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Kapitel 1 – Elliot
Оглавление~~~ Juli 2019 ~~~
Mit spitzen Fingern fischte ich das leere Longdrinkglas aus der Lache auf dem Rasen, von der ich mir nicht sicher war, ob sie direkt aus dem Glas geflossen oder doch bereits in einem Magen gewesen war. Ich persönlich hatte eigentlich gedacht, das CC Cocks-Barbecue und die anschließende Poolparty wären in Sachen Alkohol verhältnismäßig gesittet abgelaufen. Zumindest hatte ich in der vergangenen Nacht weder einen der Darsteller noch einen der anderen Gäste auffällig über den akkurat geschorenen Rasen torkeln sehen. Die Stimmung war ausgelassen gewesen, keine Frage. Fröhlich, unbeschwert und aufgeladen mit sexueller Energie – eben so, wie es sich für ein Sommerfest eines der bekanntesten Gay-Porn-Labels der USA und damit vermutlich der ganzen Welt gehörte. Statt auf Sex, Drugs and Rock’n’roll setzten wir CC Cocks-Jungs auf Sex, Schirmchendrinks und Sommerhits.
Zugegeben, Schirmchendrinks beinhalteten Alkohol. Und wenn ich mir die Lache auf dem Boden so ansah, vermutete ich stark, dass mindestens ein Partygast seinen Drink rückwärts genossen hatte. Widerlich!
Mit dem Glas in der Hand, stets darauf bedacht, keine allzu klebrige Stelle zu berühren, sah ich mich nach der Kiste um, in die ich die benutzten Gläser stellen konnte. Der Cateringservice würde das schmutzige Geschirr am kommenden Tag abholen. Einsammeln mussten wir es aber leider selbst.
Warum genau hatte ich mich dazu bereit erklärt, am Tag nach der Feier beim Aufräumen zu helfen?
»Elliot, mach keinen Staatsakt draus. Stell das verdammte Glas einfach da rein.« Mit einem resoluten Kopfnicken deutete Leroy auf besagte Kiste und beobachtete stirnrunzelnd, wie ich das Glas dort hineindrapierte.
»Was ist los? Glasphobie oder was?«
»Witzig.« Ich feuerte einen gespielt genervten Blick auf Leroy ab, aber der kleine Scheißkerl wusste sowieso nur zu gut, dass man einem wie ihm für einen frechen Spruch kaum böse sein konnte. Zierlich, strohblond, blaue Augen und süße Grübchen in den Mundwinkeln, dazu ein wunderschöner Schwanz und ein Knackarsch, der gerade nur in einer knappen Speedo steckte. Quasi als Sahnehäubchen obendrauf ein bezaubernder Charakter: aufgeschlossen, direkt, zuverlässig. Würde ich auf Twinks stehen, wäre ich sicher bis über beide Ohren in Leroy verschossen. Tat ich aber nicht. Leroy war ein guter Freund. Einer, mit dem ich bereits die eine oder andere Szene gedreht hatte, mit dem ich außerhalb des Sets aber sicher nie in der Kiste landen würde – was zum Glück auf Gegenseitigkeit beruhte.
»Wir brauchen einen Wasserschlauch«, verkündete ich an Leroy gewandt und lenkte mich damit selbst von meinen Gedanken ab. »Da hinten hat jemand hingekotzt.«
»Uaah, wo?«
»Da, neben den Pool.« Ich deutete in besagte Richtung.
»Okay, ich schau mal, ob ich einen Schlauch auftreiben kann. Aber wegputzen tust du es.«
»Ach, Kotzphobie oder was?« Lachend wich ich Leroys Faust aus, die er spaßhaft in Richtung meines Oberarms schwang.
»Speichel, Sperma, wenn’s sein muss auch Blut … Ohne Spaß, gib mir sämtliche Körperflüssigkeiten, aber wenn was schon mal im Magen war, bin ich raus.« Als sei dies sein wirkungsvolles Schlussplädoyer gewesen, wandte Leroy sich um und stolzierte über den Rasen hinüber zur Terrasse und hinein in die Mansion. Wo er recht hatte …
Suchend sah ich mich um und entdeckte auf einem der Stehtische noch zwei Longdrinkgläser, die mir bei meinem ersten Gang durch den oberen Teil der weitläufigen Gartenanlage der CC Cocks-Mansion wohl entgangen waren. Rasch schnappte ich mir beide, stellte sie in der Kiste ab und wollte mich mit dieser ebenfalls in Richtung Terrasse bewegen, als ich Jay erspähte.
Vollbepackt mit einer Vielzahl von Gläsern, die er sich in den unmöglichsten Winkeln unter die Arme und vor die Brust geklemmt hatte, stieg er die wenigen Steintreppenstufen vom unteren Teil der Anlage herauf. Ich wäre ihm ja gern mit der Kiste entgegengeeilt, aber die war voll. Also beschränkte ich mich darauf, auf der Terrasse auf Jay zu warten und ihm ein paar der Gläser aus seiner umständlichen Umklammerung herauszupflücken und in eine der noch leeren Boxen zu stellen.
»Sind unten noch welche?«
»Nein, ich … Hoppla!« Klirrend rutschten drei Gläser aus seinen Armen in die Kiste, doch glücklicherweise schienen alle den Sturz überlebt zu haben. »Ich glaub, ich hab alle, aber vielleicht sollten wir mal durchzählen.«
»Okay. Wie viele hatte Tracy geordert, weißt du das?«
»Gleich.« Ungeniert griff Jay in den Bund seiner Speedo und beförderte einen kleinen, zusammengefalteten Zettel zu Tage. »Einhundert Longdrinkgläser, siebzig Cocktailgläser bauchig …«, begann er, die handgeschriebene Liste herunterzurattern.
»Ernsthaft, Jay«, raunzte ich ihn an, als er fertig war. »Das soll ich mir jetzt gemerkt haben? Und überhaupt … in deiner Badehose, echt?«
»Seh ich aus, als hätte ich da ’ne Tasche dran? Und im Übrigen warst du schon näher an meinem Schwanz als dieser Zettel.« Wie zur Bestätigung wedelte er mit besagtem Stück Papier vor meiner Nase herum. Fehlte gerade noch, dass er sein bestes Stück auspackte und mir dieses ins Gesicht hielt, damit ich meine Erinnerungen auffrischen konnte.
