Читать книгу Der Teufel von London - Susanne Danzer - Страница 10
ОглавлениеKapitel 7
Celeste und Primes begleiteten Mister Harrington zu seiner Wohnung. Mit seiner Unterschrift hatte Primes die vorläufige Entlassung des Mannes durchgesetzt. Beide waren von seiner Unschuld überzeugt – sie glaubten ihm.
Schon seit Jahren wohnte Mister Harrington in der Nähe der ›Paddington Station‹, in einem kleinen Haus zur Miete. Er arbeitete als Buchhalter in einer nahe gelegenen Firma, die ihm das beste Zeugnis ausgestellt hatte. Das alles waren für Primes Argumente, die ihn völlig überzeugten. Nichts wies darauf hin, dass der Mann ein gewohnheitsmäßiger Verbrecher sein könnte. Im Gegenteil: Seine Weste schien blütenweiß zu sein.
Seine Vermieterin, die mit ihrem Gatten, im unteren Stock des Hauses lebte, war in großer Sorge um ihren Mieter, der ungewöhnlicherweise über Nacht ausgeblieben war. Sie drohte in Ohnmacht zu fallen, als sie ihn mit verbundenem Gesicht vor sich stehen sah. Erschrocken legte sie die Hände an die Wangen und erbleichte sichtlich, sodass Celeste vorsorglich einen Schritt näher trat, sollte ihre Hilfe erforderlich sein.
»Ist Abigail noch oben?«, erkundigte sich Harrington besorgt.
Seine Vermieterin verneinte. »Ich habe sie heute am frühen Morgen fortgehen sehen. Die Miss war in tiefer Sorge um sie. Sie wollte Sie suchen, Mister Harrington. Wir befürchteten schon, dass Ihnen etwas zugestoßen sei.«
Celeste und Primes sagten nichts, warfen sich nur bedeutungsvolle Blicke zu. Mit dem Überraschungsmoment schien es vorbei zu sein, denn die Tochter war nicht da, um sie zu befragen.
»Wissen Sie vielleicht, wohin Sie gegangen ist, Madam?«, erkundigte sich der Inspector.
»Das weiß ich nun bei meiner Seele nicht, Sir«, erklärte die Frau. »Vielleicht ist sie in diesem Lokal, in dem sie sich meistens aufhält.«
»Das ist Detective Inspector Primes und die Dame an seiner Seite, Miss Dr. Montgomery, ebenfalls von Scotland Yard«, stellte Harrington seine Begleitung vor. Er hatte keinen Grund ihr zu verschweigen, wer die beiden waren.
Seine Vermieterin deutete ein verstehendes Nicken an.
»Man wollte mich einsperren, Mrs. Perkins«, gestand Harrington mit einer Ruhe, als spräche er über das Wetter. »Alles wegen eines dummen Päckchens. Da sehen Sie, wohin es führt, wenn man als alleinerziehender Vater nicht ausreichend auf seine Tochter achtet. Ach, wenn meine Frau doch noch bei uns wäre. All das wäre mir erspart geblieben, denn dann hätte sie ein Vorbild gehabt, nachdem sie sich hätte richten können. Stattdessen geriet sie an die falschen Leute, die ihr nichts Gutes wollen.« Er sah Celeste und Primes mit großen Augen an. »Wir müssen meine Abigail unbedingt finden! Bevor sie eine Torheit begeht, die sie in noch größere Schwierigkeiten bringt.«
»Das ist leichter gesagt als getan«, versuchte ihn Primes zu bremsen.
»Vielleicht ist Ihre Tochter zu Freunden gegangen?«, ergänzte Celeste, wenn auch eher skeptisch.
»Sie haben doch erfahren, wem Sie das Päckchen gebracht hat?« Primes hatte eine Idee. »Womöglich sollten wir dort ansetzen. Es wäre zumindest ein Anhaltspunkt.«
Mrs. Perkins bot ihnen Frühstück an, aber sie verzichteten. Im Augenblick war es dringlicher Harringtons Tochter Abigail zu finden. Primes befürchtete, dass Gefahr für das Mädchen in Verzug war.
