Читать книгу Der will ja mich! - Sylvia Reim - Страница 6

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Tag zwei

Ein durchdringender Schrei weckte Lila am nächsten Morgen. Sie rappelte sich hoch, schob sich ihre zerzausten blonden Haare aus dem Gesicht und versuchte durch ihre noch halb geschlossenen Augen zu erkennen, wer denn da so geschrien hatte.

David saß kerzengerade neben ihr im Bett.

„Was ist das?“, fragte er und starrte dabei entsetzt auf sein Bein – an das sich Florian wie ein kleines Äffchen klammerte.

„Mein fünfjähriger Sohn Florian, schon vergessen?“, sagte Lila gähnend.

„Was macht er hier im Bett?“ Davids Stimme überschlug sich fast.

„Er wollte mit seiner Mama kuscheln!“

„Warum hat er sich dann an mich gepresst?“

Das fragte Lila sich auch. Davids haarige Beine waren mit ihren glatt rasierten ja wohl kaum zu verwechseln.

„Wo ist sein Vater überhaupt?“, fragte David und versuchte dabei Florians Arme von seinem Bein zu lösen.

„Das geht dich ja wohl nichts an!“, fauchte Lila ihn an. Da war sie gerade mal zwei Minuten munter und er ging ihr schon wieder mächtig auf die Nerven. Der Tag konnte ja heiter werden!

Von all dem Gezerre an seinem Arm war Florian munter geworden. Er brauchte ein paar Sekunden, bevor er erkannte, dass er sich im Schlaf wohl an die falsche Person gekuschelt hatte. Leichte Röte überzog seine vom Schlafen noch warmen Backen, und er grinste verlegen, bevor er sich in die offenen Arme seiner Mama warf.

„Na, komm her, du Spatz! Wollen wir frühstücken?“ Lila strich ihm seine strubbeligen Haare aus dem Gesicht und drückte ihm ein Küsschen auf den Scheitel.

Florian nickte eifrig, sprang wie eine Feder auf und düste mit kleinen, tapsigen Schritten in Richtung Küche, als es läutete.

Vor Entsetzen machte Lila einen Schritt zurück, nachdem sie die Türe geöffnet hatte, sodass sie dem hinter ihr stehenden David beinahe auf die nackten Zehen gesprungen wäre. Vor ihr stand Praktikant Basti, der ungepflegteste Mensch der Erde, wie er mit Fug und Recht behaupten konnte! Seine schwarzen Haare standen ihm in fettigen Strähnen vom Kopf ab, sein T-Shirt war so fleckig, dass man beinahe auf ein Designer-Shirt tippen konnte, und seine Schuhe waren nur noch in Ansätzen vorhanden, riesige Löcher zierten die beiden Schuhkappen. Ein leichter Mief hing in der Luft, sodass Lila heimlich an ihrem Shirt schnüffelte, doch sie roch tadellos. Der herbe Geruch musste von Bastis Schmuddelkleidung herrühren.

„Komm rein“, sagte sie und überlegte dabei fieberhaft, wie sie möglichst unbemerkt die Fenster öffnen konnte.

Basti trat ein und marschierte, ohne sich die schmutzigen Schuhe auszuziehen, ins Schlafzimmer, wo er sich einfach aufs offene Bett warf.

„Also, meine Lieben“, rief er, „ich bin euer Postillion, der ab heute eure Aufgaben bringt. Und, siehe da“, dabei zückte er ein verschlossenes Kuvert, „hier ist schon eure heutige Challenge!“

Lila verdrehte die Augen. Konnte der Typ sich nicht normal ausdrücken? Auch David hatte den Kopf zur Seite geneigt und schaute Basti mit leicht zusammengekniffenen Augen zweifelnd an. Plötzlich fiel Lila auf, dass David nur mit knappen Shorts bekleidet mitten im Raum stand. Hastig wandte sie sich ab, bevor ihr Blick etwas erhaschte, was sie lieber nicht sehen wollte.

Basti war dabei, sein Mikrofon und sein Aufnahmegerät zu verkabeln, machte ein paar Sprechproben, starrte auf die Aussteuerung, nickte und hielt sich das Mikro vor den Mund.

