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Mit den Schuhen in der Hand wartete ich in dem Flur, während Bobby ihr eine Decke überlegte und auf Zehenspitzen aus dem Zimmer kam. Sanft schloß er die Tür.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte ich.

»Es geht ihr gut. Sie war gestern abend nur ein bißchen zu lange auf.«

»Was meinst du damit? Sie ist halbtot!«

Er bewegte sich unbehaglich. »Glaubst du wirklich?«

»Bobby, so schau sie dir doch an! Sie ist ein Skelett. Sie nimmt Drogen, Alkohol, Zigaretten. Und obendrein raucht sie auch noch Dope, wie du weißt. Wie soll sie das überleben?«

»Ich weiß nicht. Ich habe wohl nie geglaubt, daß es ihr so schlecht geht«, meinte er. Er war nicht nur jung, er war naiv. Oder vielleicht war sie so langsam zugrunde gegangen, daß er nicht mehr wahrnehmen konnte, in welcher Verfassung sie sich befand.

»Seit wann ist sie magersüchtig?«

»Seitdem Rick tot ist, vermute ich. Vielleicht etwas früher. Er war ihr Freund, und es hat sie ganz schön getroffen.«

»Geht sie deshalb zu Dr. Kleinert? Wegen der Magersucht?«

»Nehme ich an. Ich habe nie nachgefragt. Sie war seine Patientin, bevor ich anfing, zu ihm zu gehen.«

Eine Stimme mischte sich ein. »Gibt es Probleme?«

Derek Wenner näherte sich von der Galerie aus, den Highball in der Hand. Er war ein Mann, der einmal gut ausgesehen hatte. Von mittlerer Größe, hellhaarig, graue Augen, die von einer Brille mit Stahlfassung vergrößert wurden. Wohlwollend geschätzt, war er jetzt Ende Vierzig und hatte solide dreißig Pfund Übergewicht. Er hatte das aufgedunsene, gerötete Gesicht eines Mannes, der zuviel trinkt. Seine Haargrenze hatte sich auf ein breites U zurückgezogen, das einen Ausläufer dünner werdenden Haares in der Mitte zurückgelassen hatte, kurz geschoren und zur Seite gekämmt. Die überzähligen Pfunde hatten ihm ein Doppelkinn und einen breiten Hals eingebracht, der den Kragen seines Frackhemdes zu eng erscheinen ließ. Seine Gabardinehose mit Bügelfalte sah teuer aus, genau wie seine Slipper, die braun-weiß waren und ins Leder gestanzte Löcher hatten. Vorher hatte er noch ein Sakko getragen, aber das hatte er zusammen mit seiner Krawatte abgelegt. Erleichtert knöpfte er sich den Kragen auf.

»Was ist los? Wo ist Kitty? Deine Mutter möchte wissen, warum sie sich nicht zu uns gesellt hat.«

Bobby schien verwirrt. »Ich weiß nicht. Sie hat mit uns gesprochen, und sie ist eingeschlafen.«

»Eingeschlafen« schien mir ein bißchen untertrieben. Kittys Gesicht hatte die Farbe eines Plastikrings gehabt, den ich als Kind mal weggegeben habe. Der Ring war weiß gewesen, aber wenn man ihn eine Weile ans Licht hielt und dann die Hand darüberhielt, leuchtete er schwach grün. Das zeugte in meinen Augen nicht gerade von guter Gesundheit.

»Mist, ich rede lieber mal mit ihr«, sagte er. Ich mußte nicht erst raten, daß er alle Hände voll mit ihr zu tun hatte. Er öffnete die Tür und betrat Kittys Zimmer.

Bobby sah mich mit einem Blick an, der zum Teil Bestürzung, zum Teil Angst ausdrückte. Ich schaute durch die offene Tür hinein. Derek stellte seinen Drink auf den Tisch und setzte sich auf Kittys Bett.

» Kitty?«

Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und schüttelte sie sanft. Keine Reaktion. »He, komm schon, Liebling. Wach auf.«

Er warf mir einen besorgten Blick zu.

Dann schüttelte er Kitty etwas rauher. »Los, komm. Wach auf.«

»Möchten Sie, daß ich einen der Ärzte von unten hole?« fragte ich. Er schüttelte sie wieder, Ich wartete die Antwort nicht ab.

Ich zog meine Schuhe aus, ließ meine Handtasche an der Tür stehen und lief zur Treppe.

