Читать книгу Venedig. Eine Stadt in Biographien - Susanne Wess - Страница 10
ОглавлениеTIZIAN
um 1488–1576
Als Rivalen der Natur schilderten Zeitgenossen den rastlosen Malerfürsten der Renaissance, der die Figuren mit seinen Farben beinahe lebendig werden lässt. Er malte wie am Fließband und wurde steinreich.
Der Konkurrenzkampf unter Künstlern ist nichts für Sensibelchen; bisweilen ist er gnadenlos, vor allem wenn sich ein Großmeister herausgefordert sieht – ausgerechnet von einem, der kommt, um zu staunen und zu lernen: Tizians Kolorit und Manier gefalle ihm sehr wohl, meinte der große Michelangelo zunächst gnädig, um dann die Keule auszupacken: Es sei nur jammerschade, dass man in Venedig nicht von Anfang an gut zeichnen lerne. Sein Besucher war zu diesem Zeitpunkt – 1546 – kein junger Hüpfer mehr, sondern um die 58 Jahre alt, für die damalige Zeit also im fortgeschrittenen Großvateralter, während der Titan Michelangelo bereits das 70. Lebensjahr überschritten hatte.
Man sah den Mann aus Venedig als Nachfolger von Michelangelo, was dieser nicht so wahrhaben wollte. Die Römer machten Tizian zum Ehrenbürger, und Papst Paul III. buhlte um ihn. Und was machte Tizian nach dem Affront des Michelangelo? Er pfiff auf Rom und reiste weiter zum Kaiser nach Augsburg, handelte neue Projekte aus, malte, kassierte und umgekehrt.
So waren die Fronten unter den beiden Großkünstlern abgesteckt: Michelangelo hatte die Päpste als Mäzene, die ihn im Übrigen auch gehörig piesackten. Tizian hingegen hatte die weltliche Macht hinter sich, die Dogen, die Fürsten, die Könige und Kaiser. Und die verehrten ihn wie einen Gott. Der venezianische Maler hatte ein neues Selbstverständnis geprägt: Er war nicht bloß ein begnadeter Handwerker, sondern eine von der Muse geküsste Künstlerübernatur, die in feinsten Kreisen von Aristokraten, Gelehrten und Literaten verkehrt.
Das verdankte er auch Pietro Aretino, dem Vielschreiber, der Rom wegen des Vorwurfs der Papstlästerung verlassen musste. Seither verband Tizian und Aretino eine enge Freundschaft; der Schriftsteller war für Tizian eine unversiegbare Quelle literarischer und religiöser Anregungen, ein Gesprächspartner, der dem wenig belesenen Maler – dass er überhaupt lesen konnte, wird stark bezweifelt – einen unschätzbaren Wissens- und Bildungsschatz vermittelte. Was noch viel mehr wog: Aretino war Tizians höchst erfolgreicher Berater. Wahre Lobeshymnen verfasste er über ihn: »Er wird von aller Welt geliebt, weil sein Pinsel den Bildnissen Leben einhaucht …«, schrieb Aretino und erreichte damit, dass der Maler in der Stadt stets im Gespräch blieb, auch wenn er einmal mehr auf Tour in Rom, Madrid oder Augsburg war.
Tizian wurde zum Haus- und Hofmaler der Habsburger; Kaiser Karl V., der mächtigste Herrscher unter der Sonne, verehrte seine Kunst so glühend, dass er ihn zum »Ritter vom Goldenen Sporn« schlagen ließ. Auf einem seiner Selbstbildnisse sieht man den Malerfürsten mit herrischem Stolz und Eigensinn als Ausdruck seiner standesbewussten Grandezza.
Tiziano Vecellio wurde wahrscheinlich um 1488 in Pieve di Cadore bei Belluno geboren. Im Alter von neun bis zwölf Jahren gab man das Kind nach Venedig in die Lehre zu den berühmten Mosaizisten-Brüdern Valerio und Francesco Zuccato. Es folgten Lehrjahre bei Gentile Bellini und dessen berühmterem Bruder Giovanni, genannt »Giambellino«, den Tizian alsbald in seiner Vormachtstellung ablösen sollte. Tizian gelang es, sich bei der Signoria, dem Rat der Stadt, einzuschmeicheln; so erhielt er nicht nur den Auftrag für ein Schlachtenbild im Palazzo Ducale 25 ( ▶ F 5), sondern nach »Giambellinos« Tod auch dessen hoch dotiertes Ehrenamt »Makler in der Kaufhalle der Deutschen«, das Tizian ein festes Einkommen garantierte.
