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Heimat als Modell: Vormärz und der Beginn der ›Großen Transformation‹

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Die Heimat fesselt zwar das Herz Doch ziehen Viele anderwärts. Dem Einen glückt’s, wo er entstand, Dem Andern in dem fremden Land.

(Samuel Friedrich Sauter: Abschiedslied für Auswanderer nach Amerika)

Erst in der Zeit des Vormärz, also der Zeit zwischen der Julirevolution in Frankreich 1830 und der Märzrevolution 1848, geriet die konkrete Heimat als Ort, Dorf, Land, Landschaft und Gemeinschaft in den Blick; die Vorstellung von Heimat wurde von den Höhen der Gipfel auf den Boden der Tatsachen geholt und damit geerdet. Aufgrund der sozialen und ökonomischen Veränderungen sowie der großen Auswanderungswellen wurden Fremdheit und Entfremdung für mehr und mehr Menschen erfahrbar. Gerade weil nun zunehmend die Bindung an den Ort stärker infrage stand, wurde Heimat vermehrt zum Gegenstand der Betrachtung. Da nicht mehr allein das ›fahrende Volk‹ in Bewegung war, sondern mehr und mehr auch viele der vormals Sesshaften sich – mehr oder weniger freiwillig – in Bewegung setzten, wurde Heimat allmählich zu einem Schlüsselwort, das einerseits Hoffnungen, andererseits aber auch Abwehrreaktionen, Ängste und Befürchtungen bündelte, die durch die Dynamik der politischen, ökonomischen und sozialen Veränderungen Nahrung erhielten. Auch die Literatur wandte sich mehr und mehr der materiellen Realität zu, an der die Romantik so gar kein Interesse hatte, und übernahm so bei der Bildung, Ausformung und Verbreitung des neuen Heimatbildes eine entscheidende Rolle.

Vor allem liberale und demokratische Autoren betrachteten die politischen und ökonomischen Zustände in der Heimat zwar durchaus kritisch, sahen aber die Verhältnisse als veränderbar und forderten eine demokratische Neugestaltung der Heimat. Bilder einer anheimelnden Heimat dienten als Modell sozialer Bindung, Stabilität und Gemeinschaft und als Vorbild für den von den demokratischen Kräften ersehnten Nationalstaat. Heimat war damit, anders, als der Volkskundler Hermann Bausinger meinte, auch in der Literatur keineswegs bloß ein (fiktionaler) »Kompensationsraum«, eine »ausgeglichene, schöne Spazierwelt« und »Besänftigungslandschaft, in der scheinbar die Spannungen der Wirklichkeit ausgeglichen sind«,1 sondern war Bezugspunkt in einer Zeit der Umbrüche, Erprobungsraum des politischen Gemeinwesens und letzten Endes soziales politisches Ziel. Heimat wird auch in den literarischen Texten als Raum präsentiert, in dem nicht nur die Grundbedürfnisse des Individuums, sondern auch Wünsche nach Bindung, Kontinuität und Anerkennung sowie nach Selbstverwirklichung, Mitsprache und Gestaltungsmacht einen Ort haben. Hatten die Romantiker vor allem die Individualität des außergewöhnlichen Einzelnen betont, der sich in Absetzung von der Heimat definierte, so betrachten die Dorfgeschichten des 19. Jahrhunderts das Individuum als eingebettet in die geografischen, kulturellen und sozialen Strukturen von Heimat. Gerade auch vor dem Hintergrund der großen Auswanderungswellen werden Gestalt und Verfassung der Heimat zum Thema: Die politischen Zustände, vor allem die Überwachung und Bekämpfung liberaler und nationaler Tendenzen nach den Karlsbader Beschlüssen sowie ökonomische Probleme lösten große Migrationswellen aus, in deren Verlauf Millionen Deutsche die Heimat vor allem in Richtung USA verließen. Aus dem ziellosen, von unbestimmter Sehnsucht getriebenen oder von einem Fluch verfolgten Wanderer der Romantik wird der Auswanderer, dem die alte Heimat Wohlstand oder das Recht auf demokratische Mitbestimmung und freie Meinungsäußerung verweigert. Heimat ist damit nicht mehr zwangsläufig Schicksal; sie ist gestaltbar, doch man kann sich auch von ihr abwenden und eine neue Heimat suchen. Damit wird Heimat vermehrt zum Gegenstand der Betrachtung.

In der Umbruchzeit bis zur Mitte des Jahrhunderts erhielt die Entwicklung Deutschlands von einer kleinstaatlich, feudal und ständisch organisierten, vorwiegend agrarischen und kleingewerblich-handwerklichen Gesellschaft hin zu einer technisch, sozial und politisch moderneren industriellen Markt- und Klassengesellschaft einen gewaltigen Schub. Es formierte sich eine bürgerliche, nationale, teils liberale, teils demokratische Bewegung, die einen Nationalstaat anstrebte und einerseits für Bürgerrechte wie Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, andererseits aber auch für die Abschaffung von Zollgrenzen, den Ausbau des Eisenbahnnetzes und Freihandel eintrat. Im Kontext dieser national-liberalen Opposition gegen die Restauration wurde das Konzept Heimat mit den Idealen Vaterland und Freiheit verknüpft. Das war brisant, weil diese politische Heimat erst noch geschaffen werden sollte, was etwa in der berühmten Rede Philipp Jakob Siebenpfeiffers, eines der Initiatoren des Hambacher Festes 1832, zum Ausdruck kommt:

»Wir widmen unser Leben der Wissenschaft und der Kunst, wir messen die Sterne, prüfen Mond und Sonne, wir stellen Gott und Mensch, Höll’ und Himmel in poetischen Bildern dar, wir durchwühlen die Körper- und Geisterwelt: aber die Regungen der Vaterlandsliebe sind uns unbekannt, die Erforschung dessen, was dem Vaterlande Noth thut, ist Hochverrath, selbst der leise Wunsch, nur erst wieder ein Vaterland, eine freimenschliche Heimath zu erstreben, ist Verbrechen.«2

Diese politische Dynamik entfaltete sich vor dem Hintergrund diverser tiefgreifender sozialer und ökonomischer Probleme: Auf Missernten wie etwa nach 1816, dem ›Jahr ohne Sommer‹ in Folge des Ausbruchs des indonesischen Vulkans Tambora im April 1815, oder 1846 und 1847, als unter anderem die Kartoffelfäule die Ernten drastisch dezimierte, folgten Teuerungen und Hungersnöte. Die sich beschleunigende Industrialisierung und Technisierung der Produktion brachten zunehmend auch Arbeitslosigkeit und Pauperismus mit sich. Zugleich war dies eine Phase des demografischen Übergangs mit starkem Bevölkerungswachstum: Von 1816 bis 1865 wuchs die Bevölkerung auf dem Territorium des späteren deutschen Kaiserreichs von etwa 23,5 Millionen auf 38 Millionen.3 Soziale Unruhen, Aufstände, Streiks und Maschinenstürmerei, Abwanderung in die Städte und nicht zuletzt die Massenauswanderung in die Neue Welt gehörten zu den Folgen dieser Strukturveränderungen und Umwälzungen, die in den revolutionären Ereignissen der Jahre 1848/49 kulminierten, aber das gesamte 19. Jahrhundert prägten. Auch die Auswanderungswellen trugen dazu bei, dass die Heimat in den Blick geriet. Auf dem Hambacher Fest sprach Christian Scharpff von einem Deutschland, dem es nicht gelinge, fürsorgliche, bindende Heimat zu sein. In seiner Rede bezeichnete er das Land als »verarmt und entwürdigt« und beklagte das Los der Bauern, die gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen: »der Landmann, durch Steuern, Zehnten, Frohnden, Gilt und Zins für kleine und große Zwingherrn, verarmt und verschuldet, muß Hütte, Acker, Heimath, wo er glücklich seyn könnte, verlassen, will er mit Weib und Kindern nicht Hungers sterben.«4

