Читать книгу Erleuchtet ...und nix dazugelernt! - Swami Desastah - Страница 7
An mir führt Dein Weg vorbei!
ОглавлениеEs dauerte kurzweilige 10 Minuten, da verdrehte die Paranoia ihre Augen leicht in den Höhlen und das Weiße darin gewann definitiv mehr Raum. Ich wollte zu einer weiteren Frage ansetzen doch Fabienne griff mit einem beherzten „PST!“ ein. Die weißgewandete Spanierin kritzelte ihre ersten Buchstaben, in einer sehr groben, unsauberen Schrift und mit mindestens Schriftgröße 36, auf den bis dahin leeren A4-Bogen. Fasziniert starrte ich auf die werdenden Worte, doch es dauerte einige Zeit, bis daraus ein sinnvoller Text entstand. Der zudem noch aus meinem Blickwinkel auf dem Kopf stand. Und im Überkopflesen hatte ich schon auf der Schule keine Eins. Also im Prinzip wie in allen anderen Fächern auch…
„Was…?“
„Halt den Schnabel und warte, bis Esmeralda fertig ist.“
Ich war ja schon still…
Es war recht eindrucksvoll. Die Paranoia schrieb vier Seiten voll, was von der reinen Textmenge immerhin einer halben Din-A-4-Seite eines Erstklässlers entsprach. Musste nur irgendwer diesen Textwirrwar vorlesen. Irgendwann saßen Pupillen und Iriden wieder richtig in der Fassung und die ebensolche gewann Señora Esmeralda de la Paranoya dann auch langsam wieder.
„Ich sehe…ich sehe…“
„Also ich würde es lesen!“
„Solche Texte muss man interpretieren, das braucht viel Feingefühl.“
„Aha.“
„Ich sehe hier mitnichten Karma, sondern es geht für den jungen Mann darum, das Weltliche, Gewöhnliche loszulassen und in eine sehr, sehr große Aufgabe hinein zu wachsen. Es geht…um die Rettung der Welt!“
Was war das denn für ein Anspruch an einen 24-jährigen jungen Mann, der noch nicht einmal eine mittelgroße Tasse Wasser kochen konnte, ohne vorher einen Blick in ein Kochbuch zu tun?
„Das klingt ja spannend!“ wagte sich Fabienne vor, „…kriegen wir da eventuell noch ein paar Details?“
Wenigstens packte Señora Esmeralda de la Paranoya jetzt die Karten aus, statt noch eine weitere Viertelstunde mit dem handschriftlichen Verfassen eines Textes von insgesamt 27 Worten zuzubringen. Ein echter Fortschritt, vor allen Dingen in Punkto Effizienz! Was dann allerdings folgte, war noch deutlich abenteuerlicher.
„Ihr werdet euch beide zusammentun und in die neue Welt aufbrechen, um dort in der Nähe eines hohen Berges eine Aufgabe zu bekommen. Es ist ein Berg in der Gegend, in der auch Erdbeben entstehen.“
Mit Fabienne zusammen, äh, tun klang ja schon mal nicht verkehrt. Und da Geo mein Hauptstudienfach war, schloss ich aus Señoras Esmeraldas des las Paranoyas Ansage messerscharf, dass es sich bei der Region um Nordkalifornien handeln musste, und damit um eine sonnensichere Region mit Badeseen und vor allen Dingen Automobilen mit ganz viel Hubraum. Das ganze Paket erfüllte damit jeden Punkt auf der Checkliste für meine persönlichen feuchter-Traum-Kriterien.
Und war genau deswegen so überhaupt nicht glaubwürdig…
Sicher passte ich ins wirkliche Leben wie eine Ballettänzerin ins Bergwerk. Aber deswegen war ich nicht vollkommen verblödet! Zumal mir die Paranoya ja auch nichts über meine Vergangenheit erzählt hatte. Wäre sowieso nicht aufbauend gewesen.
