Читать книгу Formen und Funktionen des ciceronianischen Prosarhythmus - Sven Komenda - Страница 6

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Vorbemerkungen

Wer über den Prosarhythmus schrieb, stellte zuweilen der Darstellung seiner Forschungstätigkeit einige rechtfertigende Worte voran, warum er seine Zeit denn gerade dieser Materie gewidmet habe, und solche, die den bescheidenen Wunsch artikulierten, vielleicht doch für mehr als nur eine Hand voll Liebhaber derselben zu schreiben. Das mag in jedem Fall ganz unterschiedliche Gründe haben, aber einer dieser ist womöglich, dass die Prosarhythmusforschung ihren Zweiflern oft recht wenig Überzeugendes zu entgegnen hatte, wenn nach dem Wert des Prosarhythmus in einem konkreten Fall im Text gefragt wurde.1 Hier hilft ein Verweis auf die Statistik wenig, denn er kann nichts Manifestes, nichts Handgreifliches bieten, um zu überzeugen.

Wenn also die Frage nach dem Sinn und Zweck nur mit dem Verweis auf die Statistik beantwortet wird, dürfte ein Urteil auf dieser Basis höchst wahrscheinlich äußerst skeptisch ausfallen. Dem Prosarhythmus, seiner Erforschung und denjenigen, die sie in geradezu herkulischer Arbeit vorangetrieben haben, wird ein solch skeptisches Urteil zwar mitnichten gerecht, dennoch ist diese Frage nach der konkreten Anwendung – eben dem „Sinn und Zweck“ des Prosarhythmus – völlig berechtigt und nicht einfach falsch gestellt, da etwa nur die Statistik das „rhythmische Empfinden“ eines Autors festhalten könne oder dergleichen. Die Skepsis vieler Philologinnen und Philologen weist also auf ein Defizit hin: Sie fragen eben mit vollem Recht nach diesem noch viel zu wenig beachteten Zweck des Prosarhythmus als Ausdrucks- und Stilmittel im Text und danach, ob seine Anwendung sinnfällig sichtbar gemacht werden kann. An diesem Punkt setzen wir mit unserem Versuch an.

Was den vorliegenden Ansatz dabei ausmacht, ist nicht eben seine Komplexität, sondern, gemessen an vielen älteren Systemen, seine Einfachheit: wir berücksichtigen nur fünf Klauseln, die Stilmittel und ein paar Faustregeln zur Kolometrie, ein Begriff, der sich im Verlauf der Lektüre klären wird. Insgesamt reicht dieses Set knapp dafür aus, die unseres Erachtens wichtigsten sprachlichen Merkmale einer Periode festzuhalten.

Aber da liegt denn auch das Problem vieler anderer Ansätze, was uns auch auf die eingangs erwähnte Skepsis zurückbringt: was tun, wenn ein Skeptiker sich nicht von einem System hoch komplexer und außerordentlich vielfältiger „rhythmischer Schlüsse“, gar von Mathematik und Statistik überzeugen lassen möchte, und obendrein die Relevanz eines Prosarhythmus in Frage stellt, wenn man ihm den Gebrauch des selbigen an einer beliebigen Stelle nicht mit plausiblen Argumenten beweisen oder zumindest nahelegen kann? Die Erforschung des Prosarhythmus wird sich in diesem Sinne vielleicht nie einen wirklich anerkannten Platz als klassisch-philologische Teildisziplin verschaffen, wenn wir nicht gewissermaßen in beruhigend regelmäßigen Abständen mit dem Finger auf den Text tippen und sagen können: „hier an dieser Stelle, erfüllen diese Klauseln genau diesen konkreten, auch inhaltlichen Zweck“. Ohne gut nachvollziehbare inhaltliche sowie manifeste formale Argumente wird das aber nicht gehen.