„So, meine Schnuggelen, wir machen jetzt die Aufzeichnung für den Radioeinstieg, also seid ganz locker.“ Er räusperte sich und legte los: „Ich bin hier in der Wohnung von unserem Handschellenpaar Lila und David. Die beiden wollen ja vierzehn Tage aneinander gekettet bleiben, damit David die hunderttausend Euro abstaubt. Bis jetzt kann ich bezeugen, dass die beiden noch verkettet sind.“ Er machte ein rasselndes Geräusch mit den Handschellen. „Heute aber geht es los mit den Aufgaben, die die beiden außerdem noch zu bewältigen haben! Hier ist Aufgabe Numero uno!“ Er öffnete ein Kuvert, faltete einen Zettel auseinander und begann vorzulesen: „Heute Nachmittag findet ein Fußball-Benefizspiel statt. Ihr beide werdet mitspielen und unseren Radiosender hoffentlich würdevoll vertreten. Die passenden Dressen bekommt ihr in der Mannschaftskabine.“ Basti ließ den Zettel sinken. „Also, ich hoffe, ihr habt eure heutige Aufgabe verstanden. Ihr müsst kicken, das Runde ins Eckige, bolzen, den Ball treten oder auch … !“

Lila war knapp davor, ihm das Mikro aus der Hand zu reißen, als er seine Aufzählungsorgie endlich stoppte.

Sie war mit der Aufgabe zufrieden. Zweimal die Woche ging sie laufen, und daher war sie einigermaßen fit. Fußball hatte sie zwar nur hie und da in der Schule gespielt, aber das würde doch wohl reichen.

Basti drehte das Mikro in ihre Richtung. „Na, was sagst du? Ist doch leicht zu schaffen, oder?“ Er grinste sie mit seinen ungeputzten Zähnen an.

„Aber ja! Ich bin mir aber nicht so sicher, ob David auch wirklich fit genug ist. Er ist Medizinstudent, und er sieht ein bisschen so aus, als würde er die meiste Zeit auf seinem Allerwertesten sitzen!“, ätze Lila und sah dabei auf Davids durchtrainierte Oberschenkel, die nach verdammt viel Sport aussahen.

Davids Brauen zogen sich zusammen, und er beugte sich angriffslustig ein wenig nach vorne. „Ein paar Minuten am Spielfeld sollte ich schon aushalten. Außerdem bin ich mir sicher, dass mich Lila gerne massieren wird, sollte ich einen Krampf bekommen.“ David sah Lila herausfordernd an.

Basti war gleich ganz begeistert. „Ja, und da werden dann einige Kameras dabei sein und schauen, wie sich Lila denn so als Masseuse macht! Wahnsinnsidee!“

Lila schob die Unterlippe nach vorne. Verdammt! Dieser Schuss war nach hinten losgegangen, denn sie würde diesen Typen nie und nimmer anfassen, Kameras hin oder her.

Basti packte sein Aufnahmegerät wieder zusammen. „Ihr könnt mit mir mitcruisen, ich führe euch zum Ort des Geschehens.“ Er grinste, was seine gelben Zähne besonders hübsch zur Geltung brachte.

Lila war sich nicht so sicher, ob sie bei diesem Schmutzchaoten einsteigen wollte, sie stellte sich sein Auto ähnlich gepflegt wie ihn selbst vor. Seufzend zog sie Florian einen giftgrünen Sweater über den Kopf, der farblich bestens zu seinem heiß geliebten Froschi passte, den er fest unter den Arm gepresst hielt. Auf dem Weg nach unten zum Auto läutete sie bei ihren Eltern, um Flo bei ihnen zu lassen. Inständig hoffte sie, dass ihr Vater öffnen würde, und als sein Gesicht im Türrahmen erschien, atmete sie erleichtert aus. Sie war froh, einer weiteren Kontroverse mit ihrer Mutter für den Augenblick entkommen zu sein.

In der Mannschaftskabine wartete bereits Leo Klugner, der sein strahlendstes Lächeln aufsetzte, als er die beiden sah. Die Krawatte hatte er abgenommen und den obersten Knopf seines weißen Hemds geöffnet, um zu zeigen, dass er hier ganz lässig unterwegs war. Die Bitte von Lila, die Handschellen kurz aufzusperren, damit sie das Shirt wechseln konnten, wurde von ihm allerdings mit bedauerndem Kopfschütteln abgelehnt.

„Tut mir leid, meine Lieben. Vierzehn Tage, ohne Wenn und Aber, so lautet der Vertrag. Da kann ich leider keine Ausnahme machen!“, sagte er und lächelte weiter, als ob seine Mundwinkel mit Klebstoff an den Eckzähnen angeklebt waren, was ihm ein wölfisches Aussehen verlieh.

