Читать книгу Vier Pfoten hat das Glück - Memoiren eines Dackels - Susanne Scheibler - Страница 8

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Mein liebes Frauchen!

Ich habe einen schrecklich aufreibenden Tag hinter mir, weil Michael Tessy und mich in die Redaktion von »Blickpunkt der Frau« mitgenommen hat.

Sabine mußte nämlich zum Arzt und wollte anschließend Gardinenstoffe für das Haus in Hinterwiesen kaufen. Sie meinte, dann wären Tessy und ich zu lange allein.

Tessy war schon öfter in der Redaktion. Sie ist auch gleich zu Fräulein Lütjenbrink gelaufen, weil sie wußte, daß es dort Kekse gibt.

Fräulein Lütjenbrink – zuständig für Leserbriefe und Kochrezepte – ist ziemlich dick. Sie hat kleine Patschhändchen mit vielen Ringen und einen silbergrauen Pudelkopf. Tessy sagt, es wäre eine Perücke, die sie ihr beim Herumtoben einmal heruntergerissen hätte. Darunter hätte Fräulein Lütjenbrink allerdings auch einen silbergrauen Pudelkopf, nur nicht in so adretten Locken.

Die Sache mit der Perücke hat sie Tessy anscheinend nicht übelgenommen, denn sie jubelte sofort, als wir in der Tür auftauchten: »Ja, da ist ja mein süßer kleiner Racker! Und einen Freund hat sie auch mitgebracht, wie ent-zük-kend!«

Dann hat sie uns beiden Kekse geschenkt.

Eine Redaktion besteht aus lauter kleinen Glaskästen, in denen die Leute sitzen und die Zeitung machen. So heißt das nämlich in der Fachsprache.

Meist arbeiten sie zu zweit in solch einem Glaskasten, nur Michael und der Chefredakteur haben jeder einen für sich.

Michael ist, wie Du weißt, Roman- und Serienchef, deshalb muß er viel lesen und braucht Ruhe.

Der Chefredakteur hat nie Ruhe, sondern wird dauernd von jemandem gestört. Deshalb wäre es eine Zumutung, einen zweiten Mitarbeiter in sein Büro zu setzen – der käme nämlich nicht zum Arbeiten.

Der Chefredakteur – er heißt Herr Halberstein – hat einen Ledersessel mit breiten Armlehnen und den größten Schreibtisch in der Redaktion. Den braucht er auch, weil die Platte mit Manuskripten, Bildern, Briefen, Telefonen und allem möglichen Krimskrams so vollgepackt ist, daß der bedauernswerte Herr Halberstein ununterbrochen etwas sucht.

Als wir kamen, stöberte er gerade nach einer schlecht geschriebenen Reportage von Frau Müller-Küppers über König Konstantin von Griechenland.

Frau Müller-Küppers war bei ihm. Da sich Michaels Büro nebenan befindet und außerdem noch eine gläserne Verbindungstür hat, konnten wir alles mithören und sehen.

Herr Halberstein war ganz schön geladen, aber Frau Müller Küppers öffenbar nicht so beeindruckt, wie sie sollte. Sie ist ein intellektueller Typ mit dunkelgetönter Brille und einem glatten Pagenkopf. Den schmächtigen Herrn Halberstein überragte sie um mindestens fünfzehn Zentimeter.

»Sie haben den Trend unseres Blattes offenbar immer noch nicht begriffen«, sagte Herr Halberstein, während er die Stapel auf seinem Schreibtisch durchwühlte. »Allein die Überschrift... Verdammt, wo ist das Ding denn nur! Ach, hier! ›Wie ein König sich das Exil versüßt!‹«

Anklagend wedelte er mit ein paar Schreibmaschinenseiten vor Frau Müller-Küppers’ Nase herum.

»Das ist doch kein Thema für ›Blickpunkt der Frau‹. Wir bringen Schicksale, die zu Tränen rühren! Das Außergewöhnliche, das, wovon Agathe Hasenohr nur zu träumen wagt und was sie nie erlebt. Verstehen Sie? Sie müssen sich in Agathe Hasenohr hineinversetzen – was sage ich, Sie müssen sie lieben. Dann erst können Sie schreiben, was ihr ans Herz greift.«

Ich wollte von Tessy wissen, wer denn Agathe Hasenohr sei, weil ich den Namen noch nie gehört hatte, aber sie schüttelte nur den Kopf.

