Читать книгу Im Fahr - Susann Bosshard-Kälin - Страница 9
ОглавлениеSchwester Marie-Theres
«Alleinsein zu können, ist entscheidend. Wer viel Gesellschaft braucht, ist bei uns am falschen Platz.»
geboren am 21. Juli 1946 als Theresia Gabriele Koch aus St. Gallen (SG)
Im Refektorium wird der Tisch für das gemeinsame Mittagessen gedeckt (1. Bild). – Schwester Marie-Theres schleudert und füllt den Honig der rund dreissig Bienenvölker ab, die im Klosterinnenhof leben (2. Bild).
Ich bin am Schleudern. 2017 wird als Superjahr in die Klostergeschichte eingehen. Wir kommen nämlich auf 700 Kilogramm Honig. Und der muss sorgfältig von den Waben geschleudert werden. Im und rund ums Bienenhaus arbeite ich seit über 17 Jahren. Anfänglich assistierte ich Schwester Bernadette, die das Imkern von einer Mitschwester erlernt hatte. Heute ist Berta Müller, unsere langjährige Angestellte, der Bienenprofi. Sie stürzte sich kopfüber ins Metier, besuchte Kurse und bildete sich laufend weiter. Sechs Wochen bin ich jährlich für die Bienen auf der Piste. In den nächsten Tagen werden wir die letzten Hundert Kilogramm Honig schleudern. Dann setzen wir das Zuckerwasser für die kleinen Tierchen auf und reinigen alles gründlich. Für die Bienen beginnt ab August die Wintersaison. Was sie jetzt sammeln, lassen wir ihnen als eigenen Vorrat für die kargen Monate.
Fürs Stechen bedanke ich mich jeweils bei den Bienen – ihr Gift beugt Rheuma vor. Man darf natürlich nicht allergisch gegen Bienenstiche sein, sonst kannst du unter Umständen gleich den Schirm zumachen! Bei uns leben aktuell ungefähr dreissig Völker, und unser Honig ist im Klosterladen ein echter Verkaufsschlager.
Mein Leben sehe ich als halb volles Glas, nicht als halb leeres. Seit meiner starken Hörbehinderung und trotz meines gesundheitlichen Zusammenbruchs kann ich noch vieles machen. Ich musste lernen, nicht auf das hinzusteuern, was mir Mühe macht, sondern auf das, was noch gelingt. Mit Schwester Bernadette, die wie ich eine Hörbehinderung hat und zehn Jahre älter ist, verstehe ich mich sehr gut. Sie und ich wissen, dass man sich isoliert, wenn man nicht mehr gut hört; dass Lärm und Geräusche einen irritieren und krank machen. Wir stützen und unterstützen uns gegenseitig. Uns verbindet durch das gemeinsame Schicksal eine schöne Freundschaft. Wir haben einen ähnlichen Humor. Die Gemeinschaft toleriert unsere Freundschaft. Das ist nicht selbstverständlich, und ich schätze es sehr. Wir können beide leider nicht mehr an der → Rekreation teilnehmen. Es ist uns zu laut. Ich höre rechts nichts mehr, und im linken Ohr herrscht Hyperakusis – eine grosse Lärmempfindlichkeit, die auch Gleichgewichtsstörungen mit sich bringt. Mich mit einem Menschen unterhalten geht gut, aber nicht mit mehreren. Das ist Stress pur.
Eine Sklerose zerstörte 1977 in meinem Ohr Amboss, Steigbügel und einen dritten Knochen hinter dem Trommelfell; eine Operation und der Einsatz von künstlichen Gehörknochen wurden nötig. Und vor 13 Jahren, damals war ich 58, erkrankte ich an einer Mittelohrentzündung. Diese Erkrankung, gekoppelt mit einer Grippe und einem Tinnitus, stellte mich komplett auf den Kopf. Die bakterielle Erkrankung verursachte im Hirn eine Veränderung. Es hatte nichts mit meiner Psyche zu tun, dass ich nicht mehr beten konnte und keinen Sinn mehr im Leben sah. Während meines Aufenthalts in der Klinik in Oberwil hatte ich zudem eine Lungenembolie. Und so wurde ich als Notfall ins Kantonsspital Zug eingewiesen. Mein Glück! Innerhalb von einer Woche erholte ich mich fast gänzlich und konnte ins Kloster zurückkehren. Die schwere Hörbehinderung ist allerdings geblieben.