Schon vor Beginn der beschleunigten Industrialisierung wie auch während ihres Fortschritts waren Bauern und Landarbeiter mindestens ebenso von den ökonomischen und gesellschaftlichen Umbrüchen betroffen wie die städtische Unterschicht. Landwirtschaft wie Landleben veränderten sich drastisch, und zwar keineswegs nur zum Besseren. Anhand der Entwicklung Englands im 19. Jahrhundert, die der deutschen Entwicklung weit voraus war, hat der Wirtschaftshistoriker und Sozialwissenschaftler Karl Polanyi in seinem Buch The Great Transformation schon 1944 auf die Ambivalenz dieses Umbruchprozesses hingewiesen: »Der Wesenskern der Industriellen Revolution […] war die geradezu ans Wunderbare grenzende Verbesserung der Produktionsmittel, begleitet von einer katastrophalen Erschütterung des Lebens des einfachen Volkes«.5 Die Geschichte der technischen, ökonomischen und politischen Reformen und Revolutionen des 19. Jahrhunderts lässt sich eben nicht nur als Erfolgsgeschichte von Modernisierung und Fortschritt lesen, auch wenn gängige Darstellungen der deutschen Geschichte zwischen 1815 und 1848 diesen Aspekt meist hervorheben; die Zerstörungsgeschichte wird meist ausgeblendet. Doch »›Fortschritt‹ an sich bezeichnet ja nur eine Richtung und lässt offen, ob am Ende Segen oder Verhängnis wartet«,6 wie der niederländische Philosoph Johan Huizinga es formulierte. Zumindest ist der Prozess der Modernisierung ambivalent: Rationalisierung und Säkularisierung führen dazu, dass »der Einzelne aus traditionellen Bindungen, Bevormundungen und Absicherungen in Kirche, Dorfgemeinschaft und Großfamilie herausgelöst wird«.7 Für diese Befreiung war allerdings ein Preis zu entrichten, nämlich die Auflösung von Bindung, Entfremdung oder, wie es bei Polanyi heißt, »Entbettung«. Es ist also eine Frage der Perspektive, ob eher die destruktiven Folgen oder die Erfolge der Modernisierung in den Blick genommen werden. Eine zugespitzte Formulierung Polanyis betont die zerstörerische Seite: »Die maschinelle Produktion in einer kommerziellen Gesellschaft bedeutet letztlich nichts Geringeres als die Transformation der natürlichen und menschlichen Substanz der Gesellschaft in Waren.« Diese »Verschiebungen müssen zwangsläufig die zwischenmenschlichen Beziehungen zerreißen und den natürlichen Lebensraum des Menschen mit Vernichtung bedrohen«.8

Die potenziell zerstörerischen Kräfte der ökonomischen Modernisierung spürte man sicherlich auch während der Frühindustrialisierung in Deutschland; die Proteste und Barrikadenkämpfe im Vorfeld der revolutionären Ereignisse 1848/49 waren nicht immer allein von revolutionärem Erneuerungswillen geprägt, auch Verlustängste spielten eine nicht unerhebliche Rolle. Deutlich wird das etwa bei dem Aufstand der schlesischen Weber 1844, die ihre Webstühle in Heimarbeit betrieben und die sich durch die Verlagerung der Produktion auf Fabriken mit mechanischen Webstühlen existentiell bedroht sahen, oder bei dem Maschinensturm auf Messerfabriken bei Solingen im März 1848:

»Wo Hoffnungen aufkamen, Veränderungen und ›Fortschritt‹ zu bewirken, löste der tatsächliche Wandel elementare Bedrohungsängste aus. Das ließ sich in allen gesellschaftlichen Bereichen beobachten. […] Die kleinen Handwerker, Gesellen, Lehrlinge, ›Arbeiter‹ sah man auf den Barrikaden; viele waren nachhaltig erfüllt vom Schreckbild sozialen Abstiegs, doch was aussah wie ein Kampf für neue Rechte, ging oft gegen die […] ›Modernisierung‹«.9

Auch das berühmt-berüchtigte, 1848 von Karl Marx und Friedrich Engels publizierte Manifest der Kommunistischen Partei hob den zerstörerischen Aspekt der technischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Modernisierung in drastischen Worten hervor. In politisch motivierter Zuspitzung behaupteten Marx und Engels allerdings, der revolutionäre Zerstörungsprozess sei bereits vollendet:

»Die Bourgeoisie […] hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerris sen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose ›bare Zahlung‹. Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt. […] Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.«

Aus marxistischer Perspektive erschien die Zerstörung der patriarchalen, feudalen Idylle lediglich als ein Kenntlichmachen der zuvor verhüllten Ausbeutung. Die Bindungen der Feudalgesellschaft und die hier als Illusion und Ideologie vorgestellten Emotionen trugen aber auch dazu bei, das Leben erträglich zu machen und das Elend abzufedern. In der Logik von Marx und Engels musste es als Schritt hin zu den erwünschten Veränderungen gelten, wenn die Menschen ihre Beziehungen, die im Zeitalter der Bourgeoisie, so das Manifest, bis tief in die Familienbeziehungen hinein »auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt«10 worden sind, endlich nüchtern betrachten, denn wenn die Verhältnisse einmal als unerträglich wahrgenommen würden, könnte dies ja nur auf einen Umsturz dieser Verhältnisse hinauslaufen. Doch so einfach lagen die Dinge bekanntlich nicht: Die tatsächliche oder auch nur befürchtete Zerstörung von Traditionen und Zusammenhängen kann sogar bei den Unterdrückten auch den Wunsch hervorbringen, Verlorengegangenes zu restaurieren, von Zerstörung Bedrohtes zu bewahren, an gefährdeten Traditionen festzuhalten. Agrarhistoriker haben zum Beispiel darauf hingewiesen, dass nicht alle Bauern das Ende der Leibeigenschaft und die neue Freiheit ausschließlich positiv erlebten, auch weil aufgrund mangelhafter Vorbereitung vielerorts Orientierungsverlust und wirtschaftliche Not die Folge waren.