TIZIAN »BEERBTE« GIOVANNI BELLINI
Zwar trat er damit in die Fußspuren des verstorbenen Großmeisters der Frührenaissance, doch lieferte er nicht so pünktlich, wie man es vom Vorgänger gewöhnt war: Tizian, der pedantische Langsam-Maler, musste wiederholt ermahnt werden. Seine Fähigkeiten lagen in der Porträtmalerei, den Altarbildern und den mythologischen Leinwand-Allegorien, einem wahren Rausch der Farben.
Leider gibt es nur wenige seiner über 500 überlieferten Bilder in Venedig zu bestaunen, allzu oft war der Künstler unterwegs, um in ganz Europa Aufträge zu ergattern und zu erledigen, so viele wie möglich. Denn obwohl es mit seinen Finanzen zum Besten stand, war er stets von der Sorge getrieben, seine Familie auch ja standesgemäß zu unterhalten.
Die Reisen unternahm er aber auch als Protegé seiner Söhne: Pomponio, dem Geistlichen, verschaffte er Pfründe und klangvolle Titel, Orazio, dem Maler, das Fortbestehen fürstlicher Gönnerschaft und die Fortführung der Marke »Tizian« in der lukrativen väterlichen Werkstatt. Und Lavinia, die einzige Tochter, sollte eine gehörige Aussteuer erhalten; mit 1400 Dukaten sprengte sie den in Patrizierfamilien üblichen Rahmen um ein Mehrfaches. Es gehört zur Tragik im Leben des alternden Malers, dass die geliebte Lavinia während einer Geburt im Kindbett starb, 15 Jahre vor ihrem Vater.
Tizian sicherte sich wie ein Getriebener nach allen Seiten ab. So kaufte er einige Ateliers, in denen er bisweilen gleichzeitig arbeitete. Die Zentrale war das Wohnhaus im Sestiere Cannareggio am Campo di Tiziano ( ▶ F 3), das heute noch zu besichtigen ist. Ein relativ unscheinbares Gebäude, das nicht weiter auffällt in der Nachbarschaft zahlloser historischer Anwesen, an denen unübersehbar der Zahn der Zeit nagt.
Dieses Domizil war einst Treffpunkt von Architekten, Bildhauern, Malerkollegen, Schauspielern und Literaten; Gesandte, Fürsten und Könige wurden empfangen und bewirtet. Möglicherweise hat sich hier folgende Anekdote zugetragen: Kaiser Karl V. soll so von seinem Künstler begeistert gewesen sein, dass Seine Majestät einen Pinsel, der Tizians Hand entglitten war, höchstselbst vom Boden aufhob … Eine Gedenktafel am Haus besagt, dass der Meister hier auch am 27. August 1576 an der Pest verstorben ist.
TIZIAN LIESS MALEN WIE AM FLIESSBAND
In den Werkstätten wurde immer unter Hochdruck gearbeitet, schließlich mussten viele Similes erstellt werden, die Vervielfältigungen Tizians berühmtester Gemälde. Über zehn Werkstattgehilfen waren nichts weiter als der verlängerte Arm des Meisters, weder unterrichtete Tizian sie, noch förderte er sie künstlerisch, wie etwa die Bellinis ihn protegiert hatten. »Hätten seine Schüler ihm nicht so viel Arbeit abgenommen, hätte Tizian nie und nimmer so viele Bilder vollenden können«, hieß es in Venedigs Künstlerkreisen. Eine Meinung, die nicht nur auf Eifersucht beruhte.
Tizians Weltruhm als erfolgreichster Maler Venedigs geht nicht zuletzt auf seine »Assunta« von 1516 zurück, seine »Himmelfahrt Mariä« für die Kirche Santa Maria Gloriosa dei Frari 41 ( ▶ C 4), mit dem berühmten Tizian-Rot. Die »Pesaro-Madonna« war ebenfalls für dieses Gotteshaus bestimmt. Bei ihr wagte es Tizian, die Gottesmutter gegen bisherige Konventionen aus der Mittelachse an die Seite zu rücken. Auch eine monumentale »Pietà« sollte hier ursprünglich ihren Platz finden, Tizians letztes Werk; sie sollte seine Grabstätte zieren, stattdessen landete sie am Ende in den Räumen der Accademia 11 ( ▶ C 6). Nach Tizians Pesttod wurde sein Leichnam, der ursprünglich in seinem Heimatort beigesetzt werden sollte, in Santa Maria Gloriosa dei Frari bestattet. Auf seinem Grab liegen häufig Rosen unbekannter Kunstfreunde.