Lila hatte spontan Lust, ihn ein bisschen zu würgen, nur so viel, dass ihm sein Dauergrinsen verging! Für sie bedeutete das, dass sie sich ihr neues T-Shirt glatt vom Leib schneiden musste. Dabei hatte sie es zum ersten Mal an!

„Aber ich verstehe zutiefst, dass ihr euch in den nächsten zwei Wochen umziehen müsst“, fuhr er fort, ohne sein Wolfsgrinsen zu verändern. „Daher haben wir euch extra Shirts mit Klettverschluss auf einer Seite anfertigen lassen. Je vierzehn Stück, also für jeden Tag eines. Für dich, Lila, in Blau und Rot, für dich, David, in Weiß und Schwarz.“

Lila schnaubte. Na, super! So viel zur modischen Extravaganz! Sie würde die nächsten zwei Wochen nur in Blau und Rot herumlaufen. Hoffentlich passten die T-Shirts wenigstens, damit sie nicht in allen Zeitungen des Landes mit einem schlabbrigen Oberteil abgebildet war.

Schon als sie am Fußballplatz ankamen, waren ein paar Reporter da, die eine Story über die erste Aufgabe des Handschellenpaares bringen wollten. Lila und David mussten sich zusammenstellen, die Handschellen nach vorne halten und grinsen. Was Lila gut, David allerdings nur mittelmäßig gelang, wofür er von Lila ordentlich in die Seite gerempelt wurde.

„Für hunderttausend Euro könntest du ruhig einmal freundlich dreinschauen!“, fuhr sie ihn an und strahlte dabei weiter fröhlich in die Kameras.

„Selbst für eine Milliarde schaue ich, wie ich will!“, fauchte er zurück und behielt seinen distanzierten Gesichtsausdruck, wofür Lila ihm abermals den Ellenbogen in die Seite rammte.

Knapp vor Anpfiff des Spiels hatten sie sich die speziell mit Klettverschluss präparierten Fußball-Dressen einfach über ihre T-Shirts gezogen. Mit dem Problem des Runterschneidens wollte sich Lila erst nach dem Spiel beschäftigen, denn dann würde sie wohl oder übel auch duschen müssen. Sie hatte noch keine Ahnung, wie sie das schaffen sollte, ohne dass der Doofmann neben ihr auch nur einen winzigen Blick auf ihren nackten Körper werfen konnte. Aber irgendetwas würde ihr schon einfallen, da blieb ihr gar nichts anderes übrig, wollte sie nach vierzehn Tagen nicht wie eine Müllhalde in Neapel stinken.

Die Ränge waren gut gefüllt, viele waren gekommen, um sich das Benefiz-Spiel mit zahlreichen Promis anzusehen. Es wurde bereits gejohlt, und Schlachtgesänge hallten über den Platz.

Lila war beim Einlaufen auf das Spielfeld ein bisschen mulmig zumute. Sie hatte noch nie vor so vielen Menschen Fußball gespielt, und ihre mickrigen Schulerfahrungen würden ihr da heute auch nicht helfen. Sie suchte die Ränge nach bekannten Gesichtern ab.

„Hallo, Mama, ich bin’s! Hallo!“ Florian rief so laut er konnte über das Spielfeld und wedelte dabei mit seinen kleinen Ärmchen. Lila winkte heftig zurück.

Neben Florian standen seine Großeltern. Mit flauem Gefühl im Magen erkannte Lila, dass ihre Mutter immer noch verstimmt war. Sehr aufrecht, mit starrer Miene, stand sie da. Lila musste das mit ihrer Mutter unbedingt wieder gerade biegen, aber wie sie das schaffen sollte, war ihr ein Rätsel.

Der schrille Pfiff des Schiedsrichters riss sie aus ihren Gedanken. Das Spiel begann. Ihr fiel ein, dass sie keine Ahnung hatte, wie gut David spielen konnte. Dass er sportlich aussah, bedeutete nicht, dass er auch mit dem Ball umgehen konnte.

„Kannst du überhaupt Fußball spielen?“, rief sie ihm zu, während sie sich ihre geliehenen Fußballschuhe, die bereits jetzt drückten, nochmals fester schnürte.

Sie erntete nur einen bösen Blick von ihm. Ihre Frage war ihm nicht einmal eine Antwort wert.