Der Zwiespalt zwischen dem Glauben an die kommunistische Verheißung einer von politischem, ökonomischem und gesellschaftlichem Fortschritt geprägten Zukunft und der Verbundenheit mit der noch von Feudalismus und patriarchalischer Ordnung geprägten Kunstperiode zeigte sich sogar bei Heinrich Heine, der offen mit dem Kommunismus sympathisierte. Heine sah die alte, von Ausbeutung bestimmte Gesellschaftsordnung zu Recht dem Untergang geweiht und begrüßte die kommunistischen Ideen des Kosmopolitismus und des Weltbürgertums. Dennoch dachte er mit Schrecken an

»die Zeit, wo jene dunklen Ikonoklasten zur Herrschaft gelangen werden: mit ihren rohen Fäusten zerschlagen sie alsdann alle Marmorbilder meiner geliebten Kunstwelt, sie zertrümmern alle jene phantastischen Schnurrpfeifereien, die dem Poeten so lieb waren; sie hacken mir meine Lorbeerwälder um, und pflanzen darauf Kartoffeln […]. Ach! das sehe ich alles voraus, und eine unsägliche Betrübnis ergreift mich, wenn ich an den Untergang denke, womit meine Gedichte und die ganze alte Weltordnung von dem Kommunismus bedroht ist«.11

Heine sieht die kosmopolitischen Kommunisten einerseits als neue Romantiker, andererseits aber auch als bloß auf Materielles und Nützliches bedachte Philister, Zerstörer von Schönheit und Poesie.

In seiner Einschätzung, dass gesellschaftliche Umbrüche an der Zeit seien, stand Heine nicht allein: Zahlreiche Intellektuelle und Schriftsteller entdeckten nun die Politik und entwickelten ein Interesse an der materiellen Wirklichkeit. Diese Autoren wandten sich explizit von der Romantik ab, setzten sich für bürgerliche Freiheiten wie die Aufhebung der Zensur ein und befassten sich mit der sozialen Frage. In der Regel denken wir bei der Literatur dieser Zeit an einen literarischen Miserabilismus, der das Elend verarmter Handwerker oder die Ausbeutung städtischer Arbeiter schildert. Unsere Vorstellung von Politik und Literatur der Zeit ist vor allem durch den Blick auf jene gesellschaftlichen Kräfte geprägt, die am industriellen Wandel direkt mitwirkten und von ihm unmittelbar betroffen waren, das Bürgertum und das Proletariat, in der Terminologie des konservativen Kulturhistorikers Wilhelm Heinrich Riehl die »Mächte der Bewegung«, denen Bauern und aristokratische Grundbesitzer als »Mächte des Beharrens«12 gegenüberstanden. Damit griff Riehl auf einen konservativen Topos zurück: Die dauerhafte Beziehung zum Land galt schon in der Gesellschafts- und Raumtheorie des Staatstheoretikers Adam Müller, einem Hauptvertreter der Politischen Romantik, als Basis und Garantie für gesellschaftliche Stabilität und Kontinuität. Müller zufolge entwickelte sich nur durch »langen Umgang desselben Besitzers, derselben Familie, desselben Landesherrn mit demselben Boden« »durch ganze Jahrhunderte, durch den aufgehäuften, edlen Fleiß mehrerer Geschlechter [… ] eine Liebe, eine Treue, ein Glaube an das Gemeinwesen.«13 Vor diesem Hintergrund stellten Dorfgemeinschaft und Landleben nicht mehr nur, wie seit Vergils Georgica und Bucolica, einen literarischen Gegenraum zum städtischen Leben per se dar, sondern erfüllten eine ganz bestimmte Funktion in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion über Veränderung, Entwicklung und Dynamik einerseits, Dauerhaftigkeit, Stabilität und Identität andererseits.

Dies ist der Hintergrund für die Entstehung der keineswegs nur in Deutschland populären Literaturgattung der Dorfgeschichte, gewissermaßen die Urform der Heimatliteratur. Da auch die bäuerliche und dörfliche Lebenswelt von dramatischen Umwälzungen betroffen war, konnten sich auch die »Mächte des Beharrens« der Großen Transformation nicht widersetzen. So ging die Zahl der Bauern und Landarbeiter im Lauf des 19. Jahrhunderts dramatisch zurück: Noch um 1800 arbeiteten 75 Prozent der deutschen Bevölkerung auf dem Land und in der Landwirtschaft, 1883 waren es nur noch 42 Prozent.14 Landflucht und Abwanderung aus ländlichen Gebieten, darüber hinaus aber auch politische, administrative sowie im engeren Sinne landwirtschaftliche Reformen bewirkten eine regelrechte Umwälzung der Verhältnisse in der Landwirtschaft und auf dem Land.15

Als einer der wichtigsten Begründer der Dorfgeschichte und damit letztlich der europäischen Heimatliteratur gilt der jüdische Autor Berthold Auerbach, der heute, zumindest außerhalb der germanistischen Literaturwissenschaft und jenseits des Schwarzwaldes, weitgehend in Vergessenheit geraten ist, nicht zuletzt deshalb, weil die Bemühungen der Nationalsozialisten, seinen Namen aus dem literarischen Kanon und aus dem kulturellen Gedächtnis zu tilgen, äußerst erfolgreich waren. Zu seiner Lebenszeit galt er jedoch als »der international berühmteste deutsche Schriftsteller des 19. Jahrhunderts«.16 Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, unter anderem ins Russische und Chinesische. In der Vorrede, die Ivan Turgenev der russischen Übersetzung von Auerbachs Roman Das Landhaus am Rhein voranstellte, klingt dieser Ruhm an: »Unvergeßlich bleibt der Eindruck, welchen das Erscheinen der ›Schwarzwälder Dorfgeschichten‹ in der ersten Hälfte der vierziger Jahre in Deutschland hervorrief. Die Hinneigung der gesamten Europäischen Literatur zum Volksleben ist um dieselbe Zeit unverkennbar […] – doch die Ehre der Initiative, des ersten Anfangs bleibt bei Auerbach.«17

Unstrittig ist, dass das Medium Literatur im 19. Jahrhundert eine zentrale Rolle für den Entwurf von Konzepten regional verstandener Heimat spielte, bei denen es um Identität und die »Betonung des Eigenen« ging.18 Äußerst umstritten hingegen ist die Rolle der von Auerbach entscheidend geprägten Gattung der Dorfgeschichten bei der Entwicklung und Verbreitung von Heimat als Modell. War Auerbach nun ein »trivialer Heimatdichter, der idyllisch-verklärende, sentimentalische und moralisierende Unterhaltung«19 bot? Lassen sich seine Dorfgeschichten als Beispiel der emanzipatorischen, demokratischen Tendenzen der Literatur des Vormärz lesen, als Texte, die das »Volk als handelndes Subjekt« zeigen und »die liberalen Ideen demokratischer Selbstverwaltung« realistisch darstellen?20 Oder war hier lediglich ein »Pseudorealismus« am Werk, eine »trivialisierte Romantik«?21 Zählen Auerbachs Dorfgeschichten überhaupt zur Heimatdichtung oder wurden sie lediglich »in späterer Zeit als solche gelesen«?22 Immerhin wird hier und da eingeräumt, dass Auerbach das Phänomen, das »in der deutschen Literatur seit dem 19. Jahrhundert ›Heimat‹ heißt«, entscheidend mitgestaltet, wenn nicht sogar »geschaffen« hat.23