Nicht ganz zehn Minuten später…
„Jetzt warte doch mal! Sei doch nicht gleich eingeschnappt! Hey, zufällig ist das mein Wagen…und ohne mich fährt der nirgendwo hin!“
„Dann fährst Du zwar, aber bitteschön mich zurück auf meine Bude.“
Ich war nämlich schon unterwegs zum Truck, Fabienne hinterher. Ich lehnte mich gegen die Beifahrertür. Fabienne war so freundlich und öffnete nicht, wobei es just in diesem Augenblick leicht zu regnen anfing. Aber Fabienne gab nach ein paar Minuten Schmollen meinerseits tatsächlich klein bei. Das erste Mal seit der unheilvollen Seánce (bei ihr, nicht bei Señora Esmeralda de la Paranoya) war ich resoluter als sie gewesen. Die Atmosphäre zwischen uns während der Heimfahrt war recht schweigsam und frostig, obwohl es trotz des Regens an sich recht mild war.
„Was war denn an Esmeraldas Ansage jetzt so verkehrt?“ stieß Fabienne schließlich heraus.
„Du hältst mich wohl für vollkommen bescheuert. Die Welt retten!“
„Du weißt doch aus Deinem Studium: kleine Ursache, große Wirkung. Wer weiß was uns alles blüht und wer uns begegnet?“
Ich senkte den Blick.
„Sorry, aber das ganze Zeug, diese Seáncen, Kartenlegen, die Zwerge…“
„Das sind Wichtel.“
„Das ist mir egal, ob die wichtig sind. Ich hätte einiges in meinem Leben besser machen können und will eben dieses auf die Reihe bekommen. Dieser spirituelle Nonsens hilft mir dabei so sehr wie eine Taucherausrüstung über ein Hochgebirge.“
„Ist das Dein letztes Wort?“ fragte sie erschreckend tonlos, die Frau mit den schönen Augen.
„Das war mein letzter Satz zu dem Thema.“
„O.k. …es sei!“ knurrte Fabienne einigermaßen aufgebracht. „Klugscheißer konnte ich eh noch nie leiden!“
Das Ergebnis des Abends war, dass sie in ihrer kleinen Wohnung saß, ich auf meinem Zimmer, Hausaufgaben machte und sogar versuchte es gründlich zu machen. Immerhin hatte mir eine Frau mit einem endlos langen spanischen Namen, aus deren Kommunikation mit ihrer verstorbenen Mama Großbuchstaben in Bildzeitungs-Überschriften-Format hervorgingen, in gewisser Weise zu einem Motivationsschub verholfen. Wenn auch nur aus Trotz.
Ich verbrachte so das Wochenende nicht mit Fabienne, aber mit Mathematik, und es geschah ein Wunder: ich rettete zwar nicht die Welt, aber ich verstand unendliche Reihen, Logarithmen, Epsilontik und sogar einfache Differentialgleichungen!
Und das hatte Folgen. Verheerende…
Tag vier nach der Durchsage aus der geistigen Welt…
Wir hatten die Abschlussklausur in Mathematik. Ich kam, ich sah, ich siegte: souverän. Ich gab sogar vier Minuten vor der Zeit ab und hatte es geschafft, meine chronische Mathematik-Malaise in einen Mathematik-Matchball zu verwandeln. Denn der Professor war beim Korrigieren auf der Überholspur unterwegs und gab uns unsere Ergüsse schon am kommenden Tag zurück. Erneut ein Donnerstag, und diesmal tatsächlich ein denkwürdiger!
Die Brünette mit der Stupsnase sprach das erste Mal nach fünf Semestern nebeneinander her Studierens mit mir.
„Da hast Du ´ne Eins?“
„Oh, äh, hi…“
„Nadine, sorry. Ich glaube wir kannten uns noch nicht.“
Das glaubte ich auch.
„Andy…“
„Ich setze mich mal neben Dich.“
Ein guter Anfang. Hoffentlich der Auftakt für ein späteres ich setze mich mal auf Dich.
