Читать книгу Abgrundtief/Ruhelos - Sue Grafton - Страница 14
8
ОглавлениеAls ich Bobby um fünf bei ihm zu Hause absetzte, zögerte er, nachdem er aus dem Wagen gestiegen war. Wie er es schon einmal getan hatte, stand er da, eine Hand auf die Tür gelegt, und schaute zu mir hinein.
»Weißt du, was ich an dir mag?« fragte er.
»Was?« fragte ich zurück.
»Wenn ich mit dir zusammen bin, fühle ich mich nicht so verunsichert, nicht so verkrüppelt oder häßlich. Ich weiß nicht, wie du das machst, aber es tut gut.«
Ich sah ihn einen Moment lang an und fühlte mich jetzt selbst verunsichert. »Ich werde es dir erklären. Du kommst mir vor wie ein Geburtstagsgeschenk, das jemand per Post geschickt hat. Das Papier ist zerrissen, und die Schachtel ist kaputt, aber es ist immer noch etwas ganz Tolles drin. Ich bin gern mit dir zusammen.«
Ein halbes Lächeln zeigte sich und verschwand wieder. Er sah erst zum Haus hinüber und dann wieder zu mir. Er hatte noch etwas anderes im Kopf, doch es schien ihm peinlich zu sein, es zuzugeben.
»Und?« ermunterte ich ihn.
Er legte den Kopf schief, und dieser Ausdruck in seinen Augen war mir nicht unbekannt. »Wenn ich okay wäre ... wenn ich intakt wäre, hättest du dann mal über eine Beziehung zu mir nachgedacht? Ich meine, Mann-Frau-mäßig?«
»Willst du die Wahrheit wissen?«
»Nur wenn sie schmeichelhaft ist.«
Ich lachte. »Die Wahrheit ist, wenn ich dich vor dem Unfall zufällig kennengelernt hätte, wäre ich eingeschüchtert gewesen. Du bist zu gutaussehend, zu reich und zu jung. Also hätte ich nein sagen müssen. Wenn du ›intakt‹ wärst, wie du es ausdrückst, hätte ich dich wahrscheinlich überhaupt nicht kennengelernt. Du bist wirklich nicht mein Typ, weißt du?«
»Was ist dein Typ?«
»Das habe ich noch nicht rausgefunden.«
Er sah mich eine Minute lang mit einem komischen Lächeln an.
»Würdest du mir vielleicht mal verraten, was in deinem Kopf vorgeht?« forderte ich ihn auf.
»Wie schaffst du es, alles so rumzudrehen, daß ich froh bin, so deformiert zu sein?«
»Mein Gott, du bist nicht deformiert. Jetzt hör auf damit! Wir sehen uns später.«
Er lächelte und warf die Wagentür zu. Dann trat er zurück, damit ich wenden und auf der anderen Seite der Einfahrt hinausfahren konnte.
Ich fuhr zu meiner Wohnung zurück. Es war erst Viertel nach fünf. Ich hatte noch Zeit, einen Lauf einzuschieben, obwohl ich mich fragte, ob das so klug wäre. Bobby und ich hatten den größten Teil des Nachmittags damit zugebracht, Bier und Bourbon und schlechten Chablis zu trinken und gegrillte Spareribs und Sauerteigbrot zu kauen, das einem die Plomben aus den Zähnen ziehen konnte. Ich hatte wirklich mehr Lust auf ein Schläfchen als auf einen Lauf, aber ich dachte, die Selbstdisziplin könnte mir guttun.
Ich zog mir die Joggingsachen an und absolvierte drei Meilen mit gleichzeitiger geistiger Gymnastik, bei der ich mich mit der Organisierung dieses Falls beschäftigte. Das schien eine wacklige Geschichte zu sein, und ich wußte nicht, wo ich anfangen sollte. Ich dachte, am besten ginge ich zuerst zu Dr. Fraker in die Pathologische Abteilung des St. Terry und besuchte vielleicht bei dieser Gelegenheit auch Kitty. Dann würde ich es mit dem Zeitungsarchiv versuchen und mir die mühselige Arbeit machen, die Lokalnachrichten aus der Zeit vor dem Unfall durchzusehen, um zu überblicken, was damals los war. Vielleicht würde ein Vorfall von damals Licht auf Bobbys Behauptung werfen, daß jemand versucht hatte, ihn umzubringen.
