Читать книгу Erleuchtet ...und nix dazugelernt! - Swami Desastah - Страница 5

Zuhause, wo es nach Zwergen duftet

Оглавление

Hätte mir vor rund 25 Jahren jemand erzählt, dass ich mal erleuchtet sein würde und damit vollkommen nutzlos für die Gesellschaft, hätte ich ihn für verrückt erklärt.

Obwohl: genau genommen war ich eigentlich schon immer vollkommen nutzlos für die Gesellschaft. Nur halt eben noch nicht erleuchtet. Der Unterschied zwischen erleuchtet und unerleuchtet ist: wenn Du nicht erleuchtet bist, hast Du wenigstens noch die Chance, dass aus Dir eines Tages mal was wird.

Aber zurück zu mir…ein gutes Vierteljahrhundert zurück in die Vergangenheit.

Du wirst es nicht glauben: auch ich war mal ein ganz normaler junger Mann. Ich meine, völlig normal und höchst durchschnittlich. Ach nein, durchschnittlich ist nicht das richtige Wort. Darin findet man mit etwas Wohlwollen noch irgendwas Positives. Ich meine: Mittelmaß. Ich war handwerklich in etwa so begabt wie ein Königspudel, ein Totalversager beim anderen Geschlecht und schon mit Mitte 20 sehnte ich mich nach der großen Freiheit, mit Stoffverdeck und möglichst viel Hubraum. Sogar dazu wäre ich nämlich trotz notorisch im Sollbereich befindlicher Konten eher gekommen als z.B. zu Heidi Klum. Oder auch nur der Brünetten mit der Stupsnase in meinem Kursus „Mathematik für Naturwissenschaftler II“.

Ich studierte damals frank, frei und fröhlich vor mich hin und wie so viele hoffnungs volle lose junge Männer bekam auch ich es nicht gebacken, binnen der Regelstudienzeit mein Diplom zu bauen.

Alles hätte ganz normal weiter laufen können, wäre da nicht meine Wohnungsnachbarin Fabienne gewesen, die im gleichen Haus eine kleine Wohnung gemietet hatte.

Besagte Fabienne war schon Anfang 30, in einem höchst langweiligen Beruf bei der Stadt beschäftigt, Single (geschieden), durchaus recht attraktiv und sie hatte ein interessantes Hobby: sie konnte sich mit Zwergen unterhalten.

Nicht mit Persönlichkeitszwergen wie mir, nein: mit richtigen Zwergen.

Da ich ja schon immer eine Neigung dazu hatte, in etwa so viel zu peilen wie ein Maulwurf im Spiegelkabinett, bekam ich die ersten Monate ihres Zuzugs weder etwas von ihr, noch von den Zwergen, mit denen sie kommunizierte, mit. Aber irgendwann begegneten wir uns schließlich doch. Und das kam so…

Es war ein ziemlich heißer Tag im Frühsommer, irgendwann in den 90ern. Ich war recht dünn angezogen und wetzte kreuz und quer durchs Haus auf der Suche nach einer Gartenschaufel. Ich hatte nämlich eine Hornisse in meinem Zimmer und suchte ein narrensicheres Tool, sie fachgerecht ins Jenseits zu befördern. Dabei hörte ich Stimmen aus dem Zimmer, ein undefinierbares Gemurmel. Ich dachte mir, wo jemand war, war vielleicht auch jemand, der mir sagen konnte, wo ich eine Schaufel fand.

Elefant im Porzellanladen, der ich bin, rannte ich ohne anzuklopfen in den Raum. Und stand in Muscleshirt und Shorts vor einem halben Dutzend Frauen, sitzend um einen runden Tisch mit lauter merkwürdigen Gegenständen, in einem abgedunkelten Raum. Drei von ihnen gellten sofort: „EIN MANN!!“

Nachdem der von der Flucht der Frauen aufgewirbelte Staub sich gelegt hatte, lugte ich misstrauisch hinter dem Türrahmen hervor. Eine war noch da. Sie hatte einen etwas unguten Blick drauf. In etwa so, als hätte ich ihren Lieblingswellensittich am Stecken gegrillt und bei dessen Verzehr auch noch gerülpst. Ich fühlte mich unbehaglich, und das mit Recht…

„Das war ja ´ne tolle Vorstellung! Blöder Vollidiot!“ meckerte sie mich an, zugegebener Maßen zu Recht.