Es ist einerseits sehr sonderbar, andererseits aber ganz und gar konsequent, dass Auerbachs Beitrag zur Heimatdebatte in der Regel so gut wie gar nicht berücksichtigt wird, fügen sich doch weder Auerbachs Person noch seine Darstellung von Heimat in die üblichen Formeln. Auerbach unterstützte die liberalen Ideen der Badischen Revolution und trat, wie die meisten der bürgerlichen 1848er, für die Gründung eines deutschen Nationalstaats ein, der zunächst ein demokratisches, also ein aus heutiger Sicht ›progressives‹ Projekt war. Er war Jude, identifizierte sich jedoch auch mit der deutsch-christlichen Mehrheitskultur oder strebte zumindest danach, zu ihr zu gehören, was auch in seiner Namensänderung zum Ausdruck kam: Als er 28 Jahre alt war, wurde aus Moses Baruch Auerbacher Berthold Auerbach. Er fühlte sich seiner Heimat, dem Dorf Nordstetten, verbunden und besuchte es regelmäßig, führte aber ein unstetes, städtisches Leben und lebte nicht auf dem Land und schon gar nicht in seiner Heimat. Die Dorfgeschichten selbst lassen sich als Projekt der Beheimatung ihres Autors lesen, und ihr Erfolg bescheinigte gewissermaßen Auerbachs »›Heimfinden‹ in das Deutschtum«,24 in denen zum Ausdruck kam, dass es ihm, einem Juden, gelungen sei, »etwas aus dem Innersten des deutschen Volksgeistes zu offenbaren.«25 Auerbach selbst weist darauf hin, dass Heimat zwar zur Nation gehört, allerdings nicht mit ihr identisch ist, wenn er in der Vorrede zu den Dorfgeschichten den Vergleich zieht zwischen dem Rhein, der das Wasser des Neckars aufnimmt, und dem größeren Vaterland, in das die Dorfgeschichten einfließen. Es geht also um eine doppelte Integration: die Integration des jüdischen Autors in die deutsche Kultur und die Integration der regionalen Heimat in die erst noch zu gründende Nation.

Zu den Elementen des Heimatbildes, die in den Schwarzwälder Dorfgeschichten schon vorgebildet sind, gehören auch Regionalismus und Provinzialismus, der von Historikern entweder als spezifische Ausprägung des deutschen Nationalismus oder aber als Zeichen deutscher Rückständigkeit im Vergleich zu schon länger zentralistisch regierten Nationalstaaten gewertet wird. Die Texte zeigen allerdings keine provinzielle Idylle, sondern erzählen realistische Geschichten, in denen es um Alltag, Arbeit, Konflikte, tragisches Scheitern, politische Kämpfe, soziale Hierarchien, Ausgrenzung und Anpassung geht, und richten damit ihre Aufmerksamkeit auf eben jene Aspekte der Wirklichkeit, für die in der Literatur der Romantik kein Interesse vorhanden war: Zentrale Akteure sind hier die Handwerker, Bauern und Gastwirte aus dem Volk. Darüber hinaus aber wird die dörfliche Lebensweise als funktionstüchtige und in Teilen modellhafte soziale Struktur präsentiert, die zwar ebenfalls in Veränderung begriffen ist, deren Entwicklungen sich jedoch weniger abrupt vollziehen. In dem Mikrokosmos Dorf leben Christen und Juden, Bürger und Bauern, Besitzende und Arme zwar nicht in durchweg harmonischer Eintracht, aber in einer Gemeinschaft, die sich weitgehend erfolgreich um die Lösung von Konflikten bemüht.

Der realistische Anspruch wurde durch die Verbindung von Autor und Sujet untermauert: Auerbach schilderte sein eigenes Heimatdorf Nordstetten. Die Vertrautheit des Autors mit der Geschichte, den Bewohnern, der Topografie und den sprachlichen Eigenheiten des Ortes bürgte für die Authentizität der geschilderten Verhältnisse und die emotionale Anteilnahme des Erzählers, der in seiner Vorrede betont, er habe »versucht, ein ganzes Dorf gewissermaßen vom ersten bis zum letzten Hause zu schildern«26 (S. 5). Verweise auf historische Fakten oder topografische Angaben mit konkreten Ortsnamen betonen den Realitätsbezug der Erzählungen. Die gleichsam geerdeten Schilderungen aus einer Perspektive ›von unten‹ rücken Natur und Landschaft aus der romantischen Ferne in greifbare Nähe: Auerbach zeigt die Verbundenheit der auf dem Land arbeitenden Bauern oder Knechte mit ihrer natürlichen Lebenswelt, wenn sie beim Betrachten ihrer Äcker Abschiedsschmerz fühlen oder voller Zuneigung an ihre Nutztiere denken, denen gar selbst die Fähigkeit zugeschrieben wird, Heimweh empfinden zu können. Gewiss wird man diesem Blick auf das bäuerliche Naturerleben eine gewisse Sentimentalität nicht absprechen können: Auerbach schreibt nun einmal nicht aus der Perspektive des Bauern, sondern als gebildeter Städter. In der deutschen Literaturgeschichte gibt es kein Äquivalent für eine Figur wie den englischen Dichter John Clare, dessen Natur- und Landdichtung auf seinen Erfahrungen als Landarbeiter basierte. Dennoch wird man Auerbach zugutehalten müssen, dass er der bäuerlichen Arbeit viel Aufmerksamkeit widmet. So beschreibt er zum Beispiel detailliert, wie den Kühen das Joch aufgelegt wird. In den Naturbeschreibungen bleibt es nicht, wie bei den Romantikern, allgemein bei Vögeln, Bäumen und Blumen: Hier gibt es Lerchen, Grasmücken, Wachteln, Dinkel, Klee und Nussbäume, die zudem nicht primär oder gar ausschließlich Gegenstand ästhetischen Wohlgefallens sind, sondern Elemente des täglichen Umgangs oder Gebrauchs sowie vertraute Bestandteile der dörflichen Lebenswelt und als solche emotional besetzt. Diese Heimat ist kein idealisierter, ferner, unerreichbarer Raum, sondern ein konkreter, naher Ort.

