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Kapitel IV

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Als ich gegen halb sechs aufwachte war die andere Hälfte des Bettes schon wieder leer. Ich bemerkte, dass mein Telefon klingelte, was wohl auch der Grund dafür war, weshalb ich schon aufgewacht war und ging ran.

>> Ja?<<

>> Sarah?<<

>> Ja, wer spricht denn da?<<

>> Hier ist Sebastian... Dein Bruder.<<

Sofort war ich hellwach, da er mich sonst nie anrief, es sei denn es war ein Feiertag, aber das war heute nicht der Fall. Zudem verursachten seine Stimmlage und sein Tonfall augenblicklich Magenkrämpfe bei mir und ließen mich erahnen, dass etwas Schlimmes passiert war. Schnell sprang ich aus dem Bett und zog mir meinen Morgenmantel über.

>> Was ist los, du klingst bedrückt.<<

>> Setz dich bitte erst hin.<<

>> Ich sitze Sebastian, also was ist los, ist es was wegen Mutter? Hat sie sich endlich zu Tode gesoffen?<<

>> Nein, nicht Mutter. Es geht um Sascha.<<

Sofort gefror das Blut in mir und ich konnte im Spiegel sehen, wie ich auf einmal kreidebleich wurde. Mein Herz schlug plötzlich rasend schnell und ich hatte das Gefühl mich übergeben zu müssen.

>> Nein!<<

>> Es tut mir so Leid Sarah!<<

>> Was... Was ist passiert?<< stammelte ich, wobei ich froh war, noch einen ganzen Satz herausbekommen zu haben.

>> Er ist bei der Arbeit von einem Gerüst gefallen. Etwa sechs Meter in die Tiefe und wurde dabei von ein paar Eisenstangen aufgespießt. Sie operieren ihn gerade, aber es sieht nicht gut aus.<<

>> Wie konnte das passieren?<<

>> Keine Ahnung.<<

>> Ich komme mit dem nächsten Flieger.<<

>> Sarah, dass musst du nicht, ich wollte dir nur Bescheid sagen.<<

>> Doch ich muss! Sebastian es ist Sascha der da verletzt ist und nicht irgendein alter Bekannter. Schick mir die Adresse des Krankenhauses in einer Nachricht.<<

>> Mache ich. Melde dich, wenn du unterwegs bist.<<

Ich legte auf und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Mein geliebter Bruder, der immer für mich da gewesen war, der mir das Leben gerettet hatte, war im Krankenhaus und würde es vielleicht nicht schaffen und ich war etliche Stunden und tausende Kilometer von ihm entfernt.

So schnell ich konnte, rannte ich ins Arbeitszimmer von Ethan, um mir online ein Ticket für den nächsten Flug nach Deutschland zu sichern. Als ich hereinkam, saß er jedoch gerade vor seinem Laptop und sah mich erschrocken an.

>> Sarah, oh Gott, was ist los?<<

>> Ich brauche dringend deinen Laptop.<< schniefte ich, setzte mich auf seinen Schoß und öffnete im nächsten Moment auch schon die passende Seite auf der ich nach einem geeigneten Flug suchte.

>> Was wird das? Wo willst du hin?<<

>> Ich muss nach Hamburg.<<

>> Jetzt?<<

>> Am besten gestern.<<

>> Sag mir was los ist!<<

>> Mein Bruder rief grad an. Sascha ist bei der Arbeit aus sechs Metern heruntergefallen und wurde dabei von ein paar Eisenstangen durchbohrt und jetzt wird er gerade operiert. Sie wissen nicht, ob er es überlebt.<<

Der nächste Flug, den ich sah, würde erst am Abend gehen und 32 Stunden dauern. Das bedeutete, dass ich viel zu viel Zeit verschwendete. Ich wollte gerade die nächste Seite öffnen, als Ethan meine Hände von seinem Laptop wegnahm.

>> Lass mich, ich muss dringend einen Flug buchen, ich muss für ihn da sein.<<

>> Sarah, beruhige dich erst mal.<<

>> Nein!<<

Ich schrie ihn an und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, doch er war zu stark. Nach etlichen Versuchen, sackte ich auf ihm zusammen und heulte hemmungslos. Ich musste erbärmlich aussehen, so wie ich heulte und schluchzte, doch immerhin ging es um meinen Bruder, der in Lebensgefahr war.

