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EINLEITUNG

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Mein erster Kontakt mit Susanne Wiesinger war im Februar 2018, telefonisch. Wir recherchierten für die Plattform Addendum zum Thema islamische Kindergärten, als wir den Hinweis bekamen, dass sich eine Lehrerin große Sorgen über den zunehmenden Einfluss des Islam an Wiener Schulen machte. Obwohl wir zu diesem Zeitpunkt primär den vorschulischen Bereich im Blick hatten, wollte ich mich mit Susanne Wiesinger unbedingt austauschen.

Bei unserem ersten Telefonat war sofort zu spüren, dass sie ihre Geschichte schon sehr lange mit sich herumtrug. Sie musste nicht nach Worten suchen. In Gedanken hatte sie alle Ereignisse und Entwicklungen, die sie beunruhigten, schon lange vorher beschrieben. Im Gespräch kamen sie alle nacheinander an die Oberfläche.

Sie erzählte mir in einer Mischung aus emotionaler Betroffenheit und sachlicher Analyse von Vorfällen mit muslimischen Schülern und der Machtlosigkeit der Lehrer im Umgang mit dem Islam. Vorsichtig und zurückhaltend, geradezu abtastend. Noch wusste sie nicht, ob sie mir trauen wollte oder konnte. Für sie stand viel auf dem Spiel. Nie zuvor hatte eine sozialdemokratische Lehrergewerkschafterin und langjährige Personalvertreterin die Probleme mit dem Islam in der Schule öffentlich ausgesprochen. Diese Vorsicht sollte uns in all unseren Gesprächen, die wir bis zur Veröffentlichung dieses Buches führten, begleiten. Bedenken hatte sie immer. Doch ihre Entscheidung stand fest: Sie konnte und wollte nicht mehr schweigen.

Ich wollte unbedingt mehr über Susanne Wiesinger und ihre Geschichte erfahren. Als TV-Journalist dachte ich sofort daran, ihre Erfahrungen filmisch festzuhalten. Wir einigten uns – nach vielen Anläufen – darauf, unseren Austausch in den nächsten Tagen vor der Kamera fortzusetzen. Voraussetzung war meine Zusicherung, nichts ohne ihre Zustimmung zu veröffentlichen. Diese Vereinbarung legte den Grundstein für unsere Zusammenarbeit. Sie gilt bis heute. Es war von Anfang an klar, dass Susanne Wiesinger die Deutungshoheit über ihre Geschichte behalten sollte. Ich half ihr lediglich, diese zu erzählen. Sie bestimmte stets den Zeitpunkt, den Inhalt und die Art und Weise der Veröffentlichung.

Unser erstes Interview dauerte fast fünf Stunden und wurde immer intensiver. Ich brauchte am Ende kaum noch Fragen stellen. Es war, als redete sie sich die Erfahrungen der letzten Jahre von der Seele, als durchlebte sie die jeweilige Situation noch einmal. Susanne Wiesingers Worte ließen mich schockiert zurück. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass diese Probleme so viele Jahre lang einfach ignoriert worden waren.

Dass ihre Geschichte, die wir in mehreren Video-Interviews auf der Rechercheplattform addendum.org veröffentlichten, für Aufsehen sorgen würde, hatte ich vermutet. Dass sie international diskutiert und in Österreich eine so intensive Debatte über die Rolle des Islam im Klassenzimmer auslösen würde, hätte ich nicht geglaubt. Doch Susanne Wiesinger traf mit ihren ehrlichen Worten den Nerv der Zeit. Die Kritik aus der roten Lehrergewerkschaft und dem Stadtschulrat war entsprechend heftig. Gerechnet hatte Susanne Wiesinger damit, aber wohl nicht in dieser Art und Weise, schließlich hatte sie viele Jahre mit den Kollegen eng zusammengearbeitet und ihre Gedanken regelmäßig in Sitzungen und Gesprächen geäußert. Dass dies dort ignoriert oder verharmlost wurde, gab letztendlich den Ausschlag für den Schritt an die Öffentlichkeit.

Der Preis, den sie für diesen Schritt zahlt, ist hoch. Bis heute. Besonders auch im privaten Umfeld. Viele ihrer Bekannten, meist bürgerliche Linke, verstehen nicht, warum sie diese Kritik äußert. Linke Kreise werfen ihr vor, rechts und islamophob zu sein. Man meidet sie und möchte nicht einmal mehr über die unterschiedlichen Standpunkte diskutieren. Sie würde zu sehr polarisieren. Ihre früheren Gewerkschaftskollegen haben den Kontakt zu ihr abgebrochen. Wenn es dann doch einmal zu einem Gespräch kommt, dann nur, um ihr mitzuteilen, sie solle sich nicht weiter zu Gewerkschaftsthemen oder dem Islam in der Schule äußern. Sie möge endlich still sein. Sie merke nicht, dass sie von Addendum manipuliert, instrumentalisiert und ausgenutzt werde.

Susanne Wiesinger ist überzeugt: Nur wenn wir die Probleme und Herausforderungen mit muslimischen Schülern anerkennen, können wir zu konstruktiven Lösungen kommen. Dass sie mit ihrer Wahrnehmung nicht allein ist, habe ich in den vielen Gesprächen mit anderen Lehrern erfahren. Viele bestätigten die angesprochenen Probleme im Klassenzimmer. Im Unterschied zu Susanne Wiesinger scheuen sie davor zurück, öffentlich zu sagen, was ist.

Dass ihr Vorstoß für sie persönlich Nachteile hat, ist ihr bewusst. Trotzdem steht sie zu allen ihren Aussagen. Seit wir einander kennen, hat sie nie etwas zurückgenommen, obwohl der moralistische Druck, der in den vergangenen Monaten auf sie ausgeübt worden ist, enorm war. Ihr Arbeitgeber, der Stadtschulrat, beobachtet jeden ihrer Schritte genau. Der Schutz der Lehrergewerkschaft ist weg. Es ist, als ob alle nur darauf warten würden, dass sie einen (dienstrechtlichen) Fehler macht.

Als Gewerkschafterin und Sozialdemokratin, so der Konsens, dürfe man über die Probleme mit muslimischen Schülern nicht so offen sprechen. Und wenn, dann auf keinen Fall mit einem Medium wie Addendum. Denn dieses werde von einem Milliardär finanziert, der, so der Vorwurf, nur das „rote“ Wien und die Gewerkschaft zerstören wolle. Man dürfe ihm und seinen Medien nicht trauen. Susanne Wiesinger tat – und tut – es trotz aller Warnungen dennoch.

Entstanden ist daraus schließlich dieses Buch. Es ist ihre ganz persönliche Geschichte, ihr Erfahrungsbericht aus über einem Vierteljahrhundert als Lehrerin und Gewerkschaftsfunktionärin und zuletzt als Personalvertreterin.

Das mediale Rampenlicht hat sie nie gesucht. Am liebsten wäre ihr gewesen, man hätte die Probleme mit dem Islam schulintern in den Griff bekommen. Auch wenn ihre Kritiker sich nicht davon abhalten lassen werden, weiter überwiegend über die Person Susanne Wiesinger zu diskutieren, wären wir als Gesellschaft gut beraten, den Blick in die zahlreichen Klassenzimmer unserer Brennpunktschulen zu richten. Denn dort entscheidet sich die Zukunft tausender muslimischer Schüler in Österreich. Wir sollten sie – und die anderen Lehrer – nicht noch länger enttäuschen.

Jan Thies, Wien, August 2018

Kulturkampf im Klassenzimmer

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