Das nur scheinbare Paradoxon aber, dass Heimat besonders dann in den Blick gerät, wenn das Individuum aus ihr heraustreten und sie von außen betrachten kann, ist auch bei Auerbachs Dorfgeschichten wirksam. Dieses Paradoxon spielt für den biografischen Kontext der Dorfgeschichten ebenso eine Rolle wie für die Handlung der Geschichten: Auerbach schrieb über seine dörfliche Heimat erst aus räumlicher und zeitlicher Distanz. Er lebte schon seit vielen Jahren nicht mehr in Nordstetten, als er um 1840 mit der Niederschrift seiner Dorfgeschichten begann. Auch in den Geschichten spielt Heimat vor allem dann eine Rolle, wenn es um Abschied, Aufbruch, Heimweh oder Heimkehr geht. Doch ist die romantische Figur der ziellosen Reise durch motivierte Mobilität ersetzt worden: Mobil ist etwa der junge Mann, der zum Militär geht, der Knabe, der auf eine Schule in die Stadt geschickt wird, der Lehrer, der ins Dorf kommt, oder die junge Frau, die heiratet, in die Stadt zieht und schließlich in ihr Heimatdorf zurückkehrt. Die ausgeprägteste Verkörperung der Mobilität aber stellt der Amerika-Auswanderer dar. Es liegt ja nahe: Kaum je wird die Heimat so sehr zum Thema als in dem Moment, in dem sich die Frage stellt, ob man sie dauerhaft verlassen und in ein unbekanntes Land aufbrechen soll, wenn man tatsächlich weit entfernt von der Heimat lebt und die alte mit der neuen Heimat vergleicht oder wenn man heimkehrt. Und wenn Auswanderung zum Massenphänomen wird, dann beschäftigt dieser neue Blick auf die Heimat nicht nur den Auswanderer, sondern auch die Gemeinschaft, die er verlässt; auch dies wird bei Auerbach ausgiebig thematisiert.

Zwar hatte es schon vorher Auswanderungswellen gegeben, doch zum Massenphänomen wurde die Auswanderung aus Deutschland nach Amerika erst im Lauf des 19. Jahrhunderts, als mehr Menschen aus Deutschland auswanderten als aus jedem anderen Land des Kontinents: Zwischen 1841 und 1910 verließen etwa fünf Millionen Deutsche das Land. Die Emigration »erreichte einen Höhepunkt in den Jahren 1853–1855«.27 Seit 1830 gingen 90 Prozent dieser Emigranten in die USA. Der Südwesten Deutschlands war immer wieder besonders stark von Auswanderung betroffen; allein aus Auerbachs Geburtsort Nordstetten, in dem 1839 gerade einmal 1188 Menschen lebten, zogen im Lauf des 19. Jahrhunderts mindestens 290 Auswanderer gen Nordamerika.28 Bauern und Handwerker wanderten besonders aufgrund des ökonomischen Drucks aus, während Bürgerliche eher aus politischen Gründen das Land verließen. Die Auswanderung wurde vor allem um die Mitte des Jahrhunderts politisch sogar gefördert, da der »Abzug von gesellschaftlichen Außenseitern, Unzufriedenen, Nichtkonformisten« und die »Abschiebung von Mittellosen, die den Armenkassen zur Last fielen, von Sträflingen, von Opponenten des herrschenden politischen Systems« einen »Beitrag zur Stabilisierung der gegebenen Gesellschaftsordnung« verhießen und eine »Ventilfunktion« erfüllten.29 Für manche der ökonomisch oder politisch motivierten Auswanderer wiederum konnte die »Auswanderung als Revolutionsersatz«30 dienen. In jedem Fall wurde das Thema Auswanderung intensiv diskutiert und war außerordentlich präsent, auch deshalb, weil viele Zurückgebliebene, zumal in kleineren Dorfgemeinschaften, aus denen zum Teil ganze Familien aufbrachen, persönlich mit Auswanderern bekannt waren, die in Briefen von ihrem Leben in Amerika berichteten.

Der deutsche Blick auf Amerika war schon seit Goethes Wilhelm Meister äußerst ambivalent: Einerseits galt das »traditionslose und zukunftsorientierte« Amerika als Raum der Freiheit, als Gegenentwurf zu einem »in Traditionen erstarrte[n] alte[n] Kontinent, der der Persönlichkeit keinen Raum zur Entfaltung bietet«. Andererseits, obwohl die politischen und technischen Entwicklungen in Amerika im Vergleich zu Europa weiter fortgeschritten waren, erschien das Land aufgrund seiner schieren Größe und geringen Bevölkerungsdichte als Raum, der Zuflucht vor der als bedrohlich wahrgenommenen Modernisierung in Europa bot. Ein Abwägen zwischen dem, was aufgegeben wird und dem Erhofften sowie den Anziehungsfaktoren des Auswanderungslandes und den Abstoßungsfaktoren der Heimat spielt immer eine Rolle in der Diskussion um Auswanderung: »Die Unzufriedenheit mit den – objektiven oder nur subjektiv als solchen empfundenen – unbefriedigenden Zuständen im Heimatraum wirkt als treibendes Moment; die Attraktivität eines fremden Raumes wirkt dagegen anziehend, wenn die […] Hoffnungen auf ihn einen Ersatz versprechen für den Verlust des Vertrauten«.31 Auch der Blick auf die Heimat veränderte sich in der Perspektive des Ausgewanderten und im Vergleich mit der nunmehr bekannten Neuen Welt. So kommt es, dass nicht nur die Faszination durch Amerika in Abenteuerund Auswandererromanen, Gedichten, Reiseberichten und Ratgebern für Auswanderer ihren Niederschlag findet, sondern dass auch die Heimat in neuer Perspektive erscheint, wie etwa in dem populären »Abschiedslied für Auswanderer nach Amerika« Samuel Friedrich Sauters, das zwar von Optimismus und Hoffnung geprägt ist, aber nicht auskommt, ohne die »Heimat«, die das Herz »fesselt«, zu erwähnen.32

Das Motiv von Amerika als Land der politischen Freiheit spielt vor allem in Auswanderer-Gedichten eine Rolle, in denen die Auswanderung politisch motiviert ist, etwa in den Texas-Gedichten Hoffmann von Fallerslebens oder in Gedichten des österreichischen Spätromantikers Nikolaus Lenau, der, angeregt durch literarische Beschreibungen, nach Amerika ging, um dort Farmer zu werden, allerdings schon nach wenigen Monaten enttäuscht nach Europa zurückkehrte. In seinem »Abschied. Lied eines Auswandernden« (1832) ruft er dem Vaterland verächtlich zu: »Sei mir zum letztenmal gegrüßt,/Mein Vaterland, das feige, dumm/Die Ferse dem Despoten küßt« und bejubelt den ersehnten Kontinent: »Du neue Welt, du freie Welt/An deren blütenreichem Strand/Die Flut der Tyrannei zerschellt«. In dem Gedicht »Maskenball« (1832) verabschiedet er sich vom Vaterland immerhin mit den Worten »Süße Heimat, fahre hin!«, sieht jedoch der amerikanischen Wildnis und dem Urwald voller Vorfreude entgegen. In dem Gedicht »Das Blockhaus« (1832) schließlich erweist sich dieser zuerst ersehnte Urwald als extrem unwirtlich (»Winter war’s, ich starrte vom Urwaldfroste«), die Gastfreundschaft seines Gastgebers sowie dessen »Talergelispel«, also sein Reden über Geld, als »dürr und mager«: Amerika, so die Bilanz, bietet zwar Freiheit, aber keine Wärme, keine Heimat. Hier, wo in der Tat nichts »Stehendes und Ständisches« zu finden ist, scheint auch kein Raum für Heimatgefühle zu existieren. Um sich dieser geballten Unwirtlichkeit zu erwehren, zieht das lyrische Ich »ferne der Heimat, tief im fremden Wald« eine Flasche »vom Rhein« aus der Tasche, die er anscheinend für solche Fälle bei sich trägt, und liest ein Gedicht von Ludwig Uhland,33 das ihn freilich wiederum voller Zorn an den Mangel an Freiheit in der Heimat denken lässt. Das Gedicht präsentiert Rheinwein und die Gedichte eines spätromantischen Autors als Objekte materieller Nostalgie und prägt damit ein Motiv, das im Lauf des Jahrhunderts zum Klischee gerinnen wird.