Ein paar Minuten vergingen, ohne dass sie an den Ball kamen. Lila begann sich bereits ein wenig zu entspannen, als sie plötzlich quer über das Spielfeld einen Pass bekamen, der genau vor ihren Füßen landete. David stoppte den Ball, legte ihn sich blitzartig zurecht und begann mit dem Ball zu laufen. Lila wurde von ihm einfach mitgerissen. So gut sie konnte versuchte sie neben ihm herzulaufen, doch irgendwie war er schneller, und schließlich wurde ihm der Ball von einem Gegner abgenommen.

Er sah sie grimmig an. „Könntest du versuchen, nicht wie eine Schnecke zu laufen?“

Lila klemmte sich ein paar lose blonde Haarsträhnen aus ihrem Pferdeschwanz hinter die Ohren und stemmte die Arme in die Seiten. „Was? Du hast dir einfach den Ball abnehmen lassen, also schieb die Schuld nicht auf mich!“ Sie war sich darüber im Klaren, dass sie die Wahrheit damit ein kleines Bisschen verdrehte, aber man musste ja nicht päpstlicher als der Papst sein.

David schnaubte wütend durch die Nase. „Vermassle es wenigstens das nächste Mal nicht!“, sagte er und begann wieder zu laufen.

Nur wenige Sekunden später bekam Lila ihre nächste Chance: Der Ball rollte ihr buchstäblich vor die Füße. Sie kickte so schnell sie konnte drauf, und es gelang ihr tatsächlich ein Pass zu einem Mitspieler.

Triumphierend schaute sie David an. „Na, wer kann hier Fußball spielen?“

„Das kann ja wohl jeder, der aufrecht gehen kann!“, rief er, drehte sich um und erwischte den Rückpass volley. Mit einem weiten, kraftvollen Schuss zielte er genau aufs Tor. Nur mit großer Mühe konnte der gegnerische Torwart den Ball abfangen. David erhielt tosenden Applaus von den Rängen, Mitspieler klopften ihm auf die Schulter.

Irgendwie war Lila verärgert. Warum staubte er die ganzen Lobhudeleien ab, wo ihr doch vorher so ein brillanter Pass gelungen war?

Das Spiel ging weiter. Beinahe ohne Pause liefen sie kreuz und quer über das Spielfeld. Lila merkte, wie ihre Kräfte nachließen. Ihre Lungen schmerzten, ihre Waden hatten einen Krampf nach dem anderen und irgendetwas Spitzes stach furchtbar in ihre Ferse.

Als David zu einem besonders schnellen Sprint ansetzte, stürzte sie und schürfte sich das linke Knie auf. Jammernd setzte sie sich auf den Rasen und starrte auf ihr blutendes Bein.

„Steh auf und sei kein Mädchen“, fuhr David sie an.

„Ich bin aber ein Mädchen, und ich darf jammern, so viel ich will!“, zischte sie zurück und blieb extra länger sitzen, um ihn zu ärgern.

Knapp vor dem Ende der Spielzeit standen David und Lila nur wenige Meter vom gegnerischen Tor entfernt. Lila war knapp davor aufzugeben, ihr Shirt klebte ihr am Körper und sie schaute gebannt auf die große Uhr auf der Anzeigetafel, die das nahende Spielende anzeigte. Immer noch stand es null zu null.

Plötzlich gelang einem Spieler ihrer Mannschaft ein weiter Schuss in ihre Richtung. David reagierte unglaublich schnell, fischte den Ball aus der Luft und schoss in Richtung Tor.

Leider stand Lila gerade vor.

Der Ball prallte auf ihr rechtes Knie, was Lila ein „Autsch“ entlockte, knallte auf die Querlatte, und noch bevor der Tormann reagieren konnte, kollerte er ins Tor.

Toooorrr! Lila riss die Arme in die Luft. Sie hatte das Siegestor geschossen!

Eigenartigerweise hatte auch David seine Arme in die Luft gestreckt, und er grinste über das ganze Gesicht. Was gab es denn da zu grinsen? Das Tor hatte doch eindeutig sie geschossen. Sie, Lila Rauch, brillante Fußballtechnikerin!

„Du brauchst hier gar nicht zu jubeln!“, fauchte sie David an. „Das Tor geht eindeutig auf mein Konto!“ Siegessicher blickte sie ihn an.