Drinnen bei Herrn Halberstein erwiderte Frau Müller-Küppers: »Aber das steht doch alles in dem Artikel.«

»Unsinn!« schnaubte Herr Halberstein. »Da stehen lauter miese Sachen drin von Eheschwierigkeiten, angeblichen ›ständigen Begleiterinnen‹ des Königs und nächtlichem Dolce vita.«

»Ja und? Wenn es doch wahr ist...«

»Wahr, wahr! Kommen Sie mir bloß nicht damit. Es gibt viele Wahrheiten. Für unser Blatt muß das anders aufgezäumt werden. Machen Sie sich mal ein paar Notizen. Schlagzeile: Ruhelos irrt ein König durch die Nacht. Darunter in halbfett: Konstantin von Griechenland ist ein gebrochener Mann. Ein König ohne Krone. Ein Mensch ohne Heimat. Seit Jahren kämpft er um Vergessen. Die Frau an seiner Seite kämpft mit ihm – und leidet mit ihm. Aber die Wunden der Vergangenheit wollen nicht heilen.«

Herr Halberstein holte tief Atem.

»So, und nun weiter im Text. Schreiben Sie, daß der König jeden Abend im Radio den Wetterbericht aus Athen hört. Aus Heimweh! Schreiben Sie, daß die Königin mit den Kindern währenddessen das Nachtgebet auf griechisch spricht. Und eine Ehekrise? Quatsch. Anne-Marie von Griechenland ermuntert ihren Gemahl, manchmal ein wenig aus sich herauszugehen, etwas zu unternehmen, damit er sich nicht in seinem Kummer vergräbt. Sie selbst möchte wie jede gute Mutter die Kinder nicht allein lassen, deshalb bleibt sie daheim.«

»Aber das stimmt doch nicht«, wandte Frau Müller-Küppers ein. »Die Kinder werden vom Personal betreut.«

»Sagen Sie!« donnerte Herr Halberstein. »Und wie soll Agathe Hasenohr das unter einen Hut bringen? Eine Frau, die abends mit ihren Kindern griechische Nachtgebete spricht und sie anschließend der Obhut bezahlter Dienstboten überläßt, um sich zu amüsieren – das paßt nicht zusammen. Wir müssen den Leserinnen klarmachen, daß die Königin ganz in ihren Mütterpflichten aufgeht, daß sie sich aber gleichzeitig der Liebe ihres Gatten so sicher ist, daß er ruhig mal einen Abend in Darhengesellschaft verbringen kann. Ein Schuft, wer Schlechtes dabei denkt! Die Königin bekommt täglich einen Strauß weißer Rosen aus Athen von ihm, eigens eingeflogen. Und die stellt sie dann in ihrem Salon neben die Silberschachtel, in der sich griechische Erde befindet – das einzige, was das Königspaar seinerzeit bei seiner Abreise ins Exil mitgenommen hat.«

»Guter Gott«, sagte Frau Müller-Küppers erschüttert. »Das glaubt uns doch kein Mensch.«

»Nicht? Ich sage Ihnen, über solch einem Bericht werden die Frauen ihren Kuchen im Herd verbrennen lassen. Außerdem – woher wollen Sie wissen, ob der König nicht jeden Abend den Athener Wetterbericht hört, um zu erfahren, ob in Griechenland die Sonne scheint, und ob die Königin nicht mit ihren Kindern zur Nacht betet – in der Heimatsprache? Es wäre doch menschlich. Und menschlich müssen wir sein, Frau Müller-Küppers. Das erwarten unsere Leser von uns, und darauf haben sie ein Anrecht.«

Ich muß sagen, liebes Frauchen, ich war sehr beeindruckt von Herrn Halberstein, wie er so mir nichts, dir nichts einen Artikel aus dem Ärmel schüttelte.

Zwar interessiere ich mich nicht besonders für Könige und Königinnen, aber schließlich ist »Blickpunkt der Frau« ja auch keine Hundezeitschrift.

Und die Sache mit der griechischen Erde fand ich geradezu rührend. Sollten wir einmal umziehen, möchte ich auch ein bißchen Erde aus unserem Vorgarten mitnehmen. Vielleicht von den Tulpenbeeten, in denen ich immer so gerne kratze.

Tessy allerdings rümpfte die Nase.

