Читать книгу Hochsensibel Was tun? - Sylvia Harke - Страница 9

Оглавление
KAPITEL 2: WAS IST HOCHSENSIBILITÄT?

Ursprung des Begriffs

Elaine Aron

Viele Menschen, die zum ersten Mal davon hören, glauben, dass Hochsensible sich alles zu sehr zu Herzen nehmen, dass sie emotional labil und nicht belastbar seien. Doch der eigentliche Ursprung der Terminologie hat mit der Sensitivität zu tun, eben mit der feinen Wahrnehmung. Wie ich bereits weiter oben erwähnt habe, wurde das Phänomen der Hochsensibilität erstmals von der amerikanischen Psychotherapeutin und Universitätsprofessorin Elaine Aron beschrieben. Der Begriff HSP leitet sich aus dem Englischen ab, was so viel wie „Hochsensible Person“ bedeutet. In der Veröffentlichung von 1990 mit dem Titel „Sensory prozessing sensitivity and its relation to introversion and emotionality“ beschrieb Dr. Aron hochsensible Menschen und ihre Eigenschaften. Den ersten Teil des Buchtitels könnte man mit Sensorische Verarbeitungssensitivität übersetzen. Dr. Aron geht davon aus, dass die Veranlagung zur Hochsensibilität vorrangig vererbt wird. Da sich die Verteilung dieses Merkmals innerhalb der Bevölkerung auf ca. 15 bis 20 % beschränkt, erleben sich HSPs von klein auf als „anders“ und in der Minderheit.

Die Experimente des russischen Wissenschaftlers Pawlow

Der Wissenschaftspionier wurde berühmt durch seine Arbeit mit Hunden, an denen er das Prinzip der „klassischen Konditionierung“ zeigte. Pawlow setzte in einem anderen Experiment Versuchspersonen einem sehr lauten akustischen Reiz aus. Er wollte herausfinden, wann die Schmerzgrenze erreicht wurde. Statt einer für die meisten psychologischen Phänomene üblichen Normalverteilung, innerhalb derer sich alle Personen einordnen lassen, stieß er auf eine Gruppe von Testpersonen, die weit früher die Schmerzgrenze erreichte und sich unterhalb der Normalverteilung der Hauptgruppe befand. Diese Gruppe machte ebenfalls ca. 15 bis 20 % der Gesamtgruppe aus, was auch der Verteilung der Hochsensiblen innerhalb der Bevölkerung entspricht.

Eigenschaften hochsensibler Menschen

Wahrnehmungen hochsensibler Menschen

Das verstärkte Wahrnehmen von Details

Durch die differenzierte und genaue Wahrnehmung haben Hochsensible einen guten Blick für Details. Dies kann sowohl Zahlenmaterial betreffen, Schriftdaten oder auch Arrangements von Farben und Formen, etwa in den Bereichen Grafikdesign und Modedesign, Inneneinrichtung, Architektur und in vielen anderen Situationen.

Genauigkeit und Sorgfalt, Perfektionismus und Fehlersensibilität

Durch die Kombination aus feiner Wahrnehmung und Gewissenhaftigkeit entwickelt sich bei HSPs oft eine Form von Perfektionismus, die wir von vielen großen Künstlern, Wissenschaftlern oder anderen erfolgreichen Personen kennen. Dieser Perfektionismus hat nichts mit dem Kompensieren eines angeknacksten Selbstwertgefühls zu tun, sondern mit der Suche nach Harmonie und Perfektion im Sinne von Schönheit und Genauigkeit. Durch diese Genauigkeit brauchen Hochsensible teilweise länger bei der Erledigung von Aufgaben. Ein Großteil der HSPs empfindet sich als sehr gewissenhaft. Verantwortung nehmen sie in der Regel sehr ernst und versuchen dabei, ihr Bestes zu geben und Fehler zu vermeiden. Auf der anderen Seite sind sie häufig sehr geübt darin, Fehler in ihrem Umfeld zu erkennen. Je nach Wahrnehmungskanal kann sich das zum Beispiel in der Rechtschreibung zeigen, beim Stimmen eines Instrumentes (die schrägen Töne), aber auch in komplexeren Situationen, wie beispielsweise den sozialen Gefügen eines Unternehmens.

Überreizung: Geräusch-, Temperatur- und Geruchsempfindlichkeit

Da bei Hochsensiblen die Wahrnehmungsprozesse sensibler und feiner ablaufen, reagieren sie empfindlicher auf Außenreize wie zum Beispiel Lärm, Temperatur, Geräusche, Gerüche, Geschmäcke, Farben, Lichteinfall oder Berührung. Dies hat Vor- und Nachteile, wie alle Betroffenen zu berichten wissen. Hochsensibilität hat also etwas mit unserer Sinnesverarbeitung zu tun und mit den unterschiedlichen Wahrnehmungskanälen. Tatsächlich fühlen sich Hochsensible schneller reizüberflutet, was sich bei Einkäufen in überfüllten Straßen oder Ladengeschäften zeigen kann. Die Neigung zu Überreizung oder Überstimulation führt bei HSPs zu einem stark ausgeprägten Bedürfnis nach Ruhe, Rückzug und Regeneration, das Außenstehende irritieren kann. HSPs registrieren feinste Nuancen aus den verschiedenen Wahrnehmungsbereichen und bemerken daher schneller Disharmonien.

Körperliche Eigenschaften

Schmerzempfindlichkeit

In verschiedenen Befragungen von Hochsensiblen zeigte sich deutlich, dass die Mehrheit von einer erhöhten Schmerzsensibilität berichtet.

Anfälligkeit für Stresskrankheiten

Durch die häufige Überstimulation befindet sich das vegetative Nervensystem von Hochsensiblen meist in einem Zustand der Übererregung. Ein dauerhaft auf Alarm getrimmtes Nervensystem kann langfristig zu Stresserkrankungen wie Burnout führen. (Lesen Sie dazu mehr im Kapitel 4 dieses Buches.)

Überreaktion auf Alkohol und Koffein

Reizstoffe, die in Medikamenten oder in anregenden Lebensmitteln vorhanden sind, verursachen bei vielen HSPs Unwohlsein. Daher ist auch die Dosierung von Medikamenten bei Hochsensiblen eine sensible Angelegenheit. Kaffee oder schwarzer Tee können zu rauschartigen Zuständen führen, die jedoch schnell in eine Art Erschöpfung durch Überreizung mündet. Im medizinischen Kontext hat sich gezeigt, dass HSPs häufig auf kleinste Impulse reagieren und daher auf sanfte Methoden aus der Naturheilkunde und Energiemedizin oftmals gut ansprechen.

Hungergefühle und Müdigkeit beeinträchtigen stark das Wohlbefinden

Wie bei kleinen Kindern ist es für die meisten Hochsensiblen ein Problem, wenn sie unregelmäßig Nahrung zu sich nehmen. Durch Hungergefühle und Unterzuckerung geraten sie in unangenehme Zustände, die meist mit einer Beeinträchtigung der Konzentration und Leistungsfähigkeit einhergehen. Auch das emotionale Befinden kann durch Hunger sehr aus dem Gleichgewicht geraten. Schlafmangel kann sich ebenso als sehr störend erweisen. Die Toleranzschwelle für den Ausgleich von zu wenig Schlaf ist bei HSPs sehr niedrig.

Soziale Kompetenzen

Empathie

Im Bereich des zwischenmenschlichen Zusammenlebens haben sich HSPs als empathische und verständnisvolle Zuhörer bewährt. Tiefgehende Gespräche sind ihnen sehr wichtig. Gegen Smalltalk haben sie sogar teilweise eine Ablehnung, da sie sich gern mit philosophischen oder anderen bedeutungsvollen Themen beschäftigen.

Harmoniebedürfnis

Das Bedürfnis nach Harmonie, sowohl im räumlichen als auch im sozialen Umfeld, ist stark ausgeprägt. Konflikte und Streit sind Hochsensiblen ein Graus. Daher ziehen sie sich bei Auseinandersetzungen eher zurück oder geben schneller nach. In Teams und Familien sorgen sie oft für einen Ausgleich und helfen, Streit zu schlichten.

Übertragungen von Stimmungen aus dem sozialen Umfeld

Das Aufschnappen von Gefühlen von anderen Menschen beeinflusst Hochsensible häufig drastisch, da sie teilweise von diesen Empfindungen stark absorbiert werden. Dadurch werden sie zu einer Art Seismograph, der selbst feinste Regungen und Stimmungsschwankungen in seinem Umfeld registriert. Bei hochsensiblen Kindern kommt es oft dazu, dass sie darauf auch emotional reagieren.

Persönlichkeitseigenschaften

Die meisten Hochsensiblen sind introvertiert, also eher nach innen gekehrt und schüchtern. Sie haben oft Schwierigkeiten, in Konkurrenzsituationen zu bestehen, soziale Interaktion strengt sie an, sie suchen häufig Rückzug und Ruhe und haben bei Vorträgen oder Wortmeldungen in Seminaren Hemmungen, sich anderen Menschen mitzuteilen. Nur ein geringerer Teil der Hochsensiblen ist extrovertiert. Sie mögen es, sich zu zeigen und mitzuteilen – wichtige Eigenschaften für Künstler, die auf der Bühne stehen oder für Redner und Kursleiter. Es ist also nicht zwingend erforderlich, introvertiert zu sein, um als Hochsensibler zu gelten. Doch für die Extrovertierten unter den Hochsensiblen sind die Phasen von Rückzug besonders wichtig, damit sie sich nicht in den Begegnungen und Erlebnissen in der Außenwelt verlieren. Bei den Mischtypen gibt es Phasen, in denen sie besonders gern nach außen gehen, aufgrund ihrer Veranlagung jedoch immer wieder Ruhe suchen oder in anderen Situationen sehr schüchtern sind.

Intuition

Viele Hochsensible berichten, dass sie in bestimmten Situationen starke Phänomene von Intuition und Telepathie erleben. Das gesteigerte Empathievermögen und das Aufschnappen von Stimmungen anderer Menschen tragen möglicherweise dazu bei.

Gerechtigkeitssinn

HSPs haben einen hohen Gerechtigkeitssinn und setzen sich gern für Schwächere ein. Daher engagieren sich viele Hochsensible beruflich oder ehrenamtlich in sozialen Projekten. Sie leiden extrem unter Ungerechtigkeit, wenn sie ihnen im persönlichen oder beruflichen Umfeld begegnet.

Sinnsuche

Es hat sich gezeigt, dass Hochsensible dazu neigen, Erlebnisse tiefer zu verarbeiten: Sie denken beispielsweise länger über Ereignisse nach, versuchen deren Sinn zu erfassen, suchen nach Querverbindungen oder einem tieferen Verständnis der Welt. Als Wahrheitssucher sind HSPs fleißig darin, Informationen zu sammeln. Ein Großteil von ihnen erlebt dadurch Phasen von Weltschmerz, da der Zustand unserer Gesellschaft dem tiefen Gerechtigkeitssinn von Hochsensiblen drastisch widerspricht.

Naturerlebnisse und Kunst haben einen großen Einfluss

Über 90% der Hochsensiblen fühlen sich stark berührt oder bewegt durch die Eindrücke, die bei Naturbeobachtungen, beim Musikhören, beim Filmschauen, beim Malen usw. entstehen. Dies löst starke Gefühle aus.