„E-Entschuldigung…“ stammelte ich verlegen, „…ich ha-habe eine Hornisse im Zimmer und nach einer…äh, gesucht.“

„Hornissen stehen hier unter Denkmalschutz!“ blaffte sie mich an. „Im Übrigen ist eine Fliegenklatsche in jedem Stockwerk direkt neben dem Kühlschrank!“

Ich zog den Kopf noch ein bisschen mehr ein und wollte gehen, da…

„Warte mal.“

Das hatte noch nie eine Frau vorher zu mir gesagt! Ich drehte mich um, in der Hoffnung, dass ich keinen harten Gegenstand wie z.B. einen vollen Nachttopf in mein Gesicht geworfen bekam.

„Du hast…nichts gesehen?“

„Die dritte von links hatte schöne T…Augen.“

„Die dritte von links war ich, Du Dummbatz. Und das meine ich nicht!“

Ich hatte schon noch ein paar andere Dinge gesehen als schöne, äh, Augen. Aber ich dachte mir, dass es vielleicht besser wäre, das für mich zu behalten.

„Was denn?“

„O.k., gut, kannst gehen!“

Ich war mir nicht sicher, ob sie die Gegenstände auf dem Tisch oder die fünf Geschlechtsgenossinnen, die vor mir geflohen waren, meinte, und tat das m.E. nach sinnvollste: schweigen.

Ungefähr zwei Wochen später…

Alles ging wieder seinen Gang: mein Zimmer war hornissenfrei, zwischen Fabienne und mir lagen zwei Stockwerke, es war mitten in der Nacht und alles war ruhig. Wenn man von dem heftigen Unwetter absah, das sich mit Blitz und markerschütternden Donnerschlägen unmittelbar von dem Fenster meiner Studentenbude austobte. Nach einem besonders heftigen Schlag klopfte es noch dreimal an der Zimmertür, und dann stand Fabienne auf der Matte.

Ich hatte eigentlich angenommen, wir würden uns niemals wieder sehen.

„Jetzt dürftest Du ja wach sein.“

„Zwangsläufig.“

„Könntest Du Dich vielleicht mal nützlich machen?“

„Keine Ahnung, habe ich noch nicht ausprobiert.“

„Dann probiere es jetzt aus: auf meiner Koppel sind Pferde ausgebüxt. Los, mach hin.“

Ich hüpfte also in einigermaßen wasserfeste Klamotten und 5 Minuten später waren wir unterwegs. Zum Glück für mich hatten Fabiennes Pferde von selbst wieder den Weg auf ihre Wiese zurück gefunden, so dass ich sie nicht tragen musste. Wir konnten also wieder nach Hause fahren. Wenigstens waren wir beide ordentlich durchnässt, so dass es sich doch ein bisschen gelohnt hatte.

„Sorry…“ sagte Fabienne.

„Auch Sorry, wegen neulich…wegen der…Augen.“ Gab ich verlegen von mir.

„Ach, das ist doch nicht so schlimm. Du hast wirklich…nichts mitbekommen?“

„Du meinst, bis auf das Pentagramm, die Glaskugeln, die Kerzen, die Amulette und die Gargoyle-Statuen? Und das Ouija-Brett? Und die Tarot-Karten? Nein, nicht das Geringste.“

„Woher weißt ausgerechnet Du denn, was Kerzen sind?“

„Wir hatten mal Stromausfall, als ich noch klein war.“

„War das während Deiner Geburt?“

„Nein, später.“

„Hätte ja sein können…“

(Langes Schweigen…)

„Weißt Du, was das alles zu bedeuten hat?“

„In den Geo-Seminaren meinen sie, das hänge mit der Klimaerwärmung zusammen…“ (Anmerkung: die gab es vor 25 Jahren auch schon – zumindest in Geo-Seminaren)

„Ich meine jetzt nicht das Wetter.“

„Was denn?“

„Hast Du Dich je nach dem Sinn des Lebens gefragt?“

„Die letzte Frau meines Alters, die mir diese Frage gestellt hat, schenkte mir kurze Zeit später ein Buch mit dem Titel wie werde ich ein Alpha-Mann und dem Spruch: das musst Du noch ein bisschen üben auf den Lippen, bevor sie aus meinem Leben verschwand.“ Gab ich wahrheitsgemäß zu. Ich war nicht einmal 25 und wusste noch nicht, dass die Wahrheit manchmal, sagen wir, nicht wirklich angebracht war.