In die Accademia 11 ( ▶ C 6) gelangten weitere bedeutende Tizian-Bilder, häufig direkt neben die Kunstwerke des aufsteigenden neuen Sterns, Jacopo Robusti Tintoretto, »Färberlein«, wurde er genannt, weil sein Vater Seidenfärber war und er selbst von ziemlich mickrigem Körperwuchs.
Spätestens seit Tintorettos Sensationserfolg, dem kühnen »Markuswunder« für die Scuola Grande di San Marco ( ▶ F 3), das heute in der Accademia hängt, machte Tizian keinen Hehl daraus, dass er den drei Jahrzehnte jüngeren Kollegen nicht mochte, obwohl Tintoretto doch bei ihm gelernt hatte. Tizians Aversion gegen Tintoretto lag an dessen neuer expressiver Kunstauffassung, an seinem bildlichen Esprit und perspektivisch riskanten »Leiberknäueln«, die bereits auf den Barock hindeuteten.
TINTORETTO UNTERBOT TIZIANS PREISE
Und wirtschaftlich war ihm die aggressive Preispolitik zuwider, die der finanziell meist klamme Tintoretto betrieb, um sich gegen Tizians erdrückende Kunst durchzusetzen. Der Schnellmaler unterbot gern seine Mitstreiter, wenn es um Aufträge ging. In der Scuola Grande di San Rocco ( ▶ C 4), eine der vielen Laienbruderschaften der Stadt, verzichtete er darauf, wie die anderen Bewerber einen Entwurf vorzulegen. Tintoretto schuf gleich das fertige Gemälde, die »Apotheose des Heiligen Rochus«, und ließ es in einer Nacht- und Nebelaktion an der Decke anbringen. Die Bruderschaft zeigte sich schwer beeindruckt, natürlich bekam Tintoretto den Auftrag, nun auch die ganze Scuola mit Bildern auszustatten.
Etliche Kritiker warfen dem »Färberlein« Fahrlässigkeit im Pinselstrich vor, »Geschmiere von schneller Hand«. Dennoch gelang Tintoretto eine einzigartige Bildersprache. Seine spannungsvollen Helldunkelkontraste sind nicht nur in der Rocco-Schule, seiner wichtigsten Wirkungsstätte, zu bewundern, sondern auch im Dogenpalast 25 ( ▶ F 5), wo sein »Paradiso«, das größte Ölbild auf Leinwand (22 m x 7 m), ausgestellt ist.
Er war geradezu süchtig nach Anerkennung und Lob. Der Maler Paolo Pino hat in seinem »Dialogo di pittura« über Tintoretto geschrieben: »Wenn Tizian und Michelangelo ein einziger Körper wären, oder wenn die Zeichnung Michelangelos die Farben Tizians hätten, könnte man ihn als Gott der Malerei bezeichnen.« Dieses Zitat stand als Devise über Tintorettos Ateliertür, für manche Venezianer ein Zeichen des Größenwahns.
Der Künstler schien von dem Wunsch getrieben zu sein, mit seiner Kunst sämtliche Wände Venedigs, die nicht von Tizian belegt waren, zu bedecken; er arbeitete wie ein Besessener. Doch seine acht Kinder, von denen drei in der Werkstatt mithelfen mussten, konnte er nur mehr schlecht als recht ernähren. Als er am 31. Mai 1594 starb, hinterließ Tintoretto so viele Schulden, dass sich seine Witwe Faustina di Episcopi gezwungen sah, eine armselige Leibrente von acht Dukaten bei der Stadt zu erstreiten.
Begraben wurde er in der Familiengruft der Episcopi in der Madonna dell’ Orto ( ▶ D 1), seiner Lieblingskirche, die er zu Lebzeiten von seinem Atelier aus sehen konnte.
Campo di Tiziano, Cannaregio
▶ Vaporetto: Fondamenta Nuove
GALLERIE DELL’ ACCADEMIA 11 ▶ C 6
Campo della Carità, Dorsoduro
▶ Vaporetto: Accademia
SANTA MARIA GLORIOSA DEI FRARI 41 ▶ C 4
Campo dei Frari, San Polo
▶ Vaporetto: San Tomà