Um sieben ging ich auf ein Glas Wein zu Rosie hinüber. Ich fühlte mich unruhig und überlegte, ob Bobby nicht irgend etwas in mir in Bewegung gesetzt hatte. Es war schön, mit jemandem so befreundet zu sein, schön, sich einen Nachmittag in netter Gesellschaft zu vertreiben, schön, jemanden zu haben, auf dessen Gesicht ich mich freuen konnte. Ich war nicht sicher, wie ich unsere Beziehung einzuordnen hatte. Meine Zuneigung zu ihm war keinesfalls mütterlicher Art. Schwesterlich vielleicht. Er war ein guter Freund, und ich brachte ihm all die Bewunderung entgegen, die man einem guten Freund entgegenbringt. Er war amüsant, und das Zusammensein mit ihm war entspannend. Ich war schon so lange allein, daß eine Beziehung, egal welcher Art, verführerisch erschien.
Ich holte mir an der Theke ein Glas Wein, setzte mich dann in die hintere Nische und inspizierte das Lokal. Für einen Dienstagabend war ganz schön was los. Und das bedeutet, daß zwei Typen näselnd an der Theke diskutierten und ein altes Paar aus der Nachbarschaft sich einen großen Teller Pfannkuchen mit Schinken teilte. Rosie blieb mit einer Zigarette hinter der Theke sitzen. Der aufsteigende Rauch bildete um ihren Kopf herum einen Ring aus Nikotin und Haarspray. Sie ist Mitte Sechzig, Ungarin und herrisch. Ein Geschöpf aus getönten kastanienbraunen Locken, die sie in der Mitte gescheitelt trägt. Festgeklebt hat sie sie mit Sprays, die auf den Regalen von Lebensmittelgeschäften gestanden hatten, seit 1966 die Duttfrisuren aus der Mode gekommen waren. Rosie hat eine lange Nase, eine kurze Unterlippe und Augen, die sie zu schmalen, mißtrauisch wirkenden Schlitzen schminkt. Sie ist klein, oberlastig und starrsinnig. Außerdem neigt sie zum Schmollen, was bei einer Frau ihres Alters lächerlich, aber effektiv ist. Die Hälfte der Zeit mag ich sie nicht besonders, aber sie hört auch nie auf, faszinierend zu sein.
Ihr Laden hat die gleiche rauhe, aber anziehende Wirkung. Die Theke erstreckt sich längs der linken Wand, einen ausgestopften Speerfisch darüber gewölbt, von dem ich vermute, daß er nie wirklich gelebt hat. Ein großer Farbfernseher steht auf der anderen Seite der Theke und läuft mit abgeschaltetem Ton, so daß die Bilder umhertanzen wie Botschaften von einem anderen Planeten, wo das Leben voller Energie und Verrücktheit ist. Das Lokal riecht immer nach Bier, Zigarettenrauch und Bratfett, das schon vor einer Woche hätte gewechselt werden müssen. Die sechs oder sieben Tische in der Mitte des Raums werden ergänzt durch Eßtischstühle der Chrom- und Plastikkategorie aus den vierziger Jahren. Die acht Sitznischen an der rechten Wand sind aus Sperrholz, das in der Farbe von Walnußholz gebeizt ist. Einige Missetäter hatten geschmacklose Sprüche in das Holz geritzt und es offenbar auch auf der Damentoilette versucht. Möglicherweise kann Rosie nicht genug Englisch, um die wahre Bedeutung dieser primitiven Slogans zu erraten. Genauso gut ist es möglich, daß sie exakt ihre eigenen Gedanken wiedergeben. Schwer zu sagen bei ihr.
Ich sah zu ihr hinüber und entdeckte, daß sie kerzengerade und sehr ruhig dasaß und mit zusammengekniffenen Augen zur Eingangstür starrte. Ich folgte ihrem Blick. Henry war gerade mit seiner neuen Freundin, Lila Sams, hereingekommen. Rosies Antennen waren wohl automatisch ausgefahren, wie bei einem Marsmännchen, das Gefahr wittert. Henry suchte einen einigermaßen sauberen Tisch und zog einen Stuhl hervor. Lila setzte sich und legte sich ihre große Plastiktasche auf den Schoß wie einen kleinen Hund. Sie trug ein leuchtendes Baumwollkleid mit einem geschmacklosen Muster, fetter roter Klatschmohn auf blauem Grund. Ihre Haare sahen aus, als seien sie am gleichen Nachmittag im Schönheitssalon aufgedreht worden. Henry setzte sich und sah sich zu der Nische um, von der er weiß, daß ich gewöhnlich dort sitze. Ich winkte leicht mit dem Finger, und er winkte zurück. Lilas Kopf schwenkte in meine Richtung, und ihr Lächeln nahm den Ausdruck falscher Freude an.