Hochbegabung, ausgeprägte Kreativität und Analysefähigkeit

Der Wahrnehmungsapparat von Hochsensiblen scheint mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet zu sein, etwa durch ein genaueres, tieferes, differenzierteres und feinsinnigeres Verarbeitungsvermögen. Diese Veranlagung zeigt sich auch in der Fähigkeit, schnell zu denken, Probleme blitzschnell analysieren und lösen zu können, und durch eine hohe Innovationsbereitschaft. Deshalb sind viele Hochsensible in einem oder mehreren Bereichen hochbegabt. Es gibt beispielsweise viele hochsensible Künstler, die ein besonderes Verständnis von Farbharmonien haben oder von Klängen und Musik. Auch jede andere Art von Hochbegabung kann auftreten, zum Beispiel im mathematischen, naturwissenschaftlichen oder im zwischenmenschlichen Bereich. Vielfach gibt es Hochsensible, die ihre Hochbegabung gar nicht als solche erkennen oder leben, da sie als Kind von der Umwelt nicht als Hochbegabte wahrgenommen und gefördert wurden.

Die Scanner-Persönlichkeit

Die sogenannten Scanner, Hochsensible mit vielen Interessen und Talenten, wirken nach außen hin möglicherweise sprunghaft und nicht fokussiert. Sie haben jedoch ein hohes Interesse, Neues kennenzulernen, und sind zyklisch immer wieder mit neuen Projekten und Themen beschäftigt. Darunter verbirgt sich meist eine multiple Hochbegabung. Diese vielfältigen Begabungen können zugleich Segen und Fluch sein. Hochbegabte mit einer deutlichen Spezialisierung (z.B. im mathematischen oder musischen Bereich) haben es wahrscheinlich leichter, entsprechende Berufe zu ergreifen. Die Scanner-Persönlichkeit hat jedoch so vielfältige Begabungen und Interessen, dass ihr schnell langweilig wird, wenn sie sich eine gewisse Zeit „nur“ auf ein Themengebiet konzentrieren muss. Universalgenies wie der Schriftsteller, Maler und Naturwissenschaftler Goethe sind in so gut wie allen Studienfächern gebildet. Goethe interessierte sich für Physik, Geschichte, Geologie, Biologie und Sprachen. Aufgrund dieser vielfältigen Interessen fühlen sich besonders Scanner oftmals orientierungslos und frustriert, da sie phasenweise Schwierigkeiten haben, sich für einen Weg zu entscheiden. Sie hören häufig aus ihrem Umfeld, dass sie sich doch mal „auf eine Sache konzentrieren“ sollen. Vielleicht sieht der Lebenslauf solcher Menschen nicht so geradlinig aus, doch die Erfahrungswerte sind unersetzbar.

Verbundenheit

Hochsensible fühlen sich meist mit ihren Freunden, Partnern, Familienangehörigen, Haustieren oder mit der Natur und dem Planeten Erde auf seelischer Ebene tief verbunden. Durch ihr starkes Einfühlungsvermögen und ihre Bereitschaft, sich tief auf Beziehungen einzulassen, sind sie meist „treue Seelen“, die Freundschaften anhaltend pflegen. Die Verbundenheitsgefühle mit Menschen und Lebewesen, die über den persönlichen Bekanntenkreis hinausgehen, motivieren Hochsensible auch zu ehrenamtlichem Engagement, zum Beispiel im Tier- und Umweltschutz oder in Hilfsorganisationen, die für Entwicklungsländer tätig sind.

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass Hochsensibilität eine Phänomenologie der feinen Wahrnehmung darstellt und keine Krankheit ist. Deshalb wird kein Arzt oder Psychologischer Psychotherapeut Hochsensibilität als „Diagnose“ stellen. Diagnosen werden für Krankheiten gegeben.

DORIS, 44 JAHRE:

Wenn ich an meine Kindheit denke, erinnere ich mich kaum an Situationen, sondern nur an meine intensive Gefühlswelt. Diese kann augenblicklich durch Gerüche, Geschmäcke etc., die ich mit gewissen Situationen von früher verbinde, in einer totalen Klarheit in mir wieder abgerufen werden. Damals schon waren z.B. laute Geräusche und helles Licht für mich vor allem morgens ein Gräuel. Das Frühstück in den Wintermonaten musste ohne Musik und mit sanftem Licht stattfinden, was mir bei meiner Schwester den Kosenamen „Familientyrann“ einbrachte. Ich konnte mich als Kind stundenlang alleine mit meinen Spielfiguren beschäftigen und habe mir mit ihnen meine eigene heile, harmonische Welt erschaffen.

Als Teenager musste ich viele Kompromisse eingehen, um mich nicht immer anders zu fühlen – und vor allem war keiner da, um über die ständige Flut an Impulsen und Wahrnehmungen und deren Umgang sprechen zu können. Leider wurde dieses Nichtverstandenwerden von mir oft mit zornigen Ausbrüchen gegenüber meiner Familie ausgelebt. Nur am Wochenende konnte ich mein überreiztes Nervensystem mit viel Schlaf und Aufenthalten in der Natur beruhigen.

Meine Hochsensibilität hat mich mein weiteres Leben immer wieder zum Einzelgänger werden lassen, ein Zustand, unter dem ich aufgrund von Unwissenheit sehr gelitten habe. Das und der Wunsch, dazuzugehören, hat mich zu einer Meisterin des Aushaltens gemacht. Ob im lauten Konzert, spätabends beim gemütlichen Beisammensein oder im hektischen Straßenverkehr – ich habe meine Bedürfnisse einfach ignoriert und verdrängt, was mich schließlich Ende 30 zum Burnout geführt hat und mich zwang, mein Leben zu ändern.

Heute achte ich sehr genau auf die Zeichen meines Körpers, meditiere regelmäßig und gehe auch tagsüber immer wieder in die Stille.“

HSP-Test für Erwachsene: Bin ich hochsensibel?

Lesen Sie sich einfach folgende Aussagen durch, und fragen Sie sich, ob sie auf Sie zutreffen. Zählen Sie am Ende zusammen, wie viele Male Sie mit Ja geantwortet haben.

1.In Menschenansammlungen (z. B. im Supermarkt oder auf einer lauten Party) fühle ich mich nicht so wohl. Ich habe das Gefühl, dass zu viele Eindrücke auf mich einprasseln.

2.Ich bin sehr geräuschempfindlich und/oder lichtempfindlich.

3.Von einem Musikstück oder einem schönen Kunstwerk bin ich oft tief berührt.

4.In meinem Inneren habe ich viele, intensive Gefühle. Manchmal bin ich überwältigt von der Intensität meiner Gefühle.

5.Im Kontakt mit anderen Menschen schnappe ich manchmal deren Gedanken und Gefühle auf. Teilweise erlebe ich dabei Phänomene von Telepathie.

6.Schon früh stellte ich mir die Frage nach dem Sinn des Lebens.

7.Ich reagiere stark auf Ungerechtigkeiten.

8.Wenn ich Tiere leiden sehe, leide ich mit.

9.Ich bin leicht schreckhaft.

10.Wenn ich Hunger habe, komme ich aus meinem Gleichgewicht. Hungergefühle beeinträchtigen meine Stimmungslage.

11.Ich habe viel Fantasie.

12.Filmszenen, in denen Gewalt vorkommen, verabscheue ich.

13.Ich kann mich sehr genau in andere Menschen hineinversetzen.

14.Auch was Tiere fühlen, kann ich spüren. Meine Beziehung zu Tieren ist etwas ganz Besonderes.

15.Als Kind fühlte ich mich schon anders als die meisten anderen Kinder.

16.Ich liebe Kinder. Das Lächeln und die Unschuld von Kindern berühren mich sehr.

17.Wenn ich in die Natur gehe, fühle ich mich in meiner Seele berührt und finde zu mir.

18.Ich mag es, tiefgründige Literatur zu lesen.

19.Ich brauche Harmonie in meinem Umfeld. Bei Streit und Konflikten leide ich besonders stark.

20.Manchmal fühle ich mich einsam, weil ich mich oft unverstanden von meinem Umfeld fühle.

21.Wenn mir alles zu viel wird, suche ich Rückzug und Ruhe.

22.Freunde und Arbeitskollegen schätzen mich, weil ich gut zuhören kann und positive Impulse für Gruppen geben kann.

23.Im Umgang mit Fremden bin ich eher schüchtern.

24.Mein Traumleben ist intensiv und vielschichtig. Ich träume oft und interessiere mich für Traumdeutung.

25.Ich neige zu Allergien.

26.Wenn ich Medikamente einnehme, brauche ich oft eine niedrigere Dosis.

27.Von den Stimmungen und Gefühlen anderer Menschen in meinem Umfeld fühle ich mich schnell beeinflusst.

28.Ich denke oftmals mehr an andere als an mich selbst.

29.Es fällt mir schwer, anderen lange böse zu sein. Ich versöhne mich gern.

30.Spiritualität, Philosophie und die Suche nach einem Sinn im Leben sind mir sehr wichtig.

31.Im Alltag fühle ich mich immer wieder mal überfordert. Bei wirklich dramatischen Situationen in der Familie oder in der Firma bin ich überraschenderweise oft ganz klar, ruhig und kann anderen in schweren Stunden sogar beistehen.

32.Ich habe mich schon sozial engagiert. Geld interessiert mich in diesem Zusammenhang eher weniger.

33.Manchmal reagiere ich kindlich naiv und merke das erst hinterher.

34.Ich neige zum Perfektionismus. Wenn ich etwas tue, möchte ich es genau und richtig machen.

35.Ich suche nach Schönheit in meiner Umgebung. Ich habe ein gutes Gefühl für Farben, Formen, Klänge und Harmonie in meinem Umfeld.

Wenn Sie mehr als 15 Mal mit „Ja“ antworten konnten, sind Sie wahrscheinlich hochsensibel. Bei mehr als 20 Mal ist Ihre Hochsensibilität stark ausgeprägt, bei mehr als 25 „Jas“ sind Sie sehr stark hochsensibel.

Den Test zu hochsensiblen Kindern finden Sie in Kapitel 5.

Stärken und Schwächen von Hochsensiblen

Anhand der Wahrnehmungskanäle lassen sich die Stärken und mögliche Schwächen von Hochsensiblen verdeutlichen. Mithilfe der folgenden Tabelle können Sie einmal schauen, welche Stärken Sie in den verschiedenen Wahrnehmungsbereichen haben. Auch die Begabung für mehrere Kanäle ist möglich. Daraus ergeben sich dann wiederum neue Kombinationsmöglichkeiten. Eine sensiblere Wahrnehmung begünstigt eine oder mehrere Hochbegabungen sowie berufliche Perspektiven in den verschiedensten Bereichen.

Hochsensible Männer

INTERVIEW MIT OLIVER (JAHRGANG 1977)

Woran bemerkst du deine Hochsensibilität im Alltag?