Tatsächlich stammelte und stotterte ich nicht, um ihr das zu erzählen, was ich wusste (über Mathematik), und das war offensichtlich mehr als zu meiner Schulzeit. Denn da stand ich in Mathe grundsätzlich immer zwischen Drei minus und Vier.
Ehrlich gesagt, ich hatte gar nicht damit gerechnet, dass sie mich ansprach. Ich hatte wirklich in jugendlichem Trotz gegen die Esoterik-Anfälle meiner Wohnungsnachbarin damit begonnen, mich Determinanten und Variablen bedingungslos hinzugeben. Aber es geschah fast ein kleines Wunder: wir quatschten noch, Nadine und ich, da war unser Thema schon gar nicht mehr Mathematik. Wir quatschten sogar noch auf dem Weg in die Mensa und in meiner jugendlichen Ahnungslosigkeit ließ ich mich dazu hinreißen, ihr den Hülsenfrucht-Cocktail aus dem zu dieser Zeit immerhin schon optionalen vegetarischen Menü zu spendieren. Ich rechnete mir aus, dass Nadine mich am ersten Tag nicht gleich mit auf ihre Bude nehmen würde.
Tat sie auch nicht.
Aber immerhin verabredeten wir uns zum gemeinschaftlichen Mathematik-Lernen und das war für jemanden wie mich schon was. Nadine alias die Brünette mit der Stupsnase war optisch sicherlich mit eine der vier oder fünf schönsten Naturwissenschaftlerinnen der Uni und in dieser Eigenschaft sicherlich Fabienne noch überlegen. Fabienne war für sich betrachtet sicherlich recht attraktiv. Dazu kam, dass Nadine immerhin in meiner Altersklasse war.
Es stellte sich in der Folgezeit ein seltsames Phänomen ein: ich war während des Semesterendes ganzwöchig an der Uni und während der beginnenden Semesterferien zu den Wochenenden. Ich hatte das Gefühl, dass es mit Nadine neben der naturwissenschaftlichen Theorie auch zu einigen Praxisstunden in Biologie kommen könnte: unter der Woche arbeitete ich und machte meinen Kram, bis etwa Anfang September lernte ich mit Nadine.
Bar jeglicher Esoterik, Zwergen, Pferden, Gargoyle-Statuen, Tarotkarten und Frauengruppen sah es mal eine Weile so aus, als würde ich die Kurve bekommen und nicht als „Freak“ oder „Alien“ in die Geschichte der Menschheit eingehen. Diese netten Spitznamen hatte ich nämlich neben meinem Ehrentitel „Master of Disaster“ in der Schule bekommen.
Erstes Septemberwochenende…
Wir hatten die Bücher zugeschlagen. Ich war mit Nadine in der Zwischenzeit um einiges weiter gekommen: Mathematik hatte sie drauf, Geowissenschaften enorm zugelegt. Was noch etwas zu wünschen übrig ließ, war die Biologie-Praxis. Zumindest bei mir. Wir lümmelten uns auf ihrer Couch und futterten Erdnüsse.
„Machst Du noch was bis Oktober?“
„Ich fahre noch mal ein paar Tage nach Sizilien.“
„COOL! Hast Du Kohle?“
„Ja, war jetzt den ganzen Sommer als Kurierfahrer unterwegs.“
„Mit meinem Ex war ich mal in Kalabrien.“
„Da fahre ich durch, ich fahre mit dem Zug. Ist billiger als fliegen.“
Aber wir waren ja gerade beim Thema Ex…
„Seit ihr nicht mehr zusammen?“
„Nee, schon seit Ostern nicht mehr. Der Typ ist total arschig geworden und hat dann auch noch mit einer Anderen rumgemacht! Und bei Dir, alles im Lot in der Not?“
„Weiß nicht. Hab’s vergessen, wie es sich anfühlt.“
„Zu poppen?“
„Nee, überhaupt mit Freundin und so. Die letzte liegt zweieinhalb Jahre in der dunklen Vergangenheit und wir hatten zum Schluss nur noch Zoff!“
„Verstehe ich nicht! Eigentlich bist Du doch…ganz nett?“
Mit einem Vierteljahrhundert Abstand habe ich den Langenscheidt „Frau-Deutsch, Deutsch-Frau“ in der Zwischenzeit natürlich gelesen und kenne daher die Bedeutung der Worte eigentlich ganz nett: geeignet als Sklave für jugendfreie Gefälligkeiten, mit sehr viel Glück Aufstieg zum kurzfristigen Pausenclown möglich.