Sie kletterten also wieder auf den Zweispänner und machten sich auf den Weg zum Hafenviertel an der Themse.
***
Ganz in der Nähe des Lokals wohnte der Mann, dem Abigail Harrington immer die Päckchen übergab – in einem finsteren Hinterhof, der nur mit Schwierigkeiten zu betreten war.
Der Mann hauste in einer Souterrain-Wohnung, was auf Französisch zwar sehr edel klang, aber in keiner Weise mit der Wirklichkeit korrespondierte. Dafür war das Gebäude viel zu heruntergekommen.
Sie fanden die Tür verschlossen vor und auf ihr Klopfen hin kam niemand, um sie einzulassen.
Primes fluchte, was ihm einen tadelnden Blick von Celeste einbrachte, und spähte durch die trüben Fensterscheiben, doch konnte er in der Dunkelheit nicht viel erkennen. Von dem Schmutz, der seinen Blick einschränkte, einmal abgesehen.
Eines stand für ihn allerdings sofort fest: In der Wohnung hielt sich augenscheinlich niemand auf.
Nach kurzer Suche fand er ein halbgeöffnetes Fenster, dessen Riegel sich so weit zurückschieben ließ, dass er es vollends aufdrücken konnte.
»Was tun Sie denn da?«, fragte ihn Celeste irritiert. »Sie wollen doch nicht etwa einbrechen, oder? Primes, das können Sie doch nicht tun.«
Er schmunzelte und drückte seine aufgerauchte Zigarette mit dem Absatz seines Schuhs aus.
»Wissen Sie, Celly, genau das habe ich vor. Das Gesetz gestattet mir, die Wohnung zu durchsuchen ... auch ohne richterlichen Beschluss«, erklärte er kurz, während er sich bereit machte hineinzuklettern, und fügte hinzu: »Nämlich immer dann, wenn Gefahr im Verzug ist. Will mich jemand begleiten?«
Celeste und auch Harrington winkten ab.
»Ich bin unpassend gekleidet«, erwiderte sie ironisch. »Hätte ich gewusst, dass ich heute als Einbrecherin fungieren soll, hätte ich mich entsprechend angezogen. So muss ich leider passen, wenn ich mich nicht mit meinen Röcken verheddern und verhängnisvoll stürzen will.«
»Gut, dann stehen Sie Schmiere und geben mir ein Zeichen, sollte der Mann kommen«, wies er Abigails Vater an, stemmte sich am Fensterrahmen hoch und kletterte mit erstaunlicher Behändigkeit in die Wohnung.
»Ich glaube, Sie haben das schon öfter getan«, hörte Primes Celeste hinter sich herrufen und konnte sich ob ihrer Worte ein Grinsen nicht verkneifen.
Bisher hatte sich niemand um sie gekümmert, obwohl sie sich nicht gerade unverdächtig benahmen. Die übrigen Bewohner des Hinterhauses schienen sich ganz allgemein nicht um die Angelegenheiten anderer Menschen zu kümmern.
Primes hatte einen ausgezeichneten Riecher, weshalb er nicht allzu lange suchen musste, um die Laboratoriumsgerätschaften zu finden, mit denen das Rohopium weiterverarbeitet wurde. Verstreut auf dem Boden fand er genügend weiteres Beweismaterial.
Er wusste, dass er zumindest eine der Werkstätten gefunden hatte, die die Drogenhändler benutzten. In einer Ecke lag sogar noch das Papier, das zum Verpacken der Päckchen verwendet wurde. Es lag direkt neben einem Ofen. Offensichtlich wollte der Bewohner dieser billigen Absteige es darin verbrennen. Womöglich um Beweise zu vernichten. Alles andere wäre unsinnig gewesen.
Primes hielt sich nicht mit dem Packpapier auf, sondern setzte seinen Rundgang durch den Raum fort. Auf einem Tisch fand er ein Briefkuvert, das seine Neugier weckte. Es war an einen Mister Sullivan adressiert – vermutlich der Mieter der Kellerwohnung.