>> Du kannst mein Flugzeug nehmen. Ich habe zwei. Ich rufe am Flughafen an, dann fliegen sie mit dir nach Hamburg. Pack deine Sachen.<<

Ich schaute ihn entgeistert an, als er mich auch schon in Richtung der Tür bewegte und erneut zum Packen aufforderte.

Ich zog mich schnell an, wobei mir einfiel, dass es in Hamburg um diese Jahreszeit eiskalt war. Ich brauchte dringend noch einen Mantel, weshalb ich Ethans Schränke durchwühlte, wo jedoch auch nichts zu finden war, da es in Australien nie so kalt wurde. Nebenbei packte ich noch ein Shirt von ihm ein, damit ich etwas hatte, das nach ihm roch und mich an ihn erinnerte. Als ich schließlich alles eingepackt und mich wieder ein wenig beruhigt hatte, ging ich in die Küche, wo Ethan gerade einen Anruf beendete.

>> Das Flugzeug steht bereit. Scott bringt dich hin. Er steht schon unten und wartet auf dich.<<

>> Danke Ethan. Du hast wirklich was gut bei mir.<<

Ich küsste ihn noch mal voller Liebe, weil ich nicht wusste, wann wir uns wiedersahen. Es konnten fünf Tage sein, es konnten jedoch auch zwei Wochen werden.

>> Pass bitte auf dich auf, Sarah. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass du alleine dahin reist.<<

>> Ich passe auf mich auf und du kümmerst dich um Shanghai. Ich melde mich bei dir.<<

>> Ich liebe dich cherié.<<

>> Ich dich auch.<<

Mit diesen Worten flitzte ich zum Aufzug und fuhr in die Tiefgarage, wo ich sofort ins Auto einstieg und mit Scott zum Flughafen fuhr. Während der Fahrt rief ich auf der Arbeit an und cancelte alle Termine für diese Woche. Anschließend meldete ich mich bei Julian, damit er wusste, dass ich erst einmal nicht in Australien war und er sich allein um die Kinder kümmern musste, falls irgendwas passieren sollte. Jacob hinterließ ich eine Nachricht auf der Mailbox, da er wahrscheinlich noch schlief. Wenig später waren wir auch schon da, sodass ich schnell zum Flugzeug rannte. Ich wollte keine Zeit verlieren und stand so unter Strom, dass ich keine Zeit zum Nachdenken hatte.

>> Guten Morgen Ms della Rossa. Ich bin Jeanine, ihre heutige Flugbegleitung.<<

Ich begrüßte sie freundlich, ebenso wie den Piloten Daniel und seinen Copiloten Cliff. Als ich mich umdrehte und den Jet betrachtete, hatte ich das Gefühl in einem Film zu sein. Das Innere des Jets war in warmen Tönen gehalten und sehr luxuriös eingerichtet. Der Teppich war in einem hellen beige gehalten und hatte keinen einzigen Fleck, was mich ziemlich beeindruckte, wenn man manche Unwetter beachtete und wie oft dabei Getränke verschüttet wurden. Die Wände waren im gleichen Ton, wenn auch ein wenig heller, ebenso wie die großen Sessel, die fast schon wie Massagesessel wirkten.

Zwischen den zwei gegenüberliegenden Sesseln stand ein großer lackierter Tisch aus Nussbaum, der durch einen Blumenstrauß aufgepeppt wurde. Neben den Sesseln stand eine lange integrierte Kommode, worüber ein großer Flat Screen eingearbeitet war. Ich setzte mich zunächst auf einen Sessel und schnallte mich an, damit wir losfliegen konnten. Wenige Minuten später hob die Maschine auch schon ab und wir flogen in Richtung Norden.