Inzwischen hatte Rosie ihre Abendzeitung beiseite gelegt und ihren Barhocker verlassen und glitt jetzt wie ein Hai hinter der Theke hervor. Ich konnte nur mutmaßen, daß sie und Lila sich bereits kannten. Mit Interesse sah ich zu. Das hier konnte fast so interessant werden wie Godzilla trifft Bambi in meinem Kino um die Ecke. Von meinem Beobachtungsposten aus fand die ganze Begegnung natürlich als Pantomime statt.
Rosie hatte ihren Bestellblock hervorgezogen. Sie stand da und starrte Henry an. Sie benahm sich, als wäre er alleine, wie sie es auch immer mit mir macht, wenn ich einen Freund mitbringe. Rosie redet nicht mit Fremden. Sie sieht nur jemandem in die Augen, den sie schon eine Zeitlang kennt. Das gilt vor allem, wenn diese »Jemands« weiblich sind. Lila war total aufgeregt. Henry beriet sich mit ihr und bestellte für sie beide. Eine große Diskussion entstand. Daraus folgerte ich, daß Lila einen Vorschlag gemacht hatte, der nicht mit Rosies Vorstellungen von ungarischer Feinschmeckerküche zusammenpaßte. Vielleicht wollte Lila keine Peperoni oder etwas gegrillt statt gebraten. Lila sah mir nach der Art Frau aus, die eine Menge Ernährungstabus hat. Rosie hatte nur das eine. Entweder aß man, wie sie es zubereitet hatte, oder man ging woanders hin.
Lila konnte offensichtlich nicht begreifen, daß man ihre Wünsche nicht befriedigen wollte. Schrille und zänkische Geräusche kamen auf, alle von Lila. Rosie sagte kein Wort. Es war ihr Lokal. Sie konnte tun, was sie wollte. Die beiden Männer an der Bar, die über Politik diskutiert hatten, drehten sich um. damit sie der Show folgen konnten. Das Paar, das die sonkás palacsinta aß, hielt gleichzeitig inne, die Gabeln mitten in dei Luft.
Lila sprang von ihrem Stuhl auf. Einen Moment lang dachte ich, sie wollte Rosie mit ihrer Tasche schlagen. Statt dessen sah es aus, als gebe sie eine verletzende Bemerkung von sich. Dann marschierte sie Richtung Tür, und Henry stürzte hinterher Rosie blieb ungerührt. Sie lächelte geheimnisvoll wie eine Katze mitten in einem Mäusetraum. Wir Gäste im Lokäl wurden alle fünf sehr still und widmeten uns geflissentlich unseren eigenen Gedanken, damit Rosie nicht auf die Idee kam, sich unerklärlicherweise uns zuzuwenden und uns mit lebenslangem Lokalverbot zu belegen.
Zwanzig Minuten vergingen, bevor Rosie einen Vorwand fand, in meine Richtung zu kommen. Mein Weinglas war leer und sie brachte mir mit beispielloser Bereitwilligkeit ein volles Sie stellte das zweite Glas auf den Tisch, faltete dann die Hände vor sich und wackelte ein bißchen auf der Stelle. Das macht sie, wenn sie Aufmerksamkeit erregen möchte, oder das Gefühl hat, man habe ihre kulinarischen Fertigkeiten nicht ausgiebig genug mit Lob gewürdigt.
»Scheint, Sie haben sich ihrer angenommen«, bemerkte ich
»’ne vulgäre Frau. Schreckliches Geschöpf. Sie war schor einmal hier, und ich kann sie kein bißchen ausstehen. Henry muß total übergeschnappt sein, mit ‘nem Flittchen wie der mein Lokal zu betreten. Wer ist sie?«
Ich zuckte die Achseln. »Schauen Sie, ich weiß nur, daß sie Lila Sams heißt. Sie hat ein Zimmer bei Mrs. Lowenstein gemietet, und Henry scheint verknallt zu sein.«
»Ich werde ihr eine knallen, wenn sie nochmal. hier reinkommt! Sie hat irgend etwas Komisches an ihren Augen.« Rosie verzog das Gesicht und brachte mich mit ihrer Imitation von Lila zum Lachen. Rosie ist im allgemeinen ein humorloser Mensch, und ich hatte keine Ahnung von ihrer scharfen Beobachtungsgabe, geschweige denn von ihren schauspielerischen Fähigkeiten. Natürlich meinte sie es todernst. Sie nahm sich zusammen. »Was will sie überhaupt von ihm?«
»Wie kommen Sie darauf, daß sie etwas von ihm will? Vielleicht sind die beiden einfach bloß an ein bißchen Gesellschaft interessiert. Henry ist sehr attraktiv, wenn Sie mich fragen.«
»Ich hab dich nicht gefragt! Er ist sehr attraktiv. Er ist auch ein guter Kumpel. Also, wozu braucht er die Gesellschaft dieser kleinen Schlange?«
»Wie man so sagt, Rosie, läßt sich über Geschmack nicht streiten. Vielleicht besitzt sie ausgleichende Qualitäten, die nicht auf Anhieb offensichtlich sind.«
»O nein. Nicht die. Die führt nichts Gutes im Schilde. Ich werde mit Mrs. Lowenstein reden. Was ist mit ihr los, daß sie an so eine Frau untervermietet?«
Das fragte ich mich auch, als ich den halben Block nach Hause ging. Mrs. Lowenstein ist eine Witwe, die über beträchtlichen Grundbesitz in der Gegend verfügt. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie Geld brauchte, und ich war neugierig, wie Lila den Schritt über ihre Schwelle geschafft hatte.
