Читать книгу Venedig. Eine Stadt in Biographien - Susanne Wess - Страница 9
ОглавлениеGIOVANNI BELLINI
1430–1516
Vater und Bruder waren große Maler, sein Schwager ebenfalls. Aus dieser Familie stammt das Genie der Frührenaissance – der Doyen der venezianischen Künstler. Sogar ein Drink wurde nach ihm benannt.
Santi Giovanni e Paolo 43 ( ▶ F 3) gilt als schönster Sakralbau der venezianischen Gotik. In der Wertschätzung der Venezianer nimmt »Zanipolo«, wie sie die Kirche nennen, seit Jahrhunderten den ersten Platz ein. Die bedeutendsten Söhne der Republik fanden hier ihre letzte Ruhestätte, 27 Dogen und einige Künstler. Die Bellinis sind hier bestattet: Vater Jacopo und seine beiden Söhne Gentile und Giovanni Bellini. Letzterer gilt als der Erste einer unglaublichen Reihe venezianischer Maler.
Es herrschte – sonst unter Künstlern meist unüblich – große Harmonie im Hause Bellini. Giovannis Verhältnis zum Vater wie auch zum Malerbruder war innig und herzlich. »Obschon jeder der Brüder für sich wohnte und schaffte, hegten beide die größte Achtung voreinander … sie priesen sich gegenseitig«, berichtet Giorgio Vasari, ein zeitgenössischer Biograf. »Sobald die Knaben etwas heranwuchsen, unterrichtete Jacopo sie mit großem Fleiß in den Grundbegriffen seiner Kunst. Bald übertrafen sie darin ihren Vater, was ihm große Freude machte.«
Jacopo war also stolz auf die beiden Sprösslinge. Jeder hatte auf seine Weise das Talent des Vaters geerbt; auch sie strebten an, sich von Strenge und Statik der Spätgotik zu befreien. Mit seiner zaghaften Hinwendung zur Natur betrat Jacopo die Schwelle zur Frührenaissance, die Söhne überschritten sie. Der Hauptteil von Jacopos Gemälden ist verloren. In Venedig gibt es gar nur eine »Kreuzigung Christi« im Museo Correr 22 ( ▶ E 5). Da ist es ein besonderer Glücksfall, dass ausgerechnet von ihm zwei »Libri di disegni« erhalten sind.
Jacopos direktes Erbe trat Sohn Gentile an, der die väterliche Werkstatt übernahm. Damit stellte er seine Künste in den Dienst der Stadtobrigkeit und wurde zum zuverlässigen Chronisten, zum Staatsmaler der Republik. Ihm ist die »Prozession auf dem Markusplatz« zu verdanken, die älteste Darstellung der Piazza San Marco 28 ( ▶ E 5), das genaueste Dokument ihres Aussehens um 1496. Zum selben Zyklus zählt »Bergung der Kreuzreliquie an der Brücke von San Lorenzo«, ausgestellt in den Gallerie dell’ Accademia 11 ( ▶ C 6), bei dem auch Vittore Carpaccio, Gentiles Kollege, mitgewirkt hat.
Dass auch die Porträtmalerei Gentiles Ruhm mehrte, zeigt das Bildnis des Dogen Giovanni Mocenigo im Museo Correr 22 ( ▶ E 5). Es heißt, Sultan Mohammed II. wurde dadurch auf ihn aufmerksam und habe ihn nach Konstantinopel berufen. Fühlte sich der begabtere Giovanni übergangen, als man statt seiner den Bruder als besten Porträtisten in den Topkapi-Serail schickte? Oder war es vielleicht doch das Gegenteil – jedenfalls soll sich Giovanni Bellini freudig die Hände gerieben haben, weil er so an Gentiles prestigeträchtigen Auftrag kam, die Sala del Maggior Consiglio im Dogenpalast 25 ( ▶ F 5) auszugestalten.
Laut Giorgio Vasari wollte der Senat nicht auf Giovannis Künste verzichten, deshalb »beschlossen sie, seinen Bruder Gentile hinzuschicken, der ja dasselbe zu leisten vermochte«. Was immer der Wahrheit entspricht, der Sultan war so glücklich mit Gentile, dass er ihn fast nicht mehr gehen lassen wollte. Doch selbst Mohammed II. konnte das islamische Bilderverbot auf Dauer nicht ignorieren, und so kehrte Gentile zwei Jahre später in die Heimat zurück, »wo er nicht nur von seinem Bruder, sondern sozusagen von der ganzen Stadt mit Jubel empfangen wurde«, so Vasari.