»Dieser Halberstein ist verkitscht, deshalb macht er auch eine verkitschte Zeitung. Besser wäre es, den Leuten einen gesellschaftskritischen Spiegel vorzuhalten. Phhh, wie kann man in der heutigen Zeit abgedankte Könige verherrlichen?«

»Aber wenn manche das gern lesen?« fragte ich zaghaft. »Wir leben doch in einer Demokratie. Da hat meines Wissens jeder das Recht, sich nach seinem Geschmack zu informieren oder zu unterhalten.«

»Es gibt gute und schlechte Geschmäcker«, entgegnete Tessy kühl. »Die schlechten darf man nicht unterstützen.«

»Aha. Und wer bestimmt, was schlecht ist?«

»Na, ganz einfach. Die Leute mit dem guten Geschmack.«

»Hör mal, Tessy«, sagte ich. »Das ist doch alles relativ. Du zum Beispiel siehst im Fernsehen die Hitparade gern. Anderen geht sie auf die Nerven. Wer hat nun recht mit seiner. Beurteilung?«

»Ich natürlich«, erwiderte Tessy und sprang auf den Besuchersessel, wo sie sich zusammenrollte.

Du siehst, liebes Frauchen, man kann mit Tessy nicht sachlich diskutieren. Deshalb ließ ich es auch bleiben und wollte gerade unter Michaels Schreibtisch ein Nickerchen machen, als die Tür zum Büro aufging und der Verleger hereinkam.

Ein Verleger ist, wie Du weißt, der Boß eines Verlages.

Mit verlegen allerdings im Sinne von verschusseln und nicht mehr wiederfinden hat seine Tätigkeit nichts zu tun. Herr Rombach verlegt die Zeitschrift »Blickpunkt der Frau«, und das bedeutet, daß er alle Rechnungen und Gehälter bezahlt und seine Unkosten hinterher von den Käufern zurückholt.

Und ein bißchen darüber, denn schließlich will er ja leben.

Natürlich war Herr Rombach etwas erstaunt, zwei Dackel in Michaels Büro vorzufinden. Aber glücklicherweise war Tessy gleich bei seinem Eintritt vom Besuchersessel heruntergesprungen, um ihn zu beschnuppern.

Habe ich Dir schon erzählt, daß sie immer eine unwahrscheinliche Show abzieht, wenn sie jemanden kennenlernt? Dann springt sie an ihm hoch, wedelt mit dem Schwanz, macht Männchen und bitte-bitte und ist erst zufrieden, wenn sie genügend Komplimente eingeheimst hat.

Ich finde ihr Benehmen ein bißchen albern und habe ihr schon oft erklärt, daß ein guter Hund freundlich, aber vornehm-zurückhaltend sein soll, doch sie sagt, sie pfiffe auf vornehme Zurückhaltung, wenn sie anders mehr Erfolg hätte.

Nun, das hat sie unbestritten; selbst der Verleger kraulte ihr den Kopf und meinte halb geschmeichelt, halb fassungslos: »Na, du magst mich wohl?«

Und Michael ging (natürlich!) auf Tessys Zirkus ein und erwiderte: »Das ist ganz offensichtlich. Sonst führt sie sich nie so bei Fremden auf.«

Woraus Du siehst, daß Dein Sohn völlig unter Tessys Einfluß steht.

Ich blieb abwartend und mit leichtem Schwanzwedeln im Hintergrund und erntete ein freundliches Verlegerlächeln, aber dann kam Herr Rombach zur Sache.

»Was ich sagen wollte, Doktor Bernhold – diese neue Serie über berühmte Ballettgruppen, das ist nichts. Wer hat überhaupt die Idee dafür gehabt?«

»Sie, Herr Rombach«, sagte Michael nach einem kurzen Zögern.

Der Verleger musterte ihn mit einem durchdringenden Blick.

»So? Tatsächlich?«

»Ich kann Ihnen das Protokoll der Redaktionssitzung heraussuchen lassen. Es war irgendwann im letzten Winter.«

»Hm...« Herr Rombach setzte sich auf die Schreibtischkante. »Das Thema ist ja auch nicht schlecht. Nur hätte es jemand anders schreiben müssen, nicht die Dingsda... Wie heißt sie noch gleich?«

»Karin Hornberger.«

»Ganz recht. Die ist zu antiquiert, nicht flott genug.«

»Verzeihung, Chef, aber Frau Hornberger war ebenfalls Ihr Vorschlag.«

»Ja – und? Ich bin allenfalls ein primus inter pares, mein lieber Bernhold. Ich gebe Anregungen, aber das heißt noch lange nicht, daß sie stur befolgt werden müssen. Verantwortlicher Serienchef sind Sie, nicht ich. Wie viele Folgen sind denn noch geplant?«

