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Der erste Arbeitstag
ОглавлениеHeute stand Finn problemlos auf, als der Wecker klingelte. Er wusste nicht, woher der Elan kam, der ihn beinahe freudig antrieb, aber er war da. Er erledigte seine morgendlichen Rituale und war früher in der SI, als erwartet. Sharon war bereits in ihrem Büro und arbeitete. Ein Workaholic, dachte Finn. Hat sie ein Privatleben? Und wieder musste er sich daran erinnern, dass ihn das nichts angeht.
Sharon begrüsste ihn, sie erkundigte sich, ob er denn noch einen lustigen Abend gehabt habe, trank mit ihm einen Kaffee und stellte ihn den anderen Mitarbeitern vor, bevor sie ihm schliesslich seinen neuen Arbeitsplatz zeigte, ihn anwies, sich einzurichten und sie danach in ihrem Büro für eine Einweisung aufzusuchen. Das tat er.
„Bitte Finn, nimm Platz!“ Er setzte sich wieder auf einer der Besucherstühle gegenüber ihrem Schreibtisch. Ihm waren die Überwachungskameras aufgefallen, die überall in der SI installiert waren: „Du magst Kontrolle?“ fragte er mit einem Zwinkern.
„Wir werden kontrolliert. Da habe ich mir gedacht, es wäre besser selbst auch zu kontrollieren und nötigenfalls eigene Beweise zu haben. Keine Angst, es geht nicht darum, zu kontrollieren, ob meine Mitarbeiter zwischendurch mal auf Facebook sind!“ Auch sie zwinkerte. „Dann zur Sache: Ich vermute, du hast nicht die geringste Ahnung, was die Swiss Independent ist.“
Er antwortete verlegen: „Um ehrlich zu sein, vermute ich, dass es um unabhängige Berichterstattung geht. Viel mehr weiss ich zugegebenermassen nicht.“
„Das dachte ich mir! Dann werde ich zuerst mit einem kurzen Werdegang beginnen. Ich habe vor 5 Jahren damit angefangen eine kleine, unbedeutende Online-Nachrichtenplattform zu betreiben. Anfangs waren es lediglich aktuelle Themen aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Ich bezog meine Informationen nicht aus den grossen Nachrichtenagenturen, sondern las die verschiedenen Berichte der grossen Zeitungen und Fernsehnachrichten, verglich sie miteinander und recherchiert im Internet um sie in einen grösseren Kontext zu setzen. Meine Berichte fanden nach und nach mehr Anklang und ich konnte schnell die ersten Printausgaben drucken lassen. Heute habe ich 10 Mitarbeiter, die sich den verschiedensten Themen annehmen. Unser Journal erscheint wöchentlich und umfasst jeweils rund 70 Seiten im A4-Hochglanzformat. Einige meiner Mitarbeiter beschäftigen sich zurzeit mit den diversen Kriegen, mit der Flüchtlingskrise, mit der Innenpolitik der Schweiz. Andere nehmen sich hauptsächlich TTIP und GMO-Food, das Aussterben des Regenwaldes oder der Ausbeutung von Tieren in Zusammenarbeit mit dem WWF vor. Vermutlich sagt dir Anonymous etwas, wir haben sehr direkten Kontakt mit einigen dieser Leute.
Ich kann dir empfehlen, die eine oder andere Ausgabe bei Gelegenheit durchzublättern, ist selbstverständlich alles online. Die Handhabung von Google muss ich dir wohl nicht erklären.“ Sie zwinkerte ihm zu.
Er lächelte verschmitzt: „Nein, da weiss ich Bescheid! Entschuldige die Frage, aber wieso hat denn die SI einen solchen Erfolg? In 5 Jahren vom unbedeutenden Online-Blättchen, verzeih mir den Ausdruck, zu einem unabhängigen Print-Journal mit 10 Mitarbeitern? Wenn die Informationen auf den Berichten der grossen Zeitungen beruhen, steht in der SI denn etwas anderes?“
Sharon nickte, um ihm zu verstehen geben, dass sie verstand was er meinte: „Wenn man das nicht selbst einmal gemacht hat, ist es tatsächlich schwierig, das nachvollziehen zu können. Aber daran werden wir arbeiten.“
Sie stand auf und warf einen Blick über Zürich, der die grosse Glasfront hinter ihrem Schreibtisch gewährte, wirkte verträumt. Sie dachte nach, wie sie am besten vermitteln konnte, was sie meinte: „Ich gebe dir ein Beispiel: Der Überwachungsstaat, das Nachrichtendienstgesetz, über das wir demnächst abstimmen. Darüber wird in den Medien sehr wohlwollend berichtet. Die Vorteile der Sicherheit werden hervorgehoben, man könne damit Terror bekämpfen. Die NSA macht das inoffiziell ja bereits alles, wieso haben sie denn die Terroranschläge in Paris nicht verhindert? Bedenken bezüglich Überwachungsstaat liest du in den Mainstream-Medien fast keine, obwohl viele Leute grosse Bedenken haben. Es gibt unzählige Proteste und ein Referendum dagegen. Wenn sich so viele Menschen kritisch äussern, sollte man das doch zumindest ernst nehmen und darüber berichten! Wollen wir wirklich zurück zu Stasi-Zeiten? Wenn jemand wie Snowden dann die Wahrheit ans Licht bringt, wird er in den Medien als Verbrecher dargestellt.“
„Nun, es dient ja der Sicherheit. Wenn man nichts zu verstecken hat, muss man auch nichts befürchten.“
„Hast du nichts zu verstecken? Dann hast du aber ein ziemlich langweiliges Leben!“ Sie zwinkerte: „Ich habe etwas zu verstecken. Was zum Beispiel bei mir im Schlafzimmer läuft geht niemanden etwas an. Und wenn dort gar nichts läuft, muss es erst recht niemand wissen.“
Finn musste ein paar abschweifende Gedanken unterdrücken.
