Читать книгу Formen und Funktionen des ciceronianischen Prosarhythmus - Sven Komenda - Страница 8

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2 Grundzüge einer Erfassung des Prosarhythmus

2.1 Das Notationssystem

Zunächst sei eine grundsätzliche Frage angesprochen: Ciceros auf die dichterischen (Vers-)Füße zurückgreifende Aussagen über den Gebrauch des Prosarhythmus werden im Allgemeinen als schwer verständlich beurteilt,32 stellenweise gehen die Forscher so weit, diesen Befund als das Unvermögen Ciceros zu interpretieren, sein System in anschaulicher Weise umfassend darzustellen.33 Wir teilen bezüglich dessen die Sicht, dass eine umfassende Darstellung in der Tat nicht stattgefunden habe. Doch scheint es uns näher zu liegen, nicht von Ciceros Unfähigkeit, sondern seinem Unwillen auszugehen, eine vollständige Darstellung anzufertigen. Eine explizite methodologische Abhandlung wäre ja durchaus nicht in Ciceros Interesse gewesen, wenn (was doch von der Prosarhythmusforschung gerne behauptet wird)34 viele oder gar alle kompositorischen Detailfragen mit dem Prosarhythmus zu tun haben. Wieder anderes könnte er ggf. auch für selbstverständlich erachtet und daher beiseitegelassen haben.35 Den Prosarhythmus und sein System aber preiszugeben und so gewissermaßen auch das Geheimnis der eigenen literarischen Diktion und ihrer ästhetischen Wirksamkeit, wäre in der Tat sehr viel verlangt. Cicero, so meinen wir daher, hat vielleicht ganz bewusst nicht genug über den Prosarhythmus preisgegeben, um ein in sich geschlossenes System daraus ableiten zu können. Und übrigens nicht nur hier, sondern auch bei der Figurenlehre mutet Cicero seinen modernen Interpreten einiges zu. So konstatiert bereits POLHEIM mit dezenter Resignation: „Nach einer Umgrenzung oder Abgrenzung des similiter cadens und des similiter desinens suchen wir, wie gesagt, bei Cicero vergeblich. Wie mit Absicht sind scharfe Linien vermieden […].“ 36

Wer den lateinischen Prosarhythmus untersuchte, war wohl gerade auch aufgrund dieser Schwierigkeiten in vielen Fällen zunächst an einer Weiter- oder gar Neuentwicklung der zugrunde liegenden Heuristik interessiert.37 Sie besteht generell in der Identifikation von prosodisch modifizierten Textsegmenten sowie in deren Erfassung und Auswertung. Wir möchten mit den meisten dieser Ansätze brechen und den Gegenstand sehr stark vereinfachen. ZELENYS (zumindest prinzipiell) treffende Kritik an den umfangreichen Regulierungsmonstren38 der modernen lateinischen Metriktheorie kann hier als Vorbild dienen. Selbst wenn bei einem derartigen Bildersturm, wie sie ihn forciert, nicht alles richtig sein dürfte, ist dennoch, auch was den Prosarhythmus angeht, anzuraten, von möglichst basalen und gesicherten Faktoren auszugehen. Damit ist vor allem auch gesagt, dass der lateinische Wortakzent Beachtung finden muss (und nicht etwaige Ikten nur vage oder, wenn man ehrlich ist, auf sich gestellt schlichtweg gar nicht eindeutig identifizierbarer Versfüße).39

Trotz der eigentlich offenkundigen Beleglage sei daher kurz an die Darstellung Ciceros erinnert: Im Orator wird nicht nur über den Prosarhythmus, sondern ebenso über die Mechanik des sogenannten „Drei-Silben-Gesetzes“ gesprochen. Es definiert bekanntlich die Position des lateinischen Wortakzentes. Cicero geht also auf selbiges ein und schreibt vor, die literarische Komposition müsse Sorgfalt auf den Faktor „Wort-Akzent“ verwenden.40 Er teilt uns demnach mit (und das ist eine ganz und gar nicht neue Erkenntnis), dass der selbige ein bewusst wahrgenommener und für den Redner folglich relevanter Faktor im gesprochenen Latein war. Es ist somit schlicht abwegig, ihn nicht in unsere Untersuchung einbeziehen zu wollen und die oft vertretene Prämisse,41 dass Cicero seine Aufmerksamkeit lediglich auf die Klangwirkung langer und kurzer Silben gerichtet habe, aufrecht zu erhalten. Sie läuft vielmehr einer der wenigen wirklich eindeutigen (wenn auch knappen) Äußerungen Ciceros zuwider, der zwar nicht preisgibt, wie der Zusammenhang von Akzent und Wohlklang im Sinne des Prosarhythmus nun zu denken ist, ihn an sich aber zur Sprache bringt.

Ferner weist bekanntlich bereits NORDEN auf die Genese der sogenannten Cursusformen aus dem „klassischen“ Prosarhythmus hin.42 So weit so gut also. Allein: warum sollte man dann noch den von Cicero erwähnten Wortakzent gerade nicht bereits hier in genau diesem Sinne berücksichtigen? Eine Identität der Akzente der sogenannten „Haupt“-formen und „Cursus“-formen ist nämlich, wenn die stereotypen Wortgrenzen hinzukommen, zwangsläufig erreicht.43 Vorsichtig sprechen denn auch LEUMANN-HOFMANN-SZANTYR davon, dass die Klausel mit Vorliebe mit den Wortakzenten kongruiere44 und dass der gebildete und damit ggf. gräzisierend-musikalische Akzent eine gewisse (nicht näher definierte, aber dennoch vorhandene) Rolle spiele.45 Dieser Befund legt es insgesamt also nahe, beiden Faktoren gleichermaßen (also Quantitäten und Akzenten) eine im Detail noch näher zu fassende Bedeutung einzuräumen.

Wir fahren nun mit der eigentlichen Betrachtung fort: Die Entstehung und sukzessive Weiterentwicklung des von uns herangezogenen Notationssystems wird bereits von BLÜMER dargestellt.46 Dennoch scheint es uns geboten, auf einige Aspekte, vor allem auf das primäre Ordnungs- und Kategorisierungsinstrument, den lateinischen Wortakzent, (für seine Bedeutung haben wir ja eben noch plädiert) erneut hinzuweisen. Während etwa ZIELINSKI, AILI und, um aktuellere Beispiele zu nennen, KOSTER und SCHMID, vorrangig quantitierende Systeme verwenden oder die Akzente ggf. diesem anpassen (wie es insbesondere ZIELINSKI vollzieht, indem er grundlegend neue Betonungsregeln auf Basis seiner Klauselforschung definiert),47 ihn als sekundäres Merkmal behandeln und nur an strittigen Stellen zu einer Differenzierung etwaiger Füße heranziehen (so wie etwa PRIMMER und STRÄTERHOFF),48 muss das hier benutzte System immer von den Wortakzenten her gedacht werden.

Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Akzentmuster vorrangig eine „Klausel“ ausmachen, sodass u. a. die Silbenzahl in jedem Fall gewahrt bleibt, während abweichende Quantitäten zumindest kein prinzipielles Ausschlusskriterium darstellen.49 Ein entscheidendes Kriterium, ob ein vom Autor gewollter Prosarhythmus vorliegt, ist jedoch für uns seine Interpretierbarkeit und es muss betont werden, dass die bloße Tatsache, dass die sogenannten Klauseln an vielen Kolonenden (auch bei Cicero, wie wir sehen werden) gemessen werden können, alleine noch nicht viel über eine planmäßige Gestaltung aussagt. Mit entsprechenden Notationen festgehaltene Messungen zeigen offensichtlich nur eine Kollokation phonetischer Merkmale, mit Intentionalität hat dies aber zunächst noch rein gar nichts zu tun. Erst die Analyse konkreter Texte, welche inhaltliche, aber auch andere stilistische Aspekte einbezieht, wird Argumente aufdecken können, die für eine bewusste prosarhythmische Ausformung des Wortlautes sprechen könnten.

Bei der Messung der für den Prosarhythmus relevanten Klangmuster findet dementsprechend eine Beschränkung der sogenannten Klauseln, im modernen Sinne also „Typen rhythmisierter Satz- bzw. Kolonschlüsse“,50 auf vorrangig fünf Formen statt, deren Ordnungsmerkmal wie gesagt primär die Stellung der Wortakzente ist.

Die folgende Tabelle soll unser Notationssystem illustrieren. Es ist dabei Folgendes zu beachten: die vorliegenden Beispiele (erste Spalte der Tabelle) können auf ihre anzunehmende phonetische Struktur hin untersucht und das Ergebnis dieser Untersuchung mit der entsprechenden „Notation“ festgehalten werden. Diese Notation gibt Auskunft über genau drei Faktoren: Die Positionen der Wortakzente werden mit dem Anfangsbuchstaben des jeweiligen „cursus“ festgehalten. Eine spezifische Kollokation langer und kurzer Silben wird mit einer Ziffer wiedergegeben. Eine Wortgrenze wird schließlich mithilfe einer griechischen Minuskel in die Notation aufgenommen.


Es sei mit „laude coniungant“ das erste Beispiel der Tabelle besprochen: P steht für den sogenannten cursus planus, also für das bezeichnete Akzentmuster. Ein paralleles Auftreten der Quantitäten der sogenannten Hauptform 1 wird demzufolge mit „P1“ gekennzeichnet. Eine Zäsur, also Wortgrenze wird mit griechischen Minuskeln gekennzeichnet. Im Beispiel laude coniungant setzt die Messung der Klausel wie üblich mit dem Wortakzent des ersten Wortes ein,51 sodass die Wortgrenze vor der dritten Silbe, also vor γ, liegt. Das Ergebnis der Messung ist P1γ.