»Insgesamt zwölf.«

»Das sind zu viele. Kürzen Sie auf sechs oder acht und zahlen Sie der Hornberger meinetwegen ein Ausfallhonorar. Und danach bringen Sie was Vernünftiges. Große Katastrophen zum Beispiel, aufgehängt an einem besonders faszinierenden Einzelschicksal. Der Trend muß natürlich positiv sein. Menschen in Todesgefahr, die danach ihr Leben geändert haben. Zerbrochene Ehen, die wieder in Ordnung kamen. Jemand, der, das Ende vor Augen, seine große Liebe fand. Ein anderer, der sich anschließend eine Südseeinsel kauft und ein völlig zurückgezogenes, naturverbundenes Dasein führt. Das Leben ist voller großer Geschichten, man muß sie nur aufsammeln. Und schreiben muß das natürlich der Ferber. Der kann so was. Rufen Sie ihn an und bestellen Sie ihm einen schönen Gruß von mir.«

In der Tür blieb Herr Rombach noch einmal stehen. »Übrigens kommt doch heute der Havasy ins Haus.« Michael nickte. »Ja, wir wollen über seinen neuen Roman sprechen, der im Herbst startet.«

»Sehr schön. Ein Marin wie Havasy hebt jede Auflage. Nur sehen Sie zu, daß er nicht wieder über Österreich-Ungarn und die Zigeuner schreibt. Das Thema hatten wir schon dreimal von ihm. Er soll mal ganz was Neues machen.«

»Das wird schwierig sein, fürchte ich. Erstens, weil Herr Havasy so beschäftigt ist, daß er kaum die Zeit hat, sich mit einem neuen Milieu ausführlich zu beschäftigen. Und zweitens, weil er mit diesen Pußta-Romanen seine größten Erfolge hatte. Er meint, die Leute erwarten das von ihm.«

»Dann machen Sie ihm klar, daß er damit auf die Dauer nur seinen Namen ruiniert. Wenn es erst mal heißt, der Havasy schreibt immer nur dasselbe, ist er passé. Arbeiten Sie mit ihm. Zwingen Sie ihn, sich für einen anderen Stoff zu erwärmen. Aber natürlich mit aller gebotenen Vorsicht. Der Mann ist schließlich ein Star. Wir können es uns nicht leisten, ihn zu verärgern.«

Damit ging Herr Rombach.

Tessy und ich fanden, daß er zwar ein sehr freundlicher Mensch ist, aber mit ihm zu arbeiten scheint nicht immer ganz einfach. Man weiß ja nicht, woran man ist, wenn er etwas anordnet und hinterher sagt, so streng hätte man es nicht zu befolgen brauchen.

Vielleicht geht es Michael mit der Katastrophen-Serie genauso wie mit der Ballettgruppe?

Tessy meint, das würde alles anders und viel einfacher, wenn erst die redaktionelle Mitbestimmung eingeführt würde. Dann hätte einer allein gar nichts zu sagen, sondern alles würde gemeinsam beschlossen.

Ich stelle mir das allerdings noch schwieriger vor. Denn das habe ich an diesem einen Tag in der Redaktion schon gelernt: Dort hält sich jeder für den Besten und das, was er schreibt, für das Wichtigste.

Also würden alle aufeinander herumhacken, und es gäbe endlose Streitereien, ohne daß man einen Entschluß faßte. Da ist ein Verleger doch bei weitem das kleinere Übel, finde ich.

Außer Frau Müller-Küppers und Fräulein Lütjenbrink gibt es noch fünf weitere Redakteure. Für Medizin und Aktuelles, für Show und Mode, für Reisen und Tips, für das Fernsehprogramm und die Witze, für Rätsel, Horoskope und Tests.

Im Layout sitzen zwei Grafiker, die den ganzen Tag die Druckfahnen zerschnipseln und sie mit den Fotos und Bildunterschriften auf großen Papierbögen wieder zusammenkleben. Außerdem ziehen sie Linien und Schnörkel darum herum und malen hin und wieder eine Blume an den Rand.

Der Hersteller ist der geplagteste Mann, denn er muß aufpassen, daß alle Redakteure pünktlich ihre Arbeit tun, sonst wird die Zeitung nicht rechtzeitig fertig.