Inzwischen war Giovanni Bellini, den jetzt alle Welt »Giambellino« nannte, zum gefragten Maler avanciert. Der Senat hatte dafür gesorgt, dass er seine Begabung ausschließlich in den Dienst der Ratsversammlung »Signoria« stellte und sich allmorgendlich zum Dogenpalast begab, wo er den ganzen Tag im Ratssaal beschäftigt war. Dort ersetzte er die alten Fresken mit neuen Bildern auf Leinwand. Leider ist nichts davon erhalten; sämtliche Werke wurden beim großen Brand von 1577 ein Raub der Flammen.
DER MEISTER MALTE, WAS ER WOLLTE
Dass Giovanni Bellinis äußere Unabhängigkeit auch einer inneren entsprach, bezeugt seine Verhandlungstaktik mit Isabella d’ Este, Tochter des Herzog von Ferrara und eine Enkelin des Königs von Neapel. Die großzügige Mäzenin und leidenschaftliche Kunstsammlerin wollte für ihr Kunstkabinett, ein Studiolo in Mantua, auch ein Bild von »Giambellino«. Die Markgräfin verstand dieses Studiolo im Castel San Giorgio auch als eine Art Turnierplatz, auf dem führende Maler gegeneinander antraten. Giovanni Bellini hatte nichts dagegen, sich dieser Herausforderung zu stellen, dennoch hielt er seine Zusagen nicht ein. Er wollte sich von Isabella kein Bildprogramm aufdrängen lassen, dem er sich unterzuordnen hatte. Als er sich später nach neuerlicher Kontaktaufnahme noch immer spröde zeigte, riet Isabellas Kunstagent: »Lassen Sie ihm die Freiheit, zu malen, was ihm gefällt.« Tatsächlich gab Isabella nun klein bei, allerdings nur, solange Bellini etwas Antikes male: etwas »von schöner Bedeutung«, »bello significato«. Doch der Venezianer sperrte sich weiterhin. Er sei gewohnt, »di vagare nella pittura«, »sich frei in der Malerei zu bewegen«, schreibt Italiens großer Humanist Pietro Bembo, und so verlor die kunstsinnige Gönnerin über »so viel Schurkerei« schließlich die Geduld.
BELLINI WOLLTE KEINE HEIDENBILDER MALEN
Sehr viel weniger zierte sich Andrea Mantegna, Giovanni Bellinis künstlerisches Vorbild, der Ehemann seine Schwester Nicolosia. Er lieferte dem Studiolo der Adligen gleich drei seiner Meisterwerke. Der gottesfürchtige Bellini, ein »frumer man«, wie ihn Albrecht Dürer nannte, hielt lieber an den christlichen Themen fest, statt der heidnischen Götterschar zu frönen. Dreimal mehr Madonnenbildnissen hat er gemalt als Raffael, der Liebfrauen-Spezialist. In der Accademia 11 ( ▶ C 6) hängen mehrere von Bellinis »Sacra Conversazione«: die Madonna im Kreise von Heiligen.
Höhepunkt aber bildet die Gottesmutter in der San Zaccaria 40 ( ▶ F 5). Das Spätwerk von 1505, ein Juwel der Frührenaissance, macht deutlich, wie weit Bellini im fortgeschrittenen Alter von 76 Jahren die Einbeziehung der Landschaft fortentwickelt hatte: Die Madonna thront in einer Kapelle, die an den Seiten den Blick in die offene Natur freigibt.
Im Jahr 1506 traf es sich, dass Dürer in der Stadt weilte. Er zählte zu Bellinis glühendsten Verehrern, was offensichtlich auf Gegenseitigkeit beruhte. Nachdem Bellini seinen 40 Jahre jüngeren Kollegen aus Nürnberg als Einziger in Venedig gegen dessen Gegner in Schutz genommen hatte, schrieb Dürer mit stolzgeschwellter Brust in die Heimat: »…Giam Bellin, der hat mich vor vielen Edelleuten gar sehr gelobt. Er wollte gern etwas von mir haben …, er wolle gut bezahlen. Er ist sehr alt und immer noch der beste in der Malerei.«
Regelrecht gebannt war Dürer vor allem vom Bellini-Altar in der Sakristei-Apsis der Franziskanerkirche Santa Maria Gloriosa dei Frari 41 ( ▶ C 4), den die Adelssippe der Pesaro 1488 in Auftrag gegeben hatte. Die meditative Ausstrahlung der Heiligenfiguren regte Dürer so intensiv an, dass seine »Vier Apostel« fast 40 Jahre später zum Bildzitat gerieten.