Jedenfalls, statt dass ich friedlich weiter schlafen konnte, begab es sich zu jener Zeit, dass mir Fabienne um dreiviertel Vier Uhr morgens die Tarotkarten legte…

Zum Glück war das erste Studienseminar am nächsten Tag um 11 h…also zu einer normalen Zeit.

„Möchtest Du etwas über Deine Persönlichkeit oder lieber über die Zukunft erfahren?“

„Ich kenne meine Persönlichkeit leider und über die solltest Du besser nicht so viel erfahren – also die Zukunft.“

„Das habe ich mir gedacht. Aber was Deine Persönlichkeit angeht: es ist eh zu spät!“

Fabienne legte etwas, das sie „keltisches Kreuz“ nannte. Das Layout war ein wenig anders als beim „Stämmchen“, einer rudimentären Version von Poker aus meiner Urheimat. Sie hatte es überhaupt mit den Kelten, die liebe Fabienne. Also legte sie und deckte auf. Und was sie da aufdeckte, hatte weder etwas mit einem Krimi, noch mit einer Verschwörung oder einem Skandal, ja nicht einmal mit mir zu tun – obwohl das letztere ja eigentlich nahe gelegen hätte…

„Damit hätte ich nicht gerechnet!“ eröffnete Fabienne nach der Aufdeckung den fälligen Sermon und sagte damit was anderes als Wahrsagerinnen auf Jahrmärkten. Letztere versprachen einem immer das große Los, kassierten dafür aber auch standesgemäß. Ich erwartete hingegen in Anbetracht meines bisherigen Lebensverlaufs kein großes Los. Aber…

„Hier, Vergangenheit und Gegenwart: sie besagen, dass Du bisher da zuhause warst, wo es intensiv nach Zwergen duftet…bis dahin nichts Ungewöhnliches. Aber die Zukunft sagt, dass das nicht so bleiben muss…hm?“

Um die Seance aufzupeppen, warf Fabienne noch eine Runde I-Ging. Aber auch die Würfel blieben hartnäckig bei der Mutmaßung um die Entwicklung meiner Zukunft. Sie schüttelte den Kopf, die Frau mit den schönen, äh, genau das.

„Verstehe ich nicht.“

Was verstehst Du nicht.“

„Du wirst einmal se…, äh, ich meine recht bedeutend werden.“ Danach sagte sie, deutlich leiser und mehr zu sich selbst „muss an der Uhrzeit liegen…ich bin kein Nachtmensch.“

Ich verstand das Ganze auch nicht, bat um Gnade und ging ins Bett. Schließlich stand für 11h am nächsten Vormittag das Seminar „Ringelpiz mit Anfassen“ auf dem Lehrplan. Oder so ähnlich. Jedenfalls irgend etwas, was Niveau hatte. Nämlich meins. Durch den Spruch „wo es intensiv nach Zwergen duftet“ kam ich übrigens überhaupt erst darauf, dass Fabienne mit Zwergen sprechen konnte. Außerdem sollte ich bald erfahren, dass die Zwerge immer Recht hatten. Auch wenn sich der Verlauf meiner Zukunft doch etwas anders gestalten sollte als erwartet. Nämlich, wie man es normalerweise aufgrund meines Studiums hätte erwarten können, eher naturwissenschaftlich.

Womit ich nicht gesagt haben will, dass ich eine ausgesprochene Trophäe in Naturwissenschaften war oder wie dieses portugiesische Fremdwort für „toll“ lautet.