Deshalb ist er auch schrecklich nervös. Beim Sprechen rudert er immer mit den Händen, und manchmal hat er auch Nervenzucken.

Tessy sagt, das käme vom Streß. Die Redakteure sind nämlich alle ein bißchen laut und verrückt. Sie reden viel, telefonieren noch mehr, und dazu spielt den ganzen Tag das Radio.

Außerdem sind sie oft unterwegs zu Interviews, wobei sie weit entfernte Gegenden wie die Bahamas, Teneriffa oder mindestens die Cote d’Azur bevorzugen. Das entnahm ich aus verschiedenen Unterhaltungen.

Frau Müller-Küppers zum Beispiel hatte überhaupt keine Lust, Königin Beatrix von den Niederlanden in Holland zu interviewen; sie meinte, das sei zu alltäglich. Viel interessanter wäre es für die Leser, wenn sie eine Reportage über die in vierzehn Tagen beginnende Afrika-Reise der Königin schriebe.

Du siehst daraus, liebes Frauchen, daß Journalisten selbst die Strapazen eines Fluges in einen anderen Erdteil nicht scheuen, wenn es um einen spannenden Bericht geht. Nach Holland zu fahren wäre ja viel einfacher gewesen. Aber so leicht macht es sich hier niemand.

Allerdings hat wegen dieser Umstände der Hersteller seine liebe Not, alle Beiträge rechtzeitig zu bekommen.

Heute war er besonders in Bedrängnis, weil eine bereits fertig gedruckte Seite mit einem Bericht über das glückliche Familienleben eines Filmstars nicht veröffentlicht werden konnte. Er hat nämlich gerade die Scheidung eingereicht, weil ihm seine Frau weggelaufen ist.

Ach ja, und dann gibt es noch zwei Sekretärinnen in der Redaktion. Was sie betrifft, so sind Tessy und ich uns ausnahmsweise einig: Wir mögen sie nicht.

Beide sind so arrogant wie Cesario, der Afghane, der bei uns an der Ecke wohnt. Und eine von ihnen – alle nennen sie nur Lydia – sieht auch ein bißchen so aus. Weißblonde Haare, die ins Gesicht fallen, schräge Augen und superlange Beine.

Sie sitzt herum wie ihr eigenes Denkmal und wird nur ein bißchen lebhaft, wenn sie sich die Haare kämmt, ihr Make-up erneuert oder die Fingernägel lackiert. Wenn sie ißt, kaut sie mit halboffenem Mund, um, wie sie ihrer Kollegin erklärte, sich die Lippenschminke nicht zu verschmieren.

Die Kollegin heißt Biggy, und als sie mich sah, näselte sie: »Ach, du lieber Gott, der ist aber schon wacklig!«

Von Tessy rückte sie ab und sagte: »Mach mir bloß meinen Rock nicht schmutzig. Der kommt frisch aus der Reinigung.«

Hinterher hat sie ihn sich mit Joghurt bekleckert, und das hat uns sehr gefreut.

Die Hauptarbeit der Sekretärinnen besteht im Kaffeekochen und am Telefon zu sagen: »Herr Sowieso ist leider nicht im Hause (oder in einer Besprechung). Er wird Sie zurückrufen.«

Maschineschreiben müssen sie nicht viel, weil die meisten Redakteure ihre Texte selbst tippen. Kommt aber mal einer ins Sekretariat und bittet: »Schreib mir das rasch ab«, wirken beide ziemlich beleidigt.

Einmal hat Herr Halberstein einen Vertrag gebraucht, weil er etwas nachsehen wollte, den haben sie zwei Stunden lang gesucht. In der Ablage war er nicht, in den Vertragsordnern auch nicht. Unbegreiflicherweise fand er sich dann in der Speisekarte eines nahe gelegenen Feinschmeckerrestaurants wieder, in dem die beiden Damen gern ihre Mittagspause überziehen.

Michael allerdings ist mittags mit Tessy und mir nur Gassi gegangen und hat sich von Fräulein Lütjenbrink Currywurst mit Pommes frites mitbringen lassen, weil Sabine abends warm kocht. Tessy und ich bekamen Hundekuchen.

Und dann tauchte Fred Havasy in der Redaktion auf.