Musste ich nicht, ich konnte mich sehr gut an Jays Schwanz erinnern. Was im Grunde ziemlich überraschend war, da ich mit ihm meinen allerersten Pornodreh gehabt hatte und dabei so scheiße nervös gewesen war, dass es mich nicht mal gewundert hätte, hätte ich seinen Namen vergessen.
Aber Jayson Ward vergaß man nicht. Ebenso wenig wie seinen Schwanz.
»Gib mal her.« Flink schnappte ich mir den Zettel aus seinen Fingern und wandte mich den nebeneinander aufgereihten Geschirrkisten zu. Mehrere hundert Gläser und Teller und auch noch Besteck durchzuzählen, erschien mir nach einer Partynacht mit verdammt wenig Schlaf zwar keine lockende Aufgabe zu sein, aber besser als weiter durch die Gartenanlage zu rennen und am Ende noch weitere Lachen undefinierbarer Flüssigkeiten aufzufinden. Apropos, wo blieb eigentlich Leroy mit dem Wasserschlauch?
Statt mich nach ihm umzusehen, begann ich, Gläser zu zählen. Merkte jedoch schnell, dass das überhaupt keinen Sinn ergab, wenn diese nicht sortiert waren.
»Wo steckt eigentlich Devin?«
»Pennt noch.« Ich griff mir zwei der noch leeren Kisten. »Hilf mir mal, da muss Ordnung rein, sonst zählen wir morgen noch.«
Jay gab einen schnaubenden Laut von sich, von dem ich mir nicht sicher war, ob er seine Unlust zum Gläsersortieren ausdrücken sollte oder ob es ihm missfiel, dass manche unserer Darstellerkollegen noch schliefen, während wir bereits mit dem Aufräumen begonnen hatten. Wobei ›bereits‹ um zwölf Uhr mittags auch eine eher relative Beschreibung war.
Vertieft in meine stupide Tätigkeit blinzelte ich überrascht, als Jay neben mir raunte: »Na, sieh mal an, wer da kommt.«
Noch während ich mich umwandte, um den Auslöser seiner Worte zu erspähen, rief Jay in Richtung der breit geflügelten Terrassentür: »Boah, ihr seht ja eklig glücklich durchgefickt aus!«
Mein Blick fiel auf Rizzo und Liam, die tatsächlich mit breitem und ziemlich zufriedenem, wenn auch ein wenig müde wirkendem Lächeln Hand in Hand auf uns zuspazierten. Nur knapp, aber immerhin vollständig bekleidet, wohlbemerkt. Schön, dann war ich nun nicht mehr der Einzige, der mehr als eine knallenge Badehose trug.
Als die beiden direkt vor uns standen, ließ Rizzo Liam los, neigte sich die fehlenden zwei oder drei Zentimeter zu Jay empor und drückte ihm einen festen, aber flüchtigen Kuss auf den Mund.
»Guten Morgen, liebster Jay, als ob du gestern Nacht nicht mit Dale gevögelt hättest.«
»Nein«, erklärte dieser mit gespielt heiliger Miene, die ihm ganz sicher keiner der hier Anwesenden auch nur ansatzweise abkaufte, »stell dir vor, hab ich nicht. Wir sind ganz brav ins Bett, um Heia zu machen.«
»Jaaa«, schoss Rizzo prompt zurück, »aber auch nur, weil ihr es bereits während der Poolparty getrieben habt.«
Mein Blick huschte unweigerlich zu Jay.
Hatten sie? Und wenn ja, warum hatte ich davon nichts mitbekommen? Die Antwort auf diese Frage konnte ich mir direkt selbst geben: Weil ich an Devins Lippen gehangen hatte.
»Ja, sorry, irgendjemand muss den Journalisten ja das heimlich erhoffte Material liefern.«
»Oh, wie großherzig von dir.«
Kopfschüttelnd verdrehte ich die Augen und überließ Jay und Rizzo ihrem Geplänkel, zog stattdessen Liam in eine kurze Umarmung, die er innig und auch ein wenig erleichtert, wie mir schien, erwiderte.
Obwohl Rizzo und ich auch abseits des Pornobusiness miteinander befreundet waren, hatte ich Liam und ihren gemeinsamen Partner Keith erst gestern beim CC Cocks-Barbecue kennengelernt. Mit Keith hatte ich nur wenige Worte gewechselt, Liam allerdings hatte ich sofort ins Herz geschlossen.
»Apropos, wo steckt euer Daddy?« Ich zwinkerte Liam zu und musste lächeln bei der Art, wie sich seine Wangen erhitzten.
»Trifft sich mit einem Maklerkollegen, den er länger nicht gesehen hat, irgendwo in New Jersey zum Lunch. Deswegen meinte Rizzo, wir könnten herkommen und noch ein bisschen beim Aufräumen helfen, wenn es noch etwas gibt.« Fragend ließ Liam den Blick von mir über die Terrasse und die Gartenanlage schweifen.
»Jede Menge, Gläser zählen zum Beispiel«, erklärte ich seufzend und nickte in Richtung der Kisten.
»Okay.« Liam reckte den Hals und spähte hinein. »Wie viele müssen es sein?«
~*~*~*~*~*~
Rund fünfhundert Gläser, zwanzig Mülltüten und drei Stunden später sah die weitläufige Gartenanlage der Mansion wieder nahezu so aus wie vor der legendären Poolparty. Zugegeben, der normalerweise akkurat gemähte Rasen war möglicherweise etwas in Mitleidenschaft gezogen worden, aber diesbezüglich konnten wir nun auch nichts tun. Den Pavillon im unteren Bereich der Anlage und die beiden Poolterrassen aufzuhübschen, sodass sie bald wieder als Location für den nächsten Dreh herhalten konnten, war Tracys Aufgabe. Doch vermutlich würde sie sich darum erst in den nächsten Tagen kümmern. Heute würde sie damit beschäftigt sein, durchs Netz zu scrollen und zu überprüfen, dass keiner der exklusiv geladenen Reporter irgendeinen Mist über das Barbecue verzapfte oder Fotos veröffentlichte, für die keine Freigabe bestand. Nackte Ärsche und vielleicht sogar der eine oder andere Schwanz würden spätestens heute Abend sämtliche Szenemagazine schmücken – um zu intime Fotos der Darsteller ging es Tracy nicht. Vielmehr musste sie darauf Acht geben, dass keine der Räumlichkeiten in der Mansion abgelichtet worden war. Das Foyer und einen Teil der Sets ausgenommen, ging die Öffentlichkeit das Innere der Villa nichts an, schon gar nicht die Büros und die privaten Räume im Obergeschoss, in die sich die Darsteller zurückziehen konnten. Was wir Jungs direkt auf der Party trieben, war die eine Sache, was in den geheimen Bereichen der Mansion geschah, eine ganz andere.
