Читать книгу Vier Pfoten hat das Glück - Memoiren eines Dackels - Susanne Scheibler - Страница 7

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Mein liebes Frauchen!

Diesen Brief bekommst du schon wieder aus Düsseldorf, weil Michael in die Redaktion zurückmußte. Tessy sagt, jetzt führen wir nur noch an den Wochenenden nach Hinterwiesen. Mir tut das leid, denn es hat mir, abgesehen von dem Lärm, den Herr Wetzke gemacht hat und wahrscheinlich auch in Zukunft machen wird, dort gut gefallen, jedenfalls besser als in der Stadt.

In solch einem Dorf muß man nicht lange suchen, wenn man einen Baum oder ein Stück Wiese braucht, um gewisse Bedürfnisse zu erledigen. Auch regt sich niemand darüber auf, wenn man es tut.

In der Stadt gibt es viele Leute, die das Umweltverschmutzung nennen. (Das ist auch so ein modernes Wort, das man in meiner Jugend nicht kannte. Da hieß das ganz einfach »Schweinerei«.)

Aber egal, wie man so etwas bezeichnet, ich finde es ungerecht. Große Menschen haben Toiletten und kleine ein Töpfchen. Und was haben wir, bitte schön?

Irgendwo muß man ja sein Geschäft verrichten können. Einem anständigen Hund macht es sowieso keine Freude, das auf der Straße zu tun. Er bevorzugt ein Gebüsch. Aber wo findet man das in der Stadt?

Die Umweltschützer sagen: Wir kämpfen um jeden Baum.

Ich würde das unterstützen, wenn man uns Hunden nicht gleichzeitig die Benutzung von Bäumen verwehrte.

Neulich stand in der Zeitung, daß Hundebesitzer ihre Hunde mit einer Plastiktüte und einer Schaufel Gassi führen sollten. Findest Du nicht auch, daß das zu weit geht?

Tessy jedenfalls ist völlig dagegen. Sie sagt, dann würde man nächstens noch verlangen, daß auch ein Wassereimer mitgeschleppt wird. Außerdem würdest Du für mich und Michael für sie Hundesteuer bezahlen. Dafür müßten der Staat oder die Gemeinden eine Gegenleistung erbringen – in Gestalt von Straßenkehrern. Einfach abkassieren und nichts dafür tun, sei unmoralisch.

Nun habe ich das Gefühl, daß der Staat sehr viel Steuern kassiert, ohne das Richtige dafür zu tun – wenn man von den vielen Verordnungen absieht, die keiner mehr versteht und die den Leuten nur das Leben sauer machen. Die Beamten, die das ausknobeln, sind sicherlich unheimlich fleißig, aber sie kosten auch eine Menge Geld. Wenn ich mir vorstelle, wie viele Straßenkehrer man davon bezahlen könnte!

Im Augenblick ist Tessy übrigens sehr nett zu mir. Sie findet, das Zusammensein mit ihr hätte mir gut getan. Ich sei dynamischer und flexibler geworden, nicht mehr so ein sturer alter Hund wie vorher.

Vielleicht hat sie recht. Auf jeden Fall mache ich mir neuerdings unheimlich viele Gedanken über Dinge, die mich früher kaum beschäftigt haben. Und hinterher diskutiere ich mit Tessy darüber.

Wir sind zwar oft geteilter Meinung, was Tessy als Generationskonflikt bezeichnet, aber daraus siehst Du, daß sie doch wesentlich milder in ihrem Urteil geworden ist. Noch vor einem Monat hätte sie mich einen beknackten Opa geschimpft.

Eines allerdings schockiert mich immer noch sehr an Tessy, und das ist ihr freizügiges Gerede über Sex.

Ich bin gewiß nicht prüde, liebes Frauchen, aber daß ein so junges Geschöpf, das noch nie einen Hund gehabt hat, über solche Dinge wie über Knochenknabbern redet, das will mir nicht in meinen Hundeschädel.

Wenn ich Tessy nicht kennen würde, könnte ich meinen, sie sei eine von den Hündinnen, zu denen man zweimal im Jahr schleicht, weil man genau weiß, daß man da keine Verpflichtungen eingeht.

Solche Damen sind ja sehr bequem. Man braucht vorher keine besonderen Anstrengungen zu machen, keine langen Vorreden zu halten, und alles bleibt hübsch unverbindlich, sowohl der Dame als auch dem Nachwuchs gegenüber.

Aber die anständigen Hündinnen meiner Jugendzeit sind doch in der Anschauung erzogen worden, daß man »es« über sich ergehen lassen müsse, um hinterher die Freuden der Mutterschaft zu genießen. Und daß es Sache des jeweiligen Herrchens oder Frauchens ist, den passenden Kindesvater auszusuchen.

