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1.

BJO BREISKOLL: Herantasten

29. Juni 2071 NGZ

»Das sieht interessant aus«, stellte Oona Zocalo fest, Kommandantin des OXTORNE-Kreuzers RT-04, Eigenname BJO BREISKOLL. »In dieses Sonnensystem ist der Lichtfresser also geflohen. Ob wir hier auch den Chaoporter finden?«

Das große Zentraleholo zeigte wie erwartet nach der Linearetappe von 190 Lichtjahren das angepeilte Dreisonnensystem.

Man war auf genügendem Abstand in den Normalraum zurückgekehrt, um sich zuerst zu orientieren und herauszufinden, wohin das Zyu sie unfreiwillig geführt hatte.

Die Mannschaft der BJO BREISKOLL hatte Perry Rhodans Entscheidung, die Verfolgung aufzunehmen, mit Begeisterung begrüßt. Sie hatten bereits ihre erste Mission auf Bhanlamur bewältigt und vor wenigen Stunden die wahre Feuertaufe bestanden: als es galt, den Kreuzer gegen das Zyu zu verteidigen und es zu verjagen. Die Hauptpositronik BJO war von allen Rückständen der Partikelwolke befreit worden, die geringen Schäden würden in kürzester Zeit vollständig behoben sein.

Das Zyu, das den Schlachtkreuzer in seine Gewalt bringen wollte, war ein im Weltraum existenzfähiges Geschöpf. Ein Hilfswesen, das in Diensten des angeblich in Cassiopeia gestrandeten Chaoporters FENERIK stand und im Gegenzug mit Psi-Materie versorgt wurde, die ihm die Fähigkeit zur Teleportation ermöglichte.

Die Übernahme war fehlgeschlagen – und das Zyu geflohen.

Gucky hatte seinen Fluchtweg so weit verfolgt, dass ANANSI den Zielvektor bestätigen konnte: das 190 Lichtjahre entfernte Dreisonnensystem, in dessen Außensektor sie nun herausgekommen waren.

Rhodan hatte gehofft, das Zyu verfolgen zu können, bis es zum Chaoporter zurückkehrte. Dass FENERIK havariert war, galt inzwischen als gesichert – so hatte Gucky es vom Zyu erfahren. Doch ob er sich tatsächlich in Cassiopeia befand und wo, das hatte das Zyu nicht verraten.

Und so leicht, das Partikelwesen einfach zu verfolgen, wurde es dem Terraner natürlich nicht gemacht. Die weit ausgedehnte, nahezu substanzlose Wolke konnte nicht mehr angemessen werden. Also wollten sie sich in dem Dreisonnensystem umsehen, um dort hoffentlich Hinweise auf FENERIK zu finden.

*

Der Terraner betrachtete das Schauspiel der drei Roten Zwergsonnen, die um einen gemeinsamen Mittelpunkt rotierten. Eine ungewöhnliche Konstellation, fand er und rieb sich nachdenklich das Kinn. Hätte das System möglicherweise ursprünglich als Sonnentransmitter dienen sollen?

Sichu hätte bestimmt umgehend die Antwort gefunden, dachte er mit ein wenig Wehmut an seine Frau, die im Solsystem zurückgeblieben war. Es war für ihn ungewohnt, dass sie ihn nicht begleitete, und er vermisste sie.

Die drei Roten Zwerge wurden von einem Gasriesen, der mehr als doppelt so groß war wie Jupiter, umlaufen – und um diesen wiederum kreisten 75 kleine Monde.

Plus einem sehr augenfälligen »Mond«.

»Ist er ein Irrläufer, wie ursprünglich angenommen, oder gehört dieser Riesentrabant von Anfang an zum System?«, wollte Rhodan von der Hauptpositronik wissen.

Der ungewöhnliche Mond war etwas größer als der Mars, verfügte über eine Sauerstoffatmosphäre und, den ersten Messungen zufolge, über reichhaltiges Leben.