Als ich zum Wohnzimmer kam, schaute Glen Callahan zu mir herüber. Offensichtlich spürte sie, daß etwas nicht stimmte.

Sie kam näher. »Wo ist Bobby?«

»Oben bei Kitty. Ich glaube, es wäre vielleicht besser, wenn mal jemand nach ihr sieht. Sie ist bewußtlos geworden, und Ihr Mann hat Mühe, sie wachzubekommen.«

»Ich hole Leo.«

Ich beobachtete, wie sie sich Dr. Kleinert näherte und flüsternd mit ihm sprach. Er sah zu mir herüber und entschuldigte sich dann bei seinen Gesprächspartnern. Wir drei gingen hinauf.

Bobby leistete Derek auf Kittys Bettkante Gesellschaft, das Gesicht vor Sorge zerknittert. Derek versuchte, Kitty in eine sitzende Haltung zu ziehen, doch sie sackte zur Seite weg. Dr. Kleinert lief eilig hin und schob die beiden Männer aus dem Weg. Schnell checkte er ihre Lebenszeichen und zog eine kleine Taschenlampe aus der Innentasche seines Anzugs. Ihre Pupillen hatten sich auf Stecknadelkopfgröße zusammengezogen, und die grünen Augen wirkten aus meiner Sicht milchig und leblos. Augenscheinlich reagierten sie kaum auf das Licht, das er erst in dem einen, dann in dem anderen aufblitzen ließ. Ihr Atem war flach und langsam und ihre Muskeln schlaff. Dr. Kleinert langte nach dem Telefon, das am Bett auf dem Fußboden stand, und wählte 911.

Glen blieb in der Tür stehen. »Was ist los?«

Kleinert ignorierte sie und sprach mit der Unfallstation.

»Hier ist Dr. Leo Kleinert. Ich brauche einen Krankenwagen, zur West Glen Road in Montebello. Ich habe einen Patienten hier, der eine Barbituratvergiftung hat.« Er gab die Adresse und eine kurze Beschreibung des Weges durch. Dann legte er auf und sah Bobby an. »Hast du eine Ahnung, was sie genommen hat?«

Bobby schüttelte den Kopf.

Derek reagierte und sagte an Glen gewandt: »Vor einer halben Stunde ging es ihr noch gut. Ich habe selbst mit ihr gesprochen.«

»O Derek. Um Gottes willen«, sagte er verärgert.

Kleinert lehnte sich vor und öffnete die Nachttischschublade. Er wühlte sich durch einigen Krempel, zögerte dann und zog einen Pillenvorrat heraus, der einen Elefanten abgefüllt hätte. Sie befanden sich in einer Reißverschlußtasche, vielleicht zweihundert Kapseln: Nembutal, Seconal, blau-orangefarbene Tuinal, Antidepressiva, Aufputschmittel – wie das farbenfrohe Lager einer exotischen Baumwollfirma.

Kleinerts Gesichtsausdruck war voller Verzweiflung. Er sah zu Derek auf, die Tasche an einer Ecke haltend. Beweisstück A in einer Verhandlung, die nach meiner Vermutung schon eine Zeitlang dauerte.

»Was sind das für Dinger?« fragte Derek. »Wie ist sie drangekommen?«

Kleinert schüttelte den Kopf. »Laß uns erst einmal allein sein, dann können wir uns darüber Gedanken machen.«

Glen Callahan hatte sich bereits umgedreht und den Raum verlassen. Ich hörte ihre Absätze zielbewußt zur Treppe klappern. Bobby nahm meinen Arm, und wir beide gingen auf den Flur hinaus.

Anscheinend hatte Derek immer noch Mühe, zu verstehen, was hier geschehen war. »Wird sie wieder gesund werden?«

Dr. Kleinert murmelte eine Antwort, aber ich konnte nicht verstehen, was er sagte.

Bobby brachte mich in ein Zimmer auf der anderen Seite des Flurs und schloß die Tür. »Wir sollten ihnen nicht im Weg sein. Nachher gehen wir hinunter.« Er rieb sich die Finger seiner kranken Hand, als seien sie ein Talisman. Das Schleppen in seiner Stimme war wieder da.

