Читать книгу Perry Rhodan 3062: Zeut - Susan Schwartz - Страница 8
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Verunsicherung
Sie besprachen sich etwa eine Stunde, ehe sie sich voneinander verabschiedeten. Rhodan sah dem Kosmospychologen Pierran Longat nachdenklich nach – seiner Meinung nach war dieser ein eigentümlicher Charakter, aber zweifellos äußerst fähig auf seinem Gebiet.
Longat wollte sich sofort zum Institut zur Erforschung des Dyoversums im Gestänge des Pluto begeben, um dort Sichu Dorksteiger zu treffen. Er sollte ihr einen Speicherkristall mit einer Aufnahme der Besprechung übergeben, in die Rhodan ein Codewort eingearbeitet hatte, das Sichu von der Echtheit der Botschaft überzeugen musste. Dann würden die beiden an die Arbeit gehen, um ihren Teil der großen Scharade vorzubereiten.
Perry Rhodan hingegen stand ein Besuch bei Iwán/Iwa Mulholland an. Der Mutant spielte eine unverzichtbare Rolle im Täuschungsmanöver – ebenso wie Rico, der Roboter und Mit-Bürgermeister von Neu-Atlantis, zugleich der Herr über Terras Technikschmiede auf dem Meeresgrund seiner Stadt.
Ghizlane Madouni kehrte bereits ohne Umwege auf ihr Flaggschiff zurück, während Rhodan selbst ein letztes Vieraugengespräch mit Residentin Flaccu führte.
Rhodan vertraute ihnen allen, und das war dringend nötig. Allein könnte er seinen Plan unmöglich umsetzen – er brauchte alte und neue Freunde. Eine Gemeinschaft unterschiedlicher Menschen, von denen jeder auf seine ganz eigene Art die Erde retten wollte und sich diesem Ziel als großem Ganzen unterordnete.
»Letztlich kommt es darauf an, wie die Gelegemutter Bun-Akkbo auf all das reagieren wird«, sagte er. »Du kennst sie – was glaubst du?«
Orfea Flaccu sah müde aus. Als sie den Kopf zu ihm drehte, zeichnete sich eine Sehne überdeutlich ab, und die Haut wirkte ausgemergelt. Rhodan wusste nur zu genau, wie es sich anfühlte, wenn das Amt und die Verantwortung drückten. Es gab Zeiten, in denen diese Last zu tragen alle Kraft erforderte. Und noch ein wenig mehr.
»Ich war Botschafterin auf Topsid.« In ihrer Stimme lag eine Mischung aus Wehmut und Entschlossenheit. »Damals habe ich Bun-Akkbo kennengelernt. Sie ist eine vernünftige Frau – sie strebt nach Macht und will ihr Sternenreich weiter ausbreiten, aber nicht um jeden Preis. Allerdings ist sie keine Terranerin und denkt nicht wie wir ... auch wenn dein Freund Homer G. Adams mir einmal sagte, dass sie ihn an eine alte Herrscherin auf der Erde erinnere.«
»An eine frühere Residentin?«, fragte er, merkte jedoch schon beim Aussprechen, dass die Assoziation des Wortes Herrscherin in eine andere Richtung wies.
Flaccu schüttelte den Kopf. »Aus der prä-astronautischen Epoche – Königin Victoria von England.«
»Oh«, machte Rhodan. Nur wenige hätten einen solchen Vergleich angestellt ... nur Fossile wie Homer und er.
»Kannte er sie noch persönlich?«, fragte Orfea Flaccu.
Rhodan lachte. »Nicht einmal Homer kannte sie persönlich. Sie lebte ...« Er zögerte. »... kurz vor unserer Zeit.«
»Entschuldige. Für mich ist das alles ... lange her.«
»Für mich genauso«, versicherte er. Sowohl seine Jugend als auch die im Verhältnis zugegebenermaßen wenigen Jahre bis zu Queen Victorias Herrschaftszeit.
