Читать книгу Der Teufel von London - Susanne Danzer - Страница 5

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Kapitel 2

Charles Morrison hatte allerhand Mühe, die schwere Kiste allein vom Stapel zu wuchten. Immer wieder sah er sich ängstlich um. Auf keinen Fall wollte er sich jetzt bei seiner momentanen Tätigkeit erwischen lassen. Glücklicherweise konnte ihn die Deckwache auf dem schwedischen Schiff, das in unmittelbarer Nähe festgemacht hatte, hinter dem schützenden Kistenstapel nicht ausmachen.

Endlich stand die Kiste zu seinen Füßen und er richtete sich von der Anstrengung keuchend auf. Diese Holzkiste war nicht sehr massiv, doch durch ihren leblosen Inhalt überraschend schwer.

Charles starrte auf die goldene Kette, die in die Westentasche lief, die der Tote trug, und an deren Ende er eine kostbare Uhr vermutete.

»Um die wäre es schade«, murmelte er vor sich hin, zog an der Uhrenkette, löste sie von der Weste und steckte die Taschenuhr ein. Dafür würde er sicher ein oder zwei Pfund bekommen.

Er fand auch einen Geldbeutel, den er ohne weiter darüber nachzudenken in seiner Hosentasche verschwinden ließ – gleiches geschah mit einer kleinen ledernen Mappe, in der sich augenscheinlich Papiere befanden.

Mit einem solchen Zufallstreffer hatte er nicht gerechnet. Umso vergnügter war er. Warum sollte ihm das Glück nicht auch einmal hold sein?

Niemand störte ihn bei dieser Unternehmung, bei der er nicht das geringste schlechte Gewissen hatte.

Nachdem er alle Taschen des Mannes in der Kiste durchwühlt hatte und ihm auch noch die wertvoll erscheinenden Manschettenknöpfe sowie einen Schlüsselbund abgenommen hatte, schob er die Kiste in die Lücke, in der er eigentlich hatte schlafen wollen, ohne den Deckel zu schließen.

Rasch sah er sich ein letztes Mal vorsichtig nach allen Seiten um. Die Luft war rein – Zeit sich unbemerkt zu entfernen. So schnell Charles Morrison konnte, machte er sich aus dem Staub, immer darum bemüht jedem menschlichen Wesen möglichst aus dem Weg zu gehen. Entdeckt zu werden war in seinen Augen wenig erstrebenswert.

Erst als der Hafen weit hinter ihm lag und er ihn kaum noch sehen konnte, wagte er es, einen genaueren Blick in den Geldbeutel und das Ledermäppchen zu werfen.

Im Beutel waren eine Unzahl an Münzen und in der Mappe lagen zweihundert Pfund in Banknoten, die Papiere eines Mannes aus London, ein Scheckbuch, zwei abgegriffene Fotografien und eine Karte mit einer markanten Schrift, die Charles Morrison nicht kannte.

Unter einer Laterne stellte er fest, als er im Schein der Lampe an sich hinunterblickte, dass er sich nirgends sehen lassen durfte. Die Blutflecken fielen zu sehr auf. Er verkroch sich zwischen zwei Häusern und wartete ab. Zwar hatte er nun genügend Geld, aber er wagte es nicht, eines der Lokale zu betreten.

Was er jetzt am Dringendsten brauchte, war saubere Kleidung. Gerne neue, in Anbetracht des Vermögens, dass er an sich genommen hatte.

Auf keinen Fall wollte er durch den neuen Reichtum leichtsinnig werden, jeder Schritt wollte reiflich überlegt sein.

Der Mann in der Kiste war einem Verbrechen zum Opfer gefallen, was bedauerlich für den armen Kerl war. Daran gab es nichts zu rütteln. Er hatte die Mörder sogar gehört und gesehen. Besonders an den einen erinnerte er sich genau: an den Mann im dunklen Anzug mit dem Bowler.

So gekleidet ging seiner Meinung kein wahrer Gentleman; wenn schon korrekt, dann nur mit Zylinder.

Charles tastete nach dem Metall in seiner Tasche und zog es heraus. Jetzt besaß er zum ersten Mal in seinem Leben eine Uhr. Er beobachtete den Zeiger, der ihm nicht schnell genug die Runde machte. Einige Stunden musste er noch warten, bis er sich aus dem Versteck wagen durfte.

Der Tote wohnte in ›Mayfair‹, wie er herausgefunden hatte, als er die Papiere inspizierte.

In dieser Gegend kannte sich Charles Morrison noch nicht aus, denn es war eine feine Gegend von London, und einer wie er, war dort nicht gerade erwünscht.

Den Papieren nach schien es George Manning ausgezeichnet gegangen zu sein. Zweihundert Pfund in bar, ein Scheckheft und die Uhr.

Eigentlich konnte es Charles egal sein. Da er jedoch den Entschluss gefasst hatte, dem Haus des Toten einen Besuch abzustatten, versuchte er ein bisschen über das Opfer nachzudenken.