Wenn wir ferner an Ciceros Praxis bei einer elocutio denken, dann wird es einleuchten, dass er nicht unzählige „Regeln“ (wenn man denn von dergleichen überhaupt sprechen darf) hinsichtlich eines irgendwie gearteten Prosarhythmus bis ins Detail befolgen wollte oder konnte, sondern wohl eher wenige,2 und dass die prosarhythmische Ausarbeitung (wenn wir sie nicht als eitles Wortgeklingel abtun wollen) genauso wie die stilistische Ausgestaltung insgesamt in einem Bezug zu dem steht, was gesagt werden soll.

Beginnen sollte man wohl bei etwaigen basalen Funktionsprinzipien, die mit basalen Merkmalen einhergehen, die objektiv am Text nachweisbar sind. Unseres Erachtens völlig zu recht bemerkt dementsprechend auch Habinek: „While statistical studies are vital for the understanding of sentence clausula, and useful for the understanding of colon clausulae … rhythmical context is just as important an aerea of inquiry“.3 Mit diesem „context“ ist indessen ein Gewebe von Prosarhythmus, Satzbau und konkreter Aussage gemeint.

Solche Fragestellungen wurden denn auch nicht schlichtweg ignoriert. Es handelt sich allerdings für einen Großteil der älteren Forschung4 um nur einen Aspekt des Prosarhythmus. Mit dieser eingeschränkten Methodik wurde primär eine Erkenntnis der reinen Technik, weniger im Sinne eines „wie und warum?“, sondern im Sinne eines „welche Merkmale machen den Prosarhythmus überhaupt aus?“, angestrebt. Sie verkennt indessen, dass die bloße Tatsache, dass es einen irgendwie gearteten Prosarhythmus gibt, für die meisten Philologinnen und Philologen nahezu bedeutungslos bleiben wird, bis man dokumentieren kann, wozu es ihn gibt und dass der Grund in mehr als Ästhetik und Spielerei liegt und dass es auch nicht subtile psychagogische Momente sein müssen, die ihn erklären. Man wird in Zukunft dazu in der Lage sein müssen, die Frage nach seinem konkreten Zweck nachvollziehbar zu beantworten, sonst hat die Erforschung des Prosarhythmus als solche schlicht keine Daseinsberechtigung mehr.

Wenn diese Arbeit zumindest dahingehend einen positiven Effekt auf die Forschung zeitigt, dass sie auch andere zu einer wirklich textnahen Betrachtung und Interpretation des Prosarhythmus reizt, ist bereits viel erreicht.

1 Ähnliches ist denn auch von PRIMMER als die Hauptforderung seiner Kritiker wahrgenommen worden. Seine Dichotomie von fallendem und fortsetzendem Rhythmus befähigt ihn allerdings durchaus zu konkreteren Aussagen (PRIMMER 1990, 19 zu seiner Feststellung hinsichtlich der besagten Skepsis vor allem auch S. 27 sowie S. 44 hinsichtlich der Anwendung seiner Pausenstufen). Unser Ansatz ist mit dem seinigen allerdings in seiner jetzigen Gestalt nur in Teilen kompatibel.

2 LAUGHTONS Aussage über Walter SCHMIDS Arbeit zum Prosarhythmus Ciceros ist denn auch in genau diesem Sinne zu verstehen: „ … when the reader tries to follow him into the specimens of colometry which form the latter part of the book, he is confronted by metrical schemes so intricate that common sense cries out in protest.“ (LAUGHTON 1979, S. 188).

3 HABINEK 1981, 174.

4 Beispielsweise ZIELINSKI, PRIMMER oder sogar STRÄTERHOFF, worauf wir in Kapitel 1.2 dieser Arbeit zu sprechen kommen werden. Dort werden wir ebenfalls darlegen, dass BLÜMER, auf dessen Arbeit die unsrige fußt, einen ganz anderen Weg beschritten hat.

Formen und Funktionen des ciceronianischen Prosarhythmus

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