Meine Hypersensitivität merke ich im Alltag an verschiedenen Gegebenheiten. Mich stört starkes Licht (Sonnenlicht), ich halte dieses nur sehr kurze Zeit aus, wenn es mich direkt anstrahlt. Besonders empfindlich bin ich gegenüber Lärm oder lauten, viel redenden Personen. Bei Menschenansammlungen ziehe ich mich gerne zurück. Beim Einkauf bin ich nach kurzer Zeit reizüberflutet.

In welchen Lebensbereichen empfindest du deine Hochsensibilität als Bereicherung? Wo eher als Last?

Es hat aber auch positive Seiten im Alltag. Ich spüre, wenn etwas im Argen liegt oder mir gegenüber jemand nicht ehrlich ist. Ich neige zu Perfektionismus und kann mich gut in andere hineinfühlen. Wenn ich mit einem Projekt beginne, stehe ich voll und ganz dahinter. Bei meinen Hobbys Fotografie und Musik empfinde ich meine Gabe als Bereicherung. Ich bin sehr kreativ und kann das dabei gut ausleben. Im Alltag empfinde ich meine Hypersensitivität eher als störend. Von anderen werde ich für nicht belastbar gehalten.

Wo siehst du deine Stärken?

Meine Stärken liegen darin, dass ich mich gut in Menschen und Dinge hineinversetzen kann und feinfühliger bin. Ich habe eine schnelle Auffassungsgabe und handle lösungsorientiert. In der Vergangenheit war es schon mehrfach so, dass ich sehr früh bemerkt habe, wenn sich Situationen, z. B. im Arbeitsumfeld, verändern. Ich habe meinen Arbeitgeber gewechselt, da meinten alle anderen noch „So schlimm ist das doch gar nicht!“. Nach Jahren haben dort genau diese Mitarbeiter gekündigt.

Was bedeuten Gefühle für dich?

Gefühle habe ich im Lauf der Zeit immer mehr verborgen. Ich hatte ständig das Gefühl, ich bringe mich mehr ein als meine Partnerin oder alle anderen. Ich erlebe Gefühle innerlich sehr intensiv. Äußern kann ich sie am besten über Musik.

Was machst du beruflich? Wie wirkt sich deine Hochsensibilität im Beruf aus?

Ich habe lange Zeit im OP gearbeitet. Der ständige Stress und Lärm haben mich aber täglich immer wieder sehr schnell an meine Grenzen gebracht. Jetzt arbeite ich als Gutachter im medizinischen Bereich und kann über meinen Tagesablauf mitbestimmen, in meinem Tempo arbeiten und zwischendurch immer wieder Pausen einlegen. Durch meine umfassende Wahrnehmung kann ich vor Ort innerhalb kurzer Zeit sehr viele Eindrücke sammeln und diese in den Gutachten verwerten.

Bist du Vater geworden? Wie siehst du dich als hochsensibler Vater?

Ich bin zweifacher Vater. Mein älterer Sohn lebt jedoch leider nicht dauerhaft bei mir. Ich gerate mit meiner Hypersensitivität schnell an meine Grenzen und habe das Bedürfnis, mich zurückzuziehen. Kinder sind nun mal laut und verlangen, dass man sich einbringt und um sie kümmert. Dazu fehlt mir oft die Kraft, da ich mich selbst z. B. nach einem harten Arbeitstag nur sehr langsam wieder erhole. Obwohl es für mich anstrengend ist, würde ich es dennoch nie missen wollen!

Umfrage mit hochsensiblen Männern

Auf meiner Internetseite habe ich eine Umfrage mit hochsensiblen Männern durchgeführt. Die Resonanz war groß, und es ergaben sich erstaunliche Ergebnisse: Besonders auffällig waren die Antworten zu den positiven und negativen Aspekten der Hochsensibilität, die hochsensible Männer beschrieben haben. Die meisten empfinden ihre Hochsensibilität auf der einen Seite als extrem negativ, störend und verwirrend. Dazu gehören insbesondere Geräusch- und Geruchs empfindlichkeit, Schwierigkeiten in Menschenansammlungen sowie der Umgang mit den eigenen Emotionen. Auf der anderen Seite beschreiben Männer, ähnlich wie Frauen, Phänomene von Einfühlungsvermögen, erweiterter Wahrnehmung, sozialer Intelligenz und Kreativität. Rückblickend berichteten die Männer darüber, dass ihnen ihre Andersartigkeit bereits in der Kindheit und spätestens im Jugendalter aufgefallen war. Die hochsensible Variante des Männlichen verursacht in der Umgebung häufig Irritationen, die den Betroffenen schnell das Gefühl geben, ein Außenseiter zu sein. Viele leiden unter der Oberflächlichkeit alltäglicher Gespräche und suchen nach Tiefe und dem Sinn im Leben.

An dieser Stelle können Sie kurz einige repräsentative Antworten aus der Umfrage mit Männern lesen. (* die Namen wurden geändert)

Frage: „Wie erleben Sie Ihre Hochsensibilität im Alltag? Wann ist Ihnen aufgefallen, dass Sie anders sind? Wo sehen Sie Ihre Stärken und Schwächen?“

Andreas (44)*: „Im Beruflichen empfinde ich sie als störend, da ich in einem Großraumbüro arbeite und der Umgebungslärm mich irgendwie erdrückt. Im Alltag suche ich, soweit es mir möglich ist, abgeschiedene bzw. ruhige Plätze. Ich beobachte gern vorbeiziehende Personen und denke mir Geschichten zu ihnen aus. Beim Malen (abstrakte Bilder) empfinde ich meine Hochsensibilität als bereichernd und förderlich. Bemerkt habe ich meine Hochsensibilität nach meiner Scheidung vor zwölf Jahren. Damals begann ich das erste Mal, mich nur um mich zu kümmern. Als ich anfing, Yoga zu praktizieren, dadurch Ruhe und mein inneres Gleichgewicht wiederfand, hat sich in mir etwas verändert. Durch eine schwere Erkrankung und die vielen Gespräche mit meiner Heilpraktikerin fiel das erste Mal das Wort ‘Hochsensibilität'. Mit der Zeit verstand ich vieles aus der Vergangenheit und kann die Momente meines Empfindens besser einordnen.“

Jürgen (36)*: „Ich kann gut zuhören, baue schnell emotionale Beziehungen zu anderen Menschen auf und kann mich gut in sie hineinversetzen. In einer Diskussion verteidige ich immer die jeweils andere Person, die gerade nicht anwesend ist. Ich bin geräusch- und geruchsempfindlich, fühle mich sehr unwohl in großen Menschenmengen und kann aggressives und lautes Verhalten nicht nachvollziehen. Das fing schon in der Kindheit an, als mir die ‘üblichen kleinen Prügeleien' unter Jungs sehr befremdlich erschienen. Ich sehe viele Details und bin deshalb leicht ablenkbar. Andererseits bin ich ganz gut geübt darin, mehrere Dinge gleichzeitig zu ‘beachten'. Das führt dazu, dass ich oft einen besseren überblicke über die Dinge habe als andere. Ich habe Probleme im Angestelltendasein, im regelmäßig gleichbleibenden Tagesablauf. Deswegen bin ich selbständig, aber auch das ist nicht optimal. Mir fehlt der Wille zum Geldverdienen, den man als Unternehmer braucht. Ich mache zu viele unbezahlte Sachen.“

Thomas (48)*: „Zuerst dachte ich, ich wäre nervlich nicht belastbar. Aber als ich das mit meiner Hochsensibilität rausgefunden hatte, kam ich im Beruf viel besser klar. Es gibt immer wieder viele Dinge, die mich nerven. Am Anfang denkt man immer, der Stress ist schuld. Der entsteht aber nicht durch die Arbeitsmenge, sondern durch das Umfeld. Es ist nicht einfach, aber man kann sich dem anpassen. Ich registriere mehr Dinge und kann auch komplexer denken. Jedoch nur bei guten Bedingungen. Sobald es zu viele störende Einflüsse gibt, baue ich sehr schnell ab.“

Partnerschaftsthemen von hochsensiblen Männern

Jeder zweite HSP-Mann in dieser Umfrage war Single. Hier liegt schon eines der großen Themen auf der Hand, die hochsensible Männer beschäftigen. Wie können Sie eine Partnerschaft eingehen und halten? Schüchternheit und teilweise sozialer Rückzug verhindern häufig, dass hochsensible Männer Kontakte mit potenziellen Partnerinnen knüpfen können. Frauen können irritiert auf hochsensible Männer reagieren, da sie diese als zu wenig männlich empfinden. In Freundschaften mit Frauen werden hochsensible Männer oft geschätzt, da sie gute Gesprächspartner sind und gern tiefsinnige Gespräche führen. Doch wie können solche Freundschaften in eine Liebesbeziehung weiterentwickelt werden? Bei dieser Frage stoßen (hochsensible) Männer teilweise an ihre Grenzen. HSP-Männer neigen eher dazu, nach einer Trennung mehr Zeit für die Verarbeitung der Beziehung zu brauchen. Die aufgewühlten Gefühle wie Trauer, Verlust, Liebeskummer und Enttäuschung hallen noch lange in ihnen nach. Die Fähigkeit, sich tiefer auf Beziehungen einzulassen, trägt ebenfalls zu längeren Verarbeitungsphasen bei.

Noch immer prägen klassische Rollenbilder die Vorlieben von Frauen bei der Partnerwahl. Auch die finanzielle Absicherung spielt für viele Frauen noch heute eine große Rolle, wenn sie auf die Suche nach einem geeigneten Partner gehen. Da hochsensible Männer oft sozial engagiert, künstlerisch tätig oder idealistisch veranlagt sind, haben sie teilweise einen kleineren finanziellen Spielraum als die anderen männlichen Kollegen.

Kinder von Hochsensiblen

Lediglich 30 % der befragten hochsensiblen Männer hatten selbst Kinder. (Ob sich diese Zahlen als repräsentativ für die gesamte Gruppe von Hochsensiblen deuten lassen, ließe sich nur mit einer groß angelegten Umfrage herausfinden.) Hochsensible treffen teilweise bewusst die Entscheidung, keine Kinder haben zu wollen, weil sie befürchten, in der Elternrolle überfordert zu sein. Andererseits gibt es auch viele HSPs, bei denen auch andere Gründe eine Rolle spielen, etwa nicht die richtige Partnerin gefunden zu haben oder Beziehungsprobleme im Allgemeineren.

Die Vater-Sohn-Beziehung

Für hochsensible Männer lohnt es sich, die Beziehung zum Vater zu beleuchten, um die eigene Entwicklung besser zu verstehen. Als Junge muss der Sohn sich an seinem Vater orientieren, da dieser das Rollenmodell für Männlichkeit, Väterlichkeit und Partnerschaft vorlebt. In vielen Familien wurde die Liebe zwischen Vätern und Söhnen unterbrochen. Entweder durch Abwesenheit (kein Interesse an Familie), Tod, Krieg oder aufgrund der Berufstätigkeit. Erfahrungen der Ablehnung werden häufig von Generation zu Generation weitergereicht. Besonders Väter, die als Kinder selbst vernachlässigt wurden, haben das Gefühl, mit ihren eigenen Kindern nicht viel anfangen zu können.