Das Zimmer war riesig. Die tiefliegenden Fenster führten auf die Rückseite des Grundstücks hinaus. Der weiße Teppichboden hatte einen dichten, kurzen Flor, der so frisch gesaugt war, daß Bobbys Fußabdrücke darin sichtbar blieben. Sein Doppelbett erschien geradezu winzig in diesem etwa hundert Quadratmeter großen Raum, an den sich zur Linken ein Ankleidezimmer anschloß, hinter dem noch etwas lag, das offensichtlich ein Badezimmer war. Auf einer antiken Fichtentruhe für Bettzeug am Fußende des Bettes stand ein Fernsehgerät. An der Wand zu meiner Rechten befand sich ein langer, eingebauter Schreibtisch mit einer weißen Kunststoffoberfläche. Eine IBM Selectric II und die Tastatur, der Monitor und der Printer für einen Heimcomputer waren darauf aufgebaut. Die Bücherregale waren ebenfalls aus weißem Kunststoff und fast ausschließlich mit Medizinbüchern angefüllt. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich eine Sitzecke: zwei gepolsterte Sessel und ein Liegesofa, das mit einem karierten Stoff in Weiß, Rostfarben und Schieferblau überzogen war. Der Kaffeetisch, die Leselampe, die Bücher und Zeitschriften, die sich daneben stapelten, deuteten darauf hin, daß Bobby hier seine Freizeit verbrachte.

Er ging zu einer Gegensprechanlage an der Wand und drückte einen Knopf.

» Callie, wir verhungern hier oben. Würdest du uns wohl ein Tablett raufschicken? Wir sind zu zweit, und wir brauchen auch etwas Weißwein.«

Ich hörte ein dumpfes Klappern im Hintergrund – Geschirr, das in die Geschirrspülmaschine geräumt wurde. »Ja, Mr. Bobby. Ich werde Alicia etwas hochbringen lassen.«

»Danke.«

Er humpelte zu einem Sessel und setzte sich. »Ich esse, wenn ich aufgeregt bin. Das hab ich schon immer getan. Komm, setz dich. Scheiße, ich hasse dieses Haus. Früher habe ich es geliebt. Als Kind fand ich es großartig. Platz zum Rennen. Platz, sich zu verstecken. Ein Hof, der ins Unendliche ging. Heute fühle ich mich hier wie in einem Kokon. Isoliert. Aber es kann das Schlechte nicht abhalten. Man friert hier. Frierst du?«

»Mir geht’s gut«, erwiderte ich.

Ich setzte mich in den anderen Sessel. Er schob das Sofa hinüber, und ich legte die Füße hoch. Ich fragte mich, wie es sein mußte, in einem Haus wie diesem zu leben, wo man sich um alle Bedürfnisse kümmerte, wo jemand anderer für den Einkauf und das Kochen verantwortlich war und für das Waschen, die Abfallbeseitigung, die Gartenpflege. Welche Freiheiten bleiben einem da?

»Wie ist es, wenn man aus einer so gut gestellten Umgebung kommt? Ich kann mir das nicht einmal vorstellen.«

Er zögerte und hob den Kopf.

Aus der Ferne hörten wir den Krankenwagen näherkommen. Die Sirene schwoll zum Crescendo an und leierte dann mit einem Seufzer des Bedauerns herunter. Er sah mich an und tupfte sich unsicher das Kinn ab. »Glaubst du, daß wir überheblich sind?« Die beiden Hälften seines Gesichts schienen widersprüchliche Botschaften auszusenden: die eine lebhaft, die andere tot.

»Woher soll ich das wissen? Ihr lebt entschieden besser als die meisten anderen Menschen«, meinte ich.

»Hör mal, wir leisten unseren Beitrag. Meine Mutter führt eine Menge Spendensammlungen für örtliche Wohltätigkeitsvereine durch, und sie sitzt im Vorstand des Kunstmuseums und der Historischen Gesellschaft. Ich weiß nicht, wie es mit Derek aussieht. Er spielt Golf und hängt im Club herum. Na gut, das ist nicht fair. Er hat ein paar Anlagen, um die er sich kümmert, so haben sie sich kennengelernt. Er war der Testamentsvollstrecker des Treuhandvermögens, das mein Großvater mir hinterlassen hat. Als Mom und er geheiratet hatten, hat er an der Bank aufgehört. Jedenfalls unterstützen sie eine ganze Menge Sachen, also ist es nicht so, daß sie nur hemmungslos die Armen unter ihren Füßen zermalmen. Meine Mutter hat fast ganz allein den Santa Teresa Girl’s Club ins Leben gerufen. Und das Frauen-Krisencenter ebenfalls.«

»Wie ist es mit Kitty? Was fängt sie mit sich an, wenn sie sich gerade mal nicht vollpumpt?«