Als ich zu meiner Wohnung kam, brannte Henrys Küchenlampe noch, und ich hörte den gedämpften Klang von Lilas Stimme, schrill und untröstlich. Der Zusammenprall mit Rosie hatte sie offensichtlich komplett aus der Fassung gebracht, und Henrys gemurmelte Beruhigungen halfen nicht. Ich schloß meine Tür auf, ging in die Wohnung und sperrte das Gezänk erfolgreich aus.
Ich las eine Stunde lang – sechs spannende Kapitel in einem Buch über Einbruch und Diebstahl – und ging dann früh zu Bett und wickelte mich in meine Steppdecke. Ich machte das Licht aus und lag eine Weile im Dunkeln. Ich hätte schwören können, daß ich das entfernte Auf und Ab von Lilas Gejammere immer noch hörte, wie eine Mücke um mein Ohr kreisend. Die Worte konnte ich nicht heraushören, aber der Ton war eindeutig ...zänkisch und zickig. Vielleicht würde Henry merken, daß sie nicht so nett war, wie sie vorgab. Obgleich, vielleicht auch nicht. Ich bin immer wieder verblüfft darüber, wie lächerlich sich Männer und Frauen machen können, wenn sie hinter Sex her sind. Um sieben wachte ich auf und trank eine Tasse Kaffee, während ich die Zeitung las. Dann fuhr ich zu meinem Mittwochstraining zum Santa Teresa Fitness Center. Ich fühlte mich stärker, und das zweitägige Jogging ließ meine Beine wohlig schmerzen. Der Morgen war heiter und noch nicht heiß, und der Himmel war leer wie eine Leinwand vor dem Bemalen. Der Parkplatz an der Halle war fast schon besetzt, und ich schnappte mir die letzte freie Lücke. Ich entdeckte Bobbys Wagen zwei Plätze weiter und lächelte, weil ich mich auf ihn freute.
Die Halle war überraschend voll für einen Tag mitten in der Woche: fünf oder sechs Einhundertzwanzig-Kilo-Typen beim Gewichtheben, zwei Frauen in hautengen Gymnastikanzügen an den Nautilusgeräten und ein Trainer, der die Übungen einer Schauspielerin überwachte, deren Hintern auseinanderging wie langsam schmelzendes Kerzenwachs. Ich erspähte Bobby bei Beinübungen an einem Universalgerät gegenüber. Er mußte schon eine Weile dabei gewesen sein, denn sein T-Shirt zeigte Schweißringe, und sein blondes Haar hatte sich in feuchte Strähnen geteilt. Ich wollte ihn nicht unterbrechen, also stellte ich einfach meine Sporttasche weg und kam selbst zur Sache.
Mit einigen Bizepscurls begann ich das Training. Ich nahm Hanteln, die kaum Gewicht hatten, und begann mich aufs Aufwärmen zu konzentrieren. Inzwischen hatte ich eine Menge Routine und mußte eine gewisse wachsende Ungeduld bekämpfen. Ich bin kein Mensch, der Spaß an den Vorgängen selbst hat. Ich mag Ziele und Abschlüsse, die Ankunft anstelle der Reise. Wiederholungen machen mich rebellisch. Wie ich es schaffe, tagein, tagaus zu joggen, ist mir selbst nicht klar. Ich machte weiter mit Handgelenkscurls und ging in Gedanken mein Programm durch. Ich wünschte, ich wäre bereits am Ende gewesen und hätte nicht erst zwei Übungen hinter mir. Vielleicht konnten Bobby und ich nachher wieder zusammen zu Mittag essen, wenn er Zeit hatte.