Wenn ich bedenke, welchen Prüfungen man sich vorher unterziehen muß! Ob man schön und gesund genug ist, ohne äußerliche Fehler, ob man besondere Fähigkeiten als Jagd–, Spür-oder Wachhund mitbringt und ob man einen einwandfreien Charakter hat, den man seinen Kindern vererben kann.

Entschuldige, aber manchmal denke ich, daß es für manche Menschen gar nicht schlecht wäre, solche Prüfungen ebenfalls einzuführen, bevor sie sich vermehren dürfen. Aber als ich neulich mit Tessy darüber sprach, hat sie mich einen verkappten Faschisten genannt, der eine Herrenrasse züchten wolle, um alle übrigen Individuen in ihrer persönlichen Entfaltungsfreiheit zu hemmen und schließlich zu unterjochen.

Dabei habe ich doch nur an den Nachwuchs gedacht und wieviel besser es wäre, wenn der in allen Fällen vernünftige und nette Eltern hätte.

Aber mit Tessy kann man über so etwas nicht reden. Sie ist nämlich für die freie Liebe. Und das mit zwei Jahren!

Sie sagt, wenn ihr ein Hund gefiele, würde sie mit ihm schlafen, egal, ob Sabine und Michael das paßte oder nicht. Und sie würde sich auch nicht scheuen, von sich aus den ersten Schritt zu tun. Schließlich sei sie gleichberechtigt.

Nur Kinder wolle sie nicht sofort haben. Aber dagegen gäbe es ja bei jedem Tierarzt Spritzen.

Sie drückte das noch ganz anders aus. Es ist so eine Art Slogan, und mir sträuben sich beim Niederschreiben die Haare, so entsetzlich klingt er, finde ich: »Mein Bauch gehört mir.«

Ich denke, dieser Satz spricht für sich, so daß ich mir jeden weiteren Kommentar dazu sparen kann.

Ich habe Tessy allerdings klarzumachen versucht, wie schön es ist, Kinder zu haben, worauf sie mir erklärte: »Die Machart ist vielleicht nicht übel – aber das, was hinterherkommt, um so mehr, jedenfalls für eine Frau. Die Männer haben sowieso nur das Vergnügen dabei. Ich aber, ich müßte mir meine Figur ruinieren, ich müßte die Kleinen zur Welt bringen, säugen und erziehen... Und überhaupt finde ich es verantwortungslos, noch mehr Hunde in eine Welt zu setzen, in der es immer mehr Autos und immer weniger Wiesen und Wälder gibt. Der Gesetzgeber soll erst mal mehr Lebensqualität für Hunde schaffen, bevor man uns zu Gebärmaschinen degradiert.«

So, wie Tessy das sagt, klingt es natürlich fürchterlich radikal, aber bei letzterem mußte ich ihr in etwa recht geben. Trotzdem habe ich geantwortet, daß es nun einmal von der Natur so eingerichtet sei, daß die Frauen die Kinder bekämen – doch da hat sie mich ganz hitzig unterbrochen:

»Ja, aber nur, wenn sie wollen. Sonst nicht mehr. Doch das bedeutet Gott sei Dank noch lange nicht, daß wir nun auf Sex verzichten müßten. Ich jedenfalls habe keine Lust, eine verklemmte alte Jungfer zu werden. Ich werde die Rolle, in die man uns gepreßt hat, abstreifen und mich meines Körpers und seiner Bedürfnisse nicht schämen.«

Sie sah sehr niedlich in diesem Augenblick aus, und ich dachte mir: Wenn sie nur nicht so ernüchternd reden wollte. Als Mann möchte man doch das Gefühl haben, eine Eroberung zu machen, und nicht, eine rein körperliche Freiübung zu absolvieren. Und ein bißchen was fürs Herz gehört auch dazu.

Als ich ihr das sagte, hat sie die Nase gerümpft. »Quatsch! Komm mir nicht mit Liebe und so. Sex ist eine Frage der vermehrten Adrenalinausschüttung. Bei dir zum Beispiel ist sie jetzt vermehrt, das sehe ich dir an. Wahrscheinlich hattest du gar nichts dagegen, mich zu vernaschen. Aber daß du mich liebst, wirst du beim besten Willen nicht behaupten können. Wir zanken uns doch dauernd, und tief innerlich bist du in deiner bourgeoisen Hundeseele bestimmt über mich geschockt. Trotzdem würde dich das nicht hindern, etwas mit mir anzufangen.«