Da sich das Barbecue und die anschließende Party hauptsächlich in der Außenanlage abgespielt hatten, gab es im Inneren der Villa nur wenig aufzuräumen. Den Spaß hatten wir guten Gewissens Devin und Carter überlassen, die erst irgendwann am frühen Nachmittag aus den Betten gekrochen waren. Bei Carter wunderte mich dieser Umstand wenig, denn der hatte am frühen Morgen noch gemeinsam mit einem Darsteller eines anderen Labels unten im Pavillon gelegen und einen durchgezogen. Ein Wunder eigentlich, dass er nicht dort eingeschlafen war.
Devin hingegen sollte eigentlich kein größeres Schlafdefizit haben als ich selbst. Nachdem wir gegen vier oder fünf – kurz nachdem Carter die Joints ausgepackt hatte – von der Party verschwunden waren, war er sogar noch vor mir eingeschlafen. Und das ohne, dass wir vorher noch Sex gehabt hätten. In der vergangenen Nacht waren wir beide zu erschöpft gewesen, als dass noch wirkliche Lust aufeinander aufgekommen wäre. Nun allerdings … war es wohl kein Wunder, dass mein Blick immer wieder durch die Glasfronten an der Terrasse ins Innere der Mansion fiel. Im Foyer waren Devin und Carter gerade damit beschäftigt, all die Girlanden abzuhängen.
»Darf ich dich was fragen?«
Eine der Papierblüten verhedderte sich um Devins Handgelenk, und auch wenn ich es durch die Scheiben hindurch und auf die Entfernung nicht hörte, sah ich doch, wie er fluchend herumfuchtelte und versuchte, das Ding loszuwerden. Keine Ahnung, weshalb er mir gerade mit dieser von Übermüdung herrührenden Genervtheit ein Grinsen aufs Gesicht trieb, aber …
»Elliot!«
»Hmm, was?« Blinzelnd wandte ich mich von Devins Anblick ab und drehte auf dem Bauch liegend den Kopf auf die andere Seite, um Rizzo ansehen zu können, der sich ebenfalls bäuchlings neben mir auf einer der Poolliegen ausgestreckt hatte.
»Ob ich dich was fragen darf.«
»Ach so, sorry. Hab nicht registriert, dass du mich meinst.«
Lachend verdrehte Rizzo die Augen. »Wen denn sonst?«
Auch wieder wahr, wenn man bedachte, dass Jay und Liam gerade gemeinsam durch den Pool tobten und Leroy irgendwie immer noch verschollen war.
»Klar, frag.«
Kurz huschte Rizzos Blick an mir vorbei, über meinen Rücken hinweg, ehe er mich wieder direkt ansah. »Was ist das zwischen dir und Devin?«
Irgendwie hatte ich geahnt, dass diese Frage kommen würde. Nicht unbedingt jetzt, aber irgendwann. Vielleicht, weil ich sie mir manchmal heimlich selbst stellte. Und da ich auch mir selbst gegenüber bislang keine wirkliche Antwort parat hatte, entgegnete ich vage: »Warum? Was soll es schon sein?«
»Na, das frag ich dich. Ihr vögelt miteinander. Und weiter?«
»Nichts und weiter.« Dass ich das sagte, war reiner Reflex, und Rizzo kannte mich offenbar gut genug, um es zu ahnen. Zweifelnd zog er eine seiner akkurat gezupften Brauen hoch.
»Schau mich nicht so an«, raunzte ich ihm entgegen, meinte es allerdings nicht halb so abwehrend, wie es sich möglicherweise anhörte. »Devin hat sich vor ein paar Wochen erst von seinem Partner getrennt. Die beiden waren ewig zusammen. Ich denke nicht, dass das mit mir für ihn mehr als Sex ist. Ablenkung, wenn du es so willst.«
»Und das stört dich nicht?«
Im ersten Moment wollte ich so etwas wie: ›Warum sollte es?‹ entgegnen. Aber wenn ich ehrlich war, hatte ich mich genau das auch schon das eine oder andere Mal gefragt.
»Weiß nicht so genau«, gestand ich schließlich, »eigentlich nicht, denke ich. Er gibt mir nicht das Gefühl, nur ein Lückenbüßer oder so was zu sein.« Das tat er tatsächlich nicht. Wenn Devin und ich zusammen waren – egal ob beim Sex oder bei gemeinsamen Unternehmungen außerhalb dessen – fühlte es sich leicht an. Unbeschwert. Sicher gab es diese Momente, in denen er nachdenklich wirkte und ich mir sicher war, dass seine Gedanken um seinen Ex kreisten. Aber meist verflogen diese Augenblicke schnell, spätestens dann, wenn ich ihn mit irgendeinem Spruch herausforderte. Sicher nicht die ideale Art, mit unangenehmen Situationen umzugehen, aber Devin hatte mir bereits zu Beginn unseres kleinen Arrangements klar kommuniziert, dass er nicht über seinen Ex reden wollte. Und wenn ich ehrlich war, wollte ich auch gar nicht allzu viel über deren mehrjährige Partnerschaft wissen. Oder darüber, weswegen sie am Ende zerbrochen war.
»Okay, das ist ja schon mal gut«, meinte Rizzo nachdenklich. »Ich hab mir nur meine Gedanken gemacht.« Er zögerte einen Moment, schien zu überlegen, ehe er mit schiefem Grinsen hinzusetzte: »Du schmachtest ihm ganz schön hinterher.«
Ich schnaubte empört, obwohl – oder gerade weil – ich wusste, dass Rizzo recht hatte. Abstreiten war zwecklos, daher stützte ich mich auf die Unterarme hoch und spähte wieder durch die Terrassenfront. »Wie kann man Devin nicht anschmachten?«
Die Frage war durchaus ernst gemeint. In meinen Augen war Devin mit seinen lackschwarzen Haaren, den leuchtend blauen Augen und einem verdammt anbetungswürdigen Körper, an dem jede Muskelfaser und jede Sehne definiert zu sein schien, verdammt noch mal ziemlich anbetungswürdig. Oder ableckungswürdig. Beten wurde ja im Allgemeinen eher überbewertet.
