Читать книгу Handbuch Betreuungsrecht - Sybille M. Meier - Страница 110

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B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines BetreuersXI. Die Gewährung von Akteneinsicht › 1. Grundsatz

1. Grundsatz

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In dem so genannten Volkszählungsurteil[1] statuierte das BVerfG das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, resultierend aus dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Art. 2 Abs. 1 GG und dem Recht auf Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG. Der Stellenwert des Datenschutzes kann nach Aussage unseres höchsten Gerichtes nicht hoch genug veranschlagt werden.

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Der wesentliche Inhalt des informationellen Selbstbestimmungsrechts besteht darin, dass ausschließlich der Einzelne über die Verwendung und Preisgabe seiner Daten bestimmen kann. Einschränkungen dieses Persönlichkeitsschutzes sind nur statthaft im überwiegenden Interesse des Allgemeinwohls. Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, die nur unter strikter Beachtung des Erforderlichkeitsgrundsatzes zulässig sind, bedürfen danach einer präzisen, bereichsspezifischen und normklaren gesetzlichen Grundlage.[2] Das BVerfG hatte dem Gesetzgeber im Rahmen einer Übergangsfrist aufgegeben, für alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung „bereichsspezifische Datenschutzgesetze“ zu schaffen.[3] Dem Gesetzgeber des Betreuungsrechts ist vorzuwerfen, dass lediglich in absolut unzureichender Form dieser Problembereich geregelt wurde. Dies mag das nachstehende Beispiel verdeutlichen:

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Beispiel

Der vermögende Burkhard K. und seine Tochter Lena L. hatten jahrelang keinen Kontakt. Als Frau L. bemerkt, dass der dement werdende Burkhard K. sein Geld wahllos an Frauen verschenkt, beantragt sie eine Betreuung. Rechtsanwältin Julia B. wird zur Betreuerin eingesetzt. Frau L. unterschlägt einen an Herrn K. gerichteten Brief des Betreuungsgerichtes, aus dem hervorgeht, dass Rechtsanwältin B. für das erste Jahr der Führung der Betreuung eine Vergütung in Höhe von 13.000 € bewilligt wurde, u.a. wegen Tätigkeiten, die nach dem RVG zu vergüten waren. Die sich in finanziellen Schwierigkeiten befindliche Lena L. beschließt daraufhin, selbst die Führung der Betreuung zu übernehmen und beantragt über den Rechtsanwalt Robert N. Akteneinsicht.

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Es ist gängige verfassungsrechtlich höchst bedenkliche Praxis der Betreuungsgerichte, in derartigen Fällen ohne weiteres Akteneinsicht nach § 13 FamFG zu genehmigen. Die Bestimmung hat folgende Voraussetzungen:

Gehört der Antragsteller zu den Verfahrensbeteiligten nach § 274 BGB, dann hat er nach § 13 Abs. 1 FamFG grundsätzlich das Einsichtsrecht. Dies gilt insbesondere für den Betreuer. Für diesen ist es am Anfang der Betreuerbestellung zur Wahrnehmung seiner Aufgaben in jeglichem Aufgabenkreis unabdingbar, Akteneinsicht zu nehmen, insbesondere in das Sachverständigengutachten und den Sozialbericht.

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Beispiel

Der psychotisch kranke Betreute neigt zu selbstschädigenden Geschäftsabschlüssen. In dem eingeholten Sachverständigengutachten bejaht der Gutachter den Ausschluss der freien Willensbestimmung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof[4]sind die Begriffe „freier Wille“(§ 1896 Abs. 1a BGB) und „freie Willensbestimmung“ i.S.d. § 104 Nr. 2 BGB deckungsgleich. Aufgrund dieser Information weiß der Betreuer durch Einsichtnahme in das Sachverständigengutachten, dass der Betreute geschäftsunfähig ist und damit nicht wirksam Bankgeschäfte vornehmen kann.