BJO antwortete unverbindlich. »Es ist wie bisher davon auszugehen, dass dieser Mond ein Irrläufer war und eingefangen wurde. Eventuell stammt er aus Andromeda. Ich werde genauere Daten einholen.«

»Gibt es hier sonst etwas?«, fragte Rhodan in die Zentrale des mit Ringwulst 600 Meter durchmessenden Kugelraumers hinein. Die BJO BREISKOLL war das Basisschiff des Ersten Raumlandebataillons, auf das die Mannschaft mit Recht bereits stolz war.

»Ich hab da was«, meldete die Terranerin Perihan Leko von der Ortung und nickte ihrer Kollegin Pinar Koray von der Funkabteilung zu.

Diese übernahm übergangslos. »Kaum Hyperfunkverkehr, viel ist wohl in diesem Sektor nicht unterwegs. Jedoch gibt es einen automatischen Hyperfunkspruch, der sich alle paar Minuten wiederholt. Die Übersetzung läuft bereits. Sekunde ...«

Tatsächlich waren es drei Sekunden, bis der Funkspruch auf das Zentralekom geleitet wurde.

*

»Im Namen des Volkes der Fajemiden heißt die Regierung auf unserer schönen Welt Fajem jeden Raumfahrer herzlich willkommen, der über ein leistungsfähiges, überlichtschnelles Triebwerk verfügt. Wir sind eine noch junge Zivilisation, die sich vor dem Weiten Sprung sieht, unserer zweiten hoch technisierten Phase, die uns ermöglicht, unser kleines Jaellisystem zu verlassen! Wir wollen in den Weltraum vorstoßen und Nachbarsysteme besuchen, fremde Völker und Technik kennenlernen und unsere Entwicklung vorantreiben. Als Ziel streben wir einen ausgedehnten Handel an.

Beginnen wollen wir daher mit dem Erwerb eines Überlichttriebwerks oder den Bauplänen dafür. Wir können in Hyperkristallen bezahlen, was sicherlich für jeden Fernreisenden von großem Interesse ist. Jeder würde bei diesem Geschäft dauerhaft vom anderen profitieren, sobald wir unsere Handelslinie aufgebaut haben.

Deshalb laden wir jeden vorbeikommenden Fernraumer dazu ein, auf unserem Raumhafen zu landen, damit seine Besatzung unsere blühende Stadt Kjeteti besichtigen und ihre Annehmlichkeiten genießen kann, bis wir einen Termin vereinbart haben.

Die Abwicklung kann zügig verlaufen. Selbstverständlich haben wir auch andere Handelswaren anzubieten, die sicherlich von Interesse sind. Uns ist an einer langfristigen Zusammenarbeit gelegen.

Vielen Dank fürs Zuhören! Dieser Ruf wurde mithilfe des Volkes der Tabang ermöglicht, die uns ein Hyperfunkgerät zur Verfügung gestellt haben. An dieser Stelle sei unser ausdrücklicher Dank ausgesprochen, verbunden mit der Hoffnung, dass dies den Reisenden als Anreiz dient, mit uns ins Geschäft zu kommen.«

*

»Ping! Ende der Werbesendung«, sagte Koray. »Das waren doch schon mal geballte Informationen!«

»Und ein freundlicher Empfang samt Einladung zum Tee«, fügte Leko hinzu.

»Mein ältester Freund, Resident Reginald Bull, würde jetzt ein lateinisches Zitat aus grauer Vorzeit bringen«, sagte Rhodan. »Timeo danaos et dona ferentes.«

»Und das heißt?«, fragte Zocalo neugierig.

»Übersetzt bedeutet es Ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen«, antwortete Rhodan. »Das Zitat stammt aus der griechischen Mythologie, nach der die Danaer Troja mit einem hölzernen Pferd, getarnt als Geschenk, eroberten. Lange sprach man von Danaergeschenk, wenn man etwas scheinbar freundlich angeboten bekam, aber einen Hintergedanken vermutete. Oder Unheil.«

»Einfach ist es also nie?« Vermutlich sprach Zocalo damit auf die Geschehnisse auf Bhanlamur und den gleichzeitigen Angriff des Zyu an.

Rhodan dachte kurz nach. »So gut wie nie«, sagte er dann.