Er sah mich vorsichtig an. »Du solltest keine Urteile fällen. Du weißt nicht, was irgendeiner von uns durchgemacht hat.«

»Du hast recht. Tut mir leid. Ich wollte nicht, daß es so selbstgerecht klingt. Ist sie in einer Privatschule?«

Er schüttelte den Kopf. »Nicht mehr. Sie haben sie dieses Jahr zur Santa Teresa High School wechseln lassen. Alles Versuche, sie wieder auf die rechte Bahn zu bringen.«

Unbehaglich schaute er zur Tür. Das Haus war so massiv gebaut, daß man nicht beurteilen konnte, ob die Sanitäter schon heraufgekommen waren.

Ich ging durch den Raum und öffnete sie einen Spaltbreit. Sie kamen gerade mit der fahrbaren Trage aus Kittys Zimmer. Die Räder quietschten wie bei einem Einkaufswagen, als sie mit ihr in den Flur einbogen. Sie war mit einer Decke zugedeckt, unter der sie sich kaum abzeichnete, so zart war sie. Ein dünner Arm ragte unter den Decken hervor. Sie hatten ihr einen Tropf angelegt, und einer der Sanitäter hielt eine Plastiktüte mit einer klaren Lösung hoch. Durch ein Nasenloch wurde ihr Sauerstoff zugeführt. Dr. Kleinert ging ihnen voran zur Treppe, und Derek bildete das Schlußlicht. Er hatte seine Hände verlegen in die Taschen gesteckt, sein Gesicht war blaß. Er wirkte nutzlos und fehl am Platze und blieb stehen, als er mich erblickte.

»Ich werde in meinem Wagen hinterherfahren«, meinte er, obwohl niemand ihn gefragt hatte. »Sagen Sie Bobby, wir werden im St. Terry sein.«

Er tat mir leid. Die ganze Szene schien wie aus einer Fernsehserie, so ausdruckslos und geschäftsmäßig verhielt sich das medizinische Personal. Hier wurde seine Tochter davongetragen, und sie konnte tatsächlich sterben, aber diese Möglichkeit schien keiner anzusprechen. Keine Spur von Bobbys Mutter, keine Spur von den Leuten, die zum Drink gekommen waren. Alles schien irgendwie fehlgelaufen zu sein, wie bei einer sorgfältig ausgearbeiteten Vorstellung, die dann danebengeht. »Möchten Sie, daß wir mitkommen?« fragte ich.

Derek schüttelte den Kopf. »Sagen Sie meiner Frau, wo ich bin«, erwiderte er. »Ich rufe an, sobald ich Näheres weiß.«

»Viel Glück«, wünschte ich, und er lächelte mich so schwach an, als sei Glück nicht gerade etwas, mit dem er viel Erfahrung hatte.

Ich beobachtete, wie die Prozession die Treppe hinunter verschwand. Dann schloß ich die Tür zu Bobbys Zimmer. Ich setzte zum Sprechen an, aber Bobby unterbrach mich.

»Ich hab’s gehört«, sagte er.

»Warum hält sich deine Mutter da raus? Steht sie mit Kitty auf Kriegsfuß?«

»Gott, das ist alles zu kompliziert, um es dir erklären zu können. Nach dem letzten Zwischenfall wollte Mom nichts mehr mit Kitty zu tun haben, und das ist nicht so herzlos, wie es klingt, ganz am Anfang hat sie getan, was sie konnte, aber vermutlich gab es einfach eine Krise nach der anderen. Das ist zum Teil die Ursache dafür, daß sie und Derek solche Schwierigkeiten haben.«

»Was ist der andere Teil?«

Sein Blick war trübe. Es war klar, daß er das Gefühl hatte, gleichermaßen die Schuld zu tragen.

Es klopfte an der Tür, und eine Chicanofrau mit geflochtenen Haaren erschien mit einem Tablett. Ihr Gesicht war ausdruckslos, und sie sah niemanden an. Falls sie wußte, was vor sich ging, ließ sie es sich nicht anmerken. Sie fuhrwerkte eine Weile mit Tischtüchern und Besteck herum. Ich dachte schon, gleich würde sie uns eine Quittung präsentieren, zum Unterschreiben fürs Trinkgeld.

»Danke, Alicia«, sagte Bobby.