Auch „nominis dignitatem“ möchten wir kurz erläutern: Die gegebenen Akzentpositionen entsprechen dem Schema des cursus velox, welcher als V abgekürzt wird. Die Anzahl und die Abfolge der langen und kurzen Silben entsprechen in diesem Fall der dritten Hauptform. Die Notation hält dies mit der Ziffer 3 fest. Beides ergibt zunächst also V3. Eine Wortgrenze zwischen der dritten und vierten Silbe wird mithilfe von δ notiert. Diese Kombination aus Akzentmuster, Quantitätenmuster und einer Wortgrenze zwischen der dritten und vierten Silbe notieren wir insgesamt also mit V3δ. Die anderen Formen verhalten sich analog.52 Wenn es sich allerdings um eine im Hinblick auf die Quantitäten unvollkommene Entsprechung handelt, so schlägt sich dies ebenfalls in der Notation nieder. Nehmen wir an, es handele sich im zweiten Beispiel der Tabelle nicht mehr um „ácta deféndimus“, sondern „áctis deféndimus“ oder dergleichen. Jetzt wird das als „zweite Hauptform“ bezeichnete Quantitätenschema nicht mehr erreicht, also – – | – – v – statt – v | – – v – . Die Klausel kann damit nicht mehr als T2γ bezeichnet werden, sondern (da die zweite Hauptform eben nicht erreicht wird) nur noch als Tγ.

Auch dieses System ermöglicht eine Messung der meisten Lautformationen, selbst wenn eine gewisse Unschärfe in Hinsicht auf die Quantitäten zugegeben werden muss, welche wir deswegen separat darstellen werden. Nur partikular bedeutsame und in diesem Schema nicht beachtete Akzentmuster werden wir anhand der vom Kolonende her nach ihrer Silbenposition gezählten Wortakzente, z. B. 4–2 oder 7–3,53 bezeichnen.

Wir möchten an dieser Stelle ferner betonen, dass die Einheit aus Quantität, Zäsur und dank dieser auch der Akzente, die „Klausel“ also, nicht mehr und nicht weniger als ein bloßer Idealtypus ist.54 Ihre, also der Klausel, einzigen beinahe immer verfügbaren und sicheren Bestimmungskriterien sind in unserem Ansatz die Wortakzente, da die Quantitäten nun einmal nicht dauerhaft und exakt bestimmten Versfüßen zugeordnet werden können. Dennoch kann man in der Praxis davon ausgehen, dass ein nicht absoluter, wohl aber doch möglichst hoher Deckungsgrad in den Kategorien Akzent, Zäsur sowie Quantität der Silben mit dem Idealtypus gewünscht war, wenn er z. B. für eine Wiedererkennbarkeit der Klausel ohne klangliche Aufdringlichkeit sorgen konnte.

Es wird dementsprechend oft notwendig sein, mit etwaigen Abweichungen umzugehen. Diese liegen für uns wie gesagt ausschließlich im Bereich der Quantitäten. Statt diese als Auflösungen zu erklären und damit die Silbenzahl beliebig variieren zu lassen, werden wir diese „Verstöße“ hinnehmen und evaluieren, ob bei gleichem Akzent von der gleichen Klauselform auszugehen ist. Es gilt also (neben der Frage, ob diese Klauseln für Cicero überhaupt relevant sind) zu überprüfen, ob die Annahme, dass auch im klassischen Latein z. B. V3δ und Vδ weitgehend gleichwertig sind oder zumindest anhand der gleichbleibenden Akzente als ein und derselbe Klauseltypus bezeichnet werden dürfen, in der Realität der Texte Bestand haben kann.

2.2 Heuristische Vorüberlegungen

Wie bereits weiter oben ausgeführt, ist unserem qualitativen Ansatz eine Begrenzung der Klauselformen zu eigen. Das bedeutet u. a., keine Auflösungen von Quantitäten zu integrieren. Dennoch bietet auch unsere Vorgehensweise einen gewissen Spielraum für heuristische Beliebigkeit. Wir werden versuchen Abhilfe zu schaffen, indem wir nun eine Methode der Messung festlegen und etwaige Zweifelsfälle im Voraus besprechen.

Als Zweifelsfälle bezeichnen wir das potenzielle Auftreten solcher Phänomene, welche einen direkten Einfluss auf die Feststellung einer Klausel haben können: etwaige Nebenakzente etwa und die Frage, ob wir von Elisionen und Aphäresen auszugehen haben oder nicht. Alle diese Fragen sind mit Ausnahme der Vokalausstoßung oder Verschmelzung (ohne Beteiligung einer auslautenden nasalierten Silbe) bereits an sich strittig oder in ihren Details nicht zufriedenstellend geklärt.

Das so entstehende Problem ist offensichtlich: eine Elision nach nasalierter Silbe etwa,55 so wird teilweise nahegelegt, sei in der Prosa gewissermaßen optional.56 Wenn man daran noch die These anschließt, ein Hiat sei ohnehin jederzeit möglich, um auf einen irgendwie gearteten Prosarhythmus hinarbeiten zu können,57 lässt sich schnell absehen, dass der gesamte Ansatz durch eine eventuell beliebige Variation der Silbenzahl und/oder Wortgrenzen und Akzentpositionen infrage gestellt wird. Das Problem wird auch dadurch akut, dass ein beträchtlicher Anteil der gemessenen Kola eines (hin und wieder mehrere) der besagten Phänomene enthalten oder eben nicht enthalten könnte. Es liegt daher zwar auf der Hand, dass wir uns nicht von spekulativen Theoremen abhängig machen dürfen, andererseits kann uns auch ein Ignorieren dieser in lateinischen Texten häufig auftretenden Fragestellungen den Blick auf die Materie versperren.

Eine binäre Entscheidung für oder gegen, um bei diesem Beispiel zu bleiben, Elisionen muss bis zu einem gewissen Grade allerdings immer falsch sein. Selbst wenn wir meinen, die exakte Regel zu kennen, könnte der Redner die bewusste Entscheidung für eine akzeptable Normabweichung ja in der Tat ad hoc zum Zwecke eines bestimmten Effektes getroffen haben. Wie also können wir mit etwaigen Problemen bei der Erfassung einer Klausel umgehen? Letzten Endes werden (und das soll unsere erste noch ganz allgemeine Regel sein) alle Zweifelsfälle mal mehr, mal weniger eingehend besprochen werden müssen. Das bedeutet konkret, dass an nicht wenigen Stellen die Frage zu stellen ist, ob nun die eine oder andere Klausel den Vorzug erhalten muss. Um diesen Prozess zumindest weitgehend frei von unnötiger Redundanz zu halten, werden wir hierbei aber so vorgehen, dass nur solche Fälle besprochen werden, welche eine etwaige Klausel verändern, herstellen oder nicht mehr messen lassen, und dass bloße Verschiebungen von Zäsuren hingegen nur in Ausnahmefällen thematisiert werden.

Die folgenden Kapitel sollen diese Probleme der Messung nun genauer erläutern. Am Ende unserer Betrachtungen werden außerdem auf Basis der sogenannten „Responsionen“ Lösungsansätze für diese Messprobleme diskutiert.58

2.2.1 Zäsuren vom Typ „β“, überzählige Akzente, Proklise und Enklise

Wir beginnen mit einer Diskussion des eher ungewöhnlichen59 Zäsurentypus „β“, „überzähliger“ Akzente sowie der Pro- und der Enklise. Über Elision und Aphärese muss indessen wohl nicht mehr gesprochen werden.60 Angemerkt sei hier nur, dass wir bei nasaliertem Auslaut (der wie gesagt vielleicht optional gewesen ist) und im Falle der (auch in der Dichtung regelmäßig von Hiaten betroffenen)61 Monosyllaba nicht von einer Elision ausgehen, sondern der orthographischen Repräsentation folgen werden. In jedem anderen Fall wird eine Elision an Ort und Stelle diskutiert werden müssen.

Eine noch offene Frage liegt aber ggf. im Falle der Betazäsur vor. Zunächst erscheint sie verdächtig, da ein randständiges Phänomen darstellt und ein dem Schriftbild nach frühes Abbrechen der etwaigen Klausel (z. B. im Falle einer Wendung wie „… (extraordinaria) nón impéria …“, also „Mβ“) die Frage aufwirft, ob hier die Wahrnehmung des Prosarhythmus gefährdet ist, ob also überhaupt eine ernstzunehmende „Klausel“ vorliegen kann. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass wir allein aufgrund des Vorkommens von Monosyllaba nicht von einer realen Unterbrechung des Redeflusses bei der Rezitation auszugehen haben, nur die Grapheme, die verschriftlichte Form der Rede in Buchstaben, suggerieren dies. STEINMANN etwa formuliert dazu im Hinblick auf die scriptio continua: „Für uns erschwert sie die Lesbarkeit von Texten, doch ist immerhin zu bedenken, daß in der Rede die Worte auch nicht abgesetzt werden, Worttrennung also phonetisch keine Begründung hat.“62 Völlig unmissverständlich bringt es NOACK schon zu Beginn ihrer Einführung in die Phonologie auf den Punkt: „Entgegen der […] verbreiteten Vorstellung, einzelne Laute oder Wörter seien auch im Gesprochenen voneinander abgegrenzt, Wörter seien etwa durch Pausen getrennt, haben wir es in Wahrheit mit einem Schallkontinuum zu tun, in dem die Einheiten, die wir Laute nennen, miteinander verschmolzen sind […].“63 Es sei auch an die Tendenz gerade der lateinischen Sprache zum „Wortkontinuum“ erinnert, wovon Phänomene wie die Elision zeugen.64 Ferner setzt dieses Bedenken implizit voraus, dass die „Zäsuren“ lateinischer Verse, der Begriff ist ja immerhin aus der Metrik entlehnt, im Allgemeinen oder doch in der Mehrzahl als Sprechpausen zu denken seien, was durchaus nicht die einhellige Ansicht darstellt und z. B. Quintilians Anweisungen für den Vortrag des Aeneispröomiums widerspricht.65 Wir jedenfalls verwenden diesen Terminus im Anschluss an ZELENYS Diskussion lediglich im Sinne von „Wortgrenze“ und, wie die eben erwähnte Philologin es für die lateinische Dichtung annimmt,66 als mögliches Regulationsinstrument der Wortakzente innerhalb der Klausel. A priori in jedem Fall von hörbaren Unterbrechungen bei der Textrezitation oder in der tatsächlichen Redesituation im Vortrag auszugehen, ist unseres Erachtens nicht zu begründen. Insgesamt wirkt diese (seltene und im Zusammenhang mit Monosyllaba auftretende) Form der Zäsur wohl bei weitem auffälliger, als sie es tatsächlich ist. Die Wahrnehmung des Prosarhythmus war wohl (selbst, wenn es sich nicht um eine präferierte Form von Zäsur handeln mag) genauso wenig gestört, wie bei jeder anderen.