Ich konnte nur nach Luft schnappen. »Also Tessy, du bist so desillusionierend wie eine Wurstattrappe. Unter diesen Umständen würde ich nie ...«

»Lüg nicht, du würdest! Und vielleicht hätten wir sogar eine Menge Spaß miteinander, wenn sich meine Adrenalinausschüttung bei deinem Anblick auch vermehrte. Tut sie aber nicht.«

Und damit strich sie hüftschwenkend an mir vorbei und sprang auf ihren Lieblingsplatz auf dem Fensterbrett. »Pech gehabt, Alterchen.«

Ich sage Dir, liebes Frauchen, Tessy ist eine Lolita! Man wird sehr auf sie aufpassen müssen, falls sie ihr konfuses Gerede von freier Liebe und so eines Tages in die Tat umsetzt. Hoffentlich wissen das Michael und Sabine.

Noch ist ja alles Theorie bei Tessy, und sicherlich schwatzt sie das meiste davon nur nach, weil es gerade »in« ist. Sie stammt doch aus einer anständigen Familie, hat einen bemerkenswerten Stammbaum mit lauter honetten Ahnen und ist durchaus behütet aufgewachsen.

Aber sie ist rothaarig, und Du weißt ja, was man diesen Frauen nachsagt...

Jetzt denkst Du sicher, ich wollte Tessy schlecht machen. Aber das ist nicht der Fall. Ich habe nur Sorge um sie, weil sie noch so jung ist. Und abgesehen von ihren verrückten Ideen ist sie wirklich ganz reizend, so frech und fröhlich.

Ihr Hauptfehler ist, daß sie so verzogen ist. Aber, um gerecht zu sein, dafür kann sie nichts.

Es gibt ja auch viele Eltern, die ihre Kinder verziehen und meinen, ihnen damit einen Gefallen zu tun. Dabei schaden sie ihnen nur. Wenn ein Kind alles darf, muß es schon einen sehr guten Charakter haben, um nicht auf dumme Gedanken zu kommen. Und da geht es den Hunden wie den Menschen.

Aber daß Tessy sagt, ich liebte sie nicht, weil wir uns dauernd zanken, hat mich doch getroffen. Es stimmt zwar, daß wir selten in unseren Ansichten übereinstimmen, aber dann zankt sie mit mir und nicht ich mit ihr.

Das ist der Vorteil, wenn man älter wird: Man wird gelassener und regt sich nicht mehr über alles so auf.

Manchmal amüsiert es mich direkt zu sehen, wie Tessy sich ereifert, aber das darf ich mir nicht anmerken lassen, sonst wird sie noch wütender.

Gestern zum Beispiel wollte sie partout die Hitparade im Fernsehen sehen, aber Sabine und Michael hatten das dritte Programm eingeschaltet.

Sonst liegt Tessy während einer Fernsehsendung meist bei Sabine im Sessel. Aber diesmal war sie so unleidlich, daß Dein Sohn und Deine Schwiegertochter fortwährend gestört wurden.

Tessy hopste von einem zum andern, bellte, zerrte an Michaels Pulloverärmel, biß ihn in dle Seite, wo er ein paar kleine Fettpolster angesetzt hat, die Tessy respektloserweise seinen Rettungsring nennt, schleppte ihren Ball an und wollte ihn in der Berberbrücke vergraben – kurz und gut, zum Fernsehen blieben keine fünf Minuten Ruhe.

Sabine schlug vor, Tessy auszusperren, aber da hat Dein Sohn wie üblich protestiert und sich weiter von ihr drangsalieren lassen.

Ich habe Tessy mangelnde Toleranz vorgeworfen. Schließlich könne sie nicht verlangen, daß das Fernsehprogramm nur nach ihrem Geschmack ausgewählt würde, aber da bin ich schön bei ihr angekommen.

Toleranz sei etwas, das zuerst die Alteren gegen die Jüngeren üben müßten und Herrchen gegen die Hunde, weil die sowieso unterprivilegiert seien. Einen kleinen Hund auszusperren sei keine Kunst. Es sei vielmehr roh und primitiv.

Und überhaupt – wie solle ein Heranwachsender Toleranz erlernen, wenn er nicht zunächst einmal selbst tolerant behandelt würde?

Derartige Halbweisheiten sind typisch für Tessy. Sie hat damit nie ganz unrecht, und das macht es so schwer, ihr zu widersprechen. Deshalb habe ich es auch gar nicht erst versucht, sondern mich in mein Körbchen zu einem Nickerchen zurückgezogen.

Wenn Du mich fragst – ich war ganz froh, daß Michael und Sabine nicht die Hitparade eingeschaltet haben, denn trotz meiner leichten Schwerhörigkeit zerren die modernen Schlager an meinen Nerven.