Ich hätte nie gedacht, dass es einem als Menschen so schlecht gehen kann. Aber man weiss nie, was im Leben passiert. Ruhe ist seither für mich entscheidend. An einem regulären Tag im Kloster komme ich gut zurecht. Aber Festtage wie Weihnachten und Ostern sind schlimm: Da herrscht viel Umtrieb, wir können beim Essen reden und singen viel. Dann bleibt mir nichts anderes, als mich zurückzuziehen, zwei, drei Stunden, in die Stille.
Die Schwesterngemeinschaft musste lernen, mich anzunehmen, wie ich bin. Das ist sicher nicht immer einfach. Aber ich schätze ihr Verständnis und ihre Fürsorge sehr.
Heute bin ich die Assistentin von Schwester Monika, arbeite «i. A.», im Auftrag, und helfe ihr mit dem Obst, im Kräutergarten, beim Dörren. Sie kann mich rufen, wenn sie mich braucht. Ich decke auch den Tisch im Konvent für das Mittag- und das Abendessen, benötige dafür jeweils eine halbe bis eine Dreiviertelstunde. Wegen meiner Behinderung leide ich nicht, ich denke, sie muss wohl eine Prüfung sein. Sie wird einen Grund haben. Die Frage nach dem Warum stelle ich mir nie. Aber ich sage dem Herrgott, dass ich hoffe, in meiner Sterbestunde werde das, was ich alles durchgemacht habe, angerechnet. Wer weiss?
Die Sache mit meinem Ohr ist das Schlimmste in meinem Leben. Aber ich nehme alles an, was kommt – auch die Knöchelfraktur am linken Fuss vor einem Jahr. Mit zwei Platten und neun Schrauben im Bein durfte ich nach der Operation für zwei Wochen nach Dussnang in die Rehabilitation. Nicht einen Moment haderte ich. Es war eine gute Zeit dort, ich erholte mich – und musste anschliessend nicht einmal mehr in die Ferien.
Dass ich als Kind scheu war, glaubt mir heute niemand. Aber es war so. Meine Eltern führten das städtische Bürgerheim. Und so bin ich im Armenhaus von St. Gallen geboren, am 21. Juli 1946, an einem Sonntag. Es sei eine schwere Hausgeburt gewesen, eine Risikogeburt in Steisslage. Nach sechs Kindern war ich eine Nachzüglerin, Mutter war bereits in den Vierzigern. Als sie wieder Babysachen zu stricken anfing, fragten meine Geschwister, ob das für die Missionen sei! Wäre ich ein Bub geworden, hätte ich Gerhard geheissen. Auf die Geburt eines Mädchens waren meine Eltern nicht vorbereitet. Und so schlug meine Patin in der Not den Namen Theresia vor. Ein Mädchen, trösteten sich meine Eltern, würde ihnen im Alter beistehen. Und ausgerechnet die Jüngste ging ins Kloster! Bei mir war und ist einfach immer alles ein bisschen anders als bei andern. Ich glaube, das wurde mir schon in die Wiege gelegt.
Unser Familienleben sowie der Betrieb des Heims für Obdachlose und Randständige der Stadt St. Gallen gingen ineinander über. Mutter kochte für die 15 Insassen und für uns, putzte und besorgte einen grossen Garten, zusammen mit Angestellten, und mein Vater führte den Landwirtschaftsbetrieb, in dem die Heimbewohner zeitweise mithalfen. Erst im Kindergarten, 1952, lernte ich andere Kinder kennen. Bis dahin hatte ich fast ausschliesslich mit meiner Familie und den Frauen und Männern im Bürgerheim Kontakt.
Vermutlich war ich schon von klein auf gesundheitlich anfällig. Meine Geschwister nahmen mich als Anderthalbjährige zum Schlitteln mit und vergassen mich. Während sie miteinander spielten, liessen sie mich, auf einen Schlitten gebunden, alleine im Schnee. Ich sei schon blau angelaufen und total verfroren gewesen, als sie mich schliesslich heimbrachten – Bronchitis und Asthma waren seither meine ständigen Begleiter.
In der Primarschule war ich eher eine Mitläuferin, aber ich lernte gern. Mein Knoten löste sich dann in der Sekundarschule. Dort wurde ich zur Klassenchefin gewählt, völlig überraschend. Ich hätte mir das nie zugetraut. Jetzt merkte ich: Die hören auf mich. Das gab mir ungeahntes Selbstvertrauen. Ich spürte plötzlich, ich kann etwas, ich bin wer.