Diskrepanzen zwischen Vätern und Söhnen

Auffallend in der Umfrage war, dass viele Befragte den Eindruck hatten, ihr Vater sei nicht hochsensibel (33 %). Tatsächlich beschrieben 45 % der Männer ihre Väter als distanziert und emotional kühl, 21 % sogar als ablehnend. (Mehrfachnennungen waren möglich.) Wieder 21 % empfanden ihren Vater als bedrohlich in Worten und sogar 23 % als aggressiv. 15% beschrieben ihn sogar als gewalttätig. In diesem Spannungsbogen wird die Identifikation mit dem Vater natürlich schwierig, wenn der Sohn hochsensibel ist. Besonders für hochsensible Jungs, die ihren Vater als emotional distanziert oder aggressiv erleben, baut sich eine innere Distanz auf, die eine gesunde Identifikation mit dem Vater unmöglich macht. Für die Entwicklung der eigenen männlichen Identität als hochsensibler Mann brauchen hochsensible Jungen positive Vorbilder.

Positive Vater-Vorbilder

Immerhin waren 18 % der Meinung, ihr Vater sei auch hochsensibel. Ein Viertel der Männer beschrieb den Vater als kreativ, kommunikativ und beschützend. Die künstlerische Veranlagung wurde von 23 % beim Vater beobachtet. Es gab Väter, die aufgrund ihrer Hochsensibilität der Ehefrau eher untergeordnet leben (25 %), und fast genauso viele Väter, die auf einer Ebene mit der Partnerin leben (21 %). Als liebevoll beschrieben 33 % der Männer ihre Väter und 44 % als erfolgreich im Beruf.

Berufsbilder hochsensibler Männer

Die Berufstätigkeit von HSP-Männern hat ähnliche Trends gezeigt wie die Berufstätigkeit von hochsensiblen Frauen. Bei der Umfrage zeigten sich jedoch noch weitere Differenzierungen. 16 % gaben an, einen künstlerischen Beruf auszuüben, 12 % arbeiten in der IT-Branche, 6 % als Wissenschaftler, 8 % als Handwerker und 15 % im Gesundheitswesen, 16 % sind nicht berufstätig aufgrund von Burnout oder anderen Erkrankungen. Die Mehrheit der Männer arbeitet als Angestellte (42 %) und 18 % sind Freiberufler. Interessant sind auch die Kommentare zu Mehrfachberufen, die hochsensible Männer aufgrund ihrer vielen Interessen und Begabungen ausüben.

Männerfreundschaften

Immerhin berichtete jeder zweite Mann in der Umfrage, dass er hochsensible Freunde habe. Jedoch gaben noch 30 % der Männer an, dass sie in ihrem Umfeld keine hochsensiblen Freunde haben. Das ist traurig. Denn nur durch Gleichgesinnte können wir unsere Einzigartigkeit positiv kennenlernen. Typisch für Hochsensible ist auch, dass die deutliche Mehrheit angab, wenige Freunde zu haben. Nur 9 % berichteten darüber, viele Freunde zu haben. Allgemein bevorzugen es die meisten Hochsensiblen, lieber wenige, tiefere Freundschaften zu pflegen, als viele oberflächliche Kontakte zu haben.

Männergruppen

Kreise unter Männern können viele wachstumsanregende Impulse geben. Besonders für hochsensible Männer, deren Väter eher ein negatives Bild hinterlassen haben, können diese Gruppen wichtige Heilungsimpulse geben. Es gibt unterschiedliche Formen von Männergruppen: Ein Großteil der angebotenen Gruppen bietet Seminare mit intensiver Naturerfahrung an, was vielen HSP-Männern entgegenkommt. Dazu gehören archaische Angebote wie das Feuermachen, Kanufahren, Fischen, indianische Schwitzhütten und Überlebenstrainings. Darüber hinaus gibt es die Gesprächsrunden unter Männern, in denen offen über Themen wie männliche Identität, Gefühle, Partnerschaft und Sexualität, Lebensphasen, Vaterschaft usw. gesprochen werden kann. Hier können hochsensible Männer endlich offen und in einem geschützten Rahmen über ihre innere Welt sprechen und heilsame, neue Impulse aufnehmen.

Es ist Zeit für ein neues Bild von Männlichkeit!

Die Integration der weiblich konnotierten Aspekte wie Emotionalität, Empathie, Mitgefühl, Kreativität und Naturverbundenheit könnte vielen männlichen Männern ganz guttun. Deshalb werden hochsensible Männer in unserer Gesellschaft dringend gebraucht. Unserer Kultur fehlt es an Impulsen sensibler Männer, die sich vielfach im Alltag zu sehr zurückziehen. Noch immer werden viele Unternehmen von jenen Männern geleitet, die den Kampf um Leistung, Effizienz und Gewinnmaximierung oft in unmenschlicher Weise vorantreiben. Generationenübergreifendes Denken gibt es in unserer Industriewelt kaum. In der kranken, männlich orientierten Welt der Wirtschaft und des Geldes wurde das weibliche Prinzip nahezu ausgelöscht. Das Ergebnis bekommen unsere Kinder präsentiert, die eine Erde vorfinden, die am Rande ihrer Kräfte ist. Mutter Natur wird so sehr ausgebeutet, dass viele Ökosysteme auf dem Land und im Wasser kurz davor sind, zusammenzubrechen. Der Raubbau an den Ressourcen der Natur und die unbändige Gier nach Bodenschätzen, Öl, Gas und Tieren haben schon viele Regionen der Erde zerstört. Da es nur wenige Vorbilder für hochsensible Männer gibt, ist es von unschätzbarer Wichtigkeit, dass Männer sich untereinander in ihrer Entwicklung gegenseitig unterstützen und Mut machen.

Welche Impulse können hochsensible Männer in die Gesellschaft einbringen?

•Die Entwicklung eines neuen Familienbildes

•Vorbilder für hochsensible Kinder sein

•Tiefe seelische Verbindungen in einer Partnerschaft leben

•Eine sensible, spirituelle, einfühlsame Sexualität leben

•Kreativität, Musikalität und Fantasie zur Entwicklung von Kunstprojekten

•Fähigkeit zu tiefen Gefühlen

•Die Welt menschlicher machen

•Die Integration weiblicher Aspekte in einer männlichen Identität

•HSP-Männer als Unterstützung und Stärkung von Frauen und der weiblichen Energie

•Ausgleich schaffen, Extreme abmildern

•Leichtigkeit, Humor einbringen

•Innovationen vorantreiben

•Philosophische Gedanken entwickeln

•Spiritualität leben und verwirklichen

•Durch Verbundenheit Verantwortung für Tiere und Menschen in Not übernehmen

•Dem Erwartungsdruck unserer Leistungsgesellschaft nicht entsprechen

Hochsensible Frauen

INTERVIEW MIT CHRISTINA (58 JAHRE)

Woran bemerkst du deine Hochsensibilität im Alltag?

Ich ertrage die Gesellschaft von mehr als zwei Menschen nicht – und auch die zwei schon nur schwer. Ich bin sehr lärmempfindlich. Ich kann nicht in Supermärkten einkaufen oder samstags in der Stadt sein oder Urlaub machen in einem Hotel. Wenn ich in der Straßenbahn fahre oder einen öffentlichen Raum betrete, nehme ich die Gesamtstimmung wahr und auch die Befindlichkeiten der Einzelnen – das ist sehr „laut“. Manchmal ist es, als werde ich angebrüllt. Ich höre die Menschen mit meinen inneren Ohren und kann mich nicht dagegen schützen.

In welchen Lebensbereichen empfindest du deine Hochsensibilität als Bereicherung? Wo eher als Last?

Im Kontakt mit meiner Familie und mit Freunden, mit Menschen, denen ich vertraue und die mir nah sind, ist es eine große Bereicherung, dass ich den anderen Menschen so differenziert und deutlich wahrnehmen kann. Haben diese Menschen Probleme, die sie mit mir besprechen, hilft es, weil ich die Untertöne hören kann. Ich sehe die Aura eines Menschen und die vorherrschende Farbe, das mag ich sehr gern, und es hilft, den anderen zu verstehen. Eine Last ist die Hochsensibilität, weil die Welt für mich zu laut und zu voll ist. Schwierig wird es, wenn ich Kontakt auf einer sachlichen Ebene habe, weil ich den anderen Menschen in all seinen Farben sehe und das Unausgesprochene wahrnehme. Wenn die Eindrücke stark sind, fällt es mir schwer, sachlich zu bleiben, ich gerate leicht auf eine andere Ebene. Ich sehe die Aura, spüre viel, und der Mensch scheint mir vertraut, er kennt mich aber nicht und will natürlich in einer solchen Situation nicht über Privates sprechen, und vermutlich will er auch nicht, dass ich davon weiß.

Wo siehst du deine Stärken?

Ich kann Menschen dabei helfen, klarer zu werden, zu erkennen, was sie quält und behindert. Ich kann leicht vermitteln, dass ich den anderen Menschen akzeptiere und nicht beurteile. Ich kann durch meine Anwesenheit schlichtend und ausgleichend wirken.

Wie würdest du deine Hochsensibilität gern in die Gesellschaft einbringen?

Ich würde gern als Mediatorin arbeiten. Mein größter Wunsch ist, die Geschichten aufzuschreiben, die ich um mich herum „höre“, die um mich herumschweben, und damit mehr Farbe in die Welt zu bringen.

Was bedeuten Gefühle für dich?

Ich lerne gerade, dass ich fühlen muss, will ich weiter wachsen, will ich meinen eigenen Raum finden. Das ist ein großes Abenteuer für mich und macht mir Angst …

Umfrage mit hochsensiblen Frauen

Ähnlich wie bei den HSP-Männern habe ich mit hochsensiblen Frauen eine Umfrage im Internet gestartet. Die Anzahl der Teilnehmenden war bei beiden Umfragen gleich. Ob sich die Ergebnisse als repräsentativ für die Gesamtgruppe der Hochsensiblen auswerten lassen, ließe sich nur durch zukünftige Umfragen klären. Dennoch sind die Trends eindeutig.

Partnerschaftsthemen von hochsensiblen Frauen

Im Vergleich zu den hochsensiblen Männern gibt es unter den HSP-Frauen weniger Singles. Während jeder zweite hochsensible Mann in der Umfrage Single war, betraf dies bei den Frauen nur 30 %. Ob es sich dabei um Alleinstehende oder um Geschiedene handelt, wurde nicht näher beleuchtet. Bei dieser Umfrage gaben 65 % der Frauen an, dass ihr Partner nicht hochsensibel sei, und 35 % hatten einen hochsensiblen Partner. Ca. 35 % hatten Kinder. über 60 % der Singles wünschten sich eine neue Beziehung. (Weitere Informationen zu Partnerschaftsthemen können Sie in Kapitel 3 vertiefen.)

Berufsbilder hochsensibler Frauen

Innerhalb meiner Umfrage kristallisierte sich ein klarer Trend heraus, was die Berufstätigkeit hochsensibler Frauen betrifft. Die beiden großen Felder, in denen sich diese Frauen am stärksten bewegen, sind: das Gesundheits- und Sozialwesen sowie künstlerische Berufe. 26 % sind angestellt und 30 % freiberuflich tätig. 13 % sind Hausfrau und 12 % gaben an, wegen Burnout derzeit berufsunfähig zu sein. 8 % sind Wissenschaftlerinnen.