Allerdings schenkte ihm Primes keine weitere Aufmerksamkeit. Stattdessen öffnete er die einzige geschlossene Tür in der Wohnung und warf einen Blick in den Raum dahinter. Im Halbdunkel erkannte er ein unordentliches Bett und davor zwei Katzen, die bei seinem Auftauchen zu fauchen begannen.
»Dummes Viehzeug«, murmelte er und war froh, dass Celly ihn nicht gehört hatte. Ganz bestimmt hätte sie ihn dafür gerügt und ihn einen Unhold genannt.
Schließlich hatte er genug gesehen und stieg durch das Fenster wieder hinaus, durch das er hereingekommen war.
Celeste und Mister Harrington sahen ihn erwartungsvoll fragend an.
»Ihre Tochter befindet sich nicht hier«, erklärte Primes. »Aber das haben wir uns ja schon gedacht. Wir werden weiter nach ihr suchen müssen. Hoffen wir mal, dass sie keine Dummheit begangen und stattdessen ihren Verstand benutzt hat.«
Gemeinsam gingen sie zur Kutsche zurück und Primes sah sich nach einem Bobby um. Es dauerte nur zehn Minuten und ein Mann in schwarzer Uniform mit typischer Kopfbedeckung kam auf seinem Patrouillengang um die Ecke des Straßenzuges. Primes hielt ihn auf.
»Detective Inspector Primes, Scotland Yard«, stellte er sich knapp vor und hielt dem Constable dabei seine Dienstmarke vor die Nase. »Ich habe eine Aufgabe für Sie.« Er deutete auf das Haus mit dem Hintereingang. »Sorgen Sie dafür, dass sich meine Kollegen von der Spurensicherung die Kellerwohnung im Hinterhof genauestens anschauen. Ein Fenster steht auf. Und sagen Sie denen, sie sollen sich beeilen.«
»Verstanden, Sir! Ist das alles, Sir?«, erwiderte der Mann diensteifrig.
»Nein. Anschließend werden Sie hier warten. Achten Sie mir darauf, ob der Mieter der Wohnung zurückkommt. Und sehen Sie sich vor, Constable, der Bursche ist vermutlich gefährlich. Verstanden?«
»Jawohl, Sir!« Der Bobby nahm Haltung an, salutierte und wollte sich schon auf den Weg machen, als ihn Primes zurückhielt.
»Noch etwas! Das Archiv soll nachsehen, ob etwas über diesen Sullivan, der dort haust, bekannt ist.«
»Wird gemacht, Sir!«
***
Kaum war der Constable um die nächste Ecke verschwunden, kletterte Primes auf den Kutschbock zurück. Gemeinsam mit Celeste und Abigails Vater machte er sich auf die Suche nach dessen Tochter. Große Hoffnungen machte er sich allerdings nicht. Das Mädchen konnte überall in London sein. Genug Verstecke und Unterschlupfe gab es hier. Wenn jemand in dieser Stadt nicht gefunden werden wollte, dann wurde er auch nicht gefunden.
Für ihn war Abigail zu clever. Sie hatte sich erst nach exemplarischer Prügel durch ihren Vater bereitgefunden, diesem die Wahrheit zu gestehen.
Und Primes sollte damit recht behalten. Es war ihnen nicht möglich das Mädchen ausfindig zu machen, obwohl sie in jeder Spelunke nachsahen, die sie entdecken konnten. Nur in einem Laden trafen sie ein junges Ding, das dort zu schlafen pflegte, nachdem man es zu Hause hinausgeworfen hatte.
Schließlich gaben Celeste und Primes es auf und auch Abigails Vater blieb nichts anderes übrig, als diesen Fehlschlag einzugestehen, auch wenn die Sorge um sein Kind stetig anwuchs.
Sie brachten Mister Harrington noch nach Hause, da sie ohnehin nichts mehr ausrichten konnten, und baten darum, sie sofort zu informieren, wenn seine Tochter wieder auftauchte. Nachdem sie ihn abgesetzt hatten, fuhren sie zum Yard zurück.