>> Sie können sich jetzt abschnallen Ms della Rossa. Kann ich Ihnen etwas zu Trinken bringen, oder ein Frühstück?<<

>> Danke, aber ich habe keinen Hunger und auch keinen Durst.<<

>> Wie Sie wünschen. Hier vorne haben Sie ein Telefon und hier ist ein Laptop, falls Sie einen benötigen. Weiter hinten auf der linken Seite finden Sie ein Badezimmer und gerade hindurch ist ein Schlafzimmer, falls Sie sich hinlegen möchten. Dort ist auch ein Telefon vorhanden. Und wenn Sie irgendetwas brauchen, drücken Sie einfach auf diesen Knopf, dann komme ich zu Ihnen.<<

>> Vielen Dank Jeanine.<<

Sie lächelte freundlich und ging wieder zurück ins Cockpit, während ich zum Schlafzimmer schlenderte. Ich wollte einfach nur allein sein und die Zeit so schnell wie möglich herumbekommen, weshalb Schlaf mir als die beste Lösung erschien. Als ich die Tür öffnete, blickte ich auf ein weißes, großes Bett, das mit mehreren weißen und schwarzen Kissen verziert war und extrem gemütlich aussah. Der Raum war relativ schlicht gehalten, weswegen ich mich hier drin wohler fühlte, als draußen. Es waren lediglich noch zwei Nachtschränke und eine Kommode vorhanden. Ich legte mich vorsichtig aufs Bett und rollte mich direkt zusammen, machte mich so klein ich konnte, da es mir ein Gefühl von Sicherheit gab.

Ethan hatte nicht umsonst Zweifel und Angst gehabt, mich alleine nach Hamburg zu schicken. Ich würde wieder mit meiner Vergangenheit konfrontiert werden und das konnte nach hinten losgehen. Ich hoffte nur, dass meine Mutter nicht in der Lage dazu wäre, Sascha im Krankenhaus zu besuchen, damit ich sie nicht sehen musste. Dann würde es nicht so schlimm werden und ehrlich gesagt, konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie ihr Haus noch groß verließ. Außerdem traf ich sie wenn auf neutralem Boden mit anderen Personen, sodass sie nicht die Gelegenheit haben würde mir körperlich wehzutun. Psychisch sah es dabei schon anders aus, doch das würde ich aushalten. Ich musste einfach unbedingt für Sascha da sein.

Ich fiel in einen unruhigen Schlaf, aus dem ich immer wieder hochschrak, weil mich mehrere Kindheitserinnerungen heimsuchten.

Das Klingeln eines Telefons ließ mich schließlich vollends aufwachen. Es war das integrierte Telefon des Flugzeugs, also ging ich ran.

>> Ja?<<

>> Cherié! Wie geht es dir?<<

Es war Ethan, der besorgt und niedergeschlagen klang. Ich schaute auf die Uhr und musste zu meiner Freude feststellen, dass wir schon 13 Stunden unterwegs waren. Trotzdem würden noch mindestens sieben Stunden hinzukommen.

>> Es geht und bei dir?<<

>> Ich bin grade angekommen, aber ich kann mich irgendwie nicht konzentrieren. Ich wäre viel lieber bei dir, um dir beizustehen.<<

>> Das ist lieb Ethan, aber da kannst du mir nicht helfen. Auf die Intensivstation dürfen nur Angehörige und da werde ich die ganze Zeit über sein, also würdest du mich eh nicht sehen. Mach deinen Job und wir sehen uns dann in ein paar Tagen.<<

>> Melde dich aber bitte zwischendurch, sonst mache ich mir zu viele Sorgen um dich.<<

>> Natürlich. Und danke noch mal für den Flieger. Was kostet der Spaß eigentlich?<<

>> Wieso willst du das wissen?<<

>> Weil ich es dir zurückzahlen möchte.<<

>> Du sollst mir nichts zahlen. Sieh es als einen Gefallen an.<<

>> Das will ich aber nicht. Für ein Ticket hätte ich auch bezahlt.<<

>> Lass es gut sein Sarah. Konzentrier dich auf deinen Bruder!<<

>> Aber dann fühle ich mich, als hätte ich dich ausgenutzt.<<

>> Du bist die letzte, die sich darüber Gedanken machen müsste. Ich weiß, dass dir Geld vollkommen egal ist.<<

>> Nicht, wenn ich es jemandem schulde.<<

>> Und mir schuldest du nichts. Genieß den Rest deines Fluges und melde dich, wenn du da bist. Ich liebe dich cherié.<<

>> Ich dich auch.<<

Da schon so viele Stunden vergangen waren und ich gerade eh das Telefon in der Hand hielt, wählte ich Sebastians Nummer, obwohl ich schreckliche Angst hatte, dass er schlechte Neuigkeiten hatte. Es dauerte lange bis er endlich ranging, sodass ich schon fast wieder auflegen wollte.