Stärken hochsensibler Frauen

•Intuition

•Empathie

•Kreativität

•Spiritualität

•Therapeutische Fähigkeiten

•Besondere Verbindung zu Tieren

•Hilfsbereitschaft und soziales Engagement

•Sinn für Schönheit und Harmonie

•Gute Beobachtungsgabe

•Sozialkompetenz

Mutter-Tochter-Beziehung

Überraschend bei dieser Umfrage waren die Aussagen zu den Müttern der hochsensiblen Frauen. 48 % gaben an, dass sie ihre eigene Mutter nicht als hochsensibel erlebt haben. Sogar 60 % gaben an, ihre Mutter sei emotional kühl und distanziert. 42 % beschrieben ihre Mutter als depressiv und 21 % als „häufig strafend“. Es gab bei den Kommentaren auffällig viele Bemerkungen zu narzisstischen Müttern. Wenn wir bedenken, dass 65 % der Teilnehmerinnen zwischen 30 und 50 Jahre alt waren, gehörten ihre Mütter wahrscheinlich zu den 60er, 50er, 40er und 30er Jahrgängen. Aufgrund der historisch schwierigen Ereignisse des Zweiten Weltkrieges sind alle diese Elterngenerationen direkt oder indirekt durch die Traumatisierungen jener Zeit psychisch belastet gewesen, was die recht hohen Werte in den negativen Eigenschaften dieser Mütter wohl erklärbar macht. Möglicherweise war ein Teil dieser Mütter trotzdem hochsensibel und konnte diese Veranlagung aufgrund der meist widrigen Lebensumstände nicht konstruktiv ausdrücken.

38 % beschrieben ihre Mütter als hochsensibel, 43 % beschrieben sie als liebevoll und 30 % als emotional warm. Die kreative Veranlagung konnten 35 % der Befragten bei der eigenen Mutter beobachten. 47 % beschrieben sie als kommunikativ und ebenso viele als beschützend.

Aufgrund der vielen negativen Erfahrungen hochsensibler Frauen mit ihrem weiblichen Muttervorbild ist sehr viel Heilungs- und Versöhnungsarbeit notwendig. Dafür gibt es bereits eine Vielzahl von Gruppierungen. Im folgenden Abschnitt möchte ich Ihnen eine davon stellvertretend vorstellen.

Frauengruppen

Die Räume, in denen es um weibliche Themen geht, beginnen seit einigen Jahren wieder zu wachsen. Eine sehr kraftvolle Bewegung aus den USA nennt sich die Red-Tent-Bewegung, zu der es bereits einen gleichnamigen Dokumentarfilm der amerikanischen Psychologin Isadora Gabrielle Leidenfrost gibt. Nach dem Vorbild der amerikanischen Ureinwohner, wonach sich die Frauen zu Zeiten ihrer Menstruation in ihre Moonlodge zurückzogen, versammeln sich Frauengruppen auf der ganzen Welt in roten Zelten oder Räumen, um miteinander auf eine sehr intime und persönliche Art über alles zu sprechen. Die starke Kraft der Verbindung unter den Frauen, Mädchen und Großmüttern erschafft einen Heilungsraum, der therapeutisch enorm wirksam ist. Im Internet können Sie Filmausschnitte des bereits erwähnten Dokumentarfilms sehen und sich berühren lassen.

Verletzlichkeit als natürlicher Zustand

Verletzlichkeit ist ein Zustand, mit dem wir auf die Welt kommen. Schauen Sie sich ein neugeborenes Baby an – wie empfindlich ist seine Haut? Wie sensibel reagiert es auf Berührung und andere Außenreize? Im Zustand von Verletzlichkeit sind wir emotional offen und reaktionsfähig. Es ist eine Fähigkeit, mit dem Leben mitzuschwingen, und eine Art von Reinheit. Wenn Kinder weinen, weil sie einen traurigen Film gesehen haben, oder wenn Ihr Kind Ihnen sagt, dass es Sie liebt, dann erleben Sie diese Offenheit, dieses weiche Herz. Auch bei Säugetieren, die den Kontakt mit Menschen gewohnt sind, können Sie dieses Vertrauen erfahren. Der Hund, der sich mit dem Bauch nach oben hinlegt, damit Sie ihn dort streicheln können, demonstriert maximales Vertrauen und maximale Verletzlichkeit. Denn im Bauchraum liegen unsere inneren Organe, die bei einem Kampf oder Angriff lebensbedrohlich verletzt werden können. Mit Verletzlichkeit meine ich den natürlichen Zustand von Menschen und Tieren, die vollkommen authentisch und im Vertrauen sind. Es ist nicht die leichte Kränkbarkeit gemeint, mit der Menschen auf Kritik oder Ablehnung überreagieren.

Als hochsensibler Mensch ist es hilfreich, wenn Sie eine positive Beziehung zu Ihrer Verletzlichkeit aufbauen. Unsere Gesellschaft unterstützt diese Entwicklung in der Regel eher nicht. Fragen Sie einmal Jugendliche, wie es an den Schulen heutzutage abläuft. Oberste Regel heißt dort „cool sein“. Coolness bedeutet, dass Gefühle versteckt werden und ein Deckmantel der Emotionslosigkeit demonstriert wird, der im weiteren Verlauf zu Arroganz oder Aggressionen führen wird, da feinere Gefühle wie Trauer, Berührtsein, Neugier oder aufrichtige Anteilnahme unterdrückt werden. Im Berufsleben geht's dann weiter. Wer traut sich, vor den Augen des Chefs oder vor Kollegen zu weinen, wenn ihn etwas bedrückt? Wie oft haben Sie als Kind den Satz zu hören bekommen: „Jetzt hör doch mal auf zu heulen!“? Wie haben Ihre Eltern und Freunde auf Ihre Verletzlichkeit und Sensibilität reagiert? Oft geschieht es, dass hochsensible Menschen aufgrund solcher Situationen emotional „zumachen“. Das ist in der Regel eine häufige Reaktion auf die Ablehnung und das Unverständnis, mit denen sich viele HSPs im Alltag konfrontiert sehen. Ich möchte Sie ermutigen, wieder diese ursprüngliche Verletzlichkeit zuzulassen. Denn dieser Zustand ist rein, unschuldig und macht uns veränderungs- und lernfähig.

Verletzlichkeit ist unsere wahre Natur und der Zugang zur inneren Heilung.

Filmbeispiel „Good Will Hunting“

Abschließend möchte ich Ihnen noch einen Film zum Thema empfehlen. „Good Will Hunting“ ist ein Meisterwerk des Regisseurs Gus van Sant. Hauptdarsteller Matt Damon schrieb das Drehbuch gemeinsam mit seinem Kollegen Ben Affleck. Der Film handelt von dem hochbegabten Jugendlichen Will Hunting (gespielt von Matt Damon), der in einem heruntergekommenen Vorort von Boston lebt. Aufgrund seiner ärmlichen Herkunft und des zerrütteten Elternhauses, in dem er Alkoholismus und Gewalt erlebt hat, arbeitet er als Hilfsarbeiter auf dem Bau und als Reinigungskraft an der Cambridge-Universität. Eines Tages löst er dort auf einer Tafel im Flur eine sehr schwierige Gleichung der höheren Mathematik, und der Professor erkennt in ihm ein unentdecktes Mathematikgenie. Da Will selbst immer wieder in Schlägereien verwickelt wird, kommt er vor Gericht. Der Professor bewirkt, dass eine Haftstrafe entfällt, wenn Will sich in psychologische Behandlung begibt. Der College-Psychologe Sean Maguire (gespielt von Robin Williams) nimmt sich des Jungen an. Will provoziert, pokert und reagiert mit Zynismus und Sarkasmus auf die therapeutischen Annäherungsversuche. Es scheint hoffnungslos. Der junge Hochbegabte versteckt sich hinter einer Maske, seine emotionale Panzerung ist aufgrund seiner traumatischen Kindheitserlebnisse zu stark. Erst als der Psychologe von seinem eigenen Vater berichtet und wie er ihn als Kind regelmäßig verprügelt hat, bricht der Damm. In der Schlüsselszene versichert der Therapeut Will immer wieder, dass er keine Schuld an den übergriffen des Vaters habe. Dieser bleibt zunächst distanziert, je öfter Maguire den Satz jedoch wiederholt, umso mehr öffnet sich Will, bis er schließlich in Tränen ausbricht und weinend in den Armen des Therapeuten liegt. In dieser Szene findet Will endlich wieder den Zugang zu seiner eigenen Verletzlichkeit und kann dadurch wieder authentisch werden. Seine eigenen aggressiven Ausbrüche reduzieren sich, er findet seinen eigenen Lebensweg. Dieser wunderbare Film enthält viele wichtige und berührende Botschaften, die sehr stark mit den Themen Hochsensibilität, Verletzlichkeit und auch (Hoch-)Begabung verknüpft sind.

Gefühle

In diesem Buch werden Sie noch sehr viel über Gefühle und den Umgang mit ihnen lesen. Hochsensible Menschen haben ein besonders intensives Gefühlsleben, das ihnen überwältigend und zum Teil sogar bedrohlich erscheinen kann, sofern sie nicht gelernt haben, damit angemessen und konstruktiv umzugehen. Ein weiteres Persönlichkeitsmerkmal, das die meisten HSPs kennen, ist der Wunsch nach Harmonie. Wenn sich im Umfeld Spannungen und Konflikte aufbauen, versuchen meist die HSPs, die Wogen wieder zu glätten und zu schlichten. Daher beschäftigt sich dieses Kapitel sowohl mit dem Umgang mit eigenen Gefühlen als auch mit sogenannten „fremden Gefühlen“, die HSPs häufig von anderen Personen aufschnappen.