Eine andere Frage ist in diesem Zusammenhang diejenige nach einem (zumindest aus derjenigen Perspektive, welche unsere Analyse und Notation vorgibt) „überzähligen“ Akzent, welcher bei Messungen dieser Art auftritt. Sie reicht bereits in die folgenden beiden Kapitel hinein und speziell zu diesem Problem lässt sich vielleicht keine wirklich befriedigende Lösung finden. Damit ist das Folgende gemeint: Eine Zäsur nach der ersten Silbe führt (wie von BLÜMER erörtert) zu der Frage, wie eine Silbenfolge wie etwa „ó óo oóo“ bewertet werden muss, die nunmehr nicht mehr über zwei, sondern scheinbar drei Akzente verfügt.67

In Fällen einer etwaigen Pro- oder Enklise von Funktionswörtern, fällt dieser überzählige Akzent u. U. in vielen Fälle schlicht weg: Genau in diesem Zusammenhang bedient man sich gerne des Terminus des „metrischen Wortes“,68 wonach ein an Moren zu geringer Wortkörper sich pro- oder enklitisch verhalte. ZELENY gebraucht diesen Terminus indes lediglich im Falle des Anschlusses von Präpositionen und Synalöphe, nicht im Falle von lexikalischen Wörtern (Appellativa wie z. B. „res“, „dux“ etc.).69 NILSON bestätigt ferner die Proklise aller Präpositionen, welche keine drei Moren umfassen (also auch der zweisilbigen), das jedoch mit gewissen Vorbehalten.70 Indessen liegen in unserem Korpus kaum Fälle pyrrhichischer Präpositionen vor, welche eine Stellungnahme unsererseits ermöglichten. In lediglich einem Fall schiene „apud“ als ein im betreffenden Kontext dank offener letzter Silbe zweimoriges Proklitikon gegen eine ansonsten interpretierbare Klausel zu sprechen (Kolon 32 des ersten Interpretationsabschnittes, auf Seite 113). Von der Berücksichtigung dieses Phänomens werden wir also Abstand nehmen, einsilbige Präpositionen hingegen verhalten sich nach NILSON eindeutig proklitisch. Letzteres werden wir daher zumindest in Betracht ziehen müssen.

Eine etwaige Proklise von Personal- und Relativpronomina oder Subjunktionen und Konjunktionen kann andererseits von NILSON nicht bestätigt werden.71 Auch ZELENY erwähnt dergleichen nicht. Wir sehen somit ebenfalls davon ab, wie auch immer sich die einzelnen Vertreter dieser Kategorien verhalten mögen. Nur das Indefinitpronomen „quis“ mit vorangehender Konjunktion oder „nescio“ scheint sich tatsächlich enklitisch zu verhalten.72

Was die Enklise der Kopula (damit sind alle einsilbigen Form des Indikativ Präsens gemeint) angeht verweisen wir erneut auf NILSON.73 Wir gehen aber (anders etwa als ZELENY), wie im Falle der Proklise, zunächst davon aus, dass auch hier die Pänultimaregel auf das „metrische Wort“ als Ganzes anzuwenden ist. Genau das wird aber auch um Einzelfall zu prüfen und gegen die entsprechenden Alternativen abzuwägen sein. Wir wenden hierbei die Pänultimaregel also auf den so entstandenen Komplex an. Z. B. also „ducés-sunt“ oder „rés-sunt“ etc. In vielen Fällen erübrigt sich durch das bereits zu Pro- und Enklise Gesagte also die Frage nach einer β-Zäsur, welche bei einem tatsächlichen Vorliegen dieser Phänomene ohnehin eindeutig überbrückt würde.

Was soll aber geschehen (um zur eigentlichen Frage zurückzukommen), wenn etwaige Hauptakzente aufeinandertreffen und wenn ein involviertes Monosyllabum kein Funktionswort, sondern ein Appellativum ist? Das Problem der ggf. aufeinandertreffenden Akzente lässt sich hier wohl nicht ad hoc lösen, auch wenn anzumerken ist, dass beispielsweise im modernen Italienischen solche unmittelbar aufeinandertreffenden Akzente zwar stellenweise auch unverändert auftreten, aber dennoch regelmäßig zu Akzentverschiebungen führen,74 für das Englische gelten der Sache nach ähnliche Regeln.75 Was nun allerdings das Lateinische angeht, so liegen hierzu nach unserem Kenntnisstand keine belastbaren Informationen vor. Und genau hier liegt der eigentliche Kern des Problems.

Das Einzige, was wir an dieser Stelle anbieten und vertreten können, ist eine konsequent gleichartige Messung auch bei diesem Zäsurentypus und „überzähligen“ Akzent, welche wir im folgenden Kapitel 2.3 genauer erläutern. Diese legt zumindest auch die Abgrenzung der Klausel „nach hinten hin“ fest. Das von PRIMMER und später BLÜMER erörterte Beispiel „quíd máli séntias“ etwa könnte in unserem Ansatz lediglich als „Mγ“ gemessen werden.76

Dieses Vorgehen ist (wie bei den anderen Messproblemen auch) dann gerechtfertigt, wenn es im Durchschnitt zu solchen Ergebnissen führt, welche bei einer detaillierten Textbetrachtung tragfähige Interpretationen erbringen und so verifiziert werden können. Also beispielsweise dann, wenn eine intendierte Gleichartigkeit nicht verschleiert und keine anhand aller auffindbaren inhaltlichen Argumente geradezu unmögliche, da widersinnige Assoziation konstruiert wird.

2.2.2 Zu den Haupt- und Nebenakzenten lateinischer Wörter

Das von uns herangezogene Notationssystem lässt des Weiteren die Frage nach den schon erwähnten etwaigen „Nebenakzenten“ auftreten, welche als zusätzlicher, wenn auch schwächerer Akzent zu einem Hauptwortakzent (nicht nur im Lateinischen) hinzukommen könnten, und deren etwaige Position in mehrsilbigen Wörtern hier besprochen werden soll. Gemeint ist also ein Phänomen wie wir es etwa heutzutage im englischen „còmpensátion“ oder in umgekehrter Reihenfolge im deutschen „Blúmenkohlsùppe“ finden kann. Man sollte dementsprechend nicht davon ausgehen, dass ein etwaiger Nebenakzent kaum wahrnehmbar und deswegen bereits zu vernachlässigen sei oder dergleichen. Dieser Punkt allerdings bringt erneut einige Schwierigkeiten mit sich.

Die aus der Antike erhaltenen Informationen zu diesem Phänomen sind in der Tat sehr allgemein gehalten und leider nur „aus zweiter Hand“ verfügbar. In den von KEIL dem Grammatiker Sergius zugeschriebenen explantiones in artem Donati findet sich die folgende Bemerkung hinsichtlich Varros Konzept der „media prosodia“ nach griechischem Vorbild, welche die bloße Existenz von Nebenakzenten möglich erscheinen lässt:

Tyrannion vero Amisenus, quem Lucullus Midithratico bello captum Lucio Murenae concessit, a quo libertate et simul civitate donatus est quattuor scribit esse prosodias: βαρεῖαν, μέσην, ὀξεῖαν et περισπομένην … In eadem opinione et Varro fuit, qui in leges suas redigit accentus, duc-tus scientia et doctrina eius, qua omnibus a se propositis evidentissimas affert probationes […]. (Gramm. IV, 529, 10–12 und 15–17)

Während dem Hauptwortakzent nach der Pänultimaregel eine Position zugeordnet wird, stellen uns etwaige Nebenakzente jedoch vor Probleme, indem ihre Stellung eben nicht ganz einfach zu bestimmen ist. Die hierzu in den sprachwissenschaftlichen Abhandlungen und Referenzgrammatiken gebotenen Informationen sind uneinheitlich: z. B. wird dazu geraten, die Pänultimaregel schlicht ein zweites Mal im selben Wort anzuwenden. Dies führt z. B. zur Messung „suscèptiónis“ mit einem Nebenakzent auf der zweiten Silbe.77 Eine andere Regel ist diejenige, immer die erste Silbe zu betonen, also sùsceptiónis. Von dieser Positionierung hängt also u. U. die Messung einer Klausel ab.

Die zuerst genannte Regel stellt wohl nichts als eine Analogiebildung dar (was sie nicht zwangsläufig disqualifiziert, was sich allerdings ebenfalls kaum beweisen lässt), die andere wurde auch für die „Cursus“-formen postuliert.78 Zudem kommen LEUMANN-HOFMANN-SZANTYR zu der These, Nebenakzente würden lediglich von verschiedenen modernen Grammatikern ihrer jeweiligen Muttersprache entsprechend auf „funktionell gewichtigen Silben“ gesetzt.79 Man sieht sich also zunächst versucht, diese Problematik auszuklammern und den etwaigen Nebenakzent nicht zu berücksichtigen. Leider stellt sich diese Frage in unserem Korpus aber zu oft, um in jedem Fall etwaiger Nebenakzente einfach ein Kolon aus der Diskussion ausschließen zu können.

Die einzig vertretbare Stellungnahme zu all diesen Problemen ist, dass die bloße Existenz eines irgendwie gearteten Nebenakzentes im Raum steht, ohne dass wir irgendwelche genaueren Informationen dazu einholen könnten. Selbst die moderne Theoriebildung der metrischen Phonologie klammert dieses Phänomen für das Lateinische explizit aus, wie etwa HAYES in seinem Standardwerk, der explizit auf die dürftige Beleglage verweist.80 An eine Art Rekonstruktion etwa wagen wir uns selbstverständlich nicht, die Gefahr eines Zirkelschlusses, der uns zum „gewünschten“ Ergebnis führt, wäre zu groß. Welcher Regel aber sollten wir folgen, wenn wir diese Frage nicht einfach ignorieren dürfen?

Sicherlich ist es nicht ratsam, die im Prinzip auf Rekonstruktionen und linguistischer Theoriebildung fußenden Regeln der Referenzgrammatiken einfach unkritisch zu übernehmen. Sie können aber als Anhaltspunkt genommen und kritisch geprüft werden. Das bedeutet, die Annahme von Nebenakzenten etwa nach KÜHNER/HOLZWEISSIG I, 241f. (woran wir uns halten werden)81 muss in jedem Einzelfall überprüft werden.