>> Della Rossa?<<

>> Hey, Sebastian hier ist Sarah.<<

>> Hi, wo bist du?<<

>> Noch in der Luft. Wie geht es ihm?<<

>> Er wird grade wieder operiert, weil es noch mal Komplikationen gab, aber mehr wissen wir nicht. Wann bist du denn da?<<

>> In etwa sieben bis acht Stunden.<<

>> So schnell? Wow. Soll ich dich abholen?<<

>> Warte kurz, ich frage mal nach wo wir landen.<<

Ich ging schnell zum Cockpit und klopfte an, als Jeanine mir auch schon die Tür öffnete.

>> Ms della Rossa, was kann ich für Sie tun?<<

>> Können Sie mir kurz sagen, wann und wo wir genau ankommen?<<

>> In etwa acht Stunden am Hamburger Flughafen, dort wartet dann schon ein Chauffeur auf Sie, der Sie zum Krankenhaus bringen wird.<<

>> Ein Chauffeur?<<

>> Mr Thatcher hat das so eingerichtet, ja.<<

>> Danke Jeanine.<<

Ich drehte mich wieder um und ging in Richtung des Schlafzimmers, als ich wieder zu Sebastian sprach.

>> Du brauchst mich nicht abholen, ich komme direkt zum Krankenhaus.<<

>> Hab ich gehört. Sag mal, wie bist du eigentlich so schnell an einen Flug gekommen, der auch noch so schnell hier ist? Und dann noch ein Chauffeur?<<

>> Sebastian bitte! Die Hauptsache ist doch, dass ich gleich da bin. Also bis gleich.<<

Als ich aufgelegt hatte und in das angrenzende Bad ging, merkte ich, dass ich meine Tage bekommen hatte. Zum Glück hatte ich alles dabei, trotzdem war ich genervt. Ich wusch mir die Hände und ging zurück ins Schlafzimmer, wo ich mich wieder aufs Bett warf und an Sascha dachte. Er durfte nicht sterben und er durfte nicht ernsthaft verletzt sein, dass würde ich nicht verkraften.

Ich hasste mich dafür, dass wir unsere Beziehung so vernachlässigt hatten, aber jeder von uns hatte sein eigenes Leben und er wollte, dass ich die Vergangenheit hinter mir ließ. Er hatte dafür gesorgt, dass mich meine Mutter nicht mehr verletzen und ich in Ruhe mein Abitur machen konnte, damit etwas Ordentliches aus mir werden konnte. Ich stand dabei immer an erster Stelle bei ihm, weswegen er so viel Ärger mit Denise hatte, doch das kümmerte ihn nicht, so lange es mir gut ging.

Als ich auszog und zu Julian zog, trennten uns gute 400 Kilometer, da wir zusammen nach Düsseldorf zogen, wo er einen Job bekommen hatte. Von da an telefonierten wir nur noch wöchentlich, bis es über die Jahre irgendwann nur noch die Geburtstage und Feste waren. Der einzige Geburtstag an dem wir nicht telefonierten war meiner, da ich nicht an jenen Tag in meiner Kindheit erinnert werden wollte, was sie akzeptierten. Aber immerhin trafen wir uns an Weihnachten und einmal im Sommer, da die Drei alle im Juni und Juli Geburtstag hatten, sodass die Verbindung noch aufrecht erhalten blieb.

Als ich ihm erzählte, dass wir nach Australien gingen, war uns klar, dass sich das ändern würde. Inzwischen hatten wir uns seit zwei Jahren nicht mehr gesehen und nur zu den üblichen Anlässen telefoniert. Auch mit Sebastian und Simon war es da nicht anders. Sie hatten alle Familien, Jobs und ein Haus in Deutschland, was ziemlich viel Zeit fraß und weswegen wir nie die Zeit fanden uns wiederzusehen.

Und nun musste erst so etwas Schlimmes passieren, damit ich mich endlich wieder in den Flieger setzte und zu ihnen kam. Ich fühlte mich schlecht, wie eine Verräterin die zurückkehrte, nachdem sie alles hinter sich gelassen hatte, ohne Rücksicht auf Verluste. All meine Nichten und Neffen würde ich wahrscheinlich wiedersehen, wobei ich bei manchen nicht wusste, ob sie mich noch kannten.

Immer wieder kreisten meine Gedanken um meine Brüder, während ich die um meine Mutter verdrängte.