Nur seinerzeit wusste ich das noch nicht. Und diese Ahnungslosigkeit vom Leben im Allgemeinen sowie von (jungen) Frauen im Speziellen führte mich nach einer Weile doch wieder in den Abgrund von Sagen, Mythen, Zwergen, Kelten, Legenden und vergeblichen Weltrettungsversuchen.
Jedenfalls, es blieb an diesem Abend nicht bei den Erdnüssen, sondern wir gingen nach einer Weile zu den Cashewkernen über. Ein klarer Fortschritt, vor allen Dingen geschmacklich. Irgendwann stellte Nadine dann die Frage aller Fragen:
„Auch ´ne Apfelsaftschorle?“
Auch an diesem Abend, einem Samstag, fand kein Praxislehrgang in Biologie statt. Ich „durfte“ nach Erledigung von Physik I dann vorzeitig nach Hause auf meine Studentenbude. Irgendwas stank da ganz gewaltig. Also reinigte ich noch den Siphon des Waschbeckens auf meinem Zimmer und saugte sogar noch mal. So gut oder vielmehr schlecht ich dies eben beherrschte…
Fabienne war nicht da, die war in Irland und Wales. Sie hatte es irgendwann kurz vor dem kleinen Fauxpas mit der spanischen Wahrsagerin angekündigt und ich fragte mich noch vor dem allabendlichen einhändigen in-den-Schlaf-Wiegen, wie man nur in ein Land fahren konnte, wo das Wetter im Sommer schlecht war. Zumal dieser Sommer Mitte der 90er klimatisch betrachtet in Mitteleuropa durchaus in einem positiven Sinne aus der Masse der deutschen Sommer heraus ragte. Auf der anderen Seite waren 26, 28°C und Sonne offensichtlich doch noch nicht genug, um Nadine ordentlich heiß zu machen, wenn ich das schon nicht zustande brachte.
Aber eventuell brachte der Sonntag ja was Feines? Man wusste ja nie…
Sonntag. Ich frühstückte zu einer zumindest für Studenten absoluten Unzeit (so gegen Viertel nach 10) und dachte mir, ich konnte den Vormittag am Badesee herumkriegen, da gab es einen kleinen Anruf. Nadine.
„Hey, Andy, kannst Du mal vorbei kommen?“
„Bist Du das, Nadine?“
„Ja…“ wirkte sie etwas quengelig. Bis zu den nächsten Prüfungen war noch etwas Zeit, es war wolkenlos, also musste ihr noch etwas anderes die Laune verhageln.
„Probleme?“
„Ja, allerdings…bitte komm schnell!“
Das duftete eher nicht nach Badesee, aber wenigstens nach einem zwischenmenschlichen Problem. Also den Starlet gesattelt und ab dafür. Eine gute Viertelstunde später Ankunft bei Nadine im Altstadtviertel. Die war zwar nicht draußen, als ich eintrudelte, aber dafür ziemlich aufgelöst. Ich stellte die Frage aller Fragen:
„Was ist denn los?“
„Markus, der Vollhorst war wieder da. Wollte erst nur reden…“ während der Worte nur reden führte Nadine eine Grimasse auf, die sogar sie hässlich machte, und das wollte viel heißen, „…und dann stürzt der Arsch sich auf mich und will mich da befummeln wie ein Bekloppter!“
„Wo ist er?“ knurrte ich.
„Ach, das ist gegessen…ich habe ihm eine geschossen und er ist über alle Berge.“
Na, immerhin: musste ich das nicht machen.