Die Mannschaft war jung und energiegeladen, aber an Erfahrung im Einsatz hatten sie noch nicht viel aufzuweisen. Rhodan gefiel es, ein derart frisches, unverbrauchtes Team zu führen, das keine eingefahrene Sichtweise hatte.

»Aber das hier sind keine Menschen oder sonst jemand von der Liga«, gab Zocalo zu bedenken. »Nicht jedes Volk muss von Grund auf misstrauisch sein.«

»Dem stimme ich uneingeschränkt zu. Meine Besorgnis ist natürlich durch viele schlechte Erfahrungen ausgeprägter als bei anderen. Und mit dem Chaoporter in der Nähe, glaube ich umso weniger an ein friedliches Miteinander. Aber lassen wir uns überraschen!«

»Wir fliegen hin?«

»Wir fliegen hin.«

»Also dann«, sagte Zocalo. »Kurs auf Fajem!«

*

Die Ortung scannte unablässig das kleine System und den Raum, doch bisher schienen die Angaben zuzutreffen. Entweder waren die Fajemiden technisch extrem weit voraus und konnten ihre Raumüberwachungssysteme und mögliche bewaffnete Außenposten ausgezeichnet tarnen, oder sie standen tatsächlich erst am Beginn der interstellaren Raumfahrt.

Rhodan überlegte, falls seine Vermutung mit dem geplanten und nie fertiggestellten Sonnentransmitter stimmen sollte, ob die Fajemiden womöglich Nachfahren eines Volkes waren, das von den Lemurern auf dem Konstrukt angesiedelt worden war.

Hatten die Lemurer – oder die Tefroder – den Irrläufer womöglich selbst an diesen Ort gebracht?

Wilde Spekulationen, die nicht weiterführen. Rhodan konzentrierte sich auf die Gegenwart.

Unterwegs begegnete ihnen niemand, doch es gab mehrere Signaturen in der Nähe, wahrscheinlich ebenfalls im Anflug begriffene Raumschiffe, deren Besatzungen den Ruf der Fajemiden gehört hatten. Ein neuer Handelspartner interessierte sicherlich viele, die auf einer Handelsroute in der Nähe vorbeikamen.

Während der Annäherung lieferte BJO weitere Daten. Die Sauerstoffwelt Fajem war in der Rotation gebunden. Eine Seite war immer dem Gasriesen zugewandt. Auf der abgewandten Seite herrschte eine Schwerkraft von 0,9 Gravos. Auf der zugewandten Seite, wo die Schwerkraft des Gasriesen entgegenwirkte, waren es nur noch 0,7 Gravos.

Umgeben von einem seichten Meer fand sich ein einziger Kontinent in X-Form. Ziemlich genau im Kreuzungspunkt der langen kontinentalen Schenkel, auf der abgewandten Seite, wuchs die Stadt Kjeteti empor – die einzige Siedlung, die den Namen Metropole mit angeschlossenen Vororten im Umland verdiente.


Illustration: Swen Papenbrock

»Sehr grün, selbst die Häuser«, staunte Donn Yaradua, der sich inzwischen in der Zentrale eingefunden hatte. Sein Okrill Phylax wich wie immer nicht von seiner Seite. »Die sehen wie Bäume aus!«

»Ich fühle mich dort garantiert wohl«, bemerkte der cheborparnische Xenobiologe Loscozar Totuyeret, genannt LoT. Er hatte zwar aktuell keinen Dienst in der Zentrale, aber sammelte an seinem Terminal mit Unterstützung von BJO erste Daten über die Welt des Riesenmonds.

Rhodan hatte bereits vor der Annäherung befohlen, dem Schiff eine Tarnung zu verleihen. Er wollte keinesfalls mit der Tür ins Haus fallen und sich großartig ankündigen – da das Zyu gezielt die BJO BREISKOLL hatte übernehmen wollen, waren ihre Daten höchstwahrscheinlich bekannt.