„Der Überwachungsstaat kann keine Lösung sein. Er schränkt unsere Freiheit ein, er fördert die Zensur des Internets, unterbindet die freie Meinungsäusserung und bringt absolut gar nichts. Dann vereinbart halt Terrorist 1 mit Terrorist 2 in einem persönlichen Gespräch, das Veilchen fortan für Bomben stehen und Rosen für Maschinengewehre. Wenn sie zukünftig miteinander twittern und die Veilchen und Rosen geliefert wurden, denkt jeder sie planen eine Hochzeit. Es ist doch naiv anzunehmen, dass der Terror seinen Weg nicht findet, deswegen müssen wir unsere Freiheit nicht einschränken lassen. Es geht niemanden etwas an, wonach ich im Internet suche, welche Videos ich mir ansehe, und was ich auf Facebook poste. Und ich will nicht als potentieller Terrorist gelten, nur weil ich bei der Recherche Propaganda-Videos der IS anschaue. Mir ist bewusst, dass das die NSA bereits alles weiss, ich werde wohl so schnell nicht mehr in die USA fliegen. Aber deswegen muss ich ja nicht mein Einverständnis dazu geben, in dem ich dafür stimme. Das Ganze funktioniert nämlich auch umgekehrt. Sie können mir Dateien auf meinen Computer laden und mich danach deswegen einsperren! Was bringt es, dass der Staat in der Bevölkerung nach Terroristen sucht, wenn die grössten Terroristen die Staatsüberwacher selbst sind?“
„Ist das jetzt nicht ein bisschen paranoid?“
„Wenn du wüsstest, was ich alles weiss, würdest du das nicht fragen. Aber du kannst es ja noch nicht wissen.“
Finn lenkte ein: „Nun, dann werde ich das einmal versuchen. Also ich meine die verschiedenen Berichte ansehen, vergleichen und dazu im Internet recherchieren.“
Sharon drehte den Kopf zu ihm und sah ihn freudig an, als hätte er etwas gesagt, das sie hören wollte: „Sehr schön! Genau das wäre nämlich meine erste Aufgabe für dich! Ich habe noch eine kurze Information zu den Arbeitsbedingungen. Ich habe dir deinen Schreibtisch gezeigt. Du kannst ihn nutzen oder den Laptop, der dir zur freien Verfügung steht mit nach Hause nehmen und dort recherchieren. Es ist dir freigestellt, wo du besser arbeiten kannst. Du hast eine Woche Zeit. Wir treffen uns nächsten Mittwoch, um 08:00 Uhr hier und dann präsentierst du mir deine Ergebnisse. Ich habe auch ein konkretes Thema für dich: Der Syrien-Konflikt! Eine Frage hätte ich vorab: „Was weisst du schon über diesen Krieg?“
Finn zuckte mit den Schultern: „Nun, da ist der IS.“
„Ist das alles?“
„Die Menschen flüchten vor dem IS.“
Sharon lächelte wohlwollend: „Wenigstens sprichst du nicht von ISIS, dem Islamischen Staat in Syrien, sondern vom IS, dem Islamischen Staat. Sie haben sich im Sommer 2014 umbenannt. Die Idioten wollen expandieren!“
Finn musste schmunzeln, obwohl das kein lustiges Thema war.
„Ich möchte es also bis in einer Woche etwas genauer von dir wissen. Wer kämpft da gegen wen, wie fing das an, wer hat welche Ziele, trag so viele Informationen zusammen, wie du kriegen kannst!“
„Also, ich hab jetzt eine Woche Zeit um zu recherchieren, was in Syrien genau los ist und das kann ich machen wo immer ich Lust habe?“
„Ganz genau!“
„Toller Job!“ Finns Augen strahlten, aber er wollte damit nicht ausdrücken, dass er sich jetzt eine Woche auf die faule Haut legen würde, sondern dass er motiviert war, die Aufgabe zu erfüllen.
„Super! Vielleicht sehen wir uns mal bei einem Kaffee, wenn du eher hier arbeitest, ansonsten bis in einer Woche!“