Rizzo allerdings schien das anders zu sehen, wenn ich sein Auflachen richtig deutete.
»Er vögelt gut, aber mein Typ ist er nicht.«
Schnaubend wandte ich mich erneut Rizzo zu, kam jedoch erst mal nicht zu einer Entgegnung, da irgendjemand – vermutlich Jay – hinter uns wenig männlich aufkreischte. Unisono drehten Rizzo und ich uns auf unseren Liegen halb um.
»Du kleine Ratte!«
Keine Ahnung, was genau Liam verbrochen hatte, aber gerade gab er sich lachend und prustend alle Mühe, einem höchst empörten Jay davonzuschwimmen, was ihm allerdings nicht gelang. Jay erwischte ihn am Knöchel, keine drei Sekunden später waren die beiden in eine wilde Wasserrangelei verwickelt.
Kopfschüttelnd wandte ich mich von dem Schauspiel ab und wieder Rizzo zu. Dessen Blick hing noch immer auf den beiden Blödmännern im Pool, um seine Mundwinkel spielte wieder dieses Schmunzeln, das Jay vorhin als ›eklig glücklich durchgefickt‹ bezeichnet hatte.
»Nee, stimmt«, nahm ich neckend unseren Gesprächsfaden wieder auf, »dein Typ Mann ist ja ganz klar definiert: Daddy-Twink.«
»Spinner!« Kurzerhand schnappte Rizzo sich sein T-Shirt, das zusammengeknüllt neben der Liege gelegen hatte, und schleuderte es nach mir. »Du weißt ganz genau, dass Liam theoretisch überhaupt nicht mein Typ ist.«
»Mhm, ändert aber nichts daran, dass du den Kleinen vergötterst wie verrückt.« Ich erwartete schon Widerworte, einfach weil Rizzo Sticheleien so gut wie nie auf sich sitzen ließ, sondern stets zu kontern wusste, doch er zuckte nur mit den Schultern und das Schmunzeln vertiefte sich noch ein wenig.
Seufzend verschränkte ich die Arme und legte meine Wange so auf meinem Unterarm ab, dass ich Rizzo weiterhin ansehen konnte. »Kennst du Devins Ex?«
Erneut wanderte Rizzos Braue nach oben. Mann, warum fragte ich das denn überhaupt?
»Nur sehr flüchtig. Er war ein oder zwei Mal mit bei einer Gala, aber ansonsten hab ich ihn nie live gesehen. Es war ja ein offenes Geheimnis, was er von Devins Pornokarriere hielt.«
»Hat Devin schon gedreht, bevor er ihn kennengelernt hat?«
»Puuh, keine Ahnung. Devin ist ja schon jahrelang im Business, aber wie lange genau … Ich weiß es wirklich nicht. Frag ihn doch.«
Ich gab nur einen Laut von mir, der in Rizzos Ohren vermutlich ebenso gut Zustimmung wie Verneinung hätte sein können. Ich war mir selbst nicht so sicher. Die ganze Geschichte zwischen Devin und seinem Ex sollte mir egal sein – aus verschiedenen Gründen. War sie aber anscheinend nicht, und das beunruhigte mich – ebenfalls aus verschiedenen Gründen.
»Kennst du ihn denn?«, hakte nun Rizzo nach.
»Seinen Ex?«
»Ja.«
»Nein, nie getroffen. Nur von Fotos.«
»Und?«
»Was und?«
»Na, was denkst du?«
»Dass ich überhaupt nicht Devins Typ bin.« Ich sprach es nicht gern aus, aber in Rizzos Gegenwart hatte ich irgendwie schon immer Dinge preisgegeben, die ich anderen Leuten nicht unbedingt erzählt hätte. So aufgedreht Rizzo auch sein konnte, wenn man ihn in einem ruhigen Moment wie diesem hier erwischte, konnte man stundenlang mit ihm quatschen.
»Gib doch darauf nicht so viel. Es mag ja sein, dass man rein optisch so ein gewisses Idealbild vor Augen hat. Einen bestimmten Typ Mann, bei dem man nur vom Anschauen eine Latte bekommen könnte. Aber letztlich geht’s doch darum nicht. Sieh Liam und mich an. Oder Tracy und Dave.«
»Warum Tracy und Dave?«
»Dave steht auf Blondinen mit gemachten Titten. Wusstest du nicht?«
Prustend stützte ich mich erneut auf die Unterarme hoch. »Nee«, gluckste ich, »wusste ich nicht.« Was ich allerdings wusste, war, dass Tracy mit ihren rotbraunen Locken und ihrem zierlich-drahtigen Körper das ziemliche Gegenteil einer Silikonbusenblondine war. Allerdings hatte Tracy verdammt schöne Brüste, das musste man ihr lassen. Nicht, dass ich mir auf Daves Frau und unsere Art Direktorin schon mal einen runtergeholt hätte, aber ich kannte den einen oder anderen von Tracys Filmen.
»Okay, okay, überzeugt«, lenkte ich noch immer kichernd ein und fing Rizzos Zwinkern ein. Nahe bei uns ertönte das Tappen feuchter Füße auf gefliestem Boden und keine drei Sekunden später standen ein tropfnasser Jay und ein ebenso tropfnasser und nach Luft schnappender Liam neben uns.
»Ich hol was zu trinken«, verkündete Jay und sah auffordernd zwischen Rizzo und mir hin und her, »wer will noch was?«
»Eine Limo, bitte, Zitrone«, orderte Rizzo prompt und reichte Liam eines der herumliegenden Handtücher.
»Für mich Wassermelone.«
»Okay, kommt sofort.« Jay schnappte sich ebenfalls sein Handtuch von der Liege und verschwand in Richtung Mansion. Ich bettete meinen Kopf zurück auf die Unterarme und bekam blinzelnd gerade noch mit, wie Liam sich zu einem langen Kuss über Rizzo neigte, ehe ich die Augen schloss. Das Geräusch ihrer anhaltenden Küsse drang an meine Ohren, weckte ein vages Kribbeln in meinem Nacken und in meinem Unterleib. Wobei Ersteres auch der prallen Sonne geschuldet sein könnte. Vielleicht sollten wir wirklich langsam einen der Schirme aufspannen. Das konnte Jay ja machen, wenn er gleich zurückkam und dann sowieso schon stand.