Wie es nach der Schule mit mir weitergehen sollte? Ich hatte keine Ahnung. Mich drängte niemand zu irgendwas. Meine Eltern hatten genug zu tun und konnten sich nicht auch noch um mich kümmern. Meine Freundin Cornelia schrieb mir aus dem Internat in Nordfrankreich, wo sie ein Jahr verbrachte, wie toll es dort sei. Und so meldete ich mich spontan an und fuhr mit einer Gruppe Schweizerinnen im Herbst 1961 für ein Jahr nach Frankreich. Heimweh hatte ich nie. Ich spürte, ich bin gemeinschaftsfähig, obwohl ich ja wie ein Einzelkind aufgewachsen war. In der Gruppe fühlte ich mich geborgen, konnte meine Meinung vertreten und lernte un peu de français. Mein Humor, ein eher trockener Humor, den ich von Vater geerbt habe, half mir sehr.
Ich wäre gerne Clownin geworden oder Dirigentin. In beiden Berufen hat man mit Menschen zu tun. Sie zu erheitern, über die Musik zusammenzuführen, ihnen Freude zu bereiten, das hätte mir gefallen. Aber beide Ausbildungswege waren im Umfeld, in dem ich gross wurde, unvorstellbar.
Ein Onkel vermittelte mich zu einer Familie mit fünf Kindern nach Uitikon-Waldegg. Dann arbeitete ich für kurze Zeit in einem Büro in St. Gallen, wo ich auf einer elektrischen Schreibmaschine Briefe tippte, und schliesslich entschied ich mich, Krankenschwester zu werden.
Als 18-Jährige nahm mich die Psychiatrische Klinik Wil auf. Die drei Jahre als Lernende auf verschiedenen Abteilungen gefielen mir sehr gut. Die Welt in der Klinik war keine fremde für mich – zu Hause im Bürgerheim hatte ich bereits Bekanntschaft mit Menschen aller Art und mit verschiedenen psychischen Krankheiten gemacht. Nur die Drogensüchtigen, so fand ich, waren hier nicht richtig aufgehoben. Aber wo hätte man sie damals sonst unterbringen sollen? Geeignete Institutionen befanden sich in den Sechzigerjahren erst im Aufbau.
In diesen Jahren hatte ich einen Freund, einen sehr lieben. Er wohnte in meiner Nachbarschaft, und wir unternahmen viel gemeinsam. Aber ich spürte, er ists nicht fürs Leben. Das liess ich ihn wissen, was ihn sehr betrübte. Er meinte, ich hätte wohl einen anderen. Ich mochte ihn sehr, hatte aber immer das Gefühl, dass da noch etwas anderes für mich kommt. Keine einfache Situation. Er heiratete später eine liebe Frau, und die beiden kamen mich im Kloster sogar besuchen.
Zwar hatte ich nun mein Diplom als Psychiatrieschwester, aber was ich mit meinem Leben anstellen sollte, war mir nicht klar. Ich fühlte mich wie in einer Sackgasse. In meiner Not fing ich an zu beten: «Herrgott, ich hätte gerne ein Zeichen, wie es weitergehen soll – heiraten, oder was sonst soll ich tun?»
Es klingt fast kitschig. Aber ich bekam dieses Zeichen wirklich. Während einer langen Nachtwache hatte ich im Stationszimmer Zeit, in Zeitschriften zu blättern. Ein Artikel von Schwester Hedwig, der Ordensfrau und Dichterin Silja Walter, fiel mir ins Auge: «Und unten blühen die Königskerzen – ein monastischer Tag im Kloster Fahr». Ich las begeistert, schloss das Heft und wusste: Das Kloster Fahr ist es. Es war eine Gebetserhörung. Wenn Leute zu mir kommen und sagen, sie beten und es passiere nie etwas, dann kann ich sagen, dass es meistens so sei. Aber es gebe sie auch, die Gebetserhörung.