Ich ließ Nadine sich ausheulen und nahm sie dabei sehr zurückhaltend in den Arm. Sie war schließlich für den Tag traumatisiert genug mit Kerlen (wenn auch nur einem) und wer brauchte schon mehr von so was? Die Sonne stieg, es wurde wärmer, und wir machten das einzig sinnvolle wie logische:
Wir gingen rein, zu ihr auf die Bude.
„Ich will einfach nicht mehr so einen Arsch haben!“ flennte sie mir vor. Ich für mein Hinterteil hatte kein Problem mit ihrem Allerwertesten, weder vom Umfang noch von der Form her. Aber in diesem Augenblick stand nun mal das an, wonach es schon die ganze Zeit irgendwie geduftet hatte, aber offensichtlich nicht intensiv genug:
Mein Aufstieg zum Short-Term-Pausenclown für eine gelangweilte Studentin war besiegelt. Irgendwann streichelte sie mich. Also streichelte ich sie zurück. Wir würden ein prima Gespann abgeben fuhr es mir durch den Kopf, sie attraktiv und ich ihr stets zu Diensten.
Jedenfalls, diesen Sonntag verbrachte ich mit was Interessanterem als dem Badesee. Obwohl ja schon September war und damit das Saisonende anstand, war mir das, was ich da tat, lieber als in der Sonne zu brutzeln und im klaren Wasser zu plantschen.
Na, sicher: selbst in den normalerweise kurzlebigen deutschen Sommern hatte ich nämlich Brutzeln und Plantschen wesentlich öfter und länger als Kuscheln und Schmusen. Daher genoss ich es. Allerdings kam mir eine gewisse Aussicht, mit dem ich mir eigentlich das Ende der vorlesungsfreien Zeit versüßen wollte, auf einmal vor wie ein Damoklesschwert: denn die Fahrt nach Sizilien war besiegelt. Ich kam nicht drum herum, eben jenen Sachverhalt mit Nadine zu bequatschen.
„Du wirkst so irritiert?“ raunte sie mir auf einmal zu, während wir noch ineinander verwurstelt waren.
„Ich habe zwei Wochen Sizilien terminiert.“
„Oh, ja…ach, was soll es? Zwei Wochen sind ja keine zwei Jahrzehnte. Wir werden das schon überleben, wir zwei. Magst Du heute Nacht hierbleiben?“
Ich mochte spontan und ich blieb spontan: zwar ließ sie mich noch nicht an ihr Allerheiligstes, aber das irritierte mich nicht: da hatte mich nämlich noch nie eine Frau spontan dran gelassen, sondern immer erst kurz, bevor sie mit mir Schluss gemacht hatte. Jedenfalls war es bis dahin so gelaufen. Klar, bisher hatte ich mich immer gewundert, warum bei meinen Exens der erste Austausch von Körperflüssigkeiten und der Abschiedsbrief (SMS gab es um diese Zeit noch nicht) zeitlich immer so nahe beieinander gelegen hatten. Aber da war es umso besser, dass sie mich nicht dran ließ. Und überhaupt bis zu meiner Abreise mit dem Zug nach Süden kein einziges Mal wirklich dran ließ. Das konnte der Beziehung nur gut tun, dachte ich, vor allen Dingen der Dauer. Erst recht meiner…
In der Lebens- wie Biologiepraxis knutschten und fummelten wir nur ein bisschen, beließen es aber dabei. Sie erklärte mir genau wieso, wobei sie allerdings einige Fremdwörter benutzte, die ich nicht kannte. Es hatte irgendwas mit Gynäkologie zu tun. Ich war trotzdem einverstanden, wir schwörten uns ewige Treue zueinander bei meiner Abreise und voller Hoffnung setzte ich mich in einen großen Zug, um die letzte September- und erste Oktoberwoche bei angenehmen Sommertemperaturen in Südeuropa zu verleben.