Wir gehen also, um den Versuch zu wagen, davon aus, dass ab einer Länge von vier Silben, die jeweils erst Silbe des Wortes einen Nebenakzent trägt, wenn zumindest eine Silbe Abstand zum Hauptakzent besteht.

2.3 Die Erfassung des Prosarhythmus und die Eingrenzung der Klausel

In den vorangehenden Kapiteln wurde die Methode unserer Messung im Hinblick auf einige spezielle Problemfälle bereits angesprochen. Wir werden uns mit der Tatsache abfinden müssen, dass unsere Messung, wenn sie nach den immer gleichen Regeln erfolgen muss, um dem Material in seiner Gänze gerecht zu werden, nicht jedem Einzelfall genügen kann. Dennoch erscheint es uns bei weitem wichtiger, eine immer gleiche, transparente und überprüfbare Heuristik zu liefern und zu diskutieren, welche nun einmal auch nach dem immer gleichen Regeln vorgeht. Diese Regeln werden wir jetzt erläutern.

Über die Elision bei nicht nasaliertem Auslaut ohne Beteiligung von Monosyllaba und über Aphäresen haben wir bereits gesprochen, ebenso über die Proklise einsilbiger Präpositionen.82 Gleichfalls über etwaige Nebenakzente. Bei jeder Messung werden wir dementsprechend diejenigen Alternativen angegeben, welche sich aus der Annahme oder Nicht-Annahme dieser Phänomene ergeben. So allerdings, dass immer nur von einem gleichzeitigen Zutreffen aller Phänomene oder dem Gegenteil ausgegangen wird. Wir meinen damit das Folgende: wenn etwa zugleich Elision und Proklise vorliegen könnten, so gehen wir davon aus, dass alle beide Phänomene gleichzeitig auftreten oder nicht. Mischformen hingegen werden wir nicht berücksichtigen, da auf diese Art und Weise zu viele Alternativen und damit die Gefahr einer willkürlichen Auswahl aufkommen könnte. Die Entscheidung ist in diesem Sinne (beinahe) immer binär.

Ferner ist bei der Begrenzung der Klauseln „nach hinten hin“, wie es in LEUMANN-HOFMANN-SZANTYR heißt,83 das Hinzuziehen der Akzente ein enormer Gewinn, da so zumeist eine unproblematische Abgrenzung erreicht wird – immer dann, wenn die Akzentmuster den weiter oben aufgelisteten entsprechen. Dieses Vorgehen mag demnach zu weniger Zweifelsfällen führen, dennoch treten sie auf. Eine generelle Regel soll für uns daher sein: „Die erste messbare Klausel gilt.“ Diese Regel besagt, dass eine Klausel, wenn ein beliebiges Akzentmuster vom Kolonende her analysiert wird, normalerweise mit der ersten möglichen Kombination von Haupt- und Nebenakzenten zu messen ist. Damit ergäbe z. B. ó ó ooóo im Normalfall Pβ und nicht TTβγ.

Daraus müsste auch folgen, dass óo òooóo als P zu messen ist, während die theoretisch noch mögliche Form Vγ nicht gemessen werden kann und dergleichen würde auch für die etwaige Messung Vγδ im Falle von óo ó ooóo gelten. Hier ist nach unserer Regel eigentlich nur Pβ möglich. Dennoch scheint gerade im Falle von V, der gemessen an der Silbenzahl umfangreichsten Klausel, eine gewisse Vorsicht angebracht, vor allem dann, wenn der Kontext (etwa die unmittelbar vorausgehenden Kola) mehrfach V messen lässt. Hier muss im Einzelfall abgewogen werden. Vor allem muss als Ausnahme gelten, dass bei óo òooóo und in den anderen Fällen, in denen Nebenakzente eine Rolle spielen könnten, doch weiter gemessen werden sollte, wenn auch dies zu einem messbaren Ergebnis führt, um die so erfassten Alternativen besprechen und gegeneinander abwägen zu können. Dann müsste etwa zwischen P und V am konkreten Text abgewogen werden, und so werden wir es auch tun.

Ferner werden wir auch auf Gemeinsamkeiten (vorrangig in unmittelbar aufeinander folgenden Kola) hinweisen, welche über die eigentlichen Klauseln hinausgehen, und nicht beim frühestmöglichen Punkt mit der Messung aufhören. Also beispielsweise, um Übereinstimmungen wie das aus Perspektive unseres Notationssystems schlicht übergroße Akzentmuster „12–10–8–4–2“84 oder Vergleichbares dokumentieren zu können.

Ferner setzen wir fest, dass im Falle eines letzten Wortakzentes auf der Pänultima und Antepänultima beide möglichen Messungen immer gegeneinander abgewogen werden müssen. Deswegen, weil im Falle einer Wendung wie des fiktiven „míser dúx fúgit“ zwar eine Ab- und Eingrenzung der infrage kommenden Klauseln möglich ist, da aber andererseits a priori schlicht keine Anhaltspunkte vorliegen, welche Messung (Pγδ oder Mγδ) die richtige ist.

2.4 Die Kolometrie lateinischer und griechischer Texte

Um einen Zugang zum Prosarhythmus zu finden, müssen wir ganz abgesehen von den eben besprochenen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Notation klären, an welchen Stellen im Text eine Messung der Klauseln überhaupt stattzufinden hat. Es handelt sich, wie bereits erwähnt wurde, um die Ausgänge sogenannter „Kola“. Was verstehen wir also unter diesem Begriff?

Wir werden uns bei der Klärung dieser Frage vorrangig um die moderne Kolontheorie bemühen, während sowohl des Aristoteles als auch Ciceros Aussagen nicht ausschließlich, aber vor allem mit Hinsicht auf Konzinnität und die „παρομοίωσις“ herangezogen werden sollen. Damit möchten wir einer zu weit gehenden Verästelung der Materie vorbeugen, da die antike Kolometrie zu stark abweichenden Ergebnissen in einem zeitlich bis in die Spätantike ausgedehnten Diskurs geführt hat.85 Eine Begrenzung ist also notwendig. Zuerst sprechen wir über die modernen kolometrischen Ansätze, und nach einer ersten Voruntersuchung werden wir wie gesagt zumindest auf Aristoteles und Cicero zurückkommen, vor allem um darstellen zu können, wie verschiedene auch für moderne Rezipienten weitgehend gut erkennbare Gleichklangsphänomene von diesen beiden Autoren auf Ebene der Kolometrie behandelt worden sind und für unsere Analyse nutzbar gemacht werden können.

Objektive, zunächst primär syntaktische Kriterien wurden erst durch die moderne Kolometrie zugänglich. Eduard FRAENKEL hat diese allen voran, so wird man wohl sagen können, mit einem ersten Aufsatz 1932 überhaupt erst ins Leben gerufen. FRAENKEL gewann seine ersten Erkenntnisse allerdings durch die Untersuchung lateinischer elegischer Distichen.86 Seine Frage war, wie im Falle eines über den Pentameter hinausreichenden Enjambements die formale Geschlossenheit des Distichons gewahrt bleibe, wenn nach der üblichen Regel doch ein Distichonende mit einem Satzende einhergehen müsse.87 Neben der Tatsache, dass gerade bei Catull Fälle vorliegen, in denen die besagte Regel ganz einfach ohne Kompensation nicht beachtet wurde, ist seine Antwort auf diese Frage, dass in solchen Fällen ein Segment, das er selbst als „Kolon“ bezeichnet, das Distichon abschließe. FRAENKEL meint damit eine syntaktisch (und inhaltlich) geschlossene Wortgruppe, deren Grenze klar mit dem Pentameterschluss zusammenfalle. Die Fragestellung war also, welche Konstruktionen die notwendige Geschlossenheit und das notwendige semantische Gewicht an den Tag legen, sodass die bekannte Regel nicht im eigentlichen Sinne verletzt wird.

Anhand zweier Beispiele wird der Unterschied zwischen einem Enjambement dieses Typs und dem von FRAENKEL so bezeichneten „echten Enjambement“ deutlich. Zuerst Catull 68, 70f.: Quo mea se molli candida diva pede // intulit.88 Zwischen diesen beiden Versen ist keine plausible Grenze auszumachen, weder formal noch inhaltlich. Diese Form ist nach FRAENKEL für Catull noch üblich, wohingegen sie von späteren Dichtern gemieden worden sei. Ein Beispiel für ein Enjambement, welches mithilfe eines „Kolons“ realisiert wurde, hat allerdings auch Catull zu bieten. So etwa 113, 2: Consule Pompeio primum duo, Cinna, solebant / Maciliam; facto consule nunc iterum // manserunt duo, […].89 Der Unterschied, der durch einen Schluss auf einen syntaktisch geschlossenen, autonomen Sinnabschnitt bewirkt wird, ist mit Händen zu greifen. Auf diese Form eines provisorischen Abschlusses haben die lateinischen Elegiker nach FRAENKEL regelmäßig hingearbeitet. Andere Satzglieder, die von FRAENKEL in der Rolle von Kola beobachtet wurden, sind Infinitivkonstruktionen, Participia coniuncta, Ablativi absoluti, (attributiv erweiterte) Subjekte, Objekte und adverbial erweiterte Attribute, sowie Adverbiale und korrespondierende Satzglieder (etwa in Aufzählungen)90 und eben auch (Teil-)sätze. In einem zweiten Aufsatz gelang es FRAENKEL anhand des Wackernagel’schen Gesetzes Kola auch im Griechischen zu bestimmen. Vokative, Partikeln und enklitische Personalpronomina wurden von ihm als formale Kriterien herangezogen.91

Einen weiteren Aspekt hat PEARCE 1966 ins Licht gebracht, indem er u. a. der Frage nachging, wie sich Hyperbata unter Anwendung einer kolometrischen Analyse beschreiben ließen. Er entdeckte anhand von Stichproben aus der lateinischen Dichtung und Cicero die deutliche Tendenz eines Hyperbatons, sich um die von FRAENKEL beschriebenen Kolontypen herum zu gruppieren. Z. B. bei Cat. 64, 207 ipse autem caeca mentem caligine Theseus […].92 Diese Ergebnisse sind später für das Griechische bestätigt worden. Hyperbata umschließen entweder ein Kolon oder stehen häufig am Anfang des ersten und am Ende des folgenden Kolons.93

FRAENKEL habe insgesamt, so schließt ferner HABINEK im Zuge seiner Verarbeitung des FRAENKELSCHEN Materials, im Verlauf seiner Untersuchungen größtenteils eine bestimmte (syntaktische) Kategorie differenziert, nämlich Konstituenten. HABINEKS Ergänzungen des Systems liegen (neben der besagten Präzisierung) zum einen in der Kolondifferenzierung (etwa die kolometrische Zusammengehörigkeit der Wendung „is, qui…“),94 zum anderen konnte er anhand einer Untersuchung antiker Interpunktionsformen, etwa die optionale Assoziation des Prädikats zu einem jeweils angrenzenden Kolon nachweisen.95

Diese weitgehende theoretische Übereinstimmung von Kola und Intonationseinheiten ist zum ersten Mal von Frank SCHEPPERS thematisiert worden.96 Die von Eduard FRAENKEL erarbeitete Kolontypologie wurde auch von ihm einer Revision unterzogen, welche sich ebenso an dem Begriff der Konstituente orientiert.