Aus dem Gespräch zwischen Michael und dem Verleger wußten wir ja schon, daß er ein Erfolgsschriftsteller ist. Deshalb waren wir ziemlich neugierig auf ihn. Er muß auch wirklich ein sehr berühmter Mann sein, denn sogar Fräulein Lydia bewegte ihre langen Beine schneller als sonst, als sie ihn in Michaels Büro brachte.

Bei seinem Anblick waren Tessy und ich zuerst bitter enttäuscht. Wir hatten uns einen bekannten und bestimmt sehr gut verdienenden Schriftsteller ganz anders vorgestellt, elegant, von imposanter Statur und von einem gewissen Nimbus umgeben.

Herr Havasy wirkt eher unbedeutend, klein, dürr, mit einem melancholischen Schnauzbart. Er trug einen zerknautschten Cordanzug und ein blau-grün-rot gestreiftes Hemd.

Das Netteste an ihm ist seine Sprechweise. Er ist nämlich gebürtiger Ungar und in Wien aufgewachsen.

Uns hat er »scheene Hunderln« genannt und zu Michael »Küß die Hand« gesagt. Aber diese Höflichkeit bedeutet nicht viel, denn Herr Havasy weiß genau, was er will, und ist kaum davon abzubringen.

Zuerst hat er lang und breit von seinen Romanen erzählt, an denen er gerade arbeitet. Es sind zwei gleichzeitig – an einem schreibt er vormittags, an dem anderen nachmittags.

»Der Vormittagsroman ist die Geschieht’ von einem Zigeunerprimas aus den zwanziger Jahren. Ich sag’ Ihnen, Herr Dr. Bernhold, ein Thema, das die Leut’ von den Stühlen reißt. Da ist einfach alles drin, was der Mensch braucht: Abenteuer, Leidenschaft, Kokainsucht, die große weite Welt und die unglückliche Lieb’ zu einer schwindsüchtigen Wiener Baroneß. Und der Nachmittagsroman ist wieder ganz was anderes. Der Ungarnaufstand 1956, wo sich ein russischer Abwehroffizier in eine Budapester Widerstandskämpferin verliebt – ein blutjunges Madl noch, das seinen einzigen Bruder erschießt, weil er ihre Freunde verraten will.«

Man merkte, daß Herr Havasy seine eigenen Romane liebte; wenn er von ihnen sprach, geriet er regelrecht in Feuer.

»Schad’, das wär’ auch eine Geschicht’ für Ihre Zeitung gewesen. Aber ich hab’ ein paar Kurzexposés mitgebracht. Was sag’ ich – Exposés? Heuler sind das, Romanheuler, schon von der Idee her.«

»Wie ich Sie kenne, Herr Havasy, bestimmt«, sagte Michael. »Ich habe vorhin noch mit Herrn Rombach gesprochen, und wir sind beide der Meinung, daß wir mal etwas ganz anderes von Ihnen bringen möchten – einen ganz neuen Havasy gewissermaßen, den die Leute noch gar nicht kennen.«

Herrn Havasys Schnauzbart wurde wieder melancholisch. »Verzeihen S’, aber das könnt’ ins Auge gehen. Die Leser wollen nix Neues von mir, nur was anderes. Ich bin der Havasy, jeder weiß, was ich schreib’ und wie ich’s schreib’, und darin liegt mein Erfolg.«

»Gewiß, gewiß, aber ...«

Herr Havasy blätterte in seiner Mappe.

»Hier, zum Beispiel, die Story hab’ ich schon vor ein paar Wochen für Sie reserviert. Ein österreichischer Erzherzog liebt die Tochter eines ungarischen Revolutionärs. Sie fliehen, leben unerkannt bei Zigeunern ...«

»Ich weiß nicht recht«, unterbrach Michael ihn. »Eigentlich hatte ich an ein anderes Milieu gedacht. Wie wäre es denn mit einem modernen Frauenschicksal? Ein Eheroman, sagen wir, wo die Frau plötzlich erfährt, daß ihr Mann ein ganz und gar unverständliches Doppelleben führt?«

»Ja, da hätt’ ich was«, sagte Herr Havasy lebhaft. »Nur net grad modern. Es ist die authentische Geschicht’ der ungarischen Gräfin Ilona von Földes. Der Rittmeister von Földes war ein Spieler, ein Defraudant, der sich erschossen hat. Die Gräfin Ilona ist dann bettelarm nach Wien gekommen und als Tänzerin in gewissen Etablissements aufgetreten. Ich sag’ Ihnen, das ist ein atemberaubendes Leben, durch alle Höhen und Tiefen.«