Als Einführung in dieses Thema lesen Sie hier einen Teil des Interviews mit Julia (20 Jahre):

Frage: „Was bedeuten Gefühle für dich?“

Julia: „Gefühle sind die Grundlage jeden Seins, durch sie ist unser Leben lebenswert. Wir können nicht ohne Gefühle leben, denn ohne sie wären wir nur leere Hüllen, die keinen anderen Zweck verfolgen als Essen, Trinken, Fortpflanzen und Schlafen. Ohne Gefühle wäre die Menschheit nicht überlebensfähig. Aus genau diesem Grund haben auch alle Lebewesen auf diesem Planeten Gefühle, Mensch wie Tier. Jeder, der ein Haustier hatte und sich ernsthaft mit diesem beschäftigt hat, kann dies bestätigen. Denn Tiere zeigen ihre Gefühle ohne Vorbehalte, ohne ‘Maske', die viele Menschen heutzutage zur Schau tragen. Dadurch sind Tiere die besseren Menschen, und wir alle tun gut daran, ihnen ein angenehmes Leben zu bescheren, sie wertzuschätzen und keinem Tier absichtlich zu schaden oder es sogar zu töten. Gefühle, egal ob guter oder schlechter Art, zeigen, wer wir sind. Wenn wir sie unterdrücken, blockieren wir einen Teil unseres Selbst, und das ist nie gesund. Gefühle sind das Schönste, das Allerschönste auf dieser Welt. Es kann wehtun, die Gefühle anderer zu sehen und zu fühlen, und trotzdem ist es das Beste, was uns Menschen passieren konnte.“

Da unsere Gesellschaft den Ausdruck von Gefühlen eher unterdrückt, ist der offene Umgang damit in den meisten Situationen schwierig. Sie sind wie Wellen im Meer, die kommen und gehen. Ein Gefühl verwandelt sich in das nächste, wenn wir es zulassen können. In meiner Ausbildung für die Atemtherapie habe ich erfahren, dass unterdrückte Gefühle eine Art Stau im System verursachen. Das Gegenteil von Verletzlichkeit ist Panzerung. Die Verkrustung des emotionalen Systems kann die Betroffenen anfällig für Depressionen machen. Darüber werden Sie im weiteren Verlauf des Buches noch mehr erfahren. Im Moment reicht es, wenn wir festhalten, dass alle Gefühle tatsächlich als Freunde betrachtet werden dürfen. Es gibt keine schlechten Gefühle, obwohl wir das so gelernt haben. Je mehr wir versuchen, negativ bewertete Zustände wie Wut, Hass, Neid oder Angst zu unterdrücken, umso weniger Chancen bestehen, diese zu lösen. Einige Interviewpartner gaben an, dass sie Gefühle besonders gut über Musik oder Kunst ausdrücken können. Der einfachste Weg, um mit unseren Gefühlen in Kontakt zu kommen und sie wertfrei zulassen zu können, ist das offene, verbundene Atmen. Wenn Sie an sich beobachten, dass Sie flach und stockend atmen, sind Sie wohlmöglich innerlich sehr angespannt und unterdrücken Ihre Gefühle. Sobald Sie offen durch den Mund atmen und sich dabei Ihren inneren Raum nehmen, sind Sie wieder in Verbindung mit dem eigenen Selbst.

Die Bewegung von Emotionen durch unser System folgt einer bestimmten Logik, die in der folgenden Grafik dargestellt ist. Manchmal entpuppt sich das emotionale Erleben als eine Art Labyrinth. Je offener Sie damit jedoch umzugehen lernen, desto mehr werden Sie diese Logik wahrnehmen. Die Symbole für Plus und Minus in der folgenden Grafik stellen jene Bewertungen dar, die wir Menschen normalerweise solchen Gefühlen entgegenbringen, wobei jedes Gefühl seine Berechtigung hat. Auf der anderen Seite sind die Symbole auch als Orientierung gemeint. Wenn Sie sich selbst eher auf der rechten Seite unterhalb des Pfeils wiederfinden, ist therapeutische Hilfe angezeigt. Viele Menschen erleben ihre traurigen Gefühle als Belastung. Dennoch ist Trauer ein Gefühl, das verwandelt und erlöst. Trauergefühle werden in unserer Gesellschaft häufig nicht richtig verstanden, sie sind jedoch der Schlüssel zu persönlicher Reife und zur psychischen Gesundheit. Wenn ein Mensch einen tiefen Verlust nicht authentisch betrauert, so kann sich daraus später eine Depression entwickeln, die auf der Grafik weiter unten angezeigt ist. Ohne Trauerverarbeitung können Sie die schmerzlichen Themen in Ihrem Leben nicht wirklich abschließen. Trauer macht uns offen, verletzlich weich und wieder lebendig.


Abb 2.1

Abbildung 2.1: beschreibt den Zusammenhang von Gefühlszuständen und dem Grad an Lebendigkeit, die ein Mensch erfährt. Auf der Seite mit dem Minus (-) befinden sich Gefühle und Zustände, die wir in der Regel als „negativ“ bezeichnen würden, daher werden diese Gefühle häufig unterdrückt. Auf der Seite mit dem Plus (+) sind Gefühlszustände angeführt, die von Menschen als positiv bezeichnet werden. Der Pfeil symbolisiert die Wende im Verarbeitungsprozess. Deshalb ist die Trauer ein Tor zwischen den „positiven“ und „negativen“ Gefühlen und damit ein transformierendes Geschehen. Durch das Zulassen der Trauer (bei Enttäuschungen, Verlusten oder in Momenten des Scheiterns) öffnet sich im Menschen eine tiefere Dimension. Er wird dadurch überhaupt erst fähig, Verluste zu verarbeiten und kommt bei sich selbst in seinem inneren Kern an. Unser Grad an Offenheit bestimmt, ob wir in der Lage sind, uns durch das Wahrnehmen der Gefühle in immer höhere Zustände weiterzuentwickeln, oder ob wir „steckenbleiben“. Im Verlauf des Lebens mit seinen vielschichtigen Ereignissen können wir die Struktur hinauf- und herunterwandern, da gibt es keine Vorhersehbarkeit.

Das Unterdrücken von Gefühlszuständen führt lediglich dazu, dass Sie im Laufe der Jahre immer weiter nach unten in der Tabelle rutschen und irgendwann das Gefühl haben, keine Kraft mehr zum Leben zu haben. Besonders die „negativen“ Emotionen sind jedoch der Schlüssel zur Heilung. Wenn ich mich endlich dem Thema Scham annehme, der Wut oder der Verzweiflung und nicht mehr dagegen ankämpfe, haben diese Gefühle die Chance, sich zu verwandeln, und ich kann die Botschaft dahinter verstehen. Dieses Annehmen geht mit Selbstakzeptanz oder Selbstliebe einher, die wir uns häufig als Erwachsene erst erarbeiten können. Gefühle werden von jeher mit dem Wasserelement in Verbindung gebracht – genauso verhalten sie sich auch. Sie können Dämme errichten, aber das gestaute Wasser wird mit der Zeit faulig. Manchmal sucht es sich seinen eigenen Weg, dann brechen Dämme, Wasser muss fließen, Emotionen ebenfalls. Wenn Sie die Weisheit und Intelligenz Ihrer Gefühle erkennen, werden sie zu einem natürlichen Bestandteil Ihres Lebens – und Sie brauchen mit diesem Teil Ihres Selbst nicht mehr zu kämpfen.

Dazu eine Kurzgeschichte von mir:

Die Wandlung

Dreimal hatte es an der Tür geklopft. Erst ganz sacht, dann immer bestimmter. So erhob ich mich und öffnete die Haustür einen Spalt breit. Erschrocken schlug ich sie schnell wieder zu, denn draußen wartete ein hässlicher, schwarzer Vogel. Ein ungutes Gefühl überkam mich, eine Vorahnung. Aber eins war völlig klar. Mein Haus würde diese schwarze Nachtgestalt nicht betreten. So flüchtete ich ins obere Stockwerk, dabei verschloss ich jede Tür sorgfältig hinter mir. In einem alten Schaukelstuhl wiegte ich mich in den Schlaf, peinlich darauf bedacht, das Krächzen des Vogels zu überhören. Wenige Stunden später erwachte ich wieder. Mir schmerzte der Rücken, und ich hatte Hunger. Kurz entschlossen arbeitete ich mich zur Küche durch und beäugte den Kühlschrank. Doch da war sie wieder, diese unheimliche Vogelstimme. Jetzt vernahm ich das Krächzen ganz deutlich, es schien mir förmlich von hinten über die Schultern ins Ohr zu kriechen. Ich drehte mich um und hielt vor Schreck den Atem an, während ich begann, mich Schutz suchend mit dem Rücken an den Kühlschrank zu pressen. Der Rabe musste durch das offene Fenster eingedrungen sein. Nun saß er auf dem Küchentisch und fixierte mich mit seinen Augen. Gebannt starrte ich das schwarze Wesen an und begann, tiefer zu atmen. In diesem Augenblick verloren Zeit und Raum jegliche Bedeutung für mich. Es gab nur noch die abgrundtiefen Augen des Raben, in denen ich mich verlor. In diesem Moment verschmolz ich mit dem seltsamen Vogel, so wurde mir sein Wesen offenbar. Ich erkannte, dass er Teil dieses Hauses, meines Lebens, meiner Person war, dass ich ihn vor langer Zeit verbannt und schließlich vergessen hatte. Nun war er zurückgekehrt und forderte von mir, ihn wieder aufzunehmen. Es fühlte sich so an, als würde ein lang gehegtes Geheimnis aus mir herausplatzen und nicht mehr zu verstecken sein. Ich begriff und nahm den Vogel auf, drückte ihn an meine Brust und strich ihm über den samtig schwarzen Rücken. Eine Träne berührte den Rücken des Raben. Im gleichen Augenblick verwandelte sich das schwarze Wesen in eine Lichtgestalt, wirbelte durch die Luft und verdichtete sich zu einer Feuerkugel, um sich schließlich in mein Herz zu ergießen und mein ganzes Wesen mit dem Feuer des Lebens zu erfüllen. Dies war der Beginn meines Heilwerdens, meines Ganzwerdens.

Interviews zu Gefühlen und das Aufnehmen von „fremden“ Gefühlen

Interview, Teil 2 mit Christina (58) zu dem Thema Gefühle. Lesen Sie hier noch genauer, warum Christina emotional zugemacht hat und welche Bedeutung die Wut als Wendepunkt in der Grafik hat. Den ersten Teil des Interviews finden Sie am Anfang des Abschnitts „Hochsensible Frauen“.

„Ich bin mit einem unberechenbaren und oft grausamen und brutalen Vater aufgewachsen. Ich hatte zwei kleinere Geschwister und es mir zur Aufgabe gemacht, sie zu beschützen. Mit meinen feinen Antennen war es leicht, schon am Herumdrehen des Schlüssels im Schloss zu erahnen, in welcher Stimmung mein Vater beim Nachhausekommen war: So konnte ich mich darauf einstellen und ihn mit entsprechendem Verhalten beruhigen – zumindest habe ich damals geglaubt, dass das geht. Um ihn aber genau wahrnehmen zu können, musste ich leer sein, durfte ich keine eigenen Gefühle haben, und so war ich ausschließlich bei ihm und fühlte mich gar nicht. Dieses Verhalten ist zu einem Lebensmuster geworden, ich war immer bei anderen Menschen, nie bei mir. Vor einem halben Jahr kam dann der Zusammenbruch, ich konnte und wollte das nicht mehr. Ich habe mir freien Raum geschaffen, um meine Stimme hören zu können, um herauszufinden, wer ich bin. Das erste ‘eigene' Gefühl, das ich fand, war Wut, sie wurde zu meinem Leuchtfeuer, weil ich darin authentisch war. Seit ich herausgefunden habe, dass es ein Fehlschluss war, zu glauben, ich fühle gar nichts, dass ich vielmehr zu wissen meinte, was ich fühlen müsse, und die Abwesenheit dieser ‘designten' Gefühle mit Nichtfühlen verwechselt habe, wachsen langsam und zart meine ganz eigenen Gefühle heran und dies sind sie für mich: Wegweiser zu der, die ich bin, Leuchtzeichen für meine Authentizität. Ich halte mich noch immer von anderen Menschen fern, damit ihre Stimmen nicht die meine übertönen, und wenn ich ‘wirklich' fühle, wenn ich sicher spüre, dass dieses Gefühl ganz das meine ist, wenn keine andere Energie dazwischen quatscht, bin ich glücklich …“

In diesem Interview können Sie auch wertvolle Hinweise auf eine Problematik finden, die viele Hochsensible betrifft. Nämlich die Schwierigkeit, sich von den Gefühlen anderer abzugrenzen, und das Verlieren des eigenen Ichs. Im Verlauf des Buches werde ich immer wieder auf diesen Themenkomplex zurückkommen, da er sehr zentral ist. Bei Hochsensiblen, die zu stark von den Gefühlen anderer beeinflussbar sind und sich selbst dabei nicht mehr spüren, liegt der Verdacht nahe, dass sie ebenso Gewalterfahrungen wie Christina gemacht haben oder dass sie in irgendeiner Form als Kind vernachlässigt wurden. (Lesen Sie auch dazu das Kapitel 4, insbesondere den Abschnitt über die Traumatherapie.) Es ist kein Wunder, dass Wut das erste „eigene“ Gefühl bei Christina war, denn als Kinder mussten viele HSPs das Wutgefühl unterdrücken. Wut ist eine gesunde Reaktion auf kranke oder verletzende Zustände. Doch bleiben Sie nicht bei der Wut stehen. Gehen Sie die Grafik zur Logik der Gefühlsebenen noch einmal durch. Sie sehen, auf die Wut folgt Trauer, auch ein sehr wichtiges, erlösendes Gefühl, das hilft, die enorme innere Anspannung abzubauen, die mit Wut in Verbindung steht. Sich der „negativen“ Gefühle anzunehmen, hilft uns dabei, wieder authentische Menschen zu werden.