Gleich die erste von Auerbachs Dorfgeschichten, Der Tolpatsch, erzählt vom Schicksal des Amerika-Auswanderers Aloys; der Zusammenhang von Heimat und Auswanderung ist mithin gleich von Beginn an als Grundton präsent. Diese Geschichte wird durch den Zyklus hindurch weiter verfolgt und in Der Tolpatsch aus Amerika, einer der drei 1876 veröffentlichten Neuen Dorfgeschichten, die ausgewählte Geschichten weitererzählen, zu seinem Ende gebracht. Der Tolpatsch erzählt davon, wie der junge Aloys, der wegen seiner Unbeholfenheit von den Dorfbewohnern verspottet wird, aufgrund einer unglücklichen Liebe gleich zweimal die Heimat verlässt: Zuerst geht er zum Militär und schließlich nach Amerika. Es ist sicherlich kein bloßer Zufall, dass der erste Blick auf das Nordstetten der Dorfgeschichten der eines Außenseiters ist, aus dessen Perspektive Heimat als nicht ohne weiteres verfügbares Objekt der Liebe und des Begehrens erscheint; die Literaturwissenschaft hat Aloys entsprechend als literarische Repräsentation der jüdischen Außenseiterposition Auerbachs interpretiert. Trotz seiner Marginalisierung ist Aloys aber innig mit dem Ort verbunden, was zum Ausdruck kommt, als er das Dorf verlässt, um zum Militär zu gehen. Diese Abschiedsszene zeigt die geradezu körperliche Bindung an das Land:

»Als man aber das Dorf verlassen hatte, wurde der Aloys plötzlich mäuschenstille. Er schaute mit nassen Augen überall umher; hier neben auf der Heide, ›Hochbux‹ genannt, hatte das Marannele das Tuch gebleicht, von dem er das Hemd anhatte; es war ihm, als ob alle Fäden brannten, so heiß war es ihm. Er sagte allen Bäumen an der Straße und allen Feldern wehmütig Ade. Drüben im Schießmauernfeld, dort liegt sein bester Acker; er hat ihn so oft ›umgezackert‹, daß er jedes Steinchen kennt. Dort neben hat er noch vorigen Sommer mit dem Marannele Gerste geschnitten, weiter unten im ›Hennebühl‹ liegt sein Kleeacker, er hat ihn gesäet, er sollte ihn nicht wachsen sehen« (S. 14).

Menschen, Alltagsgegenstände, Sprache, Land und körperliche Arbeit gehören nahezu untrennbar zusammen; Arbeit und Beziehungen haben sich in Sprache und Land eingeschrieben. Aus Dauer und Intensität der Arbeit ergibt sich tiefe und genaue Ortskenntnis, die durch ortsspezifische Namen und Wörter unterstrichen wird, wie auch emotionale Bindung. Eben deshalb kann Aloys sich erst dann zur Auswanderung durchringen, als seine Hoffnung auf die eheliche Bindung an Marannele endgültig zunichte gemacht worden ist. Ganz anders als beim Wanderer der Winterreise, der seine Entscheidung gegen Liebe und Ehe einsam trifft und sich bei Nacht und Nebel aus dem Staub macht, ist die Entscheidung des Aloys zur Auswanderung eingebettet in ein dichtes Gewebe sozialer Bindungen. Sogar die Auswanderung ist nicht die Handlung eines Einzelnen: Aloys geht gemeinsam mit einer Großfamilie aus dem Dorf nach Amerika, nimmt seine sozialen Bindungen also gleichsam mit, wie es auch in der Realität oft der Fall war. In einem Brief des Auswanderers, der die Geschichte beschließt und zahlreiche Motive aufnimmt, die man auch in authentischen Auswandererbriefen findet, erscheint Amerika als Ort der Freiheit und als Land des materiellen Reichtums: Aloys berichtet voller Stolz von seinem hart erarbeiteten Wohlstand und von der Freiheit der amerikanischen Bürger, erwähnt aber auch seine Verbundenheit mit der Heimat. Die Bindung wirkt über die räumliche Trennung hinaus. In der historisch dokumentierten Realität der deutschen Auswanderung nach Amerika führte dies dazu, dass sich die Deutschen – auch wenn sie aus unterschiedlichen Regionen stammten – zusammentaten, um deutsche Bräuche und Traditionen zu pflegen, und ähnlich wie die Iren Parallelgesellschaften bildeten, deren Existenz in den USA durchaus als Problem wahrgenommen wurde.

Auch die wohl in Teilen autobiografisch gefärbte Erzählung Ivo der Hajrle kreist um den Zusammenhang von Heimatverbundenheit, Abschied, Heimweh und Heimkehr. Der Junge Ivo ist gewissermaßen das Gegenmodell zu Eichendorffs Taugenichts: Er verlässt das Dorf, um zum Priester ausgebildet zu werden, bricht die Ausbildung aber ab und kehrt in die Heimat zurück, um seine Jugendliebe zu heiraten und sich im Nachbarort als Müller niederzulassen. Betont werden wiederum die vielfältigen emotionalen Bindungen an die Heimat, an die Dorfgemeinschaft mit ihren Bräuchen, an die Familie, zu der auch der Knecht gehört, an die Nachbarstochter, aber auch an die Tiere auf dem elterlichen Hof und an Feld und Wald. Verbunden werden all diese Elemente in dem Wort ›Heimat‹ erst aus der Ferne und bei der ersten Heimkehr: »O Heimath! Du heiliger, trauter Ort! Da […] ist der Boden, da sind die Wurzeln des Daseins, zauberischer Atem haucht ringsum, durch die Gassen hin zieht die entschwundene Kindheit, und Augen, längst geschlossen, schauen freundlich zu dir nieder. Sei gesegnet, sei gesegnet, du stille Heimath!« (S. 113) Der Kontext des ländlichen und bäuerlichen Lebens führt die Metapher von den ›Wurzeln des Daseins‹ auf ihren konkreten Ursprung zurück. Der Ort selbst ist materieller Träger von Kindheitserinnerungen, darüber hinaus aber Zeugnis von Kontinuität und Tradition, indem in ihm auch das Gedächtnis an Generationen längst verstorbener Vorfahren aufgehoben ist. Aus dieser Kontinuität entsteht Bindung, auch wenn Heimat und Familie keineswegs ideal sind: Nachdem Ivo bei einem Heimataufenthalt während der Ferien feststellen muss, dass sein Elternhaus nicht so vollkommen ist, wie er es sich ausgemalt hatte, kommt er zu dem Schluss, »daß fast kein Mensch auf Erden, für sich allein betrachtet, ganz glücklich ist, daß also eine Gemeinschaft des Lebens, in der Ehe, in der Familie, auch manches Unvollkommene und Unglückliche haben muß« (S. 128).