Man erschrickt so oft beim Zuhören.

Früher haben die Leute meist allein gesungen – ich vermute, weil sie es besser konnten. Heute müssen sie zu mehreren auftreten, damit es nicht so auffällt, daß sie eigentlich gar keine Stimme haben, jedenfalls keine schöne.

Außerdem kann ein einzelner Mensch gar nicht so viel Krach machen wie diese Popgruppen. (Tessy sagt, Pop wäre eine Abkürzung von poppig, weil alle so hübsch bunt angezogen sind.)

Ich allerdings finde sie ziemlich seltsam gekleidet.

Da gibt es Männer mit zusammengeknoteten Stirnbändern, Pelzmützen mitten im Sommer oder einem türkischen Fez. Sie haben ausgefranste Hemden an, die fast bis zum Knie reichen, und nackte Füße.

Andere tragen weiße Anzüge, die über und über mit glitzernden Steinen bestickt sind, riesige Ledergürtel, die fast wie ein Schnürleibchen aussehen, und zwischen den Bärten schimmern Brustkreuze und Amulette.

Die Mädchen haben oftmals Hosen an. Manchmal sind sie auch vom Kinn bis zur Brustspitze in weite, wallende Gewänder gehüllt, so daß man leider gar nichts von ihrer Figur sieht.

Andere dafür zeigen viel nackten Bauch, den sie ab und zu mit einer Gitarre verdecken, haben nur eine Art Dreiecktuch um den Oberkörper gewickelt und eine lange Stoffbahn von den Hüften abwärts.

Apropos Hüften – damit wackeln und rollen sie alle gewaltig. Manchmal krümmen sie sich auch, als ob sie Bauchweh hätten, oder stampfen auf den Boden, als wären sie furchtbar wütend.

Meist beginnt zuerst einer allein ganz leise zu singen, und ich denke: Ach, du lieber Gott, der Ärmste ist erkältet und völlig heiser. Er hält sich das Mikrofon so dicht vor den Mund, als ob er es verschlucken wolle, und bringt trotzdem kaum einen Ton heraus.

Die anderen Gruppenmitglieder zupfen dann nur ein paar Gitarrenakkorde, schnipsen mit den Fingern oder singen unverständliches Zeug wie »Rocky-snocky-tocky« oder »He-je-je« oder »Ring-ding-ding«!

Aber dann fängt der Vorsänger plötzlich an zu schreien, als hätte man ihm furchtbar auf den Zeh getreten. Das passiert so unvermittelt, daß ich jedesmal zusammenzucke, obwohl ich mich inzwischen eigentlich daran gewöhnt haben müßte.

Die anderen schreien, a tempo mit, schütteln in ohnmächtigem Zorn die Fäuste, machen wilde Sprünge und gehen mit ihren Musikinstrumenten um, als wollten sie sie zerschlagen.

Tessy sagt, das sei Ausdruck ihrer musikalischen Besessenheit.

Das mag ja sein, aber trotzdem finde ich »Jetzt geh ich ins Maxim«, von Johannes Heesters gesungen, schöner. Außerdem liebe ich das Elegante.

Wenn Tessy und ich Menschen wären, würde ich sie sicherlich nicht in einen Diskoschuppen, aber auf den Wiener Opernball einladen – mit einer Gardenie im Knopfloch. Wenn man dort miteinander tanzt, hält man sich in den Armen, und das gefällt mir besser, als sich voreinander zu schütteln, wie es heutzutage in den Diskotheken Mode ist.

Übrigens habe ich neulich gehört, daß lange Haare bei Männern »out« sind. Das finde ich gut.

Nicht, daß ich prinzipiell etwas gegen lange Haare hätte – sie erscheinen mir nur schrecklich unbequem, besonders bei Popsängern. Sie geraten doch jedesmal so unheimlich ins Schwitzen bei ihren künstlerischen Darbietungen.

Tessy hat mir erklärt, daß die Frisur zu ihrem Immitsch gehört, aber da haben langhaarige Hunde es doch besser. Sie werden getrimmt oder geschoren, wenn ihnen heiß ist.

Nun muß ich aber meinen Brief beenden. Es ist schon spät, und Tessy kommt gerannt, um mir zu sagen, daß Michael mit uns Gassi gehen will. Danach legen wir uns alle schlafen.

Also gute Nacht, mein liebes Frauchen, und vergiß in diesem schrecklich weit entfernten England nicht ganz Deinen alten, treuen Julius.

Vier Pfoten hat das Glück - Memoiren eines Dackels

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