl er, wenn er über P. I. schreibt, sie spitz als seine »frühere schwarze Geliebte« bezeichnet.
Der viel verleumdete Patrick Clow, den Newton sogar als »die einzige Person, auf deren Wort ich mich einigermaßen verlassen kann« bezeichnet, war ein aus Schottland gebürtiger Händler, der in den fünfziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts etliche Male mit Newton zu tun hatte. Er scheint Afrika am Ende jenes Jahrzehnts verlassen zu haben und 1763 in London gestorben zu sein.
Die Misshandlungen hörten nicht auf, als Newton mit dem Händler nach Plantain Island zurückkehrte. Es gab noch immer keine Schuhe oder frische Kleidung für ihn. Essen erhielt er nur widerstrebend, damit er nicht verhungerte; es reichte jedoch nicht aus, um seinen ausgemergelten Körper aufzubauen. Sein Tagesablauf wurde nur dann durchbrochen, wenn er sich mit dem einzigen Buch, das er mitgenommen hatte, in einen entlegenen Winkel der Insel zurückzog. Es war Barrows Übersetzung von Euklids Klassiker der Geometrie, Elemente. Hier zeichnete er Vergrößerungen der Diagramme mit einem Stock in den Sand.
An Mary und seinen Vater schrieb Newton gelegentlich Briefe, die von mitfühlenden Sklaven an Bord der dort anlegenden englischen Schiffe geschmuggelt wurden. Mary versicherte er darin seiner unsterblichen Liebe und erinnerte sie daran, dass die Hoffnung, sie beide möchten eines Tages wieder vereint sein, das Einzige sei, was ihn in seinem Elend aufrechterhielt. Seinen Vater flehte er an, seinen Einfluss geltend zu machen und seine Rettung zu organisieren. Doch er konnte nie wissen, ob seine Briefe tatsächlich auf die Schiffe gelangten, die nach England segelten, und wenn ja, ob sie auch in die richtigen Hände gelangten.