Ein in die Erzählung eingeschobener Brief des Auswanderers Aloys unterstreicht diese vielfachen materiellen und immateriellen Verbindungen: Da berichtet er, dass er den von ihm gegründeten Ort nach seinem Heimatdorf Nordstetten genannt hat und dass er gleichsam eine Wiedererschaffung dieses Heimatdorfs plant, wozu auch ein Kirchenbau gehört, »grad wie die daheim« (S. 117). Auch dieses Detail spiegelt die historische Realität wider, in der deutsche Auswanderer die von ihnen gegründeten Orte Neu-Melle, Neu-Ulm oder Neu-Luckenbach nannten. Doch erzählt Aloys ebenfalls enthusiastisch von der amerikanischen Demokratie und Toleranz, schildert die Volksversammlungen, bei denen alle Rederecht haben, schwärmt davon, dass er die Früchte seiner Arbeit genießen kann, ohne vom Steuereintreiber behelligt zu werden, und lobt die Überwindung religiöser Trennlinien in der Neuen Welt. Schließlich zeigt der Brief auch den gesellschaftlichen Aufstieg des vormaligen Außenseiters: Aus dem in seinem Heimatdorf als Tolpatsch verspotteten Aloys ist ein geachteter Mann geworden. Doch ändern alle persönlichen Erfolge und alle Begeisterung für die materiellen und demokratischen Fortschritte Amerikas nichts daran, dass er unter Heimweh leidet. Als Mittel dagegen bittet er am Ende des Briefes, man möge ihm »alle Nordstetter Lieder vom alten Schullehrer aufschreiben« lassen, denn wenn er »so in der weiten Welt draußen« »allein für sich« (S. 120) singt, fehlt ihm nicht nur die Gemeinschaft, es fehlen ihm auch die Worte. Die Romantiker wollten mit ihren Sammlungen von Volkspoesie dem Volk seine verloren gegangene Poesie zurückgeben; bei Auerbach haben sich Gemeinschaft und Tradition in das Volkslied eingeschrieben, dem damit keineswegs nur eine ästhetische Funktion zukommt. Die Volkslieder sind zugleich Ausdruck von gewachsener Bindung und Medium zu deren Festigung. Diese Vorstellung ist noch 100 Jahre später bei den Flüchtlingen und Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg präsent.

Es scheint, als stelle dieses Amerika eine Synthese aus alter Heimat und Neuer Welt dar, aus amerikanischer Freiheit, Demokratie und materiellem Vorteil sowie deutscher Heimat samt aller Bindungen. Politisch gesehen lässt sich dieser ambivalente Blick auf Fremde und Heimat auch als Aufforderung an die nicht Ausgewanderten begreifen, die Heimat zu verbessern und um die in dem Bild von Amerika vorgezeichneten Komponenten ›Freiheit‹, ›Wohlstand‹, ›Toleranz‹ und ›soziale Mobilität‹ zu ergänzen. Dieses moderate und zugleich widersprüchliche Fortschrittsnarrativ, in dem das Beharren auf Heimat, Bindung und dynamische Bewegung verknüpft werden, durchzieht die Dorfgeschichten insgesamt. Zwar bleibt in der Erinnerung des Auswanderers das Bild der Heimat unverändert erhalten, doch zeigen die Dorfgeschichten keine statische Vorstellung von Heimat, sondern thematisieren durchaus ökonomische, technische und soziale Veränderungen und Entwicklungen. So kommt etwa ein Landvermesser ins Dorf, die Bauerntrachten verschwinden allmählich, weil auch die Bauern sich zunehmend städtisch kleiden; technische Fortschritte wie eine Sämaschine werden trotz bäuerlicher Skepsis eingeführt, und ein Lehrer aus der Stadt bringt literarische Bildung und die bürgerliche Institution des Vereins ins Dorf. Die Erzählung Der Lauterbacher schildert die allmähliche Akkulturation eines jungen Lehrers, der mit »hochfliegenden Gedanken« (S. 228) im Dorf ankommt, sich in eine raue Wirklichkeit versetzt sieht und im Lauf der Erzählung in der Rolle eines Volksaufklärers die Bauern durch Bildung zu formen sucht. Bedingung dafür sind freilich sein eigener Bildungsprozess sowie die Einsicht, dass Entwicklungen auf dem Land langsamer verlaufen als in der städtischen Welt, dass die Bauern aber gerade deshalb als ›Macht des Beharrens‹ eine wichtige Rolle zu spielen haben:

»Die stetige und fast unbewegliche Macht des Volkstums, des Volksgeistes [… ] bildet den Schwerpunkt des Erdenlebens [… ] die vis inertiae im Leben der Menschheit. Welchen unglückseligen Schwankungen wäre die Menschheit hingegeben, wenn alsbald jede sittliche, religiöse und wirtschaftliche Bewegung die der Gesamtheit würde! Erst was die Schwankung verloren, erst was Stetigkeit, ich will sagen, was ruhige Bewegung geworden, kann hier einmünden« (S. 234).

Indem das ländliche Leben sich der beschleunigten Dynamik der Moderne zumindest begrenzt entzieht, soll ihm die Rolle zuwachsen, Fortschritt und Entwicklung zu zügeln. In Auerbachs Idealbild einer sanften, gehemmten Art des Fortschreitens zeigt sich eine gewisse Nähe zu den Gedanken, die Wilhelm Heinrich Riehl in seiner vierbändigen Studie Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik (1851–1869) entwickelte. Auch Riehl meinte, der Fortschritt könne und müsse durch das Gewicht der Vergangenheit »kanalisiert, gerichtet und gebändigt werden«,34 und unternahm in seinem kulturhistorischen Projekt den Versuch, zwischen einem liberalen Fortschrittsnarrativ und der Bewahrung überkommener gesellschaftlicher Errungenschaften zu vermitteln: »Der große Gegensatz von Mächten des socialen Beharrens und der socialen Bewegung stellt sich zugleich dar als ein Gegensatz von Land und Stadt: dort die großen und kleinen Gutsbesitzer, hier die wohlhabenden und die verhungernden Leute des bürgerlichen Erwerbes. Der Bauer und der Adel bürgt uns dafür, daß das Gute des früheren Ständewesens nicht ganz verloren gehe, der Bürger und der Proletarier, daß das Erstarrte und Abgestorbene daran nicht künstlich wieder ins Leben zurückgeführt werde.«35