»Ich kenne die Gelegemutter von einigen Treffen«, sagte die Residentin. »Sie ist eine Topsiderin, die geradezu asketisch lebt und völlig in ihrer Aufgabe aufgeht. Das Sternengelege geht ihr über alles. Sie ist auf Ausgleich bedacht, wo immer das möglich ist. Also wo die Hegemonie ihres Reiches nicht vermindert oder gar gefährdet wird. In diesem Fall jedoch kann sie hart und kompromisslos zuschlagen.«
»Wie ist sie an ihr Amt gekommen? Ist es vererbt?« Seltsam, dass Rhodan sich diese Frage nie gestellt hatte. Andererseits war seit seiner Ankunft in diesem Teil des Dyoversums wenig Zeit geblieben, die Dinge zu reflektieren.
»Die Topsiderinnen wählen in jeder Herrschergeneration vier Frauen, die durch besondere Leistungen aufgefallen sind – militärisch, wissenschaftlich, politisch und in Einzelfällen sogar künstlerisch. Gerade das Letzte ist kaum bekannt, und niemand, der nicht Topsid besucht hat, könnte das erahnen – Kunst ist im Sternengelege von großer Bedeutung, aber sie findet nur im privaten Rahmen statt. Die Gelegemutter betraut diese vier Auserwählten mit entscheidenden Aufgaben, und zu gegebener Zeit adoptiert sie eine von ihnen und designiert sie zur Nachfolgerin.«
»Wie gut kennt Bun-Akkbo die Terraner?«
»Wir sind seit 432 Jahren hier, und wir gehen davon aus, dass die Topsider uns bereits beobachtet haben, ehe wir unsererseits von ihnen erfahren haben.«
»Damals, über Skiaparelli«, sagte Rhodan, als wäre er dabei gewesen. Er hatte Berichte über diesen Vorfall gesehen, auch eine offizielle Ansprache von Homer G. Adams anlässlich seiner ersten Wiederwahl zum Advisor nach dieser Krise.
Orfea Flaccu sah auf die Uhr. »Sie beobachten uns seit langer Zeit. Womöglich mischen sich seit Generationen getarnte Agentinnen unter unsere Bevölkerung. Bun-Akkbo kennt mit Sicherheit genug Hintergründe, um zu wissen, dass die Liga für das Sternengelege ein potenzielles Risiko darstellt.«
»Und dieses Risiko ist für sie mit meiner Ankunft größer geworden.« Er lächelte. »Immerhin habe ich Baupläne für Transformbomben mitgebracht.«
»Ob sie uns das glauben wird?«
»Es liegt an uns. Sprich mit Rico. Ich suche Mulholland auf, und wir treffen uns in Neu-Atlantis.«
»Wir müssen ein gutes Schauspiel liefern.«
»Nein«, widersprach er. »Das beste.«
Sie trennten sich, und die Maschinerie lief an. Es war heikel, und der Preis, den sie bei einem Versagen bezahlen mussten, war hoch. Was es zu gewinnen gab, wenn alles funktionierte, war jedoch noch ungleich bedeutender.
Perry Rhodan sah der Zukunft zwar nicht gelassen, aber zuversichtlich entgegen.
*
»Warum hast du uns ausgerechnet hierher gebeten?«, fragte Rhodan. Nicht, dass er etwas dagegen hätte. Die Sicht war wunderschön. Wenn er etwas bereute, dann nur die Tatsache, dass keine Zeit blieb, innezuhalten. Jede verlorene Sekunde bedeutete einen Augenblick mehr Krieg und Tod.
Rico hatte einen Gleiter geschickt, um Rhodan und Iwán/Iwa Mulholland abzuholen und nach Neu-Atlantis zu bringen, das die Azoreninseln und die Meeresflächen dazwischen umfasste. Der Autopilot hatte den Berg in der Mitte der größten Insel angesteuert und war dort oben gelandet. Der alte arkonidische Roboter hatte sie an einer hölzernen Aussichtsplattform empfangen.