Viele HSPs berichten darüber, dass sie die Gefühle anderer Menschen aufnehmen und sich dabei nur schwer abgrenzen können.

Julia (20 Jahre) berichtet über ihr Gefühlsleben:

„Die Gefühle anderer reißen mich sehr stark mit. Wenn eine Gruppe Leute um mich herum fröhlich ist und lacht, kann ich einfach nicht traurig sein, ich freue mich mit ihnen. Wenn Personen traurig sind oder wegen einer Spinnenphobie aufgelöst schluchzen, setze ich mich neben sie und weine mit ihnen. Menschen und ihre Gefühle liegen mir sehr am Herzen, ich bin froh, dass ich oft weiß, wie sich andere gerade fühlen. Andererseits kann das auch sehr schnell zur Belastung werden, vor allem, wenn man in schwierigen Familienverhältnissen aufwächst. Meine Mutter z. B. ist sehr kontrollierend, aufbrausend und geradezu in Rage wegen Kleinigkeiten … Ich fühle ihren Hass, ihre Wut, ihre Verzweiflung, aber auch ihre Selbstzweifel. Ich kann sie sehr gut verstehen, aber eben auch meine Geschwister und meinen Vater. Das macht es sehr schwer, innerhalb der Familie ‘eine Seite zu wählen' bzw. den Streit zu schlichten. Von zu vielen Gefühlen oder Reizen bekomme ich sehr schnell Kopfschmerzen …“

Wenn Sie den Absprung nicht schaffen …

Sie entfernen sich von sich selbst, wenn Sie sich nur noch in den Energiefeldern anderer Menschen aufhalten und Ihr eigenes Ich dabei ausblenden. Diese übersteigerte Empathie kann Ihnen schaden, für viele HSPs kann dies sogar zu Zuständen von Weltschmerz oder zum Zusammenbruch führen. Sie können das Leid auf dieser Erde jedoch nicht lindern, indem Sie es bei allen mitfühlen. Das bewusste Steuern Ihrer Aufmerksamkeit ist eine wertvolle Errungenschaft. Indem Sie erkennen, dass Sie nicht für alle da draußen verantwortlich sind, haben Sie die Chance, Ihre eigene Stabilität zurückzugewinnen. Sie machen die Welt nicht besser, wenn Sie sich mit jedem Bettler oder mit den Straßenkindern in Indien identifizieren. Auch wenn es traurig ist, Sie dürfen sich auf Ihr eigenes Leben konzentrieren. Keine Angst – das wird nicht dazu führen, dass Sie egoistisch und kalt durchs Leben laufen. Doch dieser gesunde Selbstschutz steht Ihnen zu. Denn wenn Sie voll sind mit dem Leid und Schmerz anderer Menschen und Tiere, wie viel Platz bleibt dann noch für Sie selbst übrig? Im Laufe des Buches werden Sie noch viel über die Ichstärkung lesen, die Ihnen bei diesem Thema weiterhelfen wird.

Übungen zur emotionalen Abgrenzung finden Sie in der Survivalregel Nr. 3.

Denkstrukturen

Logisch und rational oder visuell und assoziativ?

Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Arten, zu denken und Aufgaben zu erledigen. Die Ausprägung ist wahrscheinlich genetisch bedingt, denn sie zeigt sich schon im Kindergarten. Beide sind grundsätzlich so verschieden wie Hund und Katze. Deshalb gibt es immer wieder enorme Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Menschen, die logisch und rational strukturiert sind, und jenen, die kreativ und assoziativ denken. Genauso, wie Sie Rechts- oder Linkshänder sein können, was schon etwas über die Präferenzen Ihres Gehirns verrät, so ist auch die Denkveranlagung neutral zu betrachten. Jede Denkstruktur ist genauso viel wert wie die andere. Da sie aufgrund völlig unterschiedlicher Prämissen arbeiten, ist eine Verständigung von Vertretern beider Denkstile oft mit Störungen und Missverständnissen verbunden. In der folgenden Tabelle möchte ich diese Art von Denkstilen einander gegenüberstellen. Sie können sich gleich den Spaß machen und überprüfen, zu welcher Seite Sie tendieren, und wie es mit Menschen aus Ihrer Umgebung aussieht.

Die folgende Tabelle stellt eine Vereinfachung der Wirklichkeit dar. Tatsächlich gibt es kaum Menschen, die nur logisch oder nur kreativ denken. Dennoch gibt es auf jeden Fall Präferenzen, also Strukturen, die jemand leicht findet. Eine ausgewogene Persönlichkeit hat Zugang zu beiden Denkformen.

logisch/rationaler Denkerassoziativer/kreativer Denker
•bevorzugt Fakten und Zahlen, um sich einen Überblick über eine Sache zu verschaffen•arbeitet systematisch eine Aufgabe ab, von A à B à C•hat ein gutes Zeitverständnis•arbeitet strukturiert und zeitgenau•leistungsstark in den Fächern Mathemathik, Physik, Chemie usw.•braucht klare Informationen, entscheidet nach heuristischen Kriterien funktional•braucht visuelle (bildliche) Darstellung eines Sachverhalts (Diagramme, Farben, Bilder)•arbeitet scheinbar chaotisch, besser assoziativ die Aufgabe ab (ist dabei von seiner Stimmungslage beeinflussbar)•hat Schwierigkeiten beim Schätzen von Zeit, verzettelt sich eher•gutes Empfinden für Farben, Formen, Harmonie, Kunst, Musik•entscheidet gern spontan aus dem Bauch heraus
logisch/rationaler Denkerassoziativer/kreativer Denker
•fühlt sich irritiert mit emotionalen Botschaften•kann sich gut Zahlen merken und Kopfrechnen•hat Geldsummen und Preise von Waren gut im Gedächtnis•merkt sich leicht Telefonnummern und Geheimzahlen•kalkuliert realistische Risiken•plant gern, mag es, wenn es so läuft, wie geplant•braucht emotionale Botschaften aus der Umwelt/von sich selbst•hat Schwierigkeiten im Umgang mit Zahlen, kann nur mit Tricks im Kopf rechnen, vergisst Zahlen sehr schnell•kann sich Farben merken, starkes visuelles Gedächtnis (Bilder, Wege, Stoffe, Materialen, Schrift)•lässt sich durch Begeisterung von Risiken eher ablenken•ist offen für Veränderungen
NamenNamen

Tragen Sie bitte unterhalb der Tabelle neben Ihrem eigenen Namen andere Personen ein, und lassen Sie sich überraschen, in welche Lager sich die Gruppen spalten. Mit wem sind Sie besonders gut befreundet? Mit wem gab es immer wieder Missverständnisse in der Vergangenheit oder Konflikte? Analysieren Sie diese Konflikte anhand der unterschiedlichen Denkstrukturen – welche Erkenntnisse und vielleicht sogar Überraschungen ergeben sich?

Da in unserer Gesellschaft Menschen mit dem logisch-rationalen Denkstil oft Vorteile haben oder gar bevorzugt werden, wird leider nicht selten der Umkehrschluss gezogen, dass mit den anderen etwas nicht stimme. Besonders Kinder, die eher kreativ veranlagt sind, geraten immer wieder in Situationen, in denen sie wegen ihrer Wesenszüge verurteilt werden. Achten Sie daher besonders in Kommunikationssituationen darauf, wie Ihr Gegenüber tickt. Wenn Sie mit einem Rationalisten sprechen und sagen: „Ich habe ein gutes Gefühl“, wird er Sie nicht ernst nehmen, wenn es sich um eine geschäftliche Verhandlung oder um einen Mietvertragsabschluss handelt – da müssen Sie schon mit Zahlen und Fakten aufwarten. Das umgekehrte Anpassen eines Logikers an einen Visuellen ist nur mit viel Übung möglich. Innerhalb einer NLP-Ausbildung (Neuro-Linguistisches Programmieren) können Sie viel darüber lernen. Doch für Sie ist es im Moment erst einmal nur wichtig, herauszufinden, zu welcher Gruppe Sie selbst gehören. Erkennen Sie Ihre Präferenzen und beginnen Sie sich so anzunehmen, wie Sie sind.

Sollten Sie zu jener Gruppe von Menschen gehören, die von der Veranlagung eher Linkshänder sind und als Kinder auf die rechte Hand umtrainiert worden sind, können Sie davon ausgehen, dass in Ihrem Inneren eine Menge Verwirrung herrscht. Wenn Sie sich nicht sicher sind, können Sie jemanden aus Ihrem persönlichen Umfeld bitten, mal darauf zu achten, mit welchem Fuß Sie loslaufen, wenn Sie an einer Fußgängerampel stehen. Mit welcher Hand gestikulieren Sie häufiger? Können Sie Konserven besser mit links oder rechts öffnen? Das Umtrainieren von Links- auf Rechtshändigkeit ist eine Vergewaltigung des Gehirns und der Persönlichkeit eines Menschen. Den meisten Umtrainierten hilft das bewusste Schreiben mit links, um sich wieder mit dem natürlichen Teil ihres Selbst zu verbinden. Wenn Sie dieses Thema vertiefen möchten, empfehle ich Ihnen das Buch „Organisieren Sie noch oder leben Sie schon? Selbstmanagement für kreative Chaoten“ von Cordula Nussbaum.