»Hm ...« Tessy und ich merkten, daß Michael nicht besonders glücklich war. »Die Story ist sicher gut. Aber sagen Sie, kann man sie nicht in die Gegenwart und nach Deutschland verlegen?«

»Gehn S’, das ist doch fad! Dann müßt’ die Gräfin ja Stripteasetänzerin werden – und heutzutag’ hat so ein Beruf keinen Flair mehr. In der Donaumonarchie war das was anderes, wo der Kronprinz Rudolf und der Johann Salvator und wie sie alle hießen, selbst eine Bordellbesitzerin noch wie eine Dame behandelt haben. Heut’ ist das doch primitiv, ohne Differenzierungen. Naa, damit tät’ ich mir die ganze Geschicht’ kaputtmachen. Dann nehm’ ich schon lieber die Story vom Erzherzog. Die kann man modernisieren.«

Herr Havasy machte sich ein paar Notizen.

»Passen S’ auf: Der Erzherzog ist kein Erzherzog, sondern ein deutscher Tourist, einziger Sohn eines Stahlmagnaten, der in Ungarn Urlaub macht. Er verliebt sich in eine kleine Budapester Studentin, deren Väter politische Schwierigkeiten hat. Er will sie heiraten, aber sie darf net in die Bundesrepublik, Aus Liebe zu ihr bleibt er deshalb in Ungarn, illegal natürlich. Eines Tages kommt die Geschicht’ heraus, er soll verhaftet werden, und da fliehen sie alle drei, wie gehabt, und leben bei einem Zigeunerstamm in der Pußta. Natürlich verliebt sich ein Zigeuner in das Madl, und der Deutsche muß mit ihm nach alter Zigeunersitte kämpfen. Zum Schluß ist es dann der Zigeuner, der die drei über die Grenze nach Österreich bringt und dabei erschossen wird.«

Er holte tief Atem.

»Na, ist das jetzt ein modernes Frauenschicksal? Und ein echter Havasy obendrein.«

»Das bestimmt«, sagte Michael. Er wirkte etwas erschöpft.

»Gut. Und nun sagen S’ selbst, bin ich riet ein Autor, mit dem man reden kann? Wann brauchen S’ denn die erste Folge?«

Michael blätterte in seinem Terminkalender. »Ende August etwa, Herr Havasy. Geht das?«

»Momenterl.« Herr Havasy hatte ein Notizbuch hervorgeholt. »Schön, dann nehm’ ich den als Vormittagsroman. Da bin ich eh noch frischer. Akkurat am 28. 8. haben S’ die ersten fünfzehn Seiten auf dem Tisch.«

Michael wagte noch einen letzten Vorstoß. »Wie wäre es denn, wenn wir die ganze Story nicht in Ungarn, sondern im – sagen wir, Iran spielen ließen? Und statt der Zigeuner wäre es ein Beduinenstamm, bei dem die Helden Unterschlupf suchen.«

»Nein«, sagte Herr Havasy plötzlich auf hochdeutsch und sehr entschieden. »Iran und Beduinen – da habe ich kein Hintergrundmaterial. Und für neue Recherchen fehlt mir die Zeit, das werden Sie doch einsehen, Herr Doktor Bernhold. Außerdem – was sind Beduinen schon gegen Zigeuner? Ich bin Ihnen wirklich entgegengekommen, noch mehr kann ich net verantworten. Sie wollen doch einen Bestseller von mir und keinen Schmarrn. – So, und jetzt muß ich schau’n, daß ich weiterkomm’. Es war reizend, daß wir uns wieder mal gesehen haben, Herr Doktor Bernhold. Meine Empfehlung an den Herrn Rombach.«

Damit verabschiedete er sich mit ausgesuchter, echt österreichisch-ungarischer Höflichkeit.

Wenig später ist Michael mit uns nach Hause gefahren. Es war wirklich ein anstrengender Tag für mich, aber gleichzeitig sehr lehrreich. Weiß ich doch nun, wie man eine Zeitung macht und wie ein Bestseller entsteht.

Oder glaubst Du, der Roman von Herrn Havasy wird kein Bestseller?

Für heute will ich schließen, mein liebes Frauchen. Servus und küß die Hand.

Dein alter Julius.

Vier Pfoten hat das Glück - Memoiren eines Dackels

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