Von diesem Punkt sahen sie in die Weite eines Vulkankraters hinunter. Am tiefsten Punkt glitzerte ein See. Die Hänge waren dicht mit Büschen und Farnen bewachsen, dazwischen glänzten immer wieder Blüten, und ein wenig tiefer zogen Möwen ihre Bahn über der Wasserfläche. Ihre Schreie hallten von den Kraterwänden wider.
Rhodan traf Rico seit seiner Ankunft im Dyoversum nicht zum ersten Mal. Atlans jahrhundertelanger Wegbegleiter gab sich das Aussehen einer idealisierten Statue mit bronzefarben-metallischer Haut, wobei seine Bewegungen ausgesprochen geschmeidig abliefen. »Im See liegt eines meiner geheimen Ausweich-Forschungszentren«, sagte Rico.
»Du fühlst dich dort sicherer als in den Tiefen von Neu-Atlantis?«
»Nein«, sagte Rico. »Ich habe dieses Zentrum nur errichtet, damit die Topsider es heimlich infiltrieren können.«
»Weniger freundliche Menschen könnten anmerken«, sagte Iwán/Iwa, »dass das nach Paranoia klingt.«
»Wie gut, dass du nicht zu ihnen gehörst.« Rico zog eine kleine Metallscheibe aus einer Tasche seiner schwarzen Anzugjacke, die geradezu perfekt saß, mit auffälligen Schulterpolstern. »Ihr solltet euch festhalten.«
Rhodan tat, wie ihm geheißen. Das Geländer bot beste Gelegenheit. Tief unten, an einer Landzunge, die wie ein Finger in den See ragte, bewegte sich etwas – ein Mensch sprang ins Wasser. Was er wohl dachte? Ob er bewusst den Krieg ignorierte, der im All tobte, und sich weigerte, davon sein Leben bestimmen zu lassen, weil er ohnehin nichts daran ändern konnte?
Rico drückte die Scheibe, und die hölzerne Plattform löste sich, schwebte an der Kraterwand hinab, weg vom See, an dessen Ufer sich ein schmaler Wanderweg entlangschlängelte. Der Flug verlief völlig ruhig, und Rhodan ließ bald das Geländer los. Der Luftzug dank der Bewegung tat in der brütenden Sonne gut.
Ein kleines Wäldchen tauchte auf, hinter einem Marschland aus hohen, rötlichen Gräsern, durch das sich nur ein Trampelpfad schlängelte. Sie landeten direkt neben diesem Pfad und stiegen ab. Rico führte seine beiden Gäste in Richtung der Bäume, und bald gingen sie inmitten von kühlem, moosüberwuchertem Unterholz.
»Hierher kommt nie jemand«, sagte der Roboter. »Bis auf die topsidischen Spione, die meine geheime Zentrale vor exakt siebenundvierzig Jahren entdeckt haben. Perfekt, das zu wissen, findest du nicht? Was wir dort besprechen, werden sie als Geheiminformation weiterleiten. Eine Vorkehrung, die mich Atlan gelehrt hatte. Hier jedoch, solange wir uns noch im Freien aufhalten, kann uns niemand belauschen – das Gebiet ist hervorragend abgesichert. Und darum stellt sich mir eine Frage.«
»Und die wäre?«
»Was genau erzählen wir ihnen?«
Was das anging, kamen Rhodan sofort einige Ideen. »Sie sollen von den Bauplänen hören, die ich aus den Archiven meines Schiffes entnommen habe und die du in deiner Technikschmiede umsetzt. Wir nennen es aber nicht beim Namen. Noch nicht. Unterschätz nie die Macht der Verunsicherung, vor allem, wenn du einen Mutanten zur Verfügung hast, der gewissermaßen unsichtbar bleibt und deinen Feinden beweist, dass ihre schlimmsten Befürchtungen zutreffen.«
*
Vier Stunden später kehrte Rhodan gemeinsam mit Iwán/Iwa an Bord des Flaggschiffs ORATIO ANDOLFI zurück.
In der Zentrale wartete nicht nur Ghizlane Madouni auf ihn, sondern auch die Person, deren Anblick ihn am meisten erfreute. Ein Blick auf sie, und er fand die Ruhe, nach der er sich sehnte. Es fegte den letzten Zweifel beiseite. Sie konnten es schaffen!