Ich selbst war gerade schlichtweg zu faul, um mich nennenswert zu bewegen, und Rizzo und Liam würden wohl in den nächsten Minuten nicht voneinander ablassen. Ganz eindeutig knutschten die beiden noch immer, und als ich träge durch halb gesenkte Lider blinzelte, erkannte ich, dass Liam mittlerweile halb auf Rizzo auf dessen Sonnenliege lag. Ein flüchtiger Blick tiefer – die enge Speedo brachte Rizzos beginnenden Ständer eindrucksvoll zur Geltung. Liams Unterleib war von Rizzos Bein verdeckt.
»Jungs, heute ist doch Drehpause. Oder soll ich euch schnell eine Kamera bringen?«
Wie nicht anders für ihn zu erwarten, zuckte Liam beim Klang von Daves Stimme zurück und blinzelte ertappt zu unserem Labelchef hoch. Binnen Sekunden nahmen seine Wangen eine leicht rötliche Färbung an, was Rizzo jedoch nur dazu verleitete, sein Gesicht schnurrend an Liams Hals zu vergraben und ihn mit leichtem Knabbern und einer Hand in Liams Schritt zu necken.
»Rizzo … nicht …«, zischte Liam und schob, als Rizzo zunächst nicht reagierte, entschieden dessen Hände von sich. Wer Liam auf den ersten Blick für schüchtern hielt, mochte sicher recht haben. Aber er war keineswegs auf den Kopf gefallen oder Rizzo oder Keith willenlos ergeben. Der Kerl hatte Charme und Schneid – man musste beides nur erst ein wenig hervorkitzeln.
»Was gibt’s, Dave?«, wandte ich mich über die Schulter hinweg unserem Labelchef zu.
»Ist Jayson noch da?«
»Der ist drin, kommt aber sicher gleich wieder.«
»Okay, gut. Kannst du ihm das hier ge…? Ah, da ist er ja.« Mit einem Umschlag in der Hand verschwand Dave aus meinem Sichtfeld.
»Jay, hier, ich hab dir die Sondervereinbarung ausgedruckt. Alles wie besprochen. Leg sie mir einfach auf den Schreibtisch, ehe du gehst. Oder schick sie mir zu. Hat ja noch etwas Zeit bis zum Dreh.«
»Okay, mach ich.«
»Gut. Bis dann, Jungs!«
»Bis dann, Dave!«, entgegneten Rizzo und ich wie aus einem Mund. Gleich darauf klirrten Flaschen aneinander, als Jay diese auf einem kleinen Tischchen neben den Liegen abstellte.
»Danke, Jay! Kannst du vielleicht noch den Schirm aufmachen?«, fragte Liam und nahm mir damit meine Bitte aus dem Mund.
Wenige Handgriffe später spannte sich angenehmer Schatten über uns, auch wenn es noch immer ordentlich heiß war. Ein fast perfekter Sommertag in der Mansion.
Ich rappelte mich in eine sitzende Position hoch, Jay ließ sich neben mir nieder. Die Limo prickelte kalt – beinahe zu kalt – durch meine Kehle und in meinen Bauch. Nach einem halbwegs dezenten Rülpser deutete ich auf den Umschlag, den Jay zwischen uns abgelegt hatte.
»Was für eine Sondervereinbarung? Geht’s um ein spezielles Filmprojekt?« Ich dachte an so etwas wie den ›City(s)trip‹, den Jay und Dale vor inzwischen über zwei Jahren miteinander gedreht hatten, doch Jay schüttelte den Kopf.
»Nicht wirklich. Geht um den Dreh mit dem neuen Darsteller. Mason.«
Ich brauchte einen Moment, um ein Gesicht zum Namen parat zu haben, erinnerte mich dann jedoch an den superheißen Kerl im schwarzen Hemd, den Dave mir gestern bei der Poolparty kurz vorgestellt hatte. Oh, ja, dieser Mason war wirklich heiß, auf den ersten Blick genau mein Typ, aber gestern hatte ich mal wieder nur Augen für Devin gehabt.
»Ah, ja. Und wozu braucht’s da eine Sondervereinbarung? Drehst du seit Neuestem Hardcore-SM-Szenen?« Die Frage war spaßhaft gemeint gewesen, umso mehr verwunderte mich Jays angespannte Miene.
»Quatsch, nein. Nicht so wichtig.«
»Ich glaube, es ist kein großes Geheimnis, Jay.« Zeitgleich flogen mein und Jays Blick zu Rizzo. »Mich hat Dave auch gefragt.«
»Ob du mit ihm drehen würdest?«
»Ja.«
»Und?«
»Na ja …« Rizzo zögerte merklich, sah in für ihn ungewöhnlich unsicherer Manier zu Liam, ehe er sich wieder direkt an Jay wandte. »Meine Antwort steht noch aus. Prinzipiell schon, aber …«
»Hallo?« Ungeduldig rutschte ich auf der Liege herum. Liams Miene indessen sah ähnlich fragend aus, wie es die meine wohl tat. »Kann mich mal jemand einweihen? Worüber reden wir gerade?«
Erneut tauschten Jay und Rizzo einen langen Blick. Mit einem Seufzen erklärte Jay schließlich: »Es geht darum, dass Mason HIV-positiv ist.«
Eine kurze, meinerseits lediglich Überraschung geschuldete Stille trat ein, die schließlich von Liams ungläubig gekeuchtem »Was?« durchbrochen wurde. »Er hat HIV und darf Pornos drehen?«
»Warum nicht?«, kam es prompt von Jay, was jedoch erst mal nur einen neuerlichen hörbar schockierten Laut von Seiten Liams zur Folge hatte.
»Honey …«, setzte Rizzo mit ruhiger Stimme an und schob eine Hand auf Liams Oberschenkel, »das ist keine große Sache, wenn er …«
»Keine große Sache?« Liam schien kurz davor, von der Sonnenliege aufzuspringen. »Du sagst mir gerade, dass du vorhast, mit einem HIV-Positiven zu drehen, und das soll keine große Sache …«
»Liam!« Jays Stimme klang deutlich schärfer neben mir, als Rizzos es getan hatte. »Halt den Ball flach, okay? Erst mal geht es darum, dass ich mit Mason drehe. Und bevor du fragst: Ja, Dale weiß davon und es ist vollkommen okay für ihn.«
Liam öffnete den Mund, als wollte er noch etwas sagen, tat es jedoch nicht. Stattdessen schweifte sein fragender und noch immer ziemlich erschrocken wirkender Blick zu mir. Ganz so, als bräuchte er eine dritte, gewissermaßen unbeteiligte Meinung.