SCHEPPERS hat hierbei jüngst auf Grundlage aller lysianischen Reden und der platonischen Dialoge Kratylos, Sophistes, Theaitet und Politikos97 die bisherigen Erkenntnisse zur Kolometrie griechischer Texte ausgeweitet. Er hat eine Neudefinition der Kola durchgeführt, mit dem erklärten Ziel, gewisse Inkonsequenzen der bisherigen Definitionen zu beseitigen98 und es ist ihm gelungen, die heterogene Typologie der Kola, die zuvor syntaktische, semantische und allgemein kontextbedingte Kriterien der Segmentierung umfasste, stark zu vereinfachen und zu begrenzen. Er unterscheidet vorläufig99 zwischen Teilsätzen und teilsatzwertigen Konstruktionen, zwischen adversativen, parallelen oder andersartig syntaktisch korrespondierenden Kola, „nicht integrierten“ Segmenten (Appositionen und Parenthesen) und solchen Elementen, die „fronted“, also in Spitzenstellung an den Satzanfang gesetzt sind. Als nur ein Beispiel sei das folgende genannt: Lys. 3, 15 μετὰ δὲ ταῦτα | τὸ μὲν μειράκιον εἰς γναφεῖον κατέφυγεν (Der Fettdruck wurde von uns hinzugefügt). Hier offenbart die Partikel μέν den Kolonwechsel.100

Auch seine Kolometrie bleibt nicht ohne ein subjektives Moment (und wird selbstverständlich von unserem Referat auch nicht annähernd vollständig wiedergegeben), doch die Segmentierung anhand formaler Kriterien hat SCHEPPERS durch seine umfangreiche Grundlagenarbeit entscheidend vorangebracht. Durch eine detaillierte Stellungsanalyse der griechischen Partikeln, Personal- und Demonstrativpronomina, der einfachen und komplexen Negationen, der Sub- und Konjunktionen, sowie Adverbien und verschiedener Adjektive auf Teilsatzbasis konnte er die Regeln ihrer Stellung identifizieren.101 Auf Teilsatzbasis (Teilsätze sind, wie erwähnt, ebenfalls eine Kolonkategorie) wurde gearbeitet, um sich an die Interpunktion der kritischen Editionen halten und selbst konstruierte Zirkelschlüsse bei der Abgrenzung der etwaigen Kola umgehen zu können.102 Die besagten Regeln gelten aber ebenfalls bei anderen Kolontypen103 und können im Zweifelsfall Anhaltspunkte für eine Trennung oder Zusammenfassung von Segmenten im Griechischen geben. An seiner insgesamt überzeugenden überarbeiteten Typologie werden wir uns auch im Lateinischen orientieren.104

Es liegt ferner auf der Hand, dass nicht oder zumindest nicht nur so verfahren werden darf, dass Kolonfugen immer dort angenommen werden, wo wir als neusprachliche Rezipienten schlicht eine Pause setzen würden, zumal wenn diese lediglich unseren eigenen höchst subjektiven Lese- und Verstehensprozess abbilden, der ggf. nach jedem zweiten oder gar einzelnen Wort eine Unterbrechung nahelegt, wenn die Syntax es irgendwie zulässt. Stilistische Aspekte müssen, wenn sie sich nachweisen lassen, unbedingt beachtet werden, was auch zu solchen Kola führen kann, die unerwartet kurz oder lang105 ausfallen.

Diese sprachlichen und kompositorischen (vielleicht entsprechend vorgetragenen) Einheiten sind für uns also relevant, denn an ihren Endpunkten erfolgt auch die Messung des Prosarhythmus. Es versteht sich wohl von selbst, dass wir den Standpunkt von SCHEPPERS teilen und auf das Lateinische anwenden: „ancient Greek discourse essentially comes in cola“.106 Allerdings sehen wir in den von uns ermittelten Kola doch noch immer primär kompositorische Einheiten der literarischen Gestaltung (mit einer wichtigen und eindeutigen Basis in der Realität in der gesprochenen Sprache freilich), welche eine Vortragsoption nahelegen und auch nur nahelegen.107

Das sogenannte „Sinnkriterium“,108 oder die „inhaltliche Geschlossenheit“ eines Kolons bedurfte indessen einer weiteren Diskussion, um etwa eine theoretische (kognitive und/oder sprachpragmatische) Grundlage zu schaffen. Bei der praktischen Kolonsegmentierung hat es sich allerdings als überflüssig erwiesen, etwa auf den Informationsgehalt der meisten Kola und informationsstrukturelle Dimensionen in diesem Sinne explizit einzugehen, da es uns eben nicht um eine sprachwissenschaftlich angelegte Analyse, sondern eine stilistische Untersuchung der konkreten Anwendung des Prosarhythmus geht. Lediglich im Falle von Aufzählungen werden wir des Öfteren darauf zu sprechen kommen müssen. Dort werden wir auch einige Worte über den semantischen Gehalt der Konjunktionen et, atque/ac und -que verlieren.109 In allen anderen Fällen haben sich die besagten syntaktischen und die noch zu besprechenden stilistischen Kriterien so bewährt, wie sie es bereits in früheren Arbeiten anderer Autoren getan haben.

Soviel zu den moderneren Ansätzen. Jetzt allerdings scheint es geboten, an einem ersten Beispiel zu zeigen, was wir unter einer prosarhythmisch-kolometrischen Textuntersuchung und Interpretation verstehen.

2.5 Versuch einer Interpretation des Prosarhythmus von Cic.Catil. IV, 1,1 bis 1, 2

2.5.1 Erste Annäherung

Das folgende Kapitel dient zum einen der Veranschaulichung des bereits Besprochenen und soll uns zum anderen erste Hinweise für die konkrete Untersuchung von Klauseln am Text liefern. Viele der Diskussionen, welche wir später noch im Rahmen dieser Arbeit werden durchführen müssen, fußen auf den hier gewonnenen Anhaltspunkten.

Die vierte Catilinarie fällt bekanntlich in den Kontext der Senatsdebatte über den Umgang mit den bereits festgesetzten Catilinariern (ob diese also hingerichtet oder lebenslänglich inhaftiert werden sollten). Ihre staatspolitische Dimension und letztlich vor allem auch für Cicero selbst herausragende Bedeutung sind dementsprechend nicht zu verkennen. Im Gegensatz allerdings zur ersten ungemein affektvollen catilinarischen Rede zeigt sie einen deutlich weniger emotionalen und moralisierenden Ton und vor allem für den Beginn der Rede wird eine gründliche nachträgliche Überarbeitung vermutet.110 Alle drei Aspekte, ihre politische Bedeutung, ihr vergleichsweise gemäßigter Duktus und eine zu vermutende hohe Intensität ihrer Aus- und ggf. Nachbearbeitung, sprechen dafür, dass eine etwaige stilistische Gestaltung, welche vielleicht auch auf die bereits vorgestellten Klauseln zurückgreift, hier verhältnismäßig gut sichtbar werden sollte und sie machen gerade diese Passage (trotz einer wahrscheinlich nicht geringen Zahl ebenfalls brauchbarer Alternativen) zu einer angemessenen Materialgrundlage für eine erste Annäherungen die im Rahmen dieser Untersuchung relevanten Fragestellungen.

Dabei gilt es Einiges zu beachten und wir gehen in zwei Schritten vor. Im ersten Schritt werden wir keine Problemfälle diskutieren, welche sich auf die Erfassung einer Klausel beziehen, sondern lediglich vom 3-Silben-Akzent und den Quantitäten ausgehen und mit der „orthographischen Repräsentation“ des Textes arbeiten. Alle Fälle werden zuerst also nur so, wie sie sich in der Schriftform präsentieren, untersucht. Auch was die Segmentierung angeht, werden wir nur solche Grenzen berücksichtigen, welche als konsensfähig bezeichnet werden können, wir nehmen sie daher gerade ganz zu Anfang nur sehr zurückhaltend vor. Nur bei scheinbar eklatant überlangen Kola wird die Segmentierung als solche jedoch von Anfang an zumindest zu diskutieren sein.111

Wozu diese Beschränkungen? Zum einem scheint an diesem Punkt eine erste Demonstration unseres konkreten Vorgehens angebracht, die für ein besseres Verständnis zu sorgen hat. Wir sollten uns daher nicht zu viel auf einmal vornehmen. Sodann können die bezeichneten Problemfälle nur sinnvoll diskutiert werden, wenn einige Annahmen (etwa die generelle Anwendbarkeit unseres Klauselsets auf einen Cicerotext) bereits einer ersten Prüfung unterzogen worden sind. Dementsprechend ist es angebracht, dass wir an dieser Stelle mit einer methodisch reduzierten Analyse einsetzen.