Er ging zu seiner Frau, die an einer Arbeitskonsole saß und in ein schematisches Holo vertieft war. Er umarmte sie.
Sichu Dorksteiger reagierte irritiert; in der Öffentlichkeit zeigten sie nur wenig Vertraulichkeiten.
»Ich habe mit Pierran Longat die grundlegenden Designs besprochen«, sagte sie. »Der Anblick sollte die Topsider beunruhigen und sie auf unterbewusster Ebene abstoßen und ängstigen. Natürlich bleiben die Schiffsaufbauten funktionslos, obwohl ich für Streustrahlungen sorgen werde, die nach Waffentechnologie riechen. Rico setzt genaue Baupläne um, und die Werften auf dem Mars stehen bereit, einige TENWAFER-Jets und Raumjäger der MASCER-Klasse umzubauen.«
»Wie findest du ihn?«
Sichu sah ihn lediglich verwirrt an.
»Longat«, sagte er zur Erläuterung.
»Wie ich Longat finde? Was spielt das für eine Rolle?«
»Keine. Also, wie findest du ihn?«
»Bist du eifersüchtig?«
»Nein.«
»In dem Fall kann ich dir ja sagen, dass er ein grundsympathisches Wesen ist.«
»Tatsächlich?«
Sie lächelte, was die Goldmuster ihrer Gesichtshaut zwischen Oberlippe und Nase zum Tanzen brachte. »Er ist ätzend. Aber er versteht die Topsider wie kein anderer. Residentin Flaccu hat eine gute Wahl getroffen, ihn hinzuzuziehen.«
»Was glaubst du – haben wir Chancen, Sichu?«
»Du erinnerst dich an den TLD-Agenten, der zum Verräter geworden ist, Adams entführt hat und mit den Topsidern zusammengearbeitet hat.« Es war eine Feststellung, keine Frage. »Solche Dinge sind unvorhersehbar, unberechenbar. Aber wenn so etwas nicht passiert ... kann es funktionieren. Weil ich etwas weiß.«
»Und das wäre?«
»Dass deine Pläne manchmal verblüffend sind. Und nun muss ich wieder mit Ricos Konstruktionsplänen arbeiten. Verschaff dir einen Überblick, Perry! Dort draußen ist die Zeit nicht stehen geblieben.«
Genau das befürchtete er. Überlegungen zur Rettung der Situation waren gut und notwendig – aber sie verhinderten nicht die Kämpfe, die inzwischen tobten.
Sekunden später erfuhr er von Kommandantin Madouni, dass die Topsider weiter ihre Nadelstichtaktik verfolgten, dynamisch und unvorhersehbar an vielen Stellen im Solsystem gleichzeitig.
Sie führten die Schlacht mit militärischem Geschick und zwangen die terranischen Verteidiger ständig in die Defensive. Sie zerstörten unwichtige Stationen, hatten eine ohnehin aufgegebene Siedlung auf einem der kleineren Jupitermonde vernichtet und im selben Moment den Mond Europa attackiert – mit verhängnisvollen Folgen und zahlreichen Todesopfern.
Kurz: Sie blieben unberechenbar.
Aktuell lockten sie einen Verband der Verteidiger bei Merkur in einen Hinterhalt. Ein terranisches Schiff der APPELLES-Klasse – diese 600-Meter-Schlachtkreuzer bildeten das Rückgrat der Flotte – jagte zu ihrer Rettung, und es gelang, zwei feindliche Raumer zu vernichten, ehe sich die übrigen zurückzogen.
Das Fazit der Kommandantin klang ebenso nüchtern wie erschöpft: »Sie gönnen uns keine Ruhe.«
»Wir ihnen auch nicht mehr lange«, versicherte Rhodan. »Die Vorbereitungen laufen. Die Show kann bald beginnen.«
Unwillkürlich wanderte sein Blick zu Iwán/Iwa Mulholland, von dem in den nächsten Stunden alles abhing.