Ein Leben in einem Kloster konnte ich mir vorstellen, war doch eine meiner älteren Schwestern in jungen Jahren in ein offenes Kloster in Freiburg eingetreten und glücklich mit ihrem Leben. Ich meldete mich also im Kloster Fahr an und spürte, dass die Priorin, Schwester Elisabeth, etwas zurückhaltend war. Sie wusste ja nicht, wer da ins Kloster wollte. Die meisten jungen Frauen, die sich bewarben, waren ihr bekannt, sie kamen über die Bäuerinnenschule ins Kloster. Wenn sie bloss nicht verlangt, dass ich noch diese Schule absolviere!, durchzuckte es mich. Erst als ich meine Schwester erwähnte, die in einem Kloster lebte, wurde es einfacher, und ich konnte mich für die → Kandidatur anmelden.
Meine Arbeitsstelle im Spital kündigte ich mit der Begründung, ich würde ins Ausland gehen. In der Öffentlichkeit von einem Klostereintritt zu reden, traute ich mich nicht. Die Enttäuschung des Oberarztes war gross – hatte er mir doch die Verantwortung für eine Abteilung übergeben wollen.
Für die Zeit vor meinem definitiven Eintritt ins Kloster hatte ich mit einer Kollegin einen Arbeitseinsatz in einem Kibbuz in Israel geplant. Die drei Monate bis Weihnachten 1969 waren ein grosses Erlebnis, und aus Begeisterung blieben wir zusätzliche drei Monate für einen Einsatz in einem Kinderspital in Nazareth.
Am 4. November 1970 trat ich ins Kloster Fahr ein. Der Eintritt wäre schon für eine Woche früher angedacht gewesen, aber ich war an die Hochzeit meiner Freundin Lis eingeladen. Sie und Hanspeter wollten eigentlich im darauffolgenden Frühling heiraten, zogen die Feier aber meinetwegen vor. Nach dem Klostereintritt hätte ich nicht mehr rausgedurft. Es war ein traumhaftes Fest, und wir sind heute noch miteinander befreundet.
Ein Ja ist ein Ja. Und das hat Folgen. Das war mir mit dem Entscheid für das Kloster bewusst. Die erste Zeit war eine harte Schule. Ich war eine selbstständige, selbstsichere Frau, und das Noviziat war eng und streng. Ich hatte mich in die Gemeinschaft einzufügen, durfte während der Ausbildung nicht mit den Konventschwestern sprechen. Doch ich sah es trotzdem nie als mühsamen Weg an. Die schwere Zeit würde vorübergehen, danach wäre ich freier.
Zur Feldgruppe eingeteilt, arbeitete ich vor allem draussen, hatte jedoch jeden Tag Zeit zum Klavierspielen. Später kam noch das Orgelspiel dazu. Und bald begleitete ich jede → Laudes und Vesper und wurde umgehend kritisiert, wenn ich einen Fehler machte. Das war ein enormer Druck und führte dazu, dass ich den Erwartungen nicht mehr standhielt. Mit der Zeit verlor ich die Freude an der Musik. Solche Dinge erlebt man in Gemeinschaften. In den Siebzigerjahren hatte man im Fahr nicht die Zeit, auf die Psyche jeder einzelnen Schwester einzugehen.
Die Bäuerinnenschule war damals ein Politikum im Kloster. Die einen, um Schwester Elisabeth, befürworteten sie. Andere hingegen, wie Schwester Raphaela oder Schwester Hedwig, wollten ein kontemplatives Kloster, geprägt von Innerlichkeit und Gebet. Die Aufgaben der Schule würden zu viele Kräfte des Klosters absorbieren, sagten sie. Dieser Konflikt flammte immer wieder auf, und wer nicht an der Schule war, konnte ihre positiven Impulse nicht verstehen. Dabei war ja der grösste Teil der Schwestern über die Schule ins Kloster gekommen! Ich selbst wurde für das Fach «Häusliche Krankenpflege» an die Schule delegiert – mir gefiel das Unterrichten sehr, aber ich spürte den Konflikt unter den Schwestern immer. Das änderte sich erst, als Schwester Raphaela im Jahr 1978 Priorin wurde und von Amtes wegen für die Schule einstehen musste.
In einem Seminar mit Heilungsgebeten, Mitte der Achtzigerjahre, durfte ich erfahren, dass eine innere Heilung mit mir geschah. Explizit war sie nicht, aber sie ist mir geschehen, sie wurde mir geschenkt. Ich hatte von diesem Tag an keine Panik mehr an der Orgel. Wie so etwas geschehen kann? Ein Geschenk des Herrgotts!