Ich hörte ein Geklapper, dann einen dumpfen Schlag und blickte rechtzeitig auf, um zu sehen, daß er sein Gleichgewicht verloren hatte und gegen einen Stapel Fünf-Pfund-Scheiben gestolpert war. Es war klar, daß er sich nicht verletzt hatte, aber sein Blick schien jetzt zum erstenmal auf mich zu fallen, und seine Verlegenheit war extrem. Er wurde rot und versuchte, sich wieder auf die Beine zu strampeln. Einer der Typen am nächsten Gerät beugte sich beiläufig zu ihm hinüber und gab ihm Hilfestellung. Unsicher stand er auf und winkte jede weitere Unterstützung ab. Er hinkte zur Beindruckmaschine hinüber. Sein Auftreten war schroff und in sich gekehrt. Ich machte mit meinen Übungen weiter, als hätte ich nichts bemerkt, aber ich behielt ihn unauffällig im Auge. Selbst auf diese Entfernung hin konnte ich sehen, daß seine Laune düster und seine Gesichtszüge angespannt waren. Ein paar Leute warfen Blicke in seine Richtung, aus denen als Besorgnis getarntes Mitleid sprach. Er tupfte sich das Kinn ab, seine Konzentration ganz nach innen gerichtet. Sein linkes Bein begann vor Muskelkrämpfen irgendwelcher Art zu zucken, und frustriert umklammerte er sein Knie. Das Bein war wie ein von ihm getrenntes Wesen, das launenhaft herumsprang und sich jeder willentlichen Beherrschung entzog. Bobby stöhnte und hämmerte auf sein Fleisch ein, als könne er es mit seiner Faust bändigen. Ich kämpfte mit der Versuchung, durch den Raum zu ihm zu gehen, aber ich wußte, das würde die Sache nur noch schlimmer machen. Er hatte sich geschunden, und sein Körper vibrierte vor Erschöpfung. Genauso plötzlich, wie er begonnen hatte, schien der Krampf zu verschwinden. Bobby bedeckte seine Augen und hielt den Kopf gesenkt. Sobald er wieder in der Lage war zu laufen, schnappte er sich ein Handtuch und steuerte den Umkleideraum an. Damit verzichtete er auf den Rest seines Trainings.
Ich jagte meine restlichen Übungen durch und duschte so schnell ich konnte. Ich hatte nicht erwartet, seinen Wagen noch vorzufinden, aber er stand immer noch auf dem Platz, auf dem ich ihn gesehen hatte. Bobby saß drin, seine Arme umschlangen das Lenkrad, der Kopf lag auf den Armen, und seine Schultern zuckten unter den trockenen, stoßweisen Schluchzern. Ich zögerte einen Moment und näherte mich dann dem Wagen auf der Beifahrerseite. Ich stieg ein, schloß die Tür und saß bei ihm, bis er fertig war. Ich hatte keinen Trost für ihn. Ich konnte nichts machen. Ich hatte keine Möglichkeit, seine Angst oder seine Verzweiflung anzusprechen, und meine einzige Hoffnung war, ihn durch meine Gegenwart wissen zu lassen, daß ich mit ihm fühlte und ihn gern hatte.
Schrittweise ging es besser, und als es vorbei war, trocknete er sich mit einem Handtuch die Augen und putzte sich die Nase. Sein Gesicht hielt er von mir abgewandt.
»Möchtest du einen Kaffee trinken gehen?«
Er schüttelte den Kopf. »Laß mich einfach allein, in Ordnung?« meinte er.
»Ich habe Zeit«, erwiderte ich.
»Vielleicht rufe ich dich später an.«
» Okay. Ich mache schon mal weiter und kümmere mich ums Geschäft, und vielleicht können wir uns heute nachmittag sprechen. Brauchst du in der Zwischenzeit irgend etwas?«
»Nein.« Der Ton war gleichgültig, sein Verhalten lustlos.
»Bobby –«
»Nein! Hau jetzt verdammt noch mal ab, und laß mich in Ruhe. Ich brauche deine Hilfe nicht.«
Ich öffnete die Wagentür. »Ich rufe dich später an«, meinte ich. »Paß auf dich auf.«
Er langte hinüber, packte den Türgriff und knallte die Tür zu. Dann ließ er den Motor aufheulen, und ich sprang zur Seite, als er mit quietschenden Reifen rückwärts aus der Parkbox fuhr. Ohne sich noch mal umzublicken, schoß er vom Parkplatz.
Es war das letzte Mal, daß ich ihn sah.