Читать книгу 7 x Liebe - Susanne Fülscher - Страница 4

Lena und Timmi Laterna Magica. Früher Abend. Abend.

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Ich ziehe mir Zigaretten und gehe zurück ins Café. Eigentlich ist es verboten, während der Arbeit zu rauchen, aber wer schert sich schon drum? Der Boss raucht, Ivi manchmal auch, und die Kids tun’s sowieso. Ich stecke mir also eine an und nehme mir vor, den Kleinen dahinten in der Ecke ein wenig schmoren zu lassen. Was hab ich schon groß davon, wenn ich renne und mich überschlage – Schüler rücken nun mal kein Trinkgeld raus. Die sind allesamt schlecht erzogen. Verplempern ihr Geld mit Markenklamotten und scheren sich kein Stück darum, wie es anderen geht. Mir zum Beispiel: Lena, siebzehn Jahre.

Okay, ich hätte die Schule vielleicht zu Ende machen sollen, dann könnte ich mir diesen Quatsch hier sparen. Bestellungen aufnehmen, Getränke bringen und abkassieren. Manchmal auch Gläser spülen. Ivi ist total nett, Gott sei Dank. Sonst wär der Laden wirklich nicht auszuhalten. Diese kichernden Gänse! Da sind die Jungs schon erträglicher, selbst wenn sie grölen oder mit ihren Mädchengeschichten auftrumpfen. Aber so ein schrilles Gegacker kann ich einfach nicht leiden!

Noch anderthalb Stunden. Nur noch anderthalb Stunden. Der Kleine in der Ecke verrenkt sich den Kopf nach mir, also gehe ich mal hin.

»Eine Cola«, sagt er und lächelt dabei total nett. Wenn er nur nicht so ein kindliches Mondgesicht hätte! Punkt, Punkt, Komma, Strich – fertig ist das …

»Machst du eine Cola fertig?«, rufe ich Ivi zu und schlendere zu Tisch Nummer eins am Fenster, wo eine Blondgelockte schon seit Ewigkeiten mit dem Finger schnippt. Ich frage nicht »Ja, bitte?« oder »Was darf’s denn sein?« oder »Was kann ich für dich tun?«, sondern ziehe nur arrogant eine Augenbraue hoch, wie ich es von meiner Tante abgeguckt habe.

Warum um Himmels willen gibt es nur Schülercafés? Was haben diese Teenies hier überhaupt zu suchen? Statt Hausaufgaben zu machen geben sie lustig Papis Geld aus!

»Zahlen«, muffelt die Blondgelockte und ich antworte »Klar doch!« Ganz freundlich sage ich es und verrechne mich nebenbei mal eben um zwei Euro. Ein bisschen klopft mir schon das Herz, aber als die Tusse mir ohne zu murren das Geld in die Hand drückt, wünsche ich ihr mit meinem strahlendsten Lächeln noch einen schönen Abend. Vielen Dank auch für das Trinkgeld! Vielleicht sollte ich mir auf diese Weise immer das beschaffen, was mir eigentlich zusteht. Ach, die Cola! Mit zwei Sätzen bin ich an seinem Tisch. Was liest er denn da? Wie süß! Ein Schulbuch! Ich tippe auf Bio. Vielleicht schreibt er morgen eine Klausur und hat noch nicht den Durchblick. Das könnte ich ihm doch auch beibringen. Ich nehme ihn einfach mit nach Hause und zeig’s ihm auf meiner Leopardendecke. Oder gleich hier auf der Toilette … Moment, das geht jetzt wirklich zu weit. Der Typ sieht so niedlich aus, so unbedarft …, ich stelle ihm die Cola hin und er lächelt wieder. Verrückt – aber mein Herz fährt im selben Moment Achterbahn. Schnell weg! Es ist doch albern, dass mich so ein kleiner Schüler, der bestimmt zwei Jahre jünger ist als ich, aus der Bahn wirft!

An der Bar frage ich Ivi, ob sie sich mit einem sehr viel jüngeren Mädchen einlassen würde.

»Kommt drauf an. Aber warum eigentlich nicht?«

Eine genauere Antwort hätte sie mir schon geben können! Also hake ich nach.

»Das Alter interessiert mich nicht«, sagt Ivi. »Hauptsache, ich hab mit ihr Gespächsthemen.«

»Reden ist wichtig?«, frage ich, als ob ich mir über solche Dinge noch nie Gedanken gemacht hätte.