Nur läppische knapp sechs Stunden später…

Nach der ereignisreichen Nacht schälte ich mich zu einer für Studenten absoluten Unzeit, nämlich bereits um 9:43h aus den Federn. Fabienne, die Zwergenflüsterin, war schon lange auf der Arbeit. Ich futterte einen halben Beutel Reiswaffeln, sogar noch bevor sie sich in der Fitness-Szene durchzusetzen begannen, hielt meine Zwergenwäsche, sattelte den Toyota Starlet und fuhr gen Hörsaal. Der anspruchsvolle Kurs „Ringelpiz mit Anfassen“ oder genauer gesagt „praktische Botanik II“ begann durchaus vielversprechend: der Tutor machte zunächst einmal jemanden rund, der gegen ihren erklärten Willen eine unter Artenschutz stehende rosarote Kuckuckslichtnelke exekutiert und illegal in sein Herbarium eingebunden hatte.

Zum Glück nannte er nicht den Namen des Frevlers und Naturschänders, sonst wäre ich wohl noch etwas weniger beliebt unter den Biologen geworden, als ich sowieso nicht war. Unter den Ausführungen der Biologen auf der Showbühne vergaß ich das, was letzte Nacht geschah, nur die etwas feuchte Hose erinnerte noch an die Suche nach Pferden unter meteorologisch ungünstigen Bedingungen.

„Hey, hast Du Blasenentzündung oder ein Freundin mit ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben?“

„Wieso?“

„Du bist so blass und Deine Hose nass.“

„Nein, ich habe die Nacht teilweise auf dem freien Feld und teilweise vor Tarotkarten sitzend verbracht.“

„Den Stuss solltest Du ganz schnell vergessen!“ klärte mich der etwas ältere Mitstudent auf.

„Ja, Du sagst es. Nachts um 3 h während eines Sturzregens nach ausgebüxten Pferden zu suchen ist auch nicht meins.“

Ich musste mich auf die Stunde konzentrieren, da weitere bedrohte Pflanzenarten besprochen wurden, und bekam daher nicht mehr mit, dass sich mein Mitstudent eine breite flache vor die Stirn gab.

So schlimm war das jetzt auch alles nicht. Da wuchsen nämlich ganz schön viele Kuckuckslichtnelken. Außerdem hatte der Herr Tutor ja meinen Namen nicht genannt…

Jedenfalls, ich prägte mir die geschützten Arten genauestens ein und das ganz ohne das damals noch einigermaßen unbekannte (zumindest bei mir, andere Studenten waren da nicht ganz so rückständig) so genannte Internet. Ich hoffte auf mehr Glück mit meinem nächsten Herbarium in dem Sinne, in dem weniger und womöglich gar keine geschützten Arten mein konzeptloses Getrampel durch Wald und Flur kreuzten. Auf ein Neues mit Botanik 2 im nächsten Semester!

Im Laufe des Tages gab es noch einige weitere naturwissenschaftliche Vorlesungen und Seminare und in „Mathematik für Naturwissenschaftler 1“ glänzte ich sogar bei einer Epsilontik-Aufgabe mit der einzig möglich richtigen Antwort. Wow. Das brachte die Brünette mit der Stupsnase dazu, einmal in meine Richtung zu schauen. Bis ich das allerdings gepeilt hatte und zurück schaute, war dieser kurze Moment ihrer emotionalen Verwirrung schon wieder vorbei.

Mein Studium war im naturwissenschaftlichen Bereich interdisziplinär. Diese Wissenschaften beherrschten zwar eher mich als ich sie, aber auf der anderen Seite: ich sah darin seinerzeit die einzige Chance, gleichzeitig sowohl die Welt als auch das eigene Portemonnaie vor dem Untergang zu retten. An Weltrettung durch Esoterik, Gargoyle-Statuen, Tarot und I-Ging sowie die eloquenten Gespräche mit diversen Zwergen dachte ich zu dieser Zeit nicht einmal im Traum, auch nicht nach einer der feuchtesten Nächte meines Lebens. Wenn es nicht überhaupt die feuchteste Nacht war…

Mein Karma sollte sein, unbeleckt von vergangenen und zukünftigen Leben und weitestgehend verpeilt im gegenwärtigen ebensolchen Kuckuckslichtnelken zu zählen, auf Wetterstationen mit viel Regen und keinem Badesee in der Nähe die Daten auszuwerten und irgendwelche Essays über Mutter Natur vs. Papa Staat zu verfassen. Das dachte ich damals, in 1994. Dass Badeseen oder zumindest einer davon in meinem späteren Leben allerdings durchaus relevant werden sollten, weißt Du ja wahrscheinlich schon von meinem Blog und meinen anderen, dämlichen Geschichten.

