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2 In der Dunkelheit

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„Abgebrannt!“ wiederholte Martin. Er sah mich mit halboffenem Mund an und seine kleinen Augen funkelten erschrocken.

„Der Blitz“, erklärte der Mann mit den Äderchen. „Hier in unserem Gebiet sind die Gewitter oft sehr heftig.“

„Der Hof – abgebrannt?“ schrie Martin. „Alles abgebrannt?“

„Nicht alles“, beruhigte ihn der Mann. „Aber ziemlich viel, nach dem, was ich gehört habe. Well ... ihr werdet’s ja selbst sehen, wenn ihr hinkommt.“

„Und wie kommen wir dahin?“ fragte ich.

„Well“, sagte der Mann, „da werdet ihr wohl Schusters Rappen nehmen müssen. Hier im Ort ist niemand, der jetzt dorthin fahren muß. Aber ihr seid ja jung und kräftig.“

„Aber meine Amerikakiste“, sagte Martin, „die kann doch nicht hier draußen im Regen stehen. Und was ist, wenn jemand ...“

Ich weiß nicht, wieviel Martin schon über seine Amerikakiste und ihren großartigen Inhalt gequasselt hatte. Schon seine Art, „Amerikakiste“ auszusprechen, ärgerte mich.

Ich, ich hatte keine – Amerikakiste. Alles, was ich auf dieser Welt besaß, war eine kleine Tasche, ein bißchen Kleingeld und ein Auswanderervertrag1), auf dem Dan Henry, Gothenburg, und die Zahl 15 stand.

Damals, als dieser Vertrag geschrieben worden war (in einem dunklen Zimmer in Hull in England), hatte ich den Namen Dan Henry erhalten. Mein richtiger Name, Daniel Henrik Gustafsson, würde sich in Amerika nur schwer aussprechen lassen, und so kam es eben zu meinem neuen Namen.

„Ich pfeif’ auf deine Kiste!“ fuhr ich Martin an. „Die brauchst du doch nur irgendwo unterzustellen.“

Während der Zugfahrt hatte man sich immer nur auf dem Boden ausstrecken können. Jetzt war ich einfach hundemüde, da spürte ich auf einmal jene Wut in mir aufsteigen, die mich entschlossen machte.

„Worauf warten wir eigentlich?“ sagte ich. „Wir brauchen doch bloß loszuziehen!“

„Nicht ohne die Amerikakiste!“

„Willst du sie dir etwa unter den Arm klemmen?“

„Och ...“

„Oder sie in die Tasche stecken?“

„Och ...“

Martin ging mit seinem wiegenden Gang davon und setzte sich mit dem Rücken zu uns auf seine Kiste, und der Mann lächelte und sagte, daß so weite Reisen wie die unsrige natürlich an Laune und Kräfte zehrten.

Gemeinsam trugen wir schließlich die Kiste in das Bahnhofsgebäude hinein und schoben sie in eine Ecke; Martin vergewisserte sich noch, daß alle Schnüre und Riemen ordentlich festsaßen.

„Hier steht sie so sicher wie das Amen in der Kirche“, sagte der Mann; „und hier gibt es auch genügend Leute, die darauf aufpassen. Wer würde übrigens schon ein solches Monstrum davonschleppen wollen?“

Martin schob die Unterlippe vor, sagte aber nichts. Der Mann grinste und beschrieb uns den Weg. Bis Dundas müßten wir der Eisenbahnlinie folgen, und dann immer nach rechts halten. Wenn wir jetzt zu müde sein sollten, so gäbe es hier am Ort ja mehrere Hotels.

Er zeigte dabei auf eines dieser Hotels, eine Holzbude etwas weiter oben neben den Schienen, alles andere als einladend.

Und so wanderten wir durch den Regen – aus der kleinen Stadt hinaus; der Weg führte über Felder und Äcker in den Wald hinein, immer geradeaus. In dem dichten Wald prasselte der Regen auf das gelbe Laub, und wir hielten uns auf dem Mittelstreifen des Fahrweges, um nicht allzu nasse Füße zu bekommen. Allmählich wurde es dunkel. Ich erinnere mich noch an zwei glänzende Radspuren auf dem Weg.

„Der Kerl hätte uns ruhig hinfahren können“, war das erste, was Martin sagte.

„Vielleicht hatte er kein Pferd.“

„Ein Pferd“, schnaubte Martin, der vor mir ging. „Mensch, das haben doch alle hier in Amerika. Hier ist es schließlich nicht wie daheim in Uppland!“

Er kam aus der Provinz Uppland. Seine Eltern waren tot, und seine Brüder hatten ihm seinen Anteil am Hof ausbezahlt und ihn nach Amerika geschickt. Das war ungefähr alles, was ich von ihm wußte.

„O nein“, wiederholte er. „Hier ist es nicht wie daheim, o nein!“

Ich sagte nichts. Aber ich gab ihm nicht recht. Nicht ganz. Wir hätten ebenso gut auf einem Waldweg daheim in Schweden sein können.

Wir gingen ungefähr eine halbe Stunde. Der Regen hörte auf und verwandelte sich in Dunst, eine schmale Mondsichel erhellte die Welt mit gespenstischem Licht. Die Baumstämme waren alle sehr dunkel; da fiel mir auf, daß es hier gar keine Birken gab.