Wandte sich Auerbach in der Literatur der Lebenswirklichkeit des einfachen Volkes zu, so vertrat Riehl einen ›politischen Realismus‹ gekoppelt an die »Aufmerksamkeit für die soziale Frage«. Er kritisierte, »dass sich die deutschen Liberalen in ihrem ›kosmopolitischen Liberalismus‹ […] und einer abstrakten Freiheitsidee weit entfernt hätten vom ›concret Wirklichen‹, von ›unseren nächsten und höchsten Interessen‹ dem ›geistige[n] und materielle[n] Leben der Nation‹«.36 Seine Methode zum Verständnis dieses »konkret Wirklichen« bestand in einer Erkundung des Landes zu Fuß: »Da nun die Staatsmänner nicht mehr auf die Wanderschaft gehen können, so sollten es wenigstens die politischen Schriftsteller für sie thun. Diese Erwägung trieb mich seit Jahren hinaus, die schönen deutschen Gaue zu durchstreifen, um im unmittelbaren Verkehr mit dem Volke diejenige Ergänzung meiner historischen, staatswissenschaftlichen und volkswirtschaftlichen Studien zu suchen, die ich in den Büchern nicht finden konnte.«37 Aus dieser Erkundung der Wirklichkeit folgte für Riehl eine Ablehnung der abstrakten Idee vom Gesellschaftsvertrag; seiner Auffassung zufolge sollte auch die »Abhängigkeit von den lokalen natürlichen Gegebenheiten von Klima, Boden und Landschaft« mit in den Blick genommen werden. Als Konservativer stellte er einem abstrakten Konzept und Ideal eine ›historisch gewordene Gesellschaft‹ gegenüber. Gesellschaftliche Entwicklung sollte Riehl zufolge auf den gewachsenen sozialen und kulturellen Strukturen aufbauen, um die Individuen in der Gesellschaft zu verankern, und sich nicht allein auf abstrakte Werte oder Ideen berufen.

Die Vorstellungen, die Auerbach auf der liberalen, Riehl auf der konservativen Seite um die Mitte des 19. Jahrhunderts formulierten und die auf einen Ausgleich zwischen behutsamem politisch-moralischem und moderatem technisch-ökonomischem Fortschritt einerseits und dem Bewahren gewachsener Traditionen und Heimat andererseits setzten, erwiesen sich in der sozialen, ökonomischen und politischen Realität des fortschreitenden 19. Jahrhunderts als nicht widerstandsfähig genug. In Auerbachs Coda der Geschichte von Aloys, geschrieben nach Gründung des Kaiserreichs, besucht der Sohn gleichen Namens die alte Heimat, um eine Ehefrau mit nach Ohio zu bringen. Doch nun treten vor allem die Unterschiede zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Lebens- und Gesellschaftsmodell – wie die Veränderungen in der deutschen Heimat nach der Reichsgründung und im Zuge technischer und administrativer Entwicklungen – hervor: Das Dorf liegt mittlerweile an der Eisenbahn. Der Blick des Amerikaners auf das neue Deutsche Reich ist ausgesprochen ambivalent: Die als Konsequenz der preußischen Vormacht charakterisierte Militarisierung – überall erblickt er Kasernen – beobachtet er äußerst skeptisch; die technischen Fortschritte und die Amerikanisierung der Landwirtschaft, ablesbar etwa am Einsatz der in Amerika erfundenen Mähmaschine, sieht er mit Wohlwollen, ja, die Maschine erscheint ihm wie ein »Heimatsgruß« (S. 114);38 der Aberglauben der Alten Welt befremdet ihn ebenso wie die Erwartung an ihn, die Armen mit milden Gaben zu unterstützen. Vor allem in seinem Blick auf die Natur und auf die Dorfgemeinschaft manifestiert sich seine Ambivalenz: Die Einbettung in die Dorfgemeinschaft nimmt er als Eingriff in die persönliche Freiheit wahr, denn in »Amerika fragt dich kein Mensch, aber hier bist du eben in die Dorfgemeinschaft eingetreten, und jedes hat ein Recht, dein Thun und Lassen zu erfragen« (S. 109). Dennoch überkommen ihn eines Nachts beim Anblick der Landschaft heimatliche Gefühle und Gedanken: »Es klingt und schwingt etwas in stiller Mondnacht über die Heimatberge, dessen sich auch der junge Amerikaner nicht erwehren konnte. [… ] Hier sind deine Vorfahren gewandert und auch deine Eltern. Der Duft der getränkten Erde stieg zu ihm auf und ein Hauch aus den Tiefsten unseres vaterländischen Lebens wehte ihn an.« (S. 22) Diese Gefühle werden aber rasch als »deutsche Traumsucht« abgetan; der ›amerikanische‹ Blick auf die Natur achtet nicht auf ihre heimatlichen oder ästhetischen Qualitäten, sondern nur auf ihren potenziellen ökonomischen Nutzen. Mit diesem Blick sieht man keine »schönen Wiesen«, »sondern nur saftiges oder mageres, saures oder süßes Gras, [… ] nicht Wälder, sondern nur schlagbare Bäume oder junge Anpflanzungen.« (S. 110) Überhaupt erscheint Amerika hier vor allem als Land der Effizienz, sodass der junge Amerikaner den Eindruck gewinnt, »daß man in Deutschland nicht so zu arbeiten verstehe wie in Amerika, wo man die Zeitverschwendung für einen der schlimmsten Fehler halte.« (S. 127) Von politischer Freiheit und demokratischer Mitbestimmung, die in den Briefen des Vaters eine so große Rolle gespielt hatten, ist allerdings keine Rede mehr, nur noch von individueller Freiheit.

Mindestens ebenso ambivalent wie der Blick des jungen Deutsch-Amerikaners ist der Blick der Nordstettener auf ihn und Amerika: Einerseits werden die Einheimischen nicht müde zu betonen, dass auch in der alten Heimat das Prinzip des Fortschritts Einzug gehalten habe, sowohl in Gestalt technischer Fortschritte in der Landwirtschaft wie besserer Bewässerungsmethoden oder der besagten Mähmaschine, aber auch durch Reichsgründung und die Emanzipation der Juden: Dank dieser Fortschritte müsse kein Nordstettener mehr nach Amerika gehen, heißt es. Andererseits wird die amerikanische Effizienz, die ja offenbar imitiert wird, als bloßes seelenloses ›money making‹ abgewertet.

War die Idee des Fortschritts in den früheren Dorfgeschichten eine Synthese aus (moderaten) technischen Neuerungen sowie Volksbildung und Volksaufklärung, so erscheint Fortschritt nun, 30 Jahre später, vor allem als technische und ökonomische Weiterentwicklung hin zu größerer Effizienz und größerem materiellem Wohlstand; Bildung, gesellschaftlicher Zusammenhalt, politische Freiheit und demokratische Mitbestimmung dagegen sind weitgehend in den Hintergrund getreten. Die Unterschiede zwischen Amerika und der deutschen Heimat stechen deutlich hervor: Der emotional gefärbte Blick auf Heimat als Verbindung von Ort, Landschaft, Gemeinschaft und Tradition, den der Auswanderer Aloys in seinem amerikanischen Nordstetten noch zu bewahren suchte, gilt nun zumindest aus der Perspektive des Amerikaners als unvereinbar mit der vorwiegend von der Ökonomie bestimmten, nüchternen und kalten Gegenwart. Eine Versöhnung von Heimat und Fortschritt scheint nicht mehr möglich zu sein. Jetzt wird Heimat zum Kampfbegriff.

Heimat

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