Nach einem arbeitsamen Studientag + nicht vegetarischer Stärkung in der Mensa ich um kurz vor 2 Nachmittags nach Hause zurück. Ich machte mir schon ein bisschen Gedanken darüber, wie ich den Stress und die vielen Seminare kurz vor dem Vordiplom handeln könnte. Immerhin war ich bereits in meinem fünften Semester und wir hatten sogar Seminare und Kurse am Donnerstag! Womit die Woche immerhin einen Tag länger war als im Vorsemester. Im Flur meiner bescheidenen Behausung rannte ich in…

…Fabienne, richtig.

„Was machst Du denn schon hier?“

„Das könnte ich Dich jetzt auch fragen. Immerhin studiere ich und habe demzufolge die 15-Stunden-Woche und Du arbeitest und hast…“

„Nichts. Gar nichts diese Woche. Die Belegschaft macht sich einen Lenz und in zwei Wochen fangen die Semesterferien an! Morgen muss ich auch nur vier Stunden da sein. Aber wo wir uns hier gerade treffen: wollen wir den Faden wieder aufnehmen?“

„Welchen Faden?“

Fabienne tippte mir gegen die Stirn.

„Den von heute Nacht, Du Nullbeutel!“

„Es regnet doch gar nicht mehr!“

„Nicht den Pferde-Teil, den Karten-Teil!“

„Ich wusste, da fehlt noch was?“ seufzte ich resigniert. Fabienne musterte mich durchdringend.

„Da fehlt glaube ich noch so einiges. Aber das lässt sich ja hinbiegen.“

O.k., also folgte ich der Frau mit den schönen Augen in ihre Kemenate. Dabei fiel mir auf, dass sie nicht übermäßig viel Tageslicht einließ. Da mir nichts anderes einfiel – ich war bis dahin eher selten allein mit einer Frau in deren Wohnung – sagte ich ihr das.

„Dir wird schon aufgefallen sein, dass Hochsommer ist, bei Dir im Zimmer 27°C herrschen und bei mir nur 22°C?“

„Ich dachte, das wäre um die Zwerge nicht zu vertreiben.“

„Hier gibt es nur einen Zwerg, den ich im Zweifelsfall vertreiben müsste!“

„Ich bin immerhin 1,87m groß!“ protestierte ich.

„Ich meine nicht Deine Körpergröße!“

Die Vibrations gingen bei uns ziemlich eindeutig nicht in die Richtung Austausch von Körperflüssigkeiten. Sie machte vielmehr den Eindruck, als wäre sie noch knatschig wegen der Vertreibung von Frauen und Zwergen. Aber immerhin: Fabienne war eine der wenigen Frauen, die mit mir sprachen. Klar, noch ein bisschen abfällig, aber das würde sich schon nicht ändern, wenn sie mich erst einmal ein bisschen besser kannte, dachte ich.

„Dann schauen wir mal nach, ob wir nicht doch die richtige Antwort auf Deine irrelevanten Fragen von letzte Nacht finden.“

Fabienne wurstelte sich durch ihr Tarotdeck und pflückte mit einem Affentempo mein komplettes Layout zusammen.

Daran kannst Du Dich erinnern?“

„Ich habe ein sehr gutes visuelles Gedächtnis. Umso mehr, als dass das Reading so überhaupt nicht zu dem passt, was ich von Dir weiß.“

Also steckte da was Positives drin? Das war ja mal richtig spannend!

„Hier steht zum Beispiel, dass Du eine sehr alte Seele bist.“ Hochgezogene Augenbrauen… „wobei ich mich allerdings frage, was Du die ganzen Inkarnationen getrieben hast?“

„Oft geboren und nichts dazugelernt?“ grinste ich.