Eine Stunde bevor wir landen sollten, setzte ich mich wieder auf einen Sessel und blickte aus dem Fenster, als Jeanine aus dem Cockpit kam.

>> Ms della Rossa, darf ich Ihnen jetzt etwas zu Essen bringen?<<

>> Danke, nein. Aber eine Apfelschorle wäre nett.<<

Ich konnte einfach nichts essen, wenn ich nicht wusste, was mit Sascha war. Allein der Gedanke etwas zu Essen, war unerträglich für mich. Immer wenn ich Stress hatte oder mich etwas bedrückte, reagierte mein Körper auf diese Weise, während andere, wie Jacob, Berge von Eis in sich hineinschaufelten.

>> Kommt sofort.<<

Es dauerte keine Minute als sie auch schon wieder da war und mir die Apfelschorle auf den Tisch stellte.

>> Danke Jeanine.<<

>> Bitteschön. Sie sollten sich jetzt anschnallen, da wir gleich mit dem Landeanflug beginnen.<<

>> Jeanine?<<

>> Ja?

>> Wie kalt ist es zur Zeit in Hamburg?<<

>> Etwa drei Grad.<<

>> Gibt es hier an Bord irgendwo einen Mantel? Ich konnte in der Hektik keinen mehr einpacken.<<

>> Ich werde sofort einen organisieren.<<

>> Vielen Dank.<<

Ich legte den Gurt an und trank meine Apfelschorle aus, da ich wirklich Durst hatte. Als wir durch die Wolkendecke flogen, sah ich plötzlich Hamburg unter mir, all die gewohnten Umrisse und die Elbe die sich quer durch die Stadt schlängelte. Ein bedrückendes Gefühl erfasste mich und ließ mir die Tränen in die Augen schießen. So lange war ich nicht mehr hier gewesen, so lange hatte ich es verdrängt. Selbst bei unseren Treffen an Weihnachten und im Sommer, waren meine Brüder immer nach Düsseldorf gekommen, damit ich nicht doch eventuell wieder auf meine Mutter traf. Das bedeutete, dass ich seit 14 Jahren nicht mehr hier gewesen war und dennoch so gut wie alles wiedererkannte.

>> Wir landen jetzt Ms della Rossa.<< verkündete eine Stimme aus dem Lautsprecher, die zu Daniel gehören musste.

Es war eine sehr sanfte und angenehme Landung, woraufhin wir sofort zu unserem Gate fuhren. Allerdings brauchte ich nicht mehr durch den Flughafen laufen, da zwei Zollbeamte auf uns warteten und kurz meinen Pass kontrollierten. Als ich gerade meinen dünnen Blazer überziehen wollte, kam ein junger Mann ins Flugzeug, der einen hellbeigen Mantel aus Cashmere in den Händen hielt und mir reichte.

>> Ms della Rossa, ich bin ihr Chauffeur Dennis. Sie brauchten noch einen Mantel, also habe ich den gerade besorgt. Ich hoffe er gefällt Ihnen.<<

>> Danke Dennis, dass ist sehr nett von Ihnen.<<

Ich zog ihn an und schloss die Knopfleiste. Er ging mir bis zu den Knien und saß wie angegossen. Um die Taille war ein breiter dunkelroter Gürtel, den ich zuschnallte, bevor ich meine Tasche nahm und mit Dennis zum Auto ging.

Während der Fahrt tippte ich noch schnell eine Nachricht an Ethan, da ich nicht wusste, wann ich das nächste Mal dazu käme.

Danke für alles Ethan. Deine Angestellten waren sehr nett und ich bin gut angekommen. Fahre grade ins Krankenhaus, wo ich nicht mehr erreichbar sein werde. Ich melde mich, wenn ich wieder Zeit habe. Ich liebe und vermisse dich. Kuss“

Als es nur noch wenige Minuten waren, die uns vom Krankenhaus trennten rief ich Sebastian erneut an, damit er mich vor der Tür abholen konnte und ich nicht das halbe Krankenhaus absuchen musste. In Deutschland war es inzwischen knapp vier Uhr Nachmittags, sodass auch noch eine Besuchszeit herrschte. Als Dennis anhielt, sah ich Sebastian bereits.

>> Danke Dennis.<<

>> Alles Gute Ms della Rossa.<<

Ich nickte, nahm meine Tasche und stieg aus, als mein Bruder mich auch schon entdeckte.