Der Wald lichtete sich etwas. Neben dem Weg lag ein großer Felsbrocken, der oben auffallend flach war und der uns in dem blauen Dunst kalt entgegenglänzte. Bei seinem Anblick mußte ich an Trolle und Riesen denken und daran, wie es wohl vor vielen tausend Jahren hier gewesen sein mochte.

„Allmählich krieg’ ich kalte Füße“, klagte Martin und blieb neben dem Felsen stehen. „Und Hunger hab’ ich auch!“

Ich dachte an Märchen, die ich gelesen hatte – und an Indianer. Hier in Minnesota gab es Indianer, hatte ich gehört, vor ein paar Jahren hatte es hier einen Indianeraufstand gegeben. Damals waren sie hier zwischen den Bäumen mit ihren Messern und Streitäxten herumgeschlichen ...

„Auauau“, ächzte Martin, „da müssen wir doch weiter marschieren, als ich geglaubt hatte.“

Immerhin – jetzt schien er besser gelaunt; vielleicht wollte er die Sache mit dem verkehrten Bahnhof etwas vertuschen. Ich ging hin und berührte den Felsbrocken. Er war genauso hoch wie ich.

„Komm, wir klettern hinauf“, schlug ich vor.

„Wozu denn?“ wollte Martin wissen.

Aber dann folgte er mir doch hinauf, und als wir da oben in dem nächtlich glitzernden Wald standen, fühlte ich mich plötzlich auf unerklärliche Weise mächtig und begann in übertriebenem südschwedischem Dialekt zu predigen:

„Und da sprach Jesus zu seinen Jüngern und sagte, daß die Füße des heiligen Martin gewißlich wund seien ...“

Martin kicherte, doch dann wurde er unruhig und sagte, daß wir nicht zu spät zu Onkel Kalle kommen dürften.

„Heute oder morgen ... was spielt das schon für eine Rolle!“

Jetzt war ich übermütig wie ein Kind.

„Er hat doch gar kein settlement mehr“, sagte ich. „Das ist doch abgebrannt.“

„Halt’s Maul!“

Martin schob sein Kinn vor und versetzte mir einen harten Stoß mit dem Ellenbogen.

Ich stieß zurück – eine Prügelei schien unvermeidlich.

„Paß auf, du ...“

Wir fluchten und rangen miteinander, bis Martin vom Stein hinunterkletterte und davonging.

„Jetzt hast du gar keinen reichen Onkel mehr, zu dem du kommen kannst!“ rief ich hinter ihm her. „Aber dann kannst du ja in deiner Amerikakiste hausen!“

Er antwortete nicht, drehte sich auch nicht um. Nach einer Weile war er hinter den Bäumen verschwunden.

Allein im Wald mit brennenden Wangen. Schwaches Sausen in den Bäumen und gelbes Laub, das vorbeitrieb. Ich dachte an die düsteren Tage in Hull zurück, als noch alles ungewiß war, als ich noch keinen Vertrag hatte, und als ich durch die schummrigen Gassen streifte.

Es war finster damals, trotzdem hatte ich noch etwas, worauf ich hoffen konnte. Aber jetzt ...

Ich mußte Martin einholen. Ich war nicht stark genug, allein zu sein, die Angst und Unruhe fernzuhalten. Noch nicht.

Rasch ging ich die mit Laub gefüllten Radspuren entlang und schämte mich meiner Schwäche. Die feuchte Erde dampfte im Mondschein. Inzwischen war es sehr dunkel geworden, und der Wald war voller Geräusche – das plötzliche Auffliegen eines Vogels, raschelndes Laub und dann etwas anderes, Schweres ... ich wußte nicht was.

Ich blieb stehen. Die Dunkelheit kreiste mich ein. Phantasiebilder. Erinnerungen ...

... Der Zug rumpelt über die Ebene. Ein paar Bierflaschen rollen auf dem Boden unter den Sitzen hin und her, und das Gespräch dreht sich um Indianer, um den Hungeraufstand in Minnesota im Herbst 62. Einer sagt, er habe mit eigenen Augen gesehen, wie sich die Indianer auf einen seiner Verwandten stürzten, einen alten Mann, der nicht so schnell wie die anderen davonrennen konnte. Wie einer der Rothäute tanzte und heulte, und dann dem Alten seine Streitaxt in den Schädel hieb – und dann skalpierte und dann ...

Als ich so in der Dunkelheit dastand und an Indianer dachte, fürchtete ich mich sehr, und ich vermeinte, jemand rechts zwischen den Stämmen herumschleichen zu hören.

Oder – war es nur Einbildung? Plötzlich war alles still, ich hörte nur noch die natürlichen Geräusche des Waldes.

Ich wagte immer noch nicht, mich zu bewegen. Nein, es war doch keine Einbildung! Jetzt hörte ich es ganz deutlich: Schritte und sie kamen näher.

Ich duckte mich und starrte in die Dunkelheit hinein, ich war davon überzeugt, daß sich tatsächlich etwas zwischen den Stämmen bewegte.

Dan Henry - Im Wilden Westen

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