„Bist Du mit der Idee mehrerer Leben vertraut?“

„Nur rudimentär. Als ich 15 war, hat mir eine Frau auf dem Schützenfest gesagt, ich wäre in einem vergangenen Leben Imhotep gewesen.“

„Das steht hier nicht. Aber wie dem auch sei. Sie besagen, dass Du Dich bald erinnern wirst. Sie besagen auch, dass Du in Kürze Deinen eingeschlagenen Pfad verlassen wirst.“

„Den der Mittelmäßigkeit?“

„Das weiß ich nicht. Es ist eine Materiekarte. Hier steht was von Deinem Studium. Ist Dir das Wort Karma ein Begriff?“

„Karma wurde in meinem Elternhaus immer als Begriff für die Fettnäpfchen verwendet, in die ich immer reingelatscht bin.“

„Karma ist unvermeidbar. Fettnäpfchen sind vermeidbar.“ (kritischer Blick von ihr) „…naja, für Dich vielleicht nicht. Siehe meine Seance. Da hättest Du anklopfen können.“

„Wenn ich geklopft hätte, hätten sich die Zwerge vielleicht gestört gefühlt.“

„Was faselst Du da von Zwergen? Die Frauen haben sich gestört gefühlt, falls Du es nicht mitbekommen hast! Meine Güte!“

Die nächsten 20 Minuten brachte Fabienne damit zu, mir das Wort „Karma“ zu erklären: dass jeder Mensch nicht einmal, sondern sehr, sehr oft auf die Welt kam, dass er durch seine Taten, Gedanken und sein Verhalten ein bestimmtes Muster erzeugte, das sich im Unterbewusstsein und in der Seele manifestierte und den körperlichen Tod überdauerte und dass man sich im kommenden Leben mit diesen Mustern wieder auseinandersetzen musste. Mir Naturwissenschaftler war vorübergehend danach, ein Bad in flüssigem Stickstoff zu nehmen und mich anschließend in Nutella oder von mir aus auch einer billigeren Schokocreme für die Nachwelt konservieren zu lassen. Das wäre gegenüber der Gegenwart immerhin eine enorme Steigerung meines Nutzens für die Gesellschaft gewesen. Aber bei ihrem Gequassel, das immer noch keine erotische Komponente hatte, wurde mir folgendes klar: ich musste im vergangenen Leben ein komplettes Herbarium mit gefährdeten Arten gefüttert haben, so dämlich, wie ich mich in diesem Leben anstellte. Nur so ließ sich nämlich mein über die Jahrhunderte kumuliertes Fettnäpfchen-Karma angemessen erklären. Ich resümierte schließlich.

„Ja, und was soll ich jetzt mit meinem Karma anstellen, wenn ich es nicht wegschmeißen kann?“

„Wie ich schon sagte, die Karten lassen darauf schließen, dass sich das ändert. Ich meine, Du bist doch noch jung. Wer ist schon perfekt auf die Welt gekommen? Einen Diamanten muss man schleifen, bevor er strahlt.“ Kreative Kurzpause. „Glaubst Du eigentlich das, was ich Dir hier erzähle?“

„Also, ich will es mal so formulieren: in Molekularbiologie haben sie uns das alles ganz anders erklärt.“

„Deine Molekularbiologie kannst Du in der Pfeife rauchen! Durch Molekularbiologie wirst Du nicht zu einem ganzen Kerl, der sein Leben im Griff hat und Positives bewirkt!“

„Ja, und?“ quengelte ich. „Durch Karma bin ich es doch auch nicht geworden…naja, bis jetzt…“

Nein, in diesen 30 Minuten konnte sie mich nicht davon überzeugen, die Naturwissenschaften gegen Esoterik einzutauschen, die Fabienne. Frauenüberschuss auf ihren Seancen hin oder her …die Brünette mit der Stupsnase aus Mathematik für Naturwissenschaftler II, deren Namen ich nicht mal kannte, würde sicherlich auch kaum für ein Karma-Reading bei Fabienne aufkreuzen.

Wozu auch?

Da sie mich nicht kannte, ging ich nicht davon aus, dass sie noch irgendwelches Karma zu bereinigen hatte.

Erleuchtet ...und nix dazugelernt!

Подняться наверх