>> Sarah!<<

Er lief auf mich zu und umarmte mich überschwänglich, sodass sofort wieder die Tränen in mir hochkamen.

>> Hey Bruderherz.<<

>> Komm, hier draußen ist es viel zu kalt.<<

Er nahm mir meine Tasche mit den wenigen Teilen ab, die ich mitgenommen hatte und dirigierte mich zum Eingang des Krankenhauses.

>> Sie haben sehr lange operiert und er sieht schlimm aus, also bitte erschrecke dich nicht.<<

>> Ist er denn wach?<<

>> Nein, er liegt im Koma und sie wissen nicht, ob er wieder aufwachen wird. Wir müssen wohl Geduld haben.<<

Wir fuhren mit dem Aufzug in den fünften Stock und bogen um mehrere Ecken, als wir endlich bei der Intensivstation ankamen. Ich legte all meine überflüssigen Sachen ab und zog einen Kittel, Handschuhe und Mundschutz an.

Als ich endlich zu ihm durfte, wurde mir ein wenig flau im Magen. Zwar hatte ich schon viele schlimme Anblicke gesehen, aber das war mein Bruder, der nun vor mir lag. Ich atmete noch einmal tief durch und betrat schließlich das Zimmer.

Überall waren Monitore, die ihn bewachten und piepten, über verschiedene Zugänge wurden ihm Medikamente und Flüssigkeiten zugeführt, während sein Kopf mit einem Verband verdeckt war. Nur das Gesicht konnte ich erkennen, wobei es sehr stark angeschwollen und verfärbt war. Sein linkes Bein war eingegipst und hochgelagert, ebenso wie sein linker Arm. Ich wusste nicht was noch alles unter der Decke verbunden und gebrochen war, was wahrscheinlich besser so war, da es mich so schon genügend schockierte.

>> Hallo, ich bin Dr. Arndt.<<

Ich drehte mich um und sah dem Arzt in die Augen, wo er sicherlich direkt mein Entsetzen feststellen konnte.

>> Ich bin Sarah, seine Schwester.<<

>> Ich hab schon von Ihnen gehört. Sie kommen gerade aus Brisbane?<<

>> Richtig.<<

>> Ziemlich weite Anreise.<<

>> Mhm. Können Sie mir sagen, was er jetzt genau hat?<<

>> Natürlich... Dass er aus sechs Metern auf ein paar Eisenstangen gefallen ist, wissen Sie ja wahrscheinlich schon.<<

Ich nickte, während mir erneut ein Schauer über den Rücken lief, wie immer, wenn ich mir vorstellte, wie das passiert war.

>> Wir haben ihn sehr lange operiert. Sein linkes Bein, sein linker Oberschenkel und sein linker Arm sind gebrochen, ebenso wie drei Rippen auf der linken Seite. Eine Rippe hat sich in seine Lunge gebohrt, sodass der linke Lungenflügel zusammengefallen ist. Diese Verletzungen stammen wohl alle vom ersten Aufprall, als er nach etwa vier Metern auf das Vordach aufgeprallt ist.<<

Erster Aufprall? Ich setzte mich auf einen freien Stuhl, da mir bei der Vorstellung die Beine vor Entsetzen zitterten.

>> Jedenfalls ist er nur auf die Kante des Vordachs gefallen, sodass er danach noch auf dem Boden aufkam, wo die Eisenstangen lagen.<<

>> Und was ist da noch verletzt worden?<<

Meine Stimme war nur noch ein leises Flüstern.

>> Eine Stange hat sich in seinen Bauch gebohrt und dabei die Milz verletzt. Eine weitere in sein rechtes Bein. Er hat ein mittelschweres Schädelhirntrauma mit einem leichten Schädelbruch erlitten, was jedoch wesentlich schlimmer ausgefallen wäre, wenn er nicht zuerst auf das Dach gefallen wäre. Eigentlich hatte er Glück im Unglück und jetzt können wir nur noch hoffen.<<

Ich blickte zu Sascha und ließ meinen Tränen freien Lauf. Er war immer der starke und tapfere gewesen und nun lag er da, mit all diesen Verletzungen, die sich anhörten, als wäre nichts mehr in seinem Körper gesund.