Wo viel Licht, da auch viel Schatten. Das bekam ein anderer bedeutender Meister der Frührenaissance zu spüren: Vittore Carpaccio (um 1460–1526). Sein Malstil wurde am nachhaltigsten von Gentile Bellini beeinflusst. Mit ihm arbeitete er an einem gemeinsamen Projekt, dem Kreuzreliquien-Zyklus, den die Scuola Grande di San Giovanni Evangelista ( ▶ C 4) in Auftrag gegeben hatte, eine der über 40 karitativen Bruderschaften der Stadt. Bei der »Heilung eines Besessenen« in den Gallerie dell’Accademia 11 ( ▶ C 6), Carpaccios Beitrag zum Zyklus, spielt das Geschehen selbst nur eine untergeordnete Rolle. Wichtiger scheint die Holzbrücke im Bildmittelpunkt: Es ist die detaillierte Darstellung des Vorgängerbaus der berühmten Rialtobrücke ( ▶ E 4) aus Stein.
BELLINI & CARPACCIO – ZWEI HOCHGENÜSSE …
Wichtigste Zeugnisse von Carpaccios Fähigkeiten sind jene Aufträge, die er allein ausführte. Dazu zählt der in der Scuola di San Giorgio degli Schiavoni ( ▶ G 4) verbliebene Gemäldezyklus, der die Lebensstationen von Sankt Georg, Tryphon und Hieronymus, den drei Schutzheiligen der Bruderschaft, zeigt. Mit seiner Lust am bildlichen Fabulieren geht Carpaccio auch auf nebensächlichste Kleinigkeiten ein. Besonders deutlich zeigt dies der »Hieronymus im Gehäuse«. Um den Kirchenvater sind die verschiedenen Attribute seiner Gelehrsamkeit verstreut: Lesepult, Bücher, Noten, astrologische Gerätschaften, daneben ein kleines Hündchen, das ihm beim Studieren zusieht. Gleichermaßen beeindruckend ist die Gemäldeserie, die Carpaccio zu einem Platz neben Giovanni Bellini im Parnass der großen Maler verhalf: der Zyklus über das Leben der Heiligen Ursula, heute in der Accademia zu sehen.
So großartig Carpaccios Schaffen auch war, seine Ära ging in großen Schritten seinem Ende zu. Längst saß eine neue Malergarde in den Startlöchern, die mit innovativen Ideen aufwarteten, allen voran Tizian und Giorgione, die Giovanni Bellini, ihren wichtigsten Lehrer, schon Jahre vor dessen Tod – er starb hoch geehrt 1516 im Alter von 86 Jahren – vom Künstlerthron gestoßen hatten. Doch welch schönere Belohnung für sein Lebenswerk kann es geben, als durch Weltliteratur die Unsterblichkeit zu erlangen! »Giambellino« Giovanni Bellini ist diese Ehre zuteil geworden: Ludovigo Ariost, der große Dichterfürst der Renaissance, zählte ihn in seinem Jahrhundertepos »Der rasende Roland« zu den bedeutendsten Malern der Zeit.
Oder ist es vielmehr der »Bellini«-Cocktail aus Harry’s Bar 14 ( ▶ E 5), Prosecco mit weißem Pfirsichmark, der den größten Meister der Frührenaissance unvergessen macht? Dann aber könnte ihn Carpaccio am Ende doch noch übertrumpfen: Wer kennt es nicht, das nach ihm benannte, hauchdünn geschnittene Rinderfilet, das ebenfalls in Venedig kreiert wurde …
GALLERIE DELL’ ACCADEMIA 11 ▶ C 6
Campo della Carità, Dorsoduro
▶ Vaporetto: Accademia
Piazzetta San Marco, San Marco
▶ Vaporetto: San Marco
Campo San Zaccaria, Castello
▶ Vaporetto: San Zaccaria
SANTA MARIA GLORIOSA DEI FRARI 41 ▶ C 4
Campo dei Frari, San Polo
▶ Vaporetto: San Tomà