»Klar! Sonst kannst du sie hinterher nur rauswerfen.«

Ich düse los, bringe einen Salat und ein Sandwich an Tisch sieben, räume dann den Tisch der Blondgelockten ab, die gerade die Laterna Magica verlässt. Riskiere ich einen Blick in die andere Richtung? Schon ist es passiert und eine ganze Kolonne Ameisen krabbelt durch meinen Bauch. Der Junge hat mich angesehen, ganz schüchtern hat er von seinem Biobuch hochgeschaut, wobei es unmerklich um seine Mundwinkel zuckte. Ich werde rot, wie peinlich! Hektisch stapele ich Teller und Tassen und all den Kram übereinander, ein Saftglas fällt dabei klirrend zu Boden. Am liebsten würde ich sterben! Mich auflösen und nie wieder in diesen Laden zurückkehren! Die Scherben sehen aus wie ein bizarres Kunstwerk, ich schiebe sie vorsichtig zusammen und überlege mir dabei, dass ich vielleicht doch nicht sterben möchte. Eigentlich möchte ich den Jungen küssen, einfach so, egal, was danach kommt. Ich stelle mir vor, wie ich ihn mit zu mir nach Hause nehme: Er sitzt in meinem Sessel, ich fläze mich auf die Leopardendecke, in der Hand ein Glas Champagner, vielleicht summe ich eine Jazzmelodie und spreize verwegen meine Schenkel … O Mann, bin ich denn verrückt? Niemals würde ich so etwas zustande bringen! Wenn ich nur an mein erstes (und auch letztes) Mal mit Jakob vor drei Monaten denke! Er lag da wie ein Brett, ich lag da wie ein Brett und beide waren wir froh, als wir es endlich hinter uns gebracht hatten …

Ob es mit dem dahinten anders wäre? Und ob man mit ihm reden kann? Klar finde ich reden wichtig. Sehr wichtig sogar. Ich will vorher mit ihm reden und währenddessen und hinterher sowieso, und schön wäre es, wenn man es auch noch in ein paar Jahren tun könnte. Ach, Blödsinn, ich kenne den Jungen ja gar nicht, weiß gerade mal, dass er bubihaft und mondgesichtig aussieht …

Ivi steckt ihren Kopf in den Kühlschrank und zeigt mir ihren miniberockten Po und ihre tollen schlanken Beine. Ivi trägt immer Minirock. Dann taucht sie mit einer Flasche Apfelsaft in der Hand wieder auf.

»Ach, Ivi …«, sage ich hilflos.

»Was hast du?«

Wahrscheinlich mache ich einen ziemlich desolaten Eindruck.

»Ist dir schlecht?«

»Sag mal … Kann man sich innerhalb von fünf Minuten in einen Jungen verknallen, der wie fünfzehn aussieht und in einem Biobuch liest?«

»Wenn man zwölf ist, vielleicht.«

»Und mit siebzehn?«

»Sollte man schleunigst zum Psychiater gehen!« Ivi lacht und hat rote Wangen, als käme sie geradewegs vom Schlittenfahren. »Wer ist denn der Glückliche?«

»Tisch drei.« Ich hauche die Zahl in die Luft und habe Angst, dass sie als Eisblume irgendwo hängen bleibt.

»Soll ich was für dich arrangieren?«

»Untersteh dich!«

Eine Gruppe Jungs betritt das Lokal und setzt sich an Tisch vier. Ivi kichert.

»Na, dann mal los!«

Ich werfe ihr einen vernichtenden Blick zu und eiere auf wackligen Beinen zu den Typen. Vier Bier, die Bestellung dauert nicht länger als zwei Sekunden. Ich spüre, dass er mich anschaut – hingucken oder nicht? Auch Ivi wird sich gerade die Augen aus dem Kopf starren.

Ich kann es nicht! Mit gesenktem Blick zurück zur Theke. Fieberhaft durchsuche ich meine Tasche nach Zigaretten, finde aber nur einen angebrochenen Schokoriegel, Tampons, meinen Lieblingslippenstift …

»Vier Bier, aber dalli!«, fahre ich Ivi an, die doch gar nichts dafür kann.

»He, ich glaub, er steht gerade auf. Pass mal auf, dass dein Goldschatz auch zahlt.«

Na und? Mir doch egal! Ich drehe mich extra nicht um. Es ist sowieso lächerlich – ich und dieses Mondgesicht. Dann habe ich Ivis Hand auf der Schulter, eine Zehntelsekunde später ihr spitzes Kinn.