Im Anschluss möchten wir uns mit demselben Textausschnitt erneut auseinandersetzen und einige unserer bisherigen Ergebnisse einer Prüfung unterziehen, indem wir beispielsweise nun auch Problemfälle der Klauselerfassung besprechen. Es sei also angemerkt, dass die folgenden Betrachtungen nichts als einen notwendigen Zwischenschritt darstellen. Einiges werden wir in der Tat revidieren müssen. Doch führen wir uns nun den ersten Teilsatz der Rede vor Augen, der Ciceros Feststellung formuliert, die Senatoren seien Cicero zugewandt und ihre Blicke auf ihn gerichtet:

Video, patres conscripti, in me omnium vestrum ora atque oculos

esse conversos,112

Wir können hier ohne Zweifel von zumindest zwei Kola in einem Teilsatz sprechen und die erste Grenze muss nach dem Vokativ gezogen werden. Der erste Segmentierungsvorschlag wäre demnach schlicht und einfach:

Video, patres conscripti,

in me omnium vestrum ora atque oculos esse conversos,

Diese Unterteilung dürfte an sich wohl kaum strittig sein. Eine weitere Gliederung erscheint möglich, zumindest denkbar; wir werden an dieser Stelle aber der Einfachheit halber noch darauf verzichten und wenden nun die bereits besprochene Notation auf dieses Beispiel an:


Man wird dieses Beispiel allein nicht zu stark belasten dürfen. Mit einiger Vorsicht können wir aber konstatieren, dass beide Kola den cursus planus zeigen. Am Ende des Satzes kommen sogar die Quantitäten der ersten Hauptform hinzu, obwohl auch im ersten Kolon dazu nicht viel gefehlt hätte, lediglich die Quantitäten der ersten beiden Silben entsprechen nicht der ersten Hauptform. Die damit einhergehende Alliteration (hier im Fettdruck) sollte nicht übersehen werden.

Augenscheinlich entsprechen sich die Abschlüsse beider Kola in mehr als einer Hinsicht: Akzente und Quantitäten gehören dazu, dann aber auch die Länge der jeweils letzten beiden Wörter (gemessen am Silbenumfang) und die Entsprechung des Präfixes „con-“.

Wir können sagen, dass die Gleichheit dieser Merkmale die Aufmerksamkeit darauf lenkt, dass es nun einmal die Senatoren sind, deren Augen auf Cicero gerichtet sein. Auf das Agens also und sein Tun. Mit der gebotenen Vorsicht fassen wir zusammen: Die Gesamtaussage wird an ihren Eckpunkten in zwei zusammengehörigen Kola stilistisch gleichartig markiert. Die Periode wird wie folgt fortgesetzt, die Senatoren seien also nicht nur um sich selbst und die Respublica besorgt, sondern auch um Cicero:

video vos non solum de vestro ac rei publicae, verum etiam, si id depulsum sit, de meo periculo esse sollicitos.

Wir untergliedern den Satz nun zunächst anhand der bereits gegebenen Interpunktion. Ebendiese darf zwar keinesfalls als Kriterium suo iure verstanden werden, so allerdings wird an dieser Stelle der Nebenordnung durch „non solum … verum etiam …“ Rechnung getragen. Außerdem separieren wir, indem wir so vorgehen, den Konditionalsatz „si id depulsum sit“ vom Rest. Wenn wir, wie im ersten Satz, zunächst noch keine weiteren Unterteilungen vornehmen, dann ergibt die Messung der Klauseln am Kolonende das folgende Bild:


Es zeigt sich im ersten Kolon keine problematische Messung im engeren Sinne, sondern ein Interpretationsproblem: wie können wir unseren Befund, also diese Kollokation von Akzenten und Quantitäten adäquat bezeichnen? Hat nun M eine größere Berechtigung oder T? Tatsächlich ist keine der beiden Messungen völlig unplausibel: wenn wir von M ausgehen, fallen alle Kola, welche auf die Sorge der Zuhörer um sich selbst und den Staat Bezug nehmen (worauf schließlich auch „id“ referiert), mit dieser Klausel zusammen, nur das Besorgt-sein um Cicero selbst ginge mit T einher, womit die Periode zudem ihr Ende fände. Für eine Messung von T sprechen aber zusätzlich die Quantitäten der zweiten Hauptform, außerdem könnten so die antithetischen Begriffe „de vestro ac rei publicae“ und „de meo periculo“ am Periodenanfang und Ende dank T als prosarhythmisch verbunden erachtet werden. Da bei der Annahme von T zu einem inhaltlichen Argument also auch formale Anhaltspunkte hinzutreten, scheint es eher angebracht, von T auszugehen.

Obwohl Cicero diese Sorge von Seiten der Senatoren als willkommen und dankenswert empfinde, sollten sie diese dennoch fahren lassen und stattdessen an sich und ihre Kinder denken:

Est mihi iucunda in malis et grata in dolore vestra erga me voluntas, sed eam, per deos immortales, deponite atque obliti salutis meae de vobis ac de vestris li-beris cogitate.

Spalten wir auch hier zunächst die mit „sed“ beigeordneten Teilsätze wie auch die Exklamation ab und bezeichnen die Kolonenden entsprechend dem Notationssystem:


Noch lässt sich über die gemessenen Formen keine Aussage treffen und man wird eine Grobgliederung wie diese wohl auch nicht akzeptieren. Zum einen zeigt sich nämlich eine unzweifelhaft parallele Komposition von „(est mihi) iucunda in malis“ und „grata in dolore“. Ferner wird man „deponite“ kaum schlüssig mit dem ab „atque“ Folgenden zusammenbringen können. Es wird vielmehr autonom stehen müssen. Darüber hinaus sollte wohl auch „obliti salutis meae“ seiner Bedeutung entsprechend (beispielsweise „ohne an mein Wohlergehen auch nur zu denken“) für sich stehen. Bei dieser weiteren Unterteilung ergibt sich das folgende Bild, wofür wir die vorliegenden Teilsätze der Übersichtlichkeit halber nebeneinander darstellen:


Es deutet sich zunächst eine gewisse Regelmäßigkeit an: die mit „sed“ adversativ nebengeordneten Teile werden mit jeweils gleichen Akzentmustern, also zweimal TT und zweimal V beendet (wobei die dritte Hauptform im letzten Kolon der Periode erzielt wurde). Damit soll allerdings nicht gesagt sein, dass nicht auch die ersten beiden Teilsätze trotz adversativer Nebenordnung als enger zusammengehörig angesehen werden können; i.S. einer Paraphrase wie „Dies ist mir zwar alles willkommen, aber nehmen dennoch davon Abstand und … denkt an euch selbst!“). In den letzten beiden Kola liegt eine weitreichende Übereinstimmung der Quantitätenfolge vor, nämlich in – v – – v –, sodass gerade im vorletzten Kolon sogar die 2. Hauptform als Teil des insgesamt erfassten Quantitätenmusters gegeben ist;113 allerdings ohne, dass sich dies zum jetzigen Zeitpunkt deuten ließe.

Fokussiert man die Betrachtung auf die markierten Kola, so bleiben Ciceros Dank einerseits, wie auch andererseits die an seine Zuhörer gerichtete Aufforderung, an die eigene Rettung zu denken, übrig. Im Verlauf des nächsten Kapitels werden wir noch eingehend auf „per deos immortales“ zu sprechen kommen, dessen Akzentmuster auch anders notiert werden könnte.

Eine weitere Interpretationsfrage stellt sich im ersten Kolon: P oder M? Der einzige Anhaltspunkt zur Klärung dieser Frage sind in unseren Augen die Quantitäten der ersten beiden Kola, welche im ersten Fall sogar M4γδ ergeben. Es deutet sich hiermit zumindest an, dass M intendiert ist. Die weitere Diskussion der Periode vertragen wir zunächst, um sie im Folgekapitel wieder aufzugreifen.

Es bleibt festzuhalten, dass die beiden „Etappen“ dieser Periode, welche bis zum Ende des ersten und dann wiederum bis zum Ende des dritten Teilsatzes verlaufen, ihren Abschluss mit doppelten TT- und V-Klauseln finden, wodurch sie sich unterscheiden. Beide ähneln sich jedoch auch gerade dadurch, dass sie eben mit jeweils zwei gleichartigen Klauseln enden. Die nächste Periode zunächst ganz im Überblick:

Mihi si haec condicio consulatus data est, ut omnes acerbitates, omnes dolore cruciatusque perferrem, feram non solum fortiter, verum etiam libenter, dum modo meis laboribus vobis populoque Romano dignitas salusque pariatur.

Dass Cicero alle mit seinem Konsulat verbundenen Widrigkeiten gerne auf sich nehme, wenn dies Volk und Senat zugutekomme, ist der Inhalt dieser Periode. Trennen wir nun zunächst alle Teilsätze voneinander wie auch die einzelnen Konjunkte der ersten Aufzählung:


Es sticht sofort die Länge des letzten Kolons ins Auge. Eine Trennung anhand von Satzgliedern (Konstituenten) ist möglich: zunächst ein Ablativus Instrumentalis („meis laboribus“), dann ein indirektes Objekt („vobis populoque Romano“), danach die Subjekte mitsamt finitem Verbum („dignitas salusque pariatur“). Das Ergebnis gestaltet sich wie folgt:


Wer hier nach solchen Klauseln sucht, die offenkundig miteinander in Bezug gesetzt werden können, wird wohl zunächst ein wenig enttäuscht sein. Aber dies bedeutet noch nicht, dass wir keine Ordnungsmerkmale an dieser Stelle ausfindig machen und bezeichnen könnten. Wir setzen nun die drei Teilsätze voneinander ab und markieren zuerst die augenscheinlichen Wortwiederholungen und Homoioteleuta der Hauptsatzkola wie auch zumindest zwei etwaige Klauseln:


Während in der vorangehenden Periode beide Teilsätze gewissermaßen prosarhythmisch analog gestaltet zu sein schienen, so lassen sich hier auf Ebene der ersten beiden Teilsätze zunächst die altbekannten Stilmittel kolometrisch gut erfassen. Allerdings zeigt sich noch eine weitere Nuance: die Kola „verum etiam libenter“ und „dignitas salusque pariatur“ zeigen beide TT, am Ende der Periode tritt sogar TT12γ auf. Beide schließen jeweils auch einen Teilsatz ab und zeigen dementsprechend ggf. so, d. h. prosarhythmisch, markierte Stichwörter an. Wir paraphrasieren: Cicero nehme vieles sogar gerne auf sich, wenn so nur dem römischen Volk Würde und Unversehrtheit zuteilwerden könnten. Es scheint somit nicht willkürlich, dass beide Kola miteinander assoziiert werden können, es handelt sich um wichtige Kernbegriffe. Die gewissermaßen freudige Bereitschaft Ciceros zur Aufopferung und deren Zweck scheinen also markiert zu sein.