Ein wenig unschlüssig hob ich die Schultern. »Grundsätzlich bin ich ganz bei Jay und Rizzo. Zugegeben, ich glaube, ich hätte auch ein mulmiges Gefühl, aber ich denke, das ist eine reine Kopfsache. Insofern Mason in medikamentöser Therapie und unter der Nachweisgrenze ist …«, fragend sah ich zu Jay, der mir meine Annahme mit einem Nicken bestätigte, »besteht keine Gefahr für eine Übertragung.«
Ich sah, wie Liam tief durchatmete. Die nachdenklichen Falten auf seiner Stirn, halb verdeckt von seinem Wuschelhaar, verschwanden jedoch nicht. »Okay«, meinte er zögernd, »ich muss ehrlich sagen, dass ich mich mit dem Thema noch nicht so viel auseinandergesetzt habe. Also, mit Safer Sex natürlich schon, aber …«
»Aber wir alle sind früher oder später an den Punkt gekommen, an dem wir feststellen mussten, dass wir beim Thema HIV nicht halb so gut aufgeklärt sind, wie wir dachten.« Neben mir wedelte Jay mit dem Umschlag herum, ehe er sich halb über mich drüber reckte, um ihn unter einer der Limoflaschen festzuklemmen. »Wie auch immer … ich werde mit Mason drehen. Bin gespannt auf ihn.«
»Aber mit Kondom, oder?«
Flüchtig glitt Jays Blick zu Liam und er zuckte mit den Schultern. »Nee, ohne.«
»Echt jetzt? Nimmst du PrEP?«
»Ja, aber darum geht’s nicht. Sieh mal, Liam, ein HIV-Positiver in Therapie, dessen Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt, ist gewissermaßen der sicherste Sexpartner, den man sich wünschen kann.«
»Bitte? Wie das denn?«
»Aus einem einfachen Grund: Derjenige weiß um seine Infektion.«
An Liams Gesichtsausdruck war deutlich abzulesen, dass er nicht ganz begriff, worauf Jay hinauswollte. Und ich musste mir selbst eingestehen, dass auch ich einen Moment benötigte, um gedanklich den Bogen zu schlagen.
Schließlich war allerdings Rizzo derjenige, der es aussprach: »Mal ehrlich, Honey, wie oft kommt es vor, dass du von einem Typen, den du in einem Club oder online kennenlernst, vor dem Sex gefragt wirst, ob du safe bist?«
»Keine Ahnung. Bekanntlich habe ich keinen Sex mit fremden Kerlen.«
»Okay, auch wieder wahr.« Rizzo grinste und neigte sich zu Liam, um ihm einen Kuss auf den Hals zu drücken, ehe er fortfuhr: »Ganz ehrlich, das ist so ziemlich die dämlichste Frage, die man stellen kann, weil die Antwort rein gar nichts aussagt. Ich würde behaupten, über neunzig Prozent derjenigen, die sich mit HIV infizieren, tun das bei einem Typen, der selbst nichts von seiner Infektion wusste. Einer wie Mason jedoch, der weiß, dass er positiv ist, wird nicht gedankenlos in der Gegend herumvögeln – außer er ist ein gewissenloses Arschloch. Und wie gesagt: Viruslast unter der Nachweisgrenze bedeutet nicht ansteckend. Auch wenn es, wie Elliot sagte, für viele bestimmt Kopfsache ist, ob sie sich darauf einlassen können oder nicht.«
Besser hätte es wohl keiner von uns auf den Punkt bringen können. Rizzo hatte genau das ausgesprochen, was auch mir durch den Kopf gegangen war. Ich war mir selbst nicht sicher, wie viel Bedenkzeit ich brauchen würde, würde Dave mich fragen, ob ich bereit wäre, mit einem HIV-positiven Co-Star zu drehen. Vielleicht sollte ich diese Unterhaltung als Ansporn nehmen, mich selbst noch ein wenig mehr mit dem ganzen Thema der sexuell übertragbaren Krankheiten zu beschäftigen. Natürlich hatte ich das bereits getan. Schon bevor ich mit den Pornodrehs begonnen hatte. Aber es war, wie Jay gesagt hatte: Man dachte allzu oft, über HIV und den ganzen Kram aufgeklärt zu sein, aber wenn man sich wirklich damit konfrontiert sah, zeigten sich mehr Wissenslücken, als man selbst für möglich gehalten hatte.
»Okay …«, begann Liam nach einer langen Pause gedehnt, sein Blick ruhte nachdenklich auf seinem Freund, »und du könntest dich darauf einlassen?«
»Ja«, entgegnete Rizzo entschieden, aber mit dieser Spur Weichheit, die so oft in seiner Stimme mitschwang, wenn er mit oder von Liam sprach, »könnte ich. Werde ich aber nicht, ohne das Ganze mit dir und Keith besprochen zu haben. In Ruhe.«
Innerlich seufzte ich. Wie schön war es bitte, diese beiden – oder auch diese drei – miteinander zu erleben?
Zugegeben, so ein Daddy-Ding wäre absolut nicht meins, zumindest nicht auf Dauer. Für einen Dreh, okay, aber privat?
Doch es war in so vielen so kleinen Momenten so offensichtlich, wie glücklich Rizzo, Liam und Keith miteinander waren. Zuckerschock! Ich wollte das auch.
Wow! Wollte ich?
»Darauf trinken wir«, beschloss ich kurzerhand und hielt meine Limoflasche auffordernd in die Runde.
Von der Seite traf mich Jays schiefer Blick. »Worauf genau? Darauf, dass wir kein Positiven-Bashing betreiben?«
»Auch. Aber eigentlich meinte ich: Lasst uns auf deinen bevorstehenden, sicherlich superheißen Dreh mit Mason anstoßen.«
Prompt formte sich ein anzügliches Grinsen um Jays Mund. »Das klingt gut. Prost!«
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Finger, die von meinem Bauch aufwärts an meinem Brustbein entlangglitten und schließlich neckend um einen meiner Nippel kreisten, veranlassten mich dazu, träge blinzelnd die Augen zu öffnen. Ich hatte instinktiv gewusst, wer da neben meiner Liege kauerte und mich berührte, dennoch beschleunigte mein Herzschlag noch einmal, als ich direkt in Devins Gesicht sah.