Damit ich nicht komplett arbeitslos war, schrieb ich Nadine auch jeden Tag treu und brav eine Urlaubskarte. Ich versuchte sie sogar aus Sizilien aus anzurufen, was allerdings eindrucksvoll fehl schlug. Irgendwie seltsam war es ja schon, dass sie um 22 h nie zuhause war. Und das fünf Mal hintereinander. Aber dennoch ahnte ich nichts Böses, als ich am 8. Oktober von meinem kleinen, wohlverdienten Urlaub wieder daheim eintrudelte.
Nach der insgesamt dreitägigen Wäsche bei meinen Eltern zog mich die Sehnsucht dann ganz massiv wieder an meinen Studienort. Nicht so sehr wegen Geo, Mathe, Physik und Biologie, sondern wegen Nadine und Biologie. Denn nach gut viereinhalb Wochen intensiver Beziehung oder genauer gesagt zweieinhalb Wochenenden, an denen wir uns gesehen hatten, war jetzt doch endlich mal Biologie Praxis angezeigt.
Zumindest, wenn es nach mir gegangen wäre.
Wie es sich herausstellte, hatte Nadine auch nichts gegen biologische Prozesse einzuwenden. Allerdings: eine klitzekleine Kleinigkeit verlief dann doch nicht nach Plan.
Denn während ich für den Theorieunterricht in Geo, Mathematik und Physik Nadine gut genug gewesen war, hatte sie sich für biologische Praxiserfahrungen während den zwei Wochen meiner Abwesenheit sehr spontan einen anderen Nachhilfelehrer zugelegt oder, wie ich erfahren musste, ihren alten (Nachhilfelehrer) wieder reaktiviert.
Ich klingelte nichtsahnend am Abend an Nadines Tür. Sie war während meiner zwei Wochen auf Sizilien bei weitem nicht so umtriebig gewesen, sich bei mir bemerkbar zu machen wie umgekehrt, und ich erfuhr auch warum. Denn bereits nach dem vierten Klingeln meldete sich jemand an der Haussprechanlage zu Wort. Allerdings gefühlte vier Oktaven tiefer als Nadine und längst nicht so freundlich.
„Ey, MANN! Ich habe hier zu poppen! Mach einen Abflug!“
Das Türenschlagen und die darauffolgende, mindestens zehnminütige Stille nutzte ich aus, mich mehrere Male zu vergewissern, ob ich die richtige Türglocke gedrückt hatte. Zu meinem Leidwesen musste ich mir selbst die Frage mit Ja beantworten.
Ich war zu platt um das einzig Naheliegende zu tun: die Tür einzutreten, drei Stockwerke hoch zu flammen und dafür zu sorgen, dass dem Faktotum mit der vier Oktaven zu tiefen Stimme der Nachhilfeunterricht für eine Weile verging. Stattdessen taumelte ich von der (wenn auch nur mentalen) schallenden Ohrfeige mehrere Schritte nach hinten, prallte dabei unsanft auf der Fahrertür meines Starlet auf und trat, immer noch geistig umnachtet, die Flucht an.
Jedenfalls, was ich an diesem Abend irgendwie ahnte, wurde nächsten Mittag traurige Gewissheit:
Ich begegnete Nadine in der Mensa, die etwas geistesabwesend wirkte. Sie bemerkte mich nicht einmal, als ich quasi fünf Meter vor ihr stand.
„Nadine? Hey, Nadine?!“ ich winkte. „Hallo…? HAL-LO??“
„Hä, was…ach, Du bist es, Andy.“
„Ja, ich bin es, Andy. Mein Gedächtnis ist klar besser als Deins, denn ich kann mich sehr gut an Dich erinnern. Wie sieht es aus?“
„Hä, wie sieht was aus?“
„MIT UNS!“
„Ach, so…ja. Oh, sorry. Äh, Markus und ich haben uns wieder versöhnt.“
Sie zuckte nur noch mit den Achseln und verschwand. Sehr emotional war ihre Ansprache ja eben nicht gewesen, im Gegensatz zu meinen Urlaubskarten. Aber das kannte ich schon von meiner ersten Freundin. Und der zweiten auch.