>> Inwiefern hätte es noch schlimmer ausfallen können?<<

>> Er hat keine Hirnblutungen gehabt, sein Hirndruck ist in Ordnung und auch das EEG sieht gut aus. Wir messen mit den Monitoren seine Blutdruck, die Körpertemperatur und die Sauerstoffsättigung des Blutes, damit wir alles im Blick haben und ihn optimal versorgen können.<<

Ich nickte und blickte auf die blinkenden Anzeigen der Geräte.

>> Haben Sie noch Fragen?<<

>> Wie lange darf ich hier bleiben?<<

>> Die Besuchszeit ist bis um sieben Uhr, aber bitte bleiben Sie nicht länger als 10 Minuten bei ihm, er braucht Ruhe.<<

>> Kann ich die Nacht über dann draußen vor der Tür im Gang warten?<<

>> Sie sollten nach Hause gehen und sich ausruhen, wenn etwas ist, rufen wir Sie an.<<

>> Ich werde ihn nicht allein lassen.<<

>> Sie können nichts für ihn tun. Seien Sie vernünftig und ruhen Sie sich aus, damit Sie Kraft haben, wenn er aufwacht.<<

Mit diesen Worten verließ der Arzt den Raum und ließ mich mit Sascha allein. Sebastian war nicht mit hereingekommen, da er lieber draußen wartete. Ich ging auf die andere Seite des Bettes, wo seine rechte Hand lag, die, wie ich mitbekommen hatte, nicht verletzt wurde. Ich nahm sie in meine Hand und streichelte ihn sanft mit meinem Daumen,

>> Hey Großer. Hier ist Sarah. Tut mir Leid, dass ich so lange nicht mehr hier war, aber du hättest wirklich nicht von einem Gebäude stürzen müssen, damit ich herkomme. Ein Anruf und eine Bitte hätte es auch getan.<<

Ich schluchzte und grinste gleichzeitig, was mir vor Augen führte, wie verzweifelt ich eigentlich war.

>> Nein, ernsthaft. Was machst du für Sachen? Du kannst mir doch nicht so einen Schrecken einjagen, mir solch eine Angst machen. Du musst wieder gesund werden, hörst du? Wir brauchen dich! Was soll ich ohne dich machen? Das ist undenkbar. Deine Kinder brauchen dich. Ich möchte, dass du mich in Australien besuchen kommst, damit wir zusammen surfen gehen können, so wie du es vor zwei Jahren geplant hattest. Ich mache alles mit, was du willst, nur bitte werde wieder gesund. Ich brauche dich und würde es nicht überleben, wenn dir etwas passiert.<<

Zitternd wischte ich mir einige Tränen weg und holte noch einmal tief Luft.

>> Ich werde jetzt wieder gehen, weil ich immer nur kurz zu dir kommen darf, aber ich warte draußen im Flur, also wach auf und kämpfe.<<

Ich küsste behutsam seine Hand, bevor ich ihn losließ und aufstand.

Als ich die Schutzkleidung wieder abgelegt hatte und in den Wartebereich im Flur vor der Intensivstation trat, war es wie ein Familientreffen.

Pia die Frau von Sebastian war gekommen, ebenso wie seine beiden Kinder Vincent, der jetzt acht sein musste und Lea, die zwei Jahre jünger war. Daneben standen Simon und seine Frau Theresa mit ihren inzwischen drei Kindern. Ich erkannte die älteste, Hannah sofort. Sie war bildschön und musste etwa fünf Jahre alt sein. Ihre zwei Jahre jüngere Schwester Sophie hatte sich vollkommen verändert und den kleinsten kannte ich nur vom Telefon. Ich wusste, dass sie vor etwa zwei Monaten noch einmal Eltern geworden waren und ich nun noch einen Neffen namens Erik hatte. Es war einfach überwältigend alle auf einmal wiederzusehen, allerdings fand ich Saschas Frau Denise und ihre Kinder nicht.

>> Wow.<<

Mehr als dieses „Wow“ brachte ich einfach nicht heraus. Es war zu viel. Erst der lange Flug, dann die ganze Liste an Verletzungen, die Sascha erlitten hatte, dann Saschas Anblick und nun meine Brüder mit ihren Familien.