»Hey, wie spät?«, fragte ich und musste mich erst mal räuspern, da meine Stimme trocken in meinem Hals kratzte.
»Kurz vor sechs.«
Wow, dann war ich ganz schön lange am Pool eingedöst, glücklicherweise im Schatten des Sonnenschirms. Ich hatte nicht mal mitbekommen, wann genau Liam und Rizzo sich verabschiedet hatten. Nur Jay lümmelte noch mit mir am Pool, wie ein kurzer Blick aus dem Augenwinkel zeigte.
»Ich geh laufen. Kommst du mit?«
Bei der Hitze? Keine Chance! Schnaufend stemmte ich mich auf die Unterarme hoch, brachte mich so ein wenig näher an Devin heran, der sich im selben Moment halb über mich neigte.
»Nee, zu platt und zu faul«, entgegnete ich wahrheitsgetreu. Sport und auch Unikram standen erst für den kommenden Tag wieder auf meiner gedanklichen To-do-Liste. Flüchtig streifte mein Blick über Devins Körper in den dünnen Laufklamotten, ehe ich eine Hand in seinen Nacken schob. »Wenn du unbedingt mit mir zusammen Sport machen willst, könnte ich mich eventuell für etwas anderes begeistern lassen.«
Das Blitzen im Blau seiner Augen verriet, dass er ernsthaft in Erwägung zog, seine Joggingpläne über den Haufen zu werfen. Doch dann schüttelte er kaum merklich den Kopf. Er neigte sich vollends herab, seine Lippen streiften meine, ehe er dagegen raunte: »Verlockend, aber lass uns das auf später verschieben. Ich würd mich echt gern ein bisschen richtig bewegen.«
Und ich war gerade zu faul, um ihn umzustimmen. »Okay«, meinte ich daher nur, stahl mir einen weiteren kurzen Kuss und ließ mich wieder vollends auf die Liege sinken.
»Bis nachher.«
Ich sah Devin hinterher, wie er quer über den Rasen und über die Terrasse ging und schließlich im Foyer der Mansion verschwand. Sein Kuss kribbelte noch zart auf meinen Lippen und machte die Überlegung nichtig, ob ich heute Abend noch nach Hause fahren oder noch eine Nacht in der Mansion verbringen würde. Ich sollte allerdings definitiv daran denken, mir für morgen früh einen Wecker zu stellen. Auf dem Schreibtisch in meiner kleinen Wohnung wartete ein Stapel Skripte darauf, von mir durchgearbeitet zu werden.
Träge wälzte ich mich in eine seitliche Liegeposition, sodass ich zu Jay sehen konnte, der auf einer der Liegen hockte und in das Schreiben vertieft war, welches Dave ihm vorhin gegeben hatte. Auch wenn mich diese ganze Sache nicht direkt betraf, schätzte ich es, dass unser Labelchef einen so großen Wert darauf legte, die Gesundheit der Darsteller sicherzustellen, und mögliche Problempunkte offen kommunizierte.
Nachdenklich biss ich mir auf die Unterlippe. Es fühlte sich irgendwie mies an, die HIV-Infektion eines Kollegen gedanklich als ›Problempunkt‹ zu betiteln.
Ich musste mir eingestehen, bislang nicht übermäßig viel über das ganze Thema nachgedacht zu haben. Natürlich machte man sich als ›sexuell aktiver Mann‹ im Allgemeinen und als Pornodarsteller im Speziellen so seine Gedanken und informierte sich über sexuell übertragbare Krankheiten. Aber das alles eben nur theoretisch. Ich hatte mich durchaus mit all den Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Verhinderung einer Infektion befasst, nie aber ernsthaft mit dem Gedankenspiel des ›Was wäre, wenn …‹
Wie mochte es sein, mit der Diagnose konfrontiert zu sein? Und wie würde ich selbst reagieren, sollte Dave mich fragen, ob ich bereit wäre, mit diesem Mason zu drehen?
»Kennst du ihn eigentlich genauer?«, fragte ich an Jay gewandt. »Mason, meine ich.«
Jay sah von dem Schreiben auf und faltete es zusammen, während er antwortete: »Nicht wirklich. Wir haben gestern mal eine Weile gequatscht, aber sonst …«
»Weiß er denn schon, dass er seinen ersten Dreh mit dir haben wird?«
»Ja, deswegen hat er gestern beim Barbecue vorbeigeschaut. Dave hat ihm wohl nahegelegt, es sei eine gute Idee, wenn wir uns vorher schon mal bekannt machen.«
Ich nickte verstehend und schaute gedankenverloren auf den Pool, sah dem seichten Wogen des Wassers zu. Ich erinnerte mich noch gut an meinen allerersten Dreh vor rund zwei Jahren. Daran, wie nervös ich gewesen war, wie Jay es jedoch binnen weniger Minuten geschafft hatte, mir die anfängliche Beklemmung zu nehmen. Nicht umsonst stellte – oder legte – Dave Newcomer gern zuerst mit Jay vor die Kamera. Er hatte Erfahrung und – was in meinen Augen viel wichtiger war – er konnte sich in kürzester Zeit auf seine Drehpartner einstellen. Tatsächlich hatte ich in den rund zwei Jahren, die ich mittlerweile für CC Cocks arbeitete, nur selten jemanden getroffen, der so vielseitig war wie Jay. Versatile bezog sich bei ihm definitiv nicht nur auf die Sexposition.
»Ansonsten hat Dave mir noch nicht allzu viel über ihn verraten und unser Gespräch war jetzt auch nicht so besonders tiefgründig«, fuhr Jay fort und brachte mich damit dazu, ihn wieder anzusehen. »Zumindest hat er schon Erfahrung vor der Kamera.«
»Ach, echt?« Vom ersten Eindruck her hätte ich diesen Mason auf Ende zwanzig geschätzt. Viele der Darsteller begannen ihre Karriere zwar schon früher, aber es gab auch einige, die erst mit über dreißig ins Business einstiegen.