Meinen Platz in der Klostergemeinschaft vergleiche ich mit der Wurzel eines Baums, der wunderschöne Blätter und Früchte trägt. Man sieht den äusseren Reichtum, aber die Wurzeln nicht. Die sind trotzdem wichtig. Es ist mir recht und lieb, wenn ich im Hintergrund bin. Weitreichende Entscheidungen treffe ich nicht, ich führe aus, was mir aufgetragen wird. Ich hätte als Krankenschwester Karriere machen können, vielleicht wäre auch ein Mann in mein Leben getreten. Aber das war nicht meine Berufung. Wieso funkt es in der Liebe zu einem Partner? Man kann es mir nicht erklären. Und so kann ich es in meinem Fall auch nicht. Die Berufung ist ein Ruf und bleibt letztlich ein Geheimnis. Ich höre keine Stimme, aber es ist ein Eindruck, mehr Intuition als direkte Ansprache.
Im Kloster leben heisst für mich, immer wieder Wege zurück in die Stille zu finden. Laufend aus ihr herausgerissen zu werden, ist mühsam. Deshalb schweigen wir den grössten Teil des Tages, damit wir in dieser Ruhe bleiben. Ob wir in der Kirche sind, beim Beten, beim Arbeiten oder beim Essen – alles geschieht schweigend. So lassen wir uns nicht hinaustreiben aus der Verbindung zu Gott. Wenn man hinter diese Klostermauern kommt, ist das ein Kampf, es braucht Training; es ist ein Hineinwachsen. Das kommt nicht von einem Tag auf den andern.
Verzicht gehört zu dieser Form von Leben, und er ist für mich nicht negativ: Lege ich eine Frucht, die ich zwar möchte, weg, dann ist da eine Leere. Es gibt Platz für etwas Neues, das ich noch nicht kenne, das aber richtig ist.
Mit Menschen von ausserhalb des Klosters habe ich wegen meiner Hörbehinderung nicht mehr so viel Kontakt. Das ist so. Früher war ich nahe am Geschehen, hatte viele Nöte kennengelernt, von den Alkoholikern daheim und den Menschen in der Psychiatrie. Heute bin ich indirekt mit der Welt verbunden – über die Verbindung mit dem Herrgott.
Seit 47 Jahren lebe ich im Kloster Fahr, und in meinem Alltag hat sich wenig verändert in diesen Jahren. Auch meine Einstellung nicht. Ich mag Kontinuität, und ich liebe unseren Tagesrhythmus. Dazu haben wir heute mehr Freiheiten, zum Beispiel Ferien.
Das Jetzt ist das Schönste. Die Vergangenheit prägte mich, die kann ich nicht mehr verändern. Aber die Gegenwart, die kann ich gestalten. Die Einsamkeit im Kloster ist keine Verlassenheit. Alleinsein zu können, ist entscheidend. Wer viel Gesellschaft braucht, ist bei uns am falschen Platz. Das Alleinsein ist heilsam und bringt mich näher zu Gott und ins Leben. Jeder Mensch hat einen inneren Raum und eine innere Welt, die sehr reich sind. Wenn man sich dessen bewusst ist und am Morgen nicht schon mit den aktuellsten Nachrichten aufsteht, sondern in eine Ruhe hinein aufwacht – vielleicht in eine Gottesbeziehung –, dann gibt das Kraft. So beginne ich den Tag ganz anders. Gott gibt jedem Menschen die Freiheit. Und ich kann keinen Menschen ändern. Auch wenn ich eine Mitschwester gerne anders hätte. Das bringt nichts. Ich muss es aushalten, das ist die harte Schule!
Ich brauche viel Ruhe. Aber das Gespräch jetzt hat mich sehr entspannt. Es war bereichernd. Dass ich in diesem Buchprojekt überhaupt mitmache, hat verschiedene Gründe. Einerseits legen wir als Klostergemeinschaft Zeugnis ab über unser Leben. Und wir werden viel voneinander erfahren, das wir nicht wussten. Die Leute draussen werden sehen, wie wir leben und denken, dass wir Krisen kennen und Humor haben. Es ranken sich ja unendlich viele Vorurteile um unser Leben. Aber auch ein Klosterleben hat Pfeffer, oder nicht?
Eintritt ins Kloster Fahr: 4. November 1970
Einfache Profess: 14. August 1972
Feierliche Profess: 20. August 1975