»Er ist raus.« Ihre Stimme schnarrt. »Wenn er nicht gezahlt hat … Na, du weißt ja …«

Klar weiß ich. Aber die eine Cola werde ich gerade noch erstatten können. Ich zupfe mir die Haare zurecht und warte, bis die vier Bier fertig sind. Die Typen glotzen mir auf die Brust, als ich die Gläser abstelle. Blödmänner! Schnell zu seinem Tisch. Vier Euro liegen neben dem leeren Glas. Die Zitronenscheibe hat er ausgelutscht und artig im Aschenbecher deponiert. Irgendwie sieht sie traurig aus, so ganz zerdetscht. Ich räume das Glas aufs Tablett und gehe zurück zur Theke. Vier Euro sind viel zu viel! Entweder hat er reiche Eltern, oder … – ach, was weiß ich. Spendabel, verliebt, einfach nur nett …

»Alles klar?«, fragt Ivi.

»He, nicht so viel quatschen!« Der Boss hat sich von hinten angeschlichen, lacht aber freundlich und kratzt sich fortwährend seinen Kinnbart.

Ich nicke Ivi nur kurz zu, alles klar, er hat mich nicht reingelegt. Wieso denn auch? Einer, der ganz versonnen sein Biobuch anlächelt, legt doch kein Mädchen wie mich rein! Ein bisschen traurig bin ich schon, aber morgen ist auch noch ein Tag.

Gegen elf ist Schluss. Ivi und ich räumen die letzten Gläser weg, die Tische sind schon sauber, die Stühle hochgestellt.

»Noch zu Carlos?«, fragt Ivi.

»Nö. Bin müde.«

Ich bin wirklich hundemüde, total ausgelaugt und meine Füße schmerzen.

»Arbeitest du morgen?«, fragt Ivi weiter.

Ich nicke. »Spätschicht«, sage ich und hole meine Lederjacke von hinten. Ivi steht schon gestiefelt und gespornt und mit dem Schlüsselbund in der Hand da. Licht aus, abschließen, Küsschen links, Küsschen rechts, weg bin ich. Meine Vespa habe ich im Hinterhof abgestellt, zweimal links um die Ecke. Plötzlich höre ich Schritte hinter mir. Verdammt, ich hasse es, wenn mir irgend so ein Typ hinterherläuft und dann auch noch nachts! Ich lege einen Zahn zu, aber auch die Schritte werden schneller, quietschende Sohlen – ich habe Angst. Gerade als ich überlege, ob ich dem Kerl meine Schlüssel in den Oberkörper rammen und ihm gleichzeitig in die Eier treten soll, taucht ein Schatten neben mir auf.

»Warte doch!« Es ist das Mondgesicht. Seine Stimme klingt kratziger als noch vor ein paar Stunden.

»O Mann!« Ich bin wirklich sauer. »Fast hätte ich dich … umgebracht!«

Der Junge bleibt wie angewurzelt stehen, kalkweiß leuchtet sein Gesicht im Licht der Laterne. Er bringt kein Wort mehr raus; vielleicht ist er sogar noch jünger als fünfzehn.

Ich gehe einfach weiter, aber das hindert ihn nicht daran, sich wieder an meine Fersen zu heften.

»Hör mal, was soll das?«, fahre ich ihn an, während ich mich gleichzeitig wahnsinnig geschmeichelt fühle.

Jetzt stottert er, der arme Kleine: »Ich dachte nur … Damit du eben nicht … überfallen wirst.«

Wie überaus aufmerksam! Ich grinse in mein Halstuch.

»Darf ich ein Stück mitkommen?«

»Wie heißt du denn?«, frage ich, als ob das meine Entscheidung in irgendeiner Weise beeinflussen könnte.

»Timmi.« Er sagt das, indem er verzweifelt nach Luft schnappt. »Eigentlich Thomas. Aber keiner nennt mich so.«

»In Ordnung. Dann sage ich auch Timmi.«

Wir sind jetzt fast bei meiner Vespa. Obwohl ich die kühle Zicke mit Durchblick spiele, weiß ich beim besten Willen nicht, wie es weitergehen soll.

»Und du? Hast du auch einen Namen?«, fragt Timmi schüchtern. Ein Wink des Himmels!

»Lena. Lena Friedrichs.« Eine warme Welle bricht sich im selben Moment in meinem Magen – genau wie vorhin, als das Glas runterfiel. »Das ist übrigens mein Superturboflitzer Cäsar«, füge ich hinzu und zeige auf die verdreckt-verrostete Vespa, die mein Onkel Jonathan vor anderthalb Jahren aus seinem Schuppen ausgegraben und extra für mich zum Geburtstag aufgemöbelt hat.