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Liegt keine Beteiligtenstellung vor, ist eine Einsichtnahme in die Betreuungsakten an folgende Voraussetzungen geknüpft:

Vorliegen eines berechtigten Interesses seitens des Antragstellers;
Glaubhaftmachung des Interesses;
Fehlen von Gründen, die trotz der vorstehenden Voraussetzungen der Gewährung entgegenstehen.

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Ein berechtigtes Interesse kann nach herrschender Rechtsprechung von jedermann geltend gemacht werden und auch tatsächlicher oder wirtschaftlicher Art sein.[5] Es soll insbesondere dann gegeben sein, wenn ein künftiges Verhalten vom Akteninhalt beeinflusst sein kann.

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Beispiel

Das Kreditinstitut K. hat eine Forderung gegen den Betroffenen Bernhard P. in Höhe von 10.000 € aus einem rechtskräftigen Urteil. K. beantragt Akteneinsicht um zu ermitteln, ob eine Zwangsvollstreckung gegen Herrn P. erfolgversprechend ist. Dem K. ist Akteneinsicht zu verweigern. K. kann sich nach erfolgter Betreuerbestellung an den Betreuer wenden. Ein berechtigtes Interesse ist zu verneinen trotz eines Interesses wirtschaftlicher Art.

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Ferner wurde bis dato relativ salopp entschieden, dass beispielsweise das Grundrecht einer Tochter auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG vorrangig zu beachten und höher zu gewichten ist als etwa das Grundrecht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung, obwohl dieser der Einsichtnahme in seine Betreuungsakte dezidiert widersprochen hatte.[6] Es ergibt sich, dass es im Betreuungsrecht erforderlich ist, § 13 FamFG verfassungskonform im Lichte des informationellen Selbstbestimmungsrechts auszulegen.[7] Das Bundesverfassungsgericht statuierte, dass dessen Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung tangiert ist, „der nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffenden Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag (. . .)“

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Die Beachtung der vorstehend zitierten Grundsätze des Bundesverfassungsgerichtes erfordert es, Akteneinsichtsbegehren wie folgt zu behandeln:

Selbst die Stellung als Beteiligter verschafft kein automatisches Recht auf Akteneinsicht;
Berechtigte müssen zwingend ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen und nur hierauf bezogen kann – wenn überhaupt – Akteneinsicht gewährt werden;
der Betroffene muss über das Gesuch zur Akteneinsicht obligat unterrichtet werden mit dem Ziel zu eruieren, ob Einverständnis besteht. Kann er sich weder verständigen noch seinen Willen kundtun, ist ihm zur Wahrung seiner Interessen ein Verfahrenspfleger zu bestellen;
im Falle einer Zustimmungsverweigerung durch den Betroffenen ist im Rahmen der vom Gericht zu treffenden Ermessensentscheidung sein Geheimhaltungsrecht abzuwägen gegen das Interesse des Antragstellers. Ein Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen bedarf einer höherrangigen verfassungsrechtlichen Legitimation.

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Nach der hier vertretenen Sicht ist es nicht statthaft, dem zukünftigen Betreuer schon vor Übernahme der Betreuung Einsicht in die Verfahrensakten zu gewähren, damit dieser abschätzen kann, was auf ihn zukommt. Der avisierte Betreuer kann als sonstige Person an der Anhörung teilnehmen (wenn der Betroffene nicht widerspricht) oder aber ein persönliches Gespräch mit dem Betroffenen im Vorfeld führen, um herauszufinden, ob zwischen dem Betroffenen und ihm „die Chemie stimmt“.[8] Soweit die Betreuungsbehörde gem. § 8 Abs. 2 BtBG zur Benennung eines geeigneten Betreuers aufgefordert wird, empfiehlt es sich, der von der Behörde avisierten Person ein anonymisiertes Personenprofil des Betroffenen zu unterbreiten und besondere situationsbezogene Anforderungen, insbes. bei Berufsbetreuern zu erörtern.

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