Sie murmelte etwas und verschwand. Ich fühlte Unbehagen darüber, daß alles so unpersönlich war. Ich wollte sie fragen, ob ihre Füße genauso weh taten wie meine, oder ob sie eine Familie habe, über die wir reden könnten. Ich wollte, daß sie Neugier oder Entsetzen äußerte über diese Leute, für die sie arbeitete und die zu den unmöglichsten Tageszeiten auf Liegen weggekarrt werden. Statt dessen schenkte Bobby uns Wein ein, und wir aßen.

Das Mahl sah aus wie aus einer Illustrierten. Pralle kalte Hähnchenviertel mit Senfsauce, winzige Blätterteigtörtchen mit Spinat und einem rauchigen Cheddarkäse gefüllt, hier und da ein paar Weintrauben und Petersiliensträußchen. Zwei kleine Porzellanschalen mit Deckel enthielten geeiste Tomatensuppe mit frisch geschnittenem Dill und einem Tupfer Crème fraiche obenauf. Wir beendeten das Essen mit einem Teller kleiner, verzierter Kekse. Ob diese Leute jeden Tag so aßen? Bobby würdigte all dies keines Blickes. Ich weiß nicht, was ich von ihm erwartete. Er konnte kaum jedesmal in ein Freudengeheul ausbrechen, wenn eine Mahlzeit serviert wurde. Aber ich war beeindruckt, und vermutlich wollte ich, daß er sich genauso wunderte wie ich, damit ich mir nicht ganz wie ein Bauerntrottel vorkam.

Als wir schließlich hinuntergingen, war es fast acht Uhr, und die Gäste waren verschwunden. Das Haus schien ausgestorben, mit Ausnahme der beiden Mädchen, die schweigend das Wohnzimmer aufräumten, als wir vorbeikamen. Bobby führte uns zu einer schweren, eichengetäfelten Tür auf der anderen Seite der großen Halle. Er klopfte, und von innen kam eine gemurmelte Antwort. Wir betraten ein kleines Studierzimmer, in dem Glen Callahan mit einem Buch saß, ein Weinglas zu ihrer Rechten auf dem Tischende. Sie trug jetzt schokoladenbraune Wollhosen und einen passenden Kaschmir-Pullover. In dem Kupferrost brannte ein Feuer. Die Wände waren tomatenrot gestrichen, und die passenden Vorhänge waren zugezogen, um die kühle Dämmerung abzuhalten. In Santa Teresa sind die meisten Abende, unabhängig vom Monat, kalt. Dieser Raum war gemütlich, eine intime Rückzugsgelegenheit vom Rest des Hauses mit seinen hohen Decken und kalkweiß verputzten Wänden.

Bobby setzte sich in den Sessel seiner Mutter gegenüber. »Hat Derek schon angerufen?«

Sie schloß ihr Buch und legte es beiseite. »Vor ein paar Minuten. Sie ist über den Berg. Sie haben ihr den Magen ausgepumpt, und wenn sie außer Gefahr ist, wird man sie ins Krankenhaus aufnehmen. Derek wird dableiben, bis die Papiere unterschrieben sind.«

Ich sah Bobby an. Er senkte seinen Kopf in die Hände und seufzte einmal vor Erleichterung, ein Geräusch wie ein tiefer Ton aus dem Dudelsack. Er schüttelte den Kopf und starrte auf den Fußboden.

Glen beobachtete ihn. »Du bist erschöpft. Warum gehst du nicht einfach zu Bett? Ich wollte sowieso mit Kinsey allein sprechen.«

»In Ordnung, könnte ich eigentlich machen«, meinte er. Das Schleppen in seiner Stimme war überdeutlich geworden, und jetzt sah ich, wie die feinen Muskeln neben seinen Augen zuckten, als würden sie elektrisch stimuliert. Offenbar wurde seine Behinderung durch Müdigkeit verschlimmert. Er stand auf und ging zu ihrem Sessel hinüber. Glen nahm sein Gesicht in ihre Hände und sah ihn aufmerksam an.

»Ich werde es dich wissen lassen, wenn Kittys Zustand sich ändern sollte«, murmelte sie. »Ich will nicht, daß du dir Sorgen machst. Schlaf gut.«

Er nickte und legte die gesunde Seite seines Gesichts an ihres. Dann ging er zur Tür. »Ich ruf dich morgen früh an«, sagte er zu mir gewandt und ging hinaus. Einen Moment lang konnte ich seinen schlurfenden Gang im Flur hören, dann erstarb das Geräusch.

Abgrundtief/Ruhelos

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