Obwohl also Klauseln im engeren Sinne an dieser Stelle für eine stilistische Betrachtung nur in zwei Fällen fruchtbar herangezogen werden können, so zeigt sich die Gestaltung der Periode doch zumindest in zwei von drei Teilsätzen mithilfe der kolometrischen Aufgliederung sehr gut. Alles Weitere werden wir für das folgende Kapitel aufsparen und kommen damit zur nächsten Periode dieser Stichprobe:

ego sum ille consul, patres conscripti, cui non forum, in quo omnis aequitas continetur, non campus auspiciis consecratus, non curia, summum auxilium omnium gentium, non domus, commune perfugium, non lectus ad quietem datus, non denique haec sella curulis, sedes honoris, umquam vacua mortis periculo atque insidiis fuit.

Es drohe Cicero gewissermaßen überall in der Öffentlichkeit wie auch im Privaten Lebensgefahr; auf dem Forum, dem Marsfeld, in der Kurie, ja nicht einmal zu Hause sei er vor Anschlägen sicher.

Wir gehen erneut so vor, dass wir Vokative, Appositionen, Teilsatz- und Aufzählungsgrenzen beachten. Auch das semantische Gewicht von „summum auxilium“ einerseits und „omnium gentium“ andererseits spricht deutlich für die Annahme zweier Kola in diesem Fall.


Es fällt bereits beim ersten Überblicken dieser Periode auf, dass die messbaren Klauseln gewisse Gruppen zu bilden scheinen: 2-mal P gefolgt von 2-mal V, dreimal T und dreimal P mit jeweils kurzen Unterbrechungen durch nicht messbare Kola und in einem Fall TTβε. Hier kommt im Übrigen eine Besonderheit hinzu: die zweite Hauptform tritt gemeinsam mit TTβε auf.114

Wir nehmen nun vorrangig diese ersten auffälligen Kollokationen von Klauseln der Reihe nach in Augenschein. Zuerst sei hier der Hauptsatz mitsamt der Adressierung der Senatoren separat dargestellt:


Wie in den ersten beiden Kola der Rede, so zeigt sich auch hier doppelter cursus planus. Dieser weist vielleicht auf eine bewusste, gleichförmige prosarhythmische Gestaltung dieser Kola hin. Auch der Gleichklang von „con-“ deutet in diese Richtung. Kommen wir zu den ersten Subjekten des Nebensatzes mitsamt dem zu „forum“ gehörigen Relativsatz:


Es zeigt sich schnell, dass die ersten beiden von Cicero genannten geographischen Entitäten, das Forum Romanum und das Marsfeld, mit Wendungen präsentiert werden, welche letztlich zweimal den cursus velox ergeben. Auch eine erneute Alliteration ist erkennbar. All dies deutet zumindest auf die Zusammengehörigkeit beider Punkte, wie auch der damit einhergehenden Kolongruppe, zumal auch die Quantitäten beinahe identisch sind. Hier allerdings gilt, wie auch für den Rest der Periode, dass wir im Verlauf des nächsten Kapitels noch einige Veränderungen an unserer Analyse und Darstellung werden vornehmen müssen.

Wenn wir jetzt unser Augenmerk auf die nächsten Entitäten (zwei Gebäude statt zweier Plätze) richten, so tritt auch hier offenbar ein gewisses Muster zutage:


Wie man sieht, werden diese beiden Aufzählungspunkte im Gegensatz zu den ersten beiden von T dominiert, die Kola „non curia“ und „non domus“ sind als nicht-rhythmisch zu bezeichnen, T folgt jeweils. Auch Homoioteleuta sind gegeben. Damit bestätigen sich in gewisser Weise unsere vorangehenden Beobachtungen. Bisher plädieren die Klauseln also für die Zusammengehörigkeit gewisser inhaltlich zueinander passender Kola und damit natürlich auch für eine Abgrenzung dieser Kolongruppen voneinander. Aber kommen wir damit zu den letzten Kola:


An dieser Stelle scheint das bis dato verfolgte Erklärungsmuster nicht mehr oder doch nur in Teilen aufzugehen: das erste Kolon (mit dem Stichwort „lectus“) entzieht sich dem Ganzen mit TT und der zweiten Hauptform statt P, während „sella curulis“ samt Apposition gleichförmig P messen lässt, wie auch das Ende des Relativsatzes.

Während also keine exakte Passung vorliegt, so können wir doch zumindest zweierlei sagen: zuerst scheint der Periodenbeginn durch eine weitere Gruppe von P-Klauseln aufgenommen zu werden. Sodann ist zumindest der letzte Aufzählungspunkt in die besagte Kolongruppe eingebunden und lässt damit den cursus planus als für ihn spezifische Klausel im Gegensatz zu V und T messen. Eine gewisse Absicht in Gestalt einer bewussten thematisch fundierten Kolongruppierung anzunehmen, ist also auch hier nicht abwegig, selbst wenn sich zumindest ein Kolon der Periode unserem Zugriff ganz zu entziehen scheint. Doch wie steht es nun mit diesem Kolon („non lectus ád quiétem dátus“), welches TTβε und zugleich die Quantitäten der zweiten Hauptform messen lässt?

Zunächst können wir sagen, dass weder Akzente noch Gleichklänge hier auf eine Assoziation mit T hindeuten. Die Quantitäten wären nur mit „omnium gentium“ in Bezug zu bringen, was auf sich gestellt kaum sinnig erscheint. Ferner ist auch das hier genannte Stichwort „lectus“ mit den vorangehenden und als Träger von T-Klauseln erfassten Kola nicht unmittelbar kompatibel, sondern vielmehr mit „sedes“. Ein etwaiger Rückbezug lässt sich also weder inhaltlich noch formal bestätigen.115

Beides spricht zunächst dafür, dass wir die Quantitäten an dieser Stelle nicht überbewerten sollten. Es wird aber noch eingehender zu prüfen sein, ob die Tatsache, dass auch an anderer Stelle Akzente und Hauptform in dieser Form aufeinandertreffen, weitere Schlussfolgerungen nach sich ziehen muss. Momentan jedoch ist die Form als Ganze schwierig zu deuten, das Kolon sollte wie gesagt inhaltlich zu den folgenden gezogen werden. Soviel zu unserer ersten Betrachtung dieser längeren Periode.

Wir gehen erneut einen Schritt weiter. Cicero habe vieles verschwiegen und erduldet, vieles zugestanden und unter persönlichen Opfern wieder ins rechte Lot gebracht:

ego multa tacui, multa pertuli, multa concessi, multa meo quodam dolore in vestro timore sanavi.

Es scheint zunächst geboten, alle hier asyndetisch aneinandergereihten Teilsätze zu trennen, wie auch den Präpositionalausdruck „in vestro timore“ (ohne aber „sanavi“ vom selbigen zu trennen).


Es fällt sofort auf, dass die Periode auf einen M- („Verschweigen und Ertragen“) und P-Block („Zugestehen und Heilen unter eigenem Schmerz, während der Senat sich fürchtet“)116 zerfällt, welche zudem von solchen Kola abgeschlossen werden, die Hauptformen messen lassen. Gemeinsam haben alle Kola, dass die γ-Zäsur vorliegt. Dies legt zunächst die Frage nahe, ob die etwaigen Paare „tacui…pertuli“ sowie „concessi…sanavi“ tatsächlich als solche begründbar sind, und das scheint auch der Fall zu sein: zunächst könnte man sagen, dass es sich um einen Gegensatz handelt. Anhand von „ertragen“ („pertuli“) im eher passiven und „heilen“ („sanavi“) im aktiv-helfenden Sinne wird das zuerst deutlich. Aber auch das passive „Schweigen“ und aktivere „Gestatten/Zugestehen“ verhalten sich hierzu analog. Zudem wird man sagen müssen, dass in beiden Fällen zunächst auf eine (Nicht-)Äußerung („tacui“ und „concessi“), dann auf ein Handeln („pertuli“ und „sanavi“) Bezug genommen wird.

Alles in Allem ergibt es Sinn, eine gewisse inhaltliche Autonomie (aber auch Analogie) beider Klauselgruppen anzuerkennen. Darüber hinaus kann man wohl annehmen, dass eine Beziehung zum Ausgang der unmittelbar vorangehenden Periode vorliegt: Gefahr einerseits und Schmerz/Leid anderseits rücken in beiden Perioden ans Ende und gehen mit P-Gruppen einher.

Cicero fährt damit fort, dass er, wenn die Götter es so wollten, für die Rettung des römischen Volkes, Senates und seiner Angehörigen, der vestalischen Jungfrauen sowie Roms und Italiens selbst jedwedes Schicksal auf sich nehmen werde:

Nunc si hunc exitum consulatus mei di inmortales esse voluerunt, ut vos populumque Romanum ex caede miserrima, coniuges liberosque vestros virginesque Vestales ex acerbissima vexatione, templa atque delubra, hanc pulcherrimam patriam omnium nostrum ex foedissima flamma, totamItaliam ex bello et vastitate eriperem, quaecumque mihi uni proponetur fortuna subeatur.

Wir werden diese erneut etwas umfangreichere Periode zunächst grob vorgliedern, indem wir alle Teilsätze voneinander trennen, wie auch die einzelnen Aufzählungspunkte, soweit diese nicht mit „-que“ nebengeordnet und als Einheiten aufzufassen sind, wie im Falle von „vos populumque Romanum“ und „coniuges liberosque vestros“.


Wie gesagt, haben wir damit erst eine Grobgliederung vollzogen. Wir nehmen nun zunächst den Hauptsatz in Augenschein: Eine Grenze nach dem gewichtigen Objekt „hunc exitum consulatus mei“ ist hierbei anzunehmen, da eine starke syntaktische Fuge gegeben scheint. Messen lässt sich das so abgegrenzte Kolon allerdings (noch) nicht.