»Baujahr 1975?«

»Vielleicht auch 1875?« Ich muss lachen und Timmi streift für den Bruchteil einer Sekunde meinen Arm.

Als wäre damit bereits alles gesagt, schweigen wir eine Weile. Verlegen scharre ich mit meinen Sneakers im Sand und werfe kleine Häufchen auf. Es ist entsetzlich! Mondgesicht Timmi steht einfach da und sieht mich erwartungsvoll an. Ich bin die Ältere, also muss ich jetzt wohl entscheiden, wie es weitergeht …

»Willst du nicht langsam mal nach Hause?«, frage ich, als ich die Stille nicht mehr ertrage.

Timmi schüttelt den Kopf.

»Soll ich dich vielleicht ein Stück mitnehmen?«, biete ich ihm an und setze meinen Helm auf. »Ich mein …, Cäsar hat schon mich und meinen Onkel verkraftet …«

»Wär super …«

»Keine Angst, dass dich die Bullen ohne Helm erwischen?«

»Nö.«

Mit zittrigen Beinen schwinge mich auf die Vespa und werfe den Motor an. Keine zwei Sekunden später sitzt Timmi hinter mir. Zwar mit ein wenig Abstand, aber seine Hände legt er fest um meine Taille. Ich frage ihn nicht, wohin er will, sondern düse einfach los – und zwar in meine Richtung.

»Was hast du vorhin eigentlich gelesen?«, brülle ich nach hinten. Zum Glück muss ich Timmi dabei nicht ansehen. Denn bestimmt steht mir das Wort »verkrampft!« in fetten Lettern auf den Helm geschrieben.

»Ein Klimabuch.«

»Ein Buch übers Wetter? Ehrlich?« Ich drehe mich kurz um. Timmis halblange Haare flattern im Wind.

»Ja. Ich würd später gern in der Forschung arbeiten.«

Dieser Timmi überrascht mich und als ich nachhake, erzählt er irgendwas von Biometeorologie, was ich jedoch nicht richtig verstehe, weil uns gerade knatternd ein alter VW-Käfer überholt. Dann ist es wieder ruhig. Ich weiß nicht warum, aber ich fühle mich verpflichtet das Gespäch irgendwie in Gang zu halten.

»Gehst du eigentlich noch zur Schule?« Blöde Frage! Was soll er denn sonst in seinem Alter tun? Vielleicht für den Unterhalt einer zehnköpfigen Familie aufkommen?

»Klar!« Timmi rückt ein Stück an mich heran. »Heilwig-Gymnasium.«

Mittlerweile fahren wir schon auf dem Ring eins. Wenn ich noch zweimal links abbiege und dann die nächste Straße rechts nehme, sind wir bei mir. Mein Herz macht sich selbstständig und tuckert wie verrückt los. Mir ist ein bisschen schlecht. Wenn doch nur Ivi hinter mir sitzen würde! Von mir aus jeder x-beliebige Typ aus der Laterna Magica! Also, los! Den Sprung ins kalte Wasser wagen …

»Wo musst du überhaupt hin?«, frage ich mit einer mir selbst fremden Stimme.

»Ist schon richtig so.«

»Straße?«

Timmi sagt nichts, schließt nur seine Arme enger um mich. Meine Güte! Das Mondgesicht kennt keine Scheu.

Kurz entschlossen biege ich die nächste Straße links ab und lenke die Vespa auf einen Parkstreifen.

Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen. »Okay. Du willst nicht nach Hause?«

Timmi schüttelt den Kopf.

»Du willst mit zu mir?«

»Ich dachte …«

Mehr sagt er nicht, hält nur den Kopf gesenkt.

»Was dachtest du?«

»Ich mein …, ich weiß ja nicht, was mit deinen Eltern ist …« Timmis Haare sehen ganz zerstrubbelt aus.

»Ich wohne mit meiner Tante zusammen. Und die …« Ich halte mitten im Satz inne. Schließlich geht es Timmi nichts an, dass sie Krankenschwester ist und heute Nachtdienst hat.

Plötzlich steigt Timmi ab, macht einen Satz auf mich zu und drängt sich an mich. Noch durch seine Jeansjacke höre ich sein Herz pochen, oder ist es meins? Wild und unbeholfen suchen seine Lippen meinen Mund. O je … Er hat entschieden. Der Kuss dauert zu lange, um die Sache noch rückgängig zu machen. Zittrig und ohne ein Wort zu sagen schiebe ich die Vespa in den Hauseingang.

7 x Liebe

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