Ich umarmte jeden einzelnen und begrüßte auch die Kinder überschwänglich, da ich sie so lange nicht gesehen hatte und sie nichts für den Anlass dieses Treffens konnten. Sie sollten nicht spüren, wie tragisch die Situation eigentlich war. Auch den kleinen Erik hielt ich auf dem Arm und gab ihm ein Fläschchen, während wir uns über Neuigkeiten austauschten. Er war noch so winzig und so lieb und brav, dass mir für kurze Zeit warm ums Herz wurde. Gegen sechs Uhr fuhren Pia und Theresa mit den Kindern schon einmal nach Hause, während Simon und Sebastian noch mit mir im Aufenthaltsraum blieben.

Wir gingen noch einmal gemeinsam zu Sascha, doch es gab keine Neuigkeiten, keine Verbesserungen, aber auch keine Verschlechterungen.

Als wir die Schutzkleidung wieder auszogen und auf den Flur gingen, übermannte mich die Müdigkeit, sodass ich gähnen musste.

>> Sarah, ich nehme dich mit, du kannst heute Nacht bei uns schlafen. Pia hat schon das Gästezimmer fertiggemacht.<<

>> Danke, aber ich bleibe lieber hier, falls irgendwas ist. Ich war einfach schon zu lange weg.<<

>> Aber wo willst du denn schlafen?<<

>> Macht euch keine Sorgen. Wir sehen uns morgen.<<

>> Sarah!<<

Ich ignorierte die beiden und ging wieder in den Aufenthaltsraum und legte mich auf die Bänke. Mein neuer Mantel gab eine gute Decke ab, sodass mir nicht kalt war. Ich holte kurz mein Telefon aus der Manteltasche und schaute mir kurz die Nachrichten von Ethan an.

Das freut mich, dass alles in Ordnung war. Ich wünsche dir ganz viel Kraft für die nächste Zeit und deinem Bruder eine schnelle Genesung. In Gedanken bin ich die ganze Zeit über bei dir.“

Ich kann die ganze Zeit über nur an dich denken und wäre schon fast drei Mal zu dir geflogen. Melde dich Sarah. Ich mache mir große Sorgen um dich.“

Da ich zu müde und erschöpft zum Tippen war, rief ich bei ihm an, wobei ich nicht wusste, wie spät es nun bei ihm war, doch nach dem zweiten Klingeln ging er schon ran.

>> Sarah!<<

Er klang verschlafen, aber dennoch erleichtert. Hatte ich ihn geweckt?

>> Hi, ich wollte mich nur kurz bei dir melden, aber ich weiß gar nicht, wie die Zeitverschiebung ist. Habe ich dich geweckt?<<

>> Kein Problem. Hier ist es vier Uhr morgens. Also etwa sieben Stunden vor dir.<<

>> Tut mir Leid.<<

>> Dass muss es nicht. Ich habe doch auf deinen Anruf gewartet. Also, wie geht es deinem Bruder?<<

>> Er ist auf der Intensivstation. Die Operation hat er hinter sich, aber nun können wir nur abwarten und hoffen. Es sieht ziemlich übel aus.<<

>> Und wie geht es dir dabei?<<

>> Ich schaffe das schon. Außerdem habe ich ja noch meine anderen Brüder hier. Mach dir keine Sorgen und konzentriere dich auf deine Arbeit.<<

>> Das sagt sich so leicht. War deine Mutter auch da?<<

>> Nein. Die wird glaube ich auch nicht kommen. Würde mich jedenfalls schwer wundern.<<

>> Das hoffe ich für sie. Wo bist du denn jetzt?<<

>> Im Krankenhaus. Ich werde heute Nacht hier schlafen, falls es etwas Neues gibt.<<

>> Gibt es da kein Hotel in der Nähe?<<

>> Ich werde mich keinen Zentimeter von diesem Krankenhaus fortbewegen, bis er nicht über den Berg ist.<<

>> Pass aber bitte auf dich auf!<<

>> Mach ich, aber erst einmal muss ich ein wenig Schlaf bekommen und du solltest dich auch wieder hinlegen.<<

>> Mein Wecker hätte eh gleich geklingelt. Also gute Nacht cherié. Wenn etwas ist, meldest du dich bei mir. Ruf mich immer an, egal wie spät es ist.<<

>> Mache ich. Dir einen schönen Arbeitstag.<<

Ich legte auf und verstaute das Telefon in meiner Handtasche, als ich nach einigen Ängsten um Saschas Genesung schließlich auf Ethans Shirt mit seinem vertrauten Duft einschlief.

Sea and Fall

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