Noch können wir nicht viel über eine etwaige prosarhythmische Gestaltung sagen und ziehen daher alle Aufzählungspunkte bis „vexatione“ hinzu. Die semantisch gewichtigen Präpositionalausdrücke trennen wir nun als separate Kola ab.


Man wird zwar nicht bestreiten können, dass der parallele, jeweils in den superlativischen Präpositionalausdrücken gipfelnde Aufbau mithilfe dieser kolometrischen Gliederung gut sichtbar wird, was allerdings die etwaigen Klauseln angeht, so ergeben sich auf den ersten Blick noch keine Anhaltspunkte für ihre Erklärung und zwei Kola können auch noch nicht erfasst werden. Wir fügen nun den weiteren Text bis „flamma“ hinzu. Auch hier ist der Präpositionalausdruck aus dem gleichen Grunde abzutrennen.


An dieser Stelle fällt deutlich auf, dass die Rettung der sakralen Bauten und der gemeinsamen Heimat insgesamt mit dreifachem P1γ/δ einhergeht. Jetzt also scheinen die Kola prosarhythmisch einheitlicher gestaltet zu sein. Es zeigt sich außerdem, dass auch „vos populumque Romanum“, das als Gegenstück vielleicht zu „patriam omnium nostrum“, wie auch „virginesque vestales“, welches als Gegenstück zu „templa atque delubra“ gedacht werden kann, gleichermaßen diese Klausel, also P1γ aufweisen. Wir fahren mit dem letzten Aufzählungspunkt („ganz Italien“) fort und trennen erneut den Präpositionalausdruck ab.


Auch hier zeigt sich, dass beide Kola gleichartige Klauseln, Tγ in diesem Fall, aufweisen. Weiteres gibt es zunächst nicht anzumerken. Wir kommen damit zu dem letzten noch verbleibenden Kolon:


Dass dieses Kolon, da es in seinem jetzigen Zustand zwei Teilsätze enthält, höchstwahrscheinlich weiter aufgespalten werden muss, dürfte außer Frage stehen. Es muss zunächst aber geklärt werden, ob „fortuna“ in den vorangehenden Relativsatz hineingezogen wurde oder nicht. Eine Kolongrenze wäre entsprechend vor oder nach „fortuna“ anzunehmen. Beides ist prinzipiell denkbar. Eine Hineinziehung hätte allerdings die Abtrennung von „subeatur“ zur Folge, dessen semantisches Gewicht allein eher gering anzusetzen ist, während „fortuna subeatur“ diesen Nachteil nicht zeigt. Des Weiteren könnte ein Gleichklang in den betonten Silben von „uni“ und „fortuna“ parallel zum zweifachen „-tur“ vorliegen, der nur bei einer solchen Trennung erkennbar würde. Wir entscheiden uns aufgrund dessen dafür, „fortuna“ nicht für einen Bestandteil des Relativsatzes zu erachten (vertreten also eine Textauffassung i.S.v: „in welcher Gestalt es mir auch immer auferlegt wird, ich will mein Schicksal auf mich nehmen“) und trennen daher wie folgt:


Neben dem bereits Gesagten kommt so auch doppeltes TT zum Vorschein. Es ist anzumerken, dass hier der Hauptsatz aufgegriffen werden könnte, also „… esse voluerunt“ („wenn die Götter ein derartiges Ende meines Konsulates wünschen“). Zusätzlich werden im letzten Kolon die entsprechenden Quantitäten für diese Klausel erreicht. Soviel aber vorerst zu dieser Periode.

Aber gehen wir noch einen Schritt weiter: Und, wenn P. Lentulus meinte, sein Name habe eine schicksalsträchtige Bedeutung (dass er also den Untergang des Gemeinwesens verheiße),117 warum solle Cicero sich nicht im Gegenzug darüber freuen, dass sein Konsulat sich als ebenso schicksalsträchtig im gegenteiligen Sinne erwiesen habe?

Etenim, si P. Lentulus suum nomen inductus a vatibus fatale ad perniciemrei publicae fore putavit, cur ego non laeter meum consulatum ad salutem populi Romani prope fatalem extitisse?

Auch hier orientieren wir uns zunächst an den Teilsätzen, Partizipialkonstruktionen und dem einen vorliegenden AcI (als teilsatzwertigen Syntagmen) und gelangen damit zur folgenden ersten Grobgliederung:


Das Kolon „cur ego non laeter“ stellt uns erneut vor ein Interpretationsproblem. Es lässt sich also nicht mit völliger Sicherheit sagen, ob der cursus planus zweimal vertreten ist. Falls dem aber so ist (wobei die Alternative M schlicht nicht gedeutet werden könnte), können wir momentan das Folgende sagen: Der erste Teilsatz lässt P an seinem Abschluss messen und der Übergang in die Apodosis ist ebenso zu notieren. Damit allerdings ist die Segmentierung noch nicht abgeschlossen. Wir teilen daher zunächst den letzten Satz (nach Satzgliedern/Konstituenten wiederum) auf:


Daraus ergibt sich, dass alle Satzglieder, die den AcI ausmachen, den cursus tritrochaicus messen lassen. Auch im ersten Teilsatz können wir so verfahren und trennen ihn nach Satzgliedern auf (wobei wir auch das vorangehende außerhalb des Nebensatzes stehende „etenim“ abspalten):


Es lässt sich in diesem Fall immerhin konstatieren, dass die Eckpunkte der Partizipialkonstruktion gleichermaßen den cursus tardus messen lassen und wir sehen ferner, dass die Kola „fatale ad perniciem rei publicae“ und „cur ego non laeter“ erneut die Frage nach einer Interpretation der Messung aufkommen lassen: ist M nun doch als Messung gerechtfertigt? Und: wie gehen wir damit um, dass in „fatale ad perniciem rei publicae“ erneut die Quantitäten der 2. Hauptform vorliegen? Wir werden beiden Fragen im folgenden zweiten Durchgang diskutieren, im Zusammenhang mit den etwaigen weiteren Organisationsebenen der Periode nämlich.

Wir kommen damit zur nächsten Periode. Cicero wiederholt nun seine Forderung: nicht auf ihn dürften seine Zuhörer Rücksicht nehmen, sie müssten sich vielmehr um sich, ihre Familien und das römische Volk kümmern.

Qua re, patres conscripti, consulite vobis, prospicite patriae, conservate vos, coniuges, liberos fortunasque vestras, populi Romani nomen salutemque defendite; mihi parcere ac de me cogitare desinite.

Wir teilen jetzt ein weiteres Mal die beiden Sätze nach Konjunkten (sofern sie nicht mit „-que“ verbunden werden) und Teilsätzen auf:


Die ersten beiden Kola werden durch P gebunden. Drei Imperativformen gehen mit T einher. Eine zunächst nicht-rhythmische Ausnahme stellt dabei „conservate vos“ dar. Mehr lässt sich an dieser Stelle allerdings noch nicht sagen.

Wir fahren also fort: Auf den Dank der Götter nämlich, der Beschützer Roms, dürfe Cicero, wie er fortfährt, hoffen und auch, wenn ihm etwas zustoßen sollte, werde er gefasst in den Tod gehen:

Nam primum debeo sperare omnis deos qui huic urbi praesident pro eo mihi ac mereor relaturos esse gratiam; deinde, si quid obtigerit, aequoanimo paratoque moriar.

Auch hier trennen wir zunächst die Teilsätze voneinander:

Tatsächlich gehen die besagte Schutzfunktion und das Abstatten des Dankes (kurz


gesagt also alles, was die Götter tun könnten) mit M einher. Eine weitere Segmentierung ist allerdings vonnöten, was den Vergleichssatz „ac mereor“ angeht, nach welchem eine Grenze zu setzen angebracht ist. Auch sollte „debeo sperare“ vom folgenden AcI getrennt werden. Damit ergäbe sich das folgende Bild:


Da diese beiden Perioden jedoch nicht getrennt von der letzten betrachtet werden sollten, wollen wir letzte nun hinzufügen: Wenn dies erreicht sei, werde Cicero zufrieden sterben können, wie er meint. Und erneut beginnen wir mit der Abteilung der Teilsätze:


Es zeigt sich, dass Apodosis und Protasis an dieser Stelle ggf. M messen lassen und dass diese drei Kola stilistisch als „wachsende Glieder“ zu bezeichnen sind. Anhaltspunkte für eine weitere Segmentierung fehlen. Damit ist jedoch noch nicht alles gesagt, denn „si quid obtigerit“ könnte durchaus als T2βδ118 gemessen werden. Das Auftreten der Hauptform ist hierbei ein formales Argument, doch zunächst scheint M schlüssigere Bezüge zu liefern. Betrachten wir daher die letzten beiden Perioden also nebeneinander:


Es zeigt sich nun, dass die jeweils letzten beiden Kola („… [, dass alle Götter] mir Dank erweisen, wie ich es verdiene“ und „wenn mir etwas zustößt, werde ich es gleichmütig dulden“) analog gestaltet sein könnten. Die weitere Diskussion werden wir allerdings vertagen und im Folgekapitel weiterführen. Soviel also zunächst zu diesen letzten beiden Perioden.

Aus diesen ersten Beobachtungen ergeben sich einige Anhaltspunkte für unser weiteres Vorgehen. Zunächst können wir sagen, dass unsere Messungen (in den meisten Fällen) trotz der besagten Einschränkungen durchgeführt werden konnten. Wir haben die Kolonenden also prosarhythmisch erfassen und notieren können und dürften vielleicht etwas vergröbernde, aber doch vertretbare Kolongrenzen gesetzt haben. Aber was besagen diese Messungen und Abgrenzungen nun? Aufgrund unseres derzeitigen Kenntnisstandes können wir mit der gebotenen Vorsicht sagen, dass

• Inhaltsbezüge,

• eine Neigung zur Bildung von Gruppen

• und eine Beziehung zu gewissen Formen des Gleichklangs

bei den Klauseln der Koinzidenzrhythmik in dieser kurzen Stichprobe sichtbar geworden sind. Einige Fragen konnten allerdings noch nicht geklärt werden, denen wir uns im Folgenden zuwenden wollen.

Formen und Funktionen des ciceronianischen Prosarhythmus

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