»Mhm, hat wohl vor einigen Jahren schon mal mit den Black Tail Studios gedreht. Ausgerechnet …«
»Warum, was … Ah, Moment, für Black Tail hast du auch gearbeitet, oder? Vor CC Cocks?«
»Jepp.« Jay zog die Beine auf die Liege hoch, verschränkte sie im Schneidersitz. »Eine Erfahrung, auf die ich ganz gut hätte verzichten können. Andererseits wäre ich heute vielleicht nicht da, wo ich bin, ohne die Zeit bei Black Tail.«
›Da, wo ich bin‹, meinte in Jays Fall wohl so viel wie: ganz oben am Pornohimmel. Ich hatte nie nach seinen Klickzahlen oder nach der Höhe seines Honorars gefragt, aber man musste nicht mal ein Kenner der Gay-Porn-Industrie sein, um zu wissen, dass Jayson Ward zu den begehrtesten Darstellern überhaupt gehörte. Nicht umsonst versuchten andere Labels immer wieder, ihn von CC Cocks abzuwerben – absolut vergebens allerdings.
›Zurück nach Porn Valley? Niemals!‹, pflegte er zu sagen, wenn man ihn darauf ansprach, ob er sich vorstellen konnte, CC Cocks den Rücken zu kehren und zu einem der vielen im San Fernando Valley ansässigen Studios zu gehen. Und das, obwohl ihm die Arbeit im Porno-Tal nahe Los Angeles diverse Flüge nach New York ersparen würde. Mehr noch, wenn er und Dale wie geplant in den nächsten Monaten zusammenziehen würden.
So oder so, Jay war auf dem Zenit seiner Karriere. Von diesem war ich selbst noch weit entfernt, allerdings war es auch nicht mein erklärtes Ziel, eines der bekanntesten Pornosternchen zu werden. Ich mochte es, Sex vor der Kamera zu haben, und Gay-Pornos zu drehen, war ein lukrativer Verdienst neben dem Studium, aber es war nicht der Mittelpunkt meines Lebens. Nicht das, was ich ewig lang machen wollte. Ich mochte mein Architekturstudium und ich hatte Träume abseits des Pornosets.
»Dann kennt ihr euch von früher?«, hakte ich nach und lenkte meine Gedanken somit wieder zu Jay und diesem Mason. Irgendwie interessierte mich seine Geschichte, obwohl ich ihn nur vom Sehen kannte. Vermutlich einfach, weil es mich interessierte, wie er HIV und Porno miteinander vereinbarte.
»Nein. Mason muss noch vor meiner Zeit bei Black Tail gewesen sein. Er war wohl einige Jahre aus dem Business draußen.«
»Weißt du, warum?«
»Ich weiß nichts Genaues. Schien, als wollte er nicht darüber reden. Aber wenn ich seine Andeutungen richtig verstanden habe, hatte die Zwangspause was mit seiner HIV-Infektion zu tun.«
Ich gab ein halb zustimmendes, halb nachdenkliches Brummen von mir und stemmte mich ebenfalls in eine sitzende Position hoch.
»Na ja«, begann ich laut zu überlegen, »wenn er mittlerweile durch die Therapie unter der Nachweisgrenze ist, dürfte die Infektion, beziehungsweise deren Entdeckung, ja einige Zeit her sein. Könnte mir vorstellen, dass man als HIV-positiver Darsteller noch vor ein paar Jahren richtig Probleme innerhalb des Business hatte.«
»Mit Sicherheit. Und das Stigma dürfte bis heute nicht allzu sehr abgenommen haben«, entgegnete Jay mit ebenso nachdenklicher Miene und setzte noch ein geseufztes »Leider« hinzu.
»Muss heftig sein«, murmelte ich und merkte erst, als Jay ein fragendes Brummen von sich gab, weil ich nicht weitersprach, dass ich laut gedacht hatte. »Die Diagnose zu bekommen.«
»Mit Sicherheit, ja. Andererseits … HIV ist nicht mehr das, was es vor fünfzehn Jahren war. Ich meine, es ist heutzutage bei früher und gezielter Therapie durchaus möglich, gut mit der Infektion klarzukommen. Ich glaube eher, dass das ganze Drumherum wahnsinnig zermürbend sein kann.«
Ich nickte langsam, sah nachdenklich auf meine Finger, mit denen ich Kreise auf meinem Handtuch malte. Abgesehen von gedämpfter Musik, die aus der Villa zu uns drang, war es still zwischen uns. Ich dachte über Jays Worte nach und landete mit meinen Gedanken unweigerlich bei dem zurückliegenden Gespräch mit ihm, Rizzo und Liam.
Letzterem war der Schock darüber, dass Jay sich wissentlich dazu entschieden hatte, mit einem HIV-positiven Mann Sex zu haben, und darüber, dass Rizzo es ebenso in Erwägung zog, überdeutlich anzusehen gewesen. Ganz sicher hatte Liam seine Reaktion in keiner Weise böse oder abfällig gemeint. Er war nur einfach … Ja, was denn? Zu unaufgeklärt? Damit war er ganz sicher nicht allein. Vermutlich machten die meisten Männer – und auch Frauen – um einen Positiven einen großen Bogen. Aus Unwissenheit. Aber machte es das besser? Wie zermürbend musste es sein, immer und immer wieder zurückgewiesen und gemieden zu werden, nur weil die Leute nicht über Risiken und vor allem Nicht-Risiken Bescheid wussten?
Versunken in meine Grübeleien blinzelte ich fragend neben mich, als Jay aufstand und sich streckte.
»Ich sollte langsam duschen und dann los. Bin mit Dale zum Essen verabredet.«
Unter den letzten Sonnenstrahlen war es noch immer relativ heiß für New Yorker Verhältnisse und ich hatte ebenfalls langsam genug Sonne für heute, auch wenn wir die vergangenen Stunden unter dem Schirm verbracht hatten.
»Ich geh auch rein. Wo hat Dale eigentlich den ganzen Tag gesteckt?«
»Fototermin. Wir gehen in den Irish Pub in der Querstraße zur Mansion. Willst du mitkommen?«
»Wenn ich euch nicht störe?«
»Würde ich dann fragen?«
Grinsend verdrehte ich die Augen und erhob mich ebenfalls, um meinen Kram einzusammeln. Kurz zögerte ich, doch dann hakte ich an Jay gewandt nach: »Was dagegen, wenn ich Devin frage, ob er auch mitkommen will, insofern er rechtzeitig vom Joggen zurückkommt?«