Читать книгу Blütenpracht und schlaue Hühner - Susanne Wiborg - Страница 8
ОглавлениеEs werde Licht
Mit dem letzten Winter kam das Wunder, auf das ich längst nicht mehr zu hoffen gewagt hatte: Die finstere Nadelreihe an meiner Gartengrenze fiel. Es war ein Dutzend riesiger, düsterer Fichten und Douglasien, in den sechziger Jahren gepflanzt als Mitkämpfer in einem Nachbarschaftsstreit, inzwischen das deprimierendste Handicap meines kleinen Gartens: eine schwarze Mauer über die gesamte Südseite, noch weit ausladend nach Ost und West, von August bis April jedes bisschen Licht verschluckend. Tendenz buchstäblich steigend, und entsprechend unerbittlich fraß die von Jahr zu Jahr vorrückende Düsternis den Garten. Vorhersehbare Tode: Meine älteren, inzwischen viel niedrigeren Obstbäume kümmerten nur noch, die meisten Strauchrosen starben nach langem Siechtum, was blieb, kränkelte mürrisch dahin. Selbst Schattenpflanzen sind in so einer Lage keine Option mehr. Mir ist jedenfalls keine begegnet, die unter einem dicken, alljährlich weiter herabregnenden Nadelteppich auch nur halbwegs gedeiht. Hätte mir früher jemand gesagt, dass es Bäume gibt, die ich regelrecht hassen würde, hätte ich sehr gelacht – aber genauso war es, zumal immer dieser bittere Frust dazukam: Mein Garten wurde mir einfach weggenommen – und ich konnte nichts dagegen tun.
Und dann passierte es doch noch: die Horrorbotanik fiel. Wie ist das, wenn ein Wunder geschieht? Unbeschreiblich, also halten wir uns an die Fakten: Es war ein schmuddeliger Tag früh im Jahr, als es hier plötzlich hell wurde. Der Himmel kam wieder in Sicht, es wurde buchstäblich Licht, und es wurde mit jedem fallenden Baum lichter. Einer der größten Tage meines Gartens – und wer hätte je gedacht, dass der ausgerechnet in den Februar fällt? Ich brauchte lange, um mein Glück zu fassen, und dem Garten schien es ganz ähnlich zu gehen: Es sah aus, als blinzelten die kahlen Obstbäume unter der ungewohnten Helligkeit. Wenn das schon im Winter so überwältigend war, wie strahlend würde wohl erst der Frühling ausfallen …? Prompt erwischte mich, was in dieser Lage wohl jeden Gärtner erwischt hätte: der dringende Impuls, zum Saisonstart eine botanische Großbestellung aufgeben – nun, wo ich doch endlich wieder einen Garten hatte! Allerdings: Es war einer, den ich so überhaupt noch nicht kannte und der jetzt sozusagen falsch herum lag. Die überlebenden Schattenpflanzen hatten nun die offene Südseite, die, die ich auf die letzten Lichtflecken in Ost und West umgesiedelt hatte, drängten sich plötzlich an den dunkelsten Stellen. Der Kompost lag mitten in der Sonne, das Gewächshaus im Apfelbaumschatten, der bisher der lichteste Fleck auf dem Grundstück gewesen war. Und wie alles aussehen, wie Licht und Schatten fallen würden, sobald die Obstbäume austrieben, konnte ich zunächst nur ahnen. So verschob ich den grünen Konsumrausch aus schließlich schierer Neugier: Bevor ich umzubauen begann, wollte ich einfach sehen, was passieren würde, wenn im Revier buchstäblich die Sonne aufging, wenn die Letzten plötzlich die Ersten waren.
Was dann geschah? So etwas wie das nächste Wunder: Alles startete durch, als gelte es, die verlorenen Jahre in einer Saison aufzuholen. Das erste Mal seit langer Zeit konnte ich mir wieder Tomatentöpfe auf die Südterrasse stellen, die sogar trotz eines nassen Sommers Früchte trugen. Die letzten Rosen blühten wie nie zuvor, und statt verpilzt zu schmollen, präsentierte der Weißwein an der Hauswand dicke süße Trauben. Mein kleiner Quittenbaum brachte nach acht Jahren Schattendasein die ersten samtigen Früchte. Die Hühner, ebenfalls jäh mit einem sonnigen Revier beglückt, besannen sich darauf, dass die Legeleistung von der Lichtintensität abhängt, und schütteten uns mit Eiern regelrecht zu. Sogar die Totgeglaubten kehrten zurück: Das arme Birnbäumchen, lange ein Muster für tapferen Überlebenswillen unter widrigsten Umständen, hatte den ungleichen Kampf aufgegeben, als der Nadelüberhang es regelrecht krummschubste. Seine Krone war bis auf zwei Rest äste abgestorben. Und jetzt, ganz unerwartet, hatte der jämmerliche Underdog in letzter Sekunde doch noch über die brutale Übermacht triumphiert. Seine beiden Äste badeten förmlich frei im Frühlingslicht, blühten duftig und trugen im Herbst sogar stolze drei Birnen. Der mickrige Stamm trieb kräftig neu aus, und so gibt es jetzt die begründete Hoffnung, dass das Bäumchen es mit der Zeit sogar schaffen könnte, noch einmal eine neue Krone aufzubauen.
Genau das ist das Tolle an diesem Privatwunder im Hinterhof: Träumen ist wieder erlaubt. Natürlich können viele dieser Blütenträume auf dem begrenzten Raum nicht reifen, aber es gibt endlich wieder Möglichkeiten, so, als hätte ich einen ganz neuen Garten geschenkt bekommen. Ich kann den Winter wieder mit vergnüglichem Plänemachen verbringen, und trotz aller Zurückhaltung: Zwei neue Rambler sind natürlich längst da und haben auch schon gut durchgetrieben. Wenn sie jetzt auch noch den Winter überleben, wäre das ein rundum perfekter Start in die neue Saison – mit einem Garten, der das Wichtigste endlich zurückbekommen hat: das grüne Prinzip Hoffnung.