Außersinnliche, nicht alltägliche Wahrnehmung

Zur außersinnlichen Wahrnehmung gehören Phänomene wie eine starke Intuition, Hellfühligkeit, Hellsichtigkeit oder telepathische Gedankenübertragung. Diese Phänomene wurden bisher wissenschaftlich überwiegend durch die Militärs erforscht, waren jedoch schon von jeher Teil der menschlichen Kultur. Viele Hochsensible scheinen eine ausgeprägte Intuition zu haben und reagieren oft aus dem Bauch heraus, was sich häufig als „richtig“ herausstellt. Es gibt offenbar neben den äußeren, alltäglichen Sinnen eine noch subtilere Form der Wahrnehmung, die über andere Kommunikationsebenen funktioniert. Ein Teil der Hochsensiblen berichtet über Erfahrungen mit dem sogenannten „sechsten Sinn“. In den alten Kulturen sprach man auch vom „zweiten Gesicht“. Von jeher trainierten die Schamanen, die keltischen Priester, die Orakel und Eingeweihten der antiken Kulturen diese erweiterte Wahrnehmung. Heute nennt man das z. B. „Remote Viewing“. Im Alltag haben schon viele Menschen Telepathie erlebt, vergessen dies jedoch schnell wieder. Insbesondere mit nahestehenden Menschen oder Tieren verbindet uns eine Kraft, die uns befähigt, z. B. erspüren zu können, wie es jemandem geht. Vielleicht haben Sie auch schon erlebt, dass Sie nach oder vor dem Tod eines Familienangehörigen von diesem intensiv geträumt haben oder andere mystische Begebenheiten geschehen sind.

Hildegard von Bingen als historisches Beispiel

Seit dem Wahn der Hexenverfolgung in Europa sind diese Themen für uns „aufgeklärte“ Menschen noch immer mit einem Tabu oder dem Beigeschmack von Unseriosität verbunden. Auch Hildegard von Bingen, die bereits zu Lebzeiten als Heilige verehrt wurde, erlebte Zustände von außersinnlicher Wahrnehmung, in denen sie Informationen empfing. Mit ihren Schriften zur Natur, dem menschlichen Körper, zu Gesundheitsfragen und sogar in der Musik und Kunst hinterließ sie der Nachwelt einen großen Schatz. Noch heute arbeiten Ärzte und Heilpraktiker mit ihrem Wissen. Im Jahr 2012 wurde Hildegard von Bingen für die gesamte Kirche als Heilige anerkannt. In der Niederschrift ihrer Visionen „Liber Scivias“ (Wisse die Wege) schrieb Hildegard:

„Ich aber, obgleich ich diese Dinge hörte, weigerte mich lange Zeit, sie niederzuschreiben – aus Zweifel und Missglauben und wegen der Vielfalt menschlicher Worte, nicht aus Eigensinn, sondern weil ich der Demut folgte und das so lange, bis die Geißel Gottes mich fällte und ich ins Krankenbett fiel; dann, endlich bewegt durch vielerlei Krankheit […] gab ich meine Hand dem Schreiben anheim. Während ich's tat, spürte ich […] den tiefen Sinn der Heiligen Schrift; und ich erhob mich so selbst von der Krankheit durch die Stärke, die ich empfing, und brachte dies Werk zu seinem Ende – ebenso – in zehn Jahren. […] Und ich sprach und schrieb diese Dinge nicht aus Erfindung meines Herzens oder irgendeiner anderen Person, sondern durch die geheimen Mysterien Gottes, wie ich sie vernahm und empfing von den himmlischen Orten. Und wieder vernahm ich eine Stimme vom Himmel, und sie sprach zu mir: Erhebe deine Stimme und schreibe also!“

Moderne Forschung zur Telepathie

Wenn wir uns dieser Art von Wahrnehmung neutral und ernsthaft widmen wollen, ist es hilfreich, den Bereich der Religion zu verlassen. Es gibt einige interessante wissenschaftliche Experimente dazu, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Der bekannte englische Biologe und Philosoph Rupert Sheldrake promovierte an der Universität Cambridge im Bereich Biochemie. Er revolutionierte viele naturwissenschaftliche Vorstellungen durch die Theorie der „morphischen Felder“ und geht davon aus, dass alle Lebewesen und alle Materie über Energiefelder über Zeit und Raum hinaus miteinander verbunden sind. Damit decken sich seine Ausführungen mit denen anderer Forscher, die durch das eigene Erleben oder die Analyse von Nahtod-Erlebnissen von einem „nonlokalen“ Bewusstsein sprechen, wie etwa der Bestsellerautor Eben Alexander („Blick in die Ewigkeit. Die faszinierende Nahtoderfahrung eines Neurochirurgen“).

2012 veröffentlichte Rupert Sheldrake sein kritisches Buch „Der Wissenschaftswahn. Warum der Materialismus ausgedient hat“ und befasste sich in „Der siebte Sinn des Menschen“ mit der Telepathie (Gedankenübertragung) und anderen parapsychologischen Phänomenen. In diesem Buch schreibt Sheldrake:

„Wenn die Telepathie einmal als ‘eine ganz normale Funktion der menschlichen Psychologie' verstanden wird, werden mehr Psychotherapeuten bereit sein, die telepathischen Vorgänge zwischen sich und ihren Patienten festzuhalten und zu untersuchen. Die Forschung von Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen könnte sehr erhellend für die Wirkungsweise von Telepathie sein, insbesondere im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen telepathischer Gedankenübertragung und der Kommunikation von Gedanken durch normale sinnliche Mittel“ (S. 58, „Der siebte Sinn des Menschen“).

Selbst Freud und Jung, die Pioniere der Psychologie, spekulierten über diese Phänomene, nachdem sie diese selbst immer wieder im Rahmen ihrer psychoanalytischen Sitzungen mit Patienten erlebt hatten. Da diese Themen jedoch so brisant waren, wurden sie selbst von Freud jahrelang geheim gehalten und nur in engsten Kreisen kommuniziert.

Rupert Sheldrakes Experimente:

Angestarrt werden und Telefonanrufer erspüren

Dem englischen Wissenschaftspionier gelang es, innerhalb empirischer Studien telepathische Alltagsphänomene in ganz konkrete Forschungssituationen umzuwandeln, etwa indem er Probanden bat, zu erspüren, ob sie von hinten gerade von einer anderen Person angestarrt wurden oder nicht. Viele Leserinnen und Leser haben dieses Phänomen sicher schon einmal live erlebt, etwa in einem Café, in einem Kaufhaus oder auf der Straße, und sich dann wegen eines komischen Gefühls umgedreht. Tatsächlich konnten schon viele in diesem Moment die Person entdecken, die sie beobachtet hatte. Ein weiteres Beispiel ist die gedankliche Verbindung mit Menschen durch Telefonanrufe. Wie oft haben Sie selbst schon einen Telefonanruf von einem Ihnen nahestehenden Menschen erhalten, an den Sie kurz zuvor gedacht hatten? Für beide Situationen konnte Rupert Sheldrake innerhalb seiner Untersuchungen im Labor „Trefferquoten“ mit Versuchspersonen erzielen, die deutlich über das statistisch vorhergesagte Ergebnis (Zufallstreffer) hinausgingen.

Auswertung

Telepathie, Vorahnungen, besondere Träume und außersinnliche Wahrnehmungen sind also nicht allein das Privileg einiger hochsensibler Menschen. Doch aus meiner Erfahrung kann ich bestätigen, dass Hochsensible eher geneigt sind, diesen parapsychologischen Erlebnissen in ihrem Leben eine hohe Aufmerksamkeit und Bedeutung zuzumessen. Denn hier geht es um das Gefühl, das Spüren und Hineintasten in Bereiche, die den alltäglichen Verstand verwirren könnten. Diese Beispiele zeigen, dass auch Wissenschaftler mit diesem Thema seit Jahrzehnten beschäftigt sind. Wenn Sie also selbst Phänomene von außersinnlicher Wahrnehmung bei sich beobachtet haben, forschen Sie einfach weiter. Es gibt viele Bücher darüber und auch Informationen im Internet. Wenn Sie mit Selbstlernprogrammen starten, zum Beispiel im Bereich des luziden Träumens, können Sie mit wenig Aufwand viel Interessantes erleben. In dem Buch „Klartraum“ von Jens Thiemann erhalten Sie beispielsweise praktische Anweisungen, wie Sie lernen können, Ihre Träume absichtlich zu steuern. Sie werden dadurch faszinierende Einblicke in das Phänomen des menschlichen Bewusstseins erlangen.

Außersinnliche Wahrnehmungen können einen Erfahrungsbereich von Hochsensibilität darstellen, müssen dies aber nicht zwingend.

ZUSAMMENFASSUNG

Hochsensibilitat ist ein Synonym ruf Hochsensitivitat oder Hypersensitivitat und beschreibt eine andersartige, sensiblere Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen. Diese Persönlichkeitseigenschaft ist keine Krankheit.

Elaine Aron und andere Buchautoren gehen von einer vererbten Eigenschaft aus. Tatsächlich lassen sich in Familien von hochsensiblen Erwachsenen oft hochsensible Kinder oder Enkel finden. (Über weitere mögliche Einflussfaktoren lesen Sie in Kapitel 4.)

Kommen zusätzliche biografische Belastungen hinzu, entwickeln sich weitere Schwierigkeiten, die besonders mit der mangelnden Abgrenzungsfahigkeit zu tun haben.

Die Sensibilitat zeigt sich in einer differenzierten und feinen Wahrnehmung über die Sinne – Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten sowie Bewegungssinn.

Darüber hinaus haben Hochsensible eine feine Antenne ruf zwischenmenschliche Signale und teilweise ruf den außersinnlichen Wahrnehmungsbereich (Telepathie, Intuition).

Durch die besonders feine Wahrnehmung können sich, je nach Wahrnehmungskanal, vielfältige Begabungen und Hochbegabungen zeigen.

Als Scanner bezeichnet man Hochsensible mit vielfältigen Interessensgebieten und einem Hunger nach Abwechslung. Sie sind häufig mit wechselnden Projekten und Hobbys beschäftigt.

Viele Hochsensible sind eher introvertiert veranlagt. Die Minderheit der Hochsensiblen ist extrovertiert oder ein Mischtyp.

Eine der Schwachen von Hochsensiblen liegt in der schnellen Reizüberflutung und der damit einhergehenden Überforderung.

Durch die hohe Sensibilitat besteht bei Hochsensiblen eine höhere Verletzlichkeit.

Viele Menschen versuchen, sich gegen diese Verletzlichkeit abzuschirmen, was jedoch nicht förderlich ist. Verletzlichkeit bedeutet natürliche Schönheit und ist der Schlüssel ruf die Selbstheilung.

Der gesunde Kontakt zu den eigenen Gefühlen ist die Voraussetzung ruf die psychische Gesundung. Oftmals sind die tiefer liegenden Gefühle unterdrückt, können jedoch aufgrund einer inneren Logik therapeutisch verfolgt werden: Gefühle von Wut und Trauer sind oft der Wendepunkt im therapeutischen Prozess.

Viele Hochsensible haben den Eindruck, dass sie die Gefühle anderer Menschen aufschnappen und auch Leid und Trauer anderer nachempfinden. Dies fuhrt häufig zu Zustanden von Weltschmerz.

Bei den Denkstrukturen gibt es die logische/rationale sowie die assoziative/kreative Form, aus der sich ein holistischer Ansatz entwickeln kann. Versuchen Sie herauszufinden, welche Art von Denker Sie sind. Beide Arten zu denken sind dabei gleichwertig. Da viele Hochsensible eher intuitiv veranlagt sind, werden sie wahrscheinlich mit den „Logikern“ in ihrem Umfeld Konflikte erleben.

Hochsensibel Was tun?

Подняться наверх