Viel kam allerdings nicht dabei heraus.

Dieser Mister Brownhill war mausetot, abgemurkst von ein paar zwielichtigen Gestalten, und man hatte ihn einfach in eine der am Kai stehenden Kisten gepackt. Hätte er nicht die Blutstropfen abbekommen, wäre die Kiste vermutlich ohne weiteres auf einen Themsekahn verladen und einige hundert Meilen weiter befördert worden. Was wiederum schade um das kleine Vermögen gewesen wäre, das der Tote bei sich trug.

Die Mörder hatten Charles‘ bescheidener Meinung nach einen großen Fehler begangen: Sie hätten ihrem Opfer die Papiere abnehmen müssen.

Charles schlug sich gegen die Stirn. Wie konnte ich nur so dumm sein?

Was, wenn sie zurückgekommen waren, um ihren Fehler wieder gutzumachen, dann hatten sie die Kiste auf einem anderen Platz gefunden.

Die werden einen schweren Schock bekommen haben, schmunzelte er.

Erst gegen zwei Uhr morgens wagte sich Charles Morrison schließlich aus seinem Versteck. Jetzt, endlich, waren die Straßen menschenleer. Zudem war ihm das Glück hold, denn es zog Nebel von der Themse heraus und hüllte die Nacht in einen kaum durchdringbaren Schleier. Selbst das Licht der Gaslaternen konnte die Schwaden kaum durchdringen. Charles war das nur recht. Es war, als hätte ihm das Schicksal einen Wink gegeben und würde sein Vorhaben nun unterstützten

Er wählte nicht den kürzesten Weg nach ›Mayfair‹, sondern vermied alle Polizeistreifen, indem er sich durch kleine schmale Gassen schlich, die kaum von Gaslaternen erhellt wurden.

Erst gegen vier Uhr erreichte er das Haus von Mister Brownhill und es verschlug ihm den Atem. Mit einer so prachtvollen Villa hätte er niemals gerechnet, geschweige denn sich eine solche überhaupt vorstellen können. Mit großen Augen betrachtete er das wundervolle Gebäude inmitten eines gepflegten Gartens. Charles war selten sprachlos, doch in diesem Moment gelang es ihm vor lauter Staunen nur anerkennend durch die Zähne zu pfeifen. Gefolgt von einem leisen Kichern und einem breiten Grinsen.

Bevor er über den Zaun kletterte, sah er sich eine Weile um.

Die Villa lag völlig im Dunkeln. Nicht der kleinste Lichtschein war zu sehen, noch ein Geräusch zu vernehmen.

Nachdem er sich Zutritt zum Gelände verschafft hatte, untersuchte er zuerst den Schuppen. Die Tür war nicht verschlossen. Er fand einen kleinen Zweisitzer und eines der immer mehr in Mode kommenden Fahrräder. Im hinteren Bereich standen in einer Box zwei Pferde. Er verstand nicht viel von diesen Tieren, aber sie wirkten verschwitzt, so, als hätten sie erst vor kurzem eine mächtige Kraftanstrengung hinter sich gebracht. Wurden sie nicht im Anschluss immer trocken gerieben? Er wusste es nicht genau zu sagen, meinte aber so etwas einmal gehört zu haben.

Charles griff nach den Schlüsseln, die er beim Toten gefunden hatte. Unbemerkt näherte er sich dem Haupthaus. Er sah das Namensschild neben der Tür und wusste, dass er richtig war.

George A. Brownhill war in feinen, schnörkeligen Buchstaben kunstvoll in das Messingschild eingraviert worden. Da es keine Flecken aufwies, wurde es zweifelsohne regelmäßig poliert bis es glänzte.

Er probierte einige Schlüssel durch, ehe er den richtigen herausgefunden hatte, und die Tür geräuschlos öffnen konnte.

Als er die Villa betrat, kam er sich nicht wie ein Dieb vor – im Gegenteil. Schließlich wollte er ja nur feststellen, wie der von ihm gefundene Tote gelebt hatte. Und warum er vorzeitig aus dem Leben gebracht worden war. Neugier war nun einmal ein starker Antrieb, um auf eine solche Entdeckungsreise zu gehen.

In der weiten Halle fand sich Charles schnell zurecht, trotz der herrschenden Dunkelheit.

Auf einem Tisch entdeckte er einen reichlich verzierten Humidor mit Zigaretten einer teuren Marke, so edel wie sie rochen. Das war nicht der billige Tabak, wie er ihn kannte. Jedenfalls kamen ihm die gerade recht. Er streckte sich in einem Sessel aus und begann genüsslich zu rauchen.

Auf den Gedanken, dass man ihn hier erwischen könnte, kam er nicht.

Doch er sollte sich noch wundern.

Nichts rührte sich im Haus und er beschloss, den Tag in der prachtvollen Villa abzuwarten. Passieren konnte ihm hier schließlich nichts ... zumindest kaum etwas, denn Mister Brownhill war ja tot.

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