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DAS RENNEN GEGEN DIE STASI

DIETER

Warum fragst du jetzt, nach fünfzig Jahren?

Meine Lebensgeschichte ist ungewöhnlich und ziemlich kompliziert. Ich wollte nie, dass man sie in Kurzform auf die Spalte einer Boulevardzeitung oder auf eine Seite in einem Radsportmagazin presste, weil sich auf diesem Wege niemals hätte wiedergeben lassen, was tatsächlich passiert ist. Für mich ist es wichtig, dass dies alles in seiner Gesamtheit verstanden wird, und das erklärt vielleicht, warum ich bisher nie darüber gesprochen habe. Ich erzähle dir meine Geschichte, aber ich habe kein Interesse daran, nur die Hälfte zu erzählen …

Als die Mauer fiel, habe ich viel darüber nachgedacht. Meine Stasi-Akte lag in Berlin, man konnte sie einsehen, aber letztendlich habe ich für mich entschieden, dass es das Beste wäre, alles ruhen zu lassen. Sylvia und ich sagten uns, dass es nur noch mehr Schmerz verursachen würde, wenn wir die Akte öffneten – und uns war wahrlich schon mehr als genug Schmerzhaftes widerfahren. Ich konnte ja eh nichts mehr daran ändern, was darin stand, und so entschieden wir, dass nichts Gutes für uns darin liegen würde.

Also lebten wir unser Leben weiter, aber dann tauchtest du auf, wie aus dem Nichts, und sagtest, du würdest gern dieses Buch machen. Wir haben als Familie darüber gesprochen und wir kamen zu dem Schluss, dass die Zeit gekommen ist. Die Welt ist heute eine andere, die Rahmenbedingungen haben sich geändert.

Mein Problem ist, dass ich 73 Jahre alt bin, aber ich kenne immer noch nicht meine Geschichte. Ich kenne meine Version meines Lebens, aber ich weiß auch, dass es da vermutlich eine andere Version gibt, in einem Aktenschrank in Berlin. In gewissem Sinne war es so, als hätte die Stasi einen zweiten Dieter Wiedemann geschaffen und wir beide, er und ich, hätten parallel existiert. Wir kannten dieselben Menschen und Orte, und die Wahrheit ist, dass ich mich nie wirklich von ihm befreien konnte. Seit mehr als fünfzig Jahren wirft er einen Schatten auf mich und mein Leben, und ehe ich nicht seine Geschichte kenne, kann ich auch meine Geschichte nicht vollständig verstehen. Das Leben geht weiter, natürlich tut es das, aber wenn ich ehrlich bin, lässt man solche Dinge nie wirklich hinter sich. Es ist nicht so, als würde man sie ständig mit sich herumtragen, sie werden vielmehr Teil von einem selbst.

Was meine Stasi-Akte betrifft, habe ich keine konkrete Vorstellung davon, was wir finden oder auf wen wir stoßen werden. Ich habe eine gewisse Ahnung, was darin stehen könnte, und auch, dass eine bestimmte Person, der ich sehr nahe gestanden habe, als Informant auf mich angesetzt war. Ich habe auch keinen Zweifel daran, dass viele Menschen, denen ich in meinem Leben begegnet bin, damals für die Stasi arbeiteten. Eigentlich kann es gar nicht anders gewesen sein, legt man meine besonderen Umstände zugrunde. Wie gesagt, ich habe einen Verdacht, wer es gewesen sein könnte, aber bis wir die Akte eingesehen haben, können wir es nicht wissen.

Also fangen wir am besten einfach an. Wir erzählen dir unser Leben so, wie wir es damals erlebt haben, und wenn wir damit fertig sind, fahren wir nach Berlin. Wir besorgen uns die Akte und machen uns über mein anderes Leben kundig, jenes, in das ich nicht eingeweiht war …

Das Rennen gegen die Stasi

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