Rhodan wollte noch aus einem weiteren Grund keinen anderen Kreuzer einsetzen. Sollten sie trotz aller Vor- und Umsicht auffliegen, durfte die andere Seite nicht vermuten, dass im Hintergrund ein sehr viel größeres Mutterschiff lauerte. So leicht wollte er sich nicht in die Karten schauen lassen.

Das Zyu wusste nur von der BJO BREISKOLL – und dabei sollte es für alle, die mit dem Chaoporter zu tun hatten, auch bleiben.

BJO veränderte die Energiesignatur der beiden hochmodernen Tevver-II-Linearraumkonverter dergestalt, dass sie altertümlich wirkten, am Rande ihrer Leistungsfähigkeit. Damit es danach aussah, als wäre das Schiff nur mit Ach und Krach einer Havarie entkommen.

Man musste schließlich nicht gleich auffallen mit dem, was man tatsächlich zu bieten hatte – um keine Begehrlichkeiten zu wecken, egal bei wem. Und Rhodan wollte auch nicht in Verhandlungen wegen Plänen oder Bauteilen treten.

Er spekulierte darauf, dass niemand genauer nachfragen würde bei dem offenbar bejammernswerten Triebwerkszustand und dem designtechnisch durchschnittlichen Eindruck, den ein Kugelraumer nun mal eben machte. Eine Konkurrenz würden sie jedenfalls nicht darstellen, was alle anderen Händler beruhigen würde. Sie würden die Neuankömmlinge mit Missachtung strafen.

Inzwischen schwirrte der Hyperfunkverkehr rund um Fajem nur so in den verschiedensten Sprachen. Es war sehr viel Tefroda dabei, im leicht abgewandelten, aber noch verständlichen Dialekt der Andromeda-Tefroder. Mit dieser und den anderen Sprachen würde der Haupttranslator in Kürze zurechtkommen und die Ergebnisse in die Translatoren der flexiblen SERUNS-SR einspeisen, die während der Erkundung getragen werden sollten. Diese verschlankten Spezialoveralls waren nicht für den Kampf, sondern für die Verkleidung, Anpassung und den Schutz gedacht.

Der Name des Schlachtkreuzers wurde in STATOR-MUTOM geändert.

»Auf zur letzten Etappe!«, befahl Rhodan und war neugierig, was ihn erwarten würde. Nach wie vor schien es ganz so, als wären die Fajemiden genau das, was zu sein sie vorgaben.

»Ist das immer so ... spannend?«, fragte der Pilot Nikhil Nuh.

Bei den ersten Einsätzen war es kein Wunder, wenn man aufgeregt war. Und so breitete sich bei dieser zweiten offiziellen Mission in der gesamten Zentrale innerhalb kürzester Zeit Nervosität aus.

Allen wurde bewusst, dass sie mit ihrer Landung auf einer besonders geheimen und brisanten Mission waren und keinesfalls Fehler machen durften. Sie konnten sich nicht verstecken und abwarten, sondern waren der Öffentlichkeit preisgegeben. Im Notfall mussten sie sehr schnell handeln und sich jeder auf den anderen verlassen können. Als eingespieltes Team, das jeden Handgriff im Schlaf beherrschte.

»Oh ja«, antwortete Rhodan lächelnd. »Das hört zum Glück nie auf. Es ist immer das erste Mal, denn wir wissen nie, was auf uns zukommt.« Nicht einmal, wenn wir nach Hause fliegen – und das Zuhause ist gar nicht mehr da. Das war oft genug vorgekommen.

In einem zweiten Gedanken setzte er hinzu, was Gucky jetzt anmerken würde: Eine Katastrophe erwartet uns, was auch sonst?

Auch den Kleinen vermisste er. Aber der Ilt hatte auf der RAS TSCHUBAI zurückbleiben müssen, nachdem der Kampf gegen das Zyu seine Kräfte nahezu vollends aufgebraucht hatte. Sofort wieder in den Einsatz zu gehen, wäre unverantwortlich gewesen. Das hatte Rhodan ihm deutlich gemacht. Gucky hatte sich einsichtig gezeigt, was bedeutete, dass er wirklich am Ende war.

Perry Rhodan 3104: Der herrliche Diktator

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