„Du hast kein Tor geschossen, du hast beinahe mein Tor vermasselt. Nur mit viel Glück ist der Ball dennoch im Tor gelandet. Also spiel dich hier nicht auf!“

Lila wollte gerade kontern, dass ohne ihr Knie nie und nimmer ein Tor zustande gekommen wäre, als auf der Anzeigentafel groß und deutlich ihr Name als Torschütze erschien. Mit spitzem Zeigefinger deutete sie darauf. „Das macht ja wohl jede Diskussion überflüssig!“

David schüttelte nur den Kopf und schlug die Hände vors Gesicht. „Warum muss ich das erdulden? Wie soll ich das noch zwei Wochen aushalten?“, wisperte er und blickte kopfschüttelnd in Richtung Himmel, als ob von dort Erlösung käme.

Sofort nachdem der Schiedsrichter das Spiel abgepfiffen hatte und Lilas Mannschaft jubelnd als Sieger vom Platz ging, stürmten bereits mehrere Reporter auf das berühmte Handschellenduo zu, allen voran Basti.

„Ich melde mich hier live aus dem Stadion“, begann er, und seine Stimme überschlug sich dabei, als würde er vom Weltmeisterschaftsfinale berichten, „und vor mir stehen Lila und David, wobei Lilas Gesichtsfarbe ihrem Namen alle Ehre macht!“ Er kicherte uncharmant. „David, du siehst wesentlich frischer aus. Wie war es denn?“

David sah tatsächlich aus, als hätte er nur fünf Minuten Pingpong gespielt, was Lila ärgerte. Seine Haut hatte ihren normalen leichtbraunen Ton und seine Haare sahen aus, als hätte er sie absichtlich leicht zerzaust, um möglichst lässig auszusehen.

„Ja, es wäre einiges drinnen gewesen, doch ich wollte auf Lila Rücksicht nehmen. Sie hat sich doch ziemlich schwer getan.“ Er sah herausfordernd in ihre Richtung.

Lila schäumte. Sie wollte gerade erwidern, dass er sich seine Rücksicht sonst wohin stecken könne, als Basti den Live-Einstieg hastig beendete, so als ob er Lilas deftige Antwort geahnt hätte. Der Mann stand zwar auf Kriegsfuß mit Seife, hatte aber offenbar übersinnliche Fähigkeiten.

Vor der Mannschaftskabine hüpfte Florian bereits von einem Bein auf das andere, und als er seine Mama endlich sah, stürmte er auf sie zu und schrie: „Du hast das Tor geschossen, Mama! Wegen dir haben sie gewonnen!“

Lila sah David mit triumphierendem Blick an.

Florian schlang seine Arme um ihre Hüfte. „David hat zwar besser gespielt, aber du hast das Tor geschossen, Mama.“

Lilas Triumph brach etwas zusammen. Wieso bitte hatte David besser gespielt? Brauchte das Kind eine neue Brille?

Lilas Papa, der bisher ruhig neben Flo gestanden hatte, drückte seiner Tochter einen Kuss auf die Stirn.

„Gut gemacht, Lilian! Du bist wirklich so sportlich wie deine Mutter! Das hast du sicher nicht von mir.“ Er lachte fröhlich und sah dabei zu seiner Frau, die auf seinen Scherz aber nicht einstieg und Lila immer noch die kalte Schulter zeigte, indem sie ihr einfach Florians dicken Winnie-Pooh-Sweater in die Hand drückte und sich auf der Stelle umdrehte, um zu gehen. Sie wollte gerade den ersten Schritt machen, als sie mit einer Frau, die eben von der Tribüne kam, zusammenprallte.

„Entschuldi…“. Sie brach ab.

Vor ihr stand Davids Mutter.

War Lila noch vor wenigen Sekunden sicher gewesen, ihre Mutter noch nie so abweisend gesehen zu haben, erlebte sie erst jetzt eine Seite an ihr, die ihr völlig fremd war.

Barbara Rauch richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, warf den Kopf theatralisch in den Nacken, sodass man es beinahe knacken hörte, sagte kurz aber heftig „Pah“ und stapfte dann davon. All das hatte den fahlen Beigeschmack einer schlechten Schmierenkomödie. Lila konnte es kaum glauben, was hier passierte. Ihre Mutter, studierte Psychologin, die sonst immer ruhig und überlegt war und für alle menschlichen Schwächen eine Erklärung fand, führte sich auf wie ein unreifer Teenager.

Lilas Vater schüttelte sachte den Kopf.

„Hallo Ernst“, grüßte ihn Davids Mutter, eine nicht sehr große, etwas mollige Frau, mit modisch geschnittenen, dunkelblonden Haaren, die ihre hübschen Gesichtszüge eindeutig ihrem Sohn vererbt hatte.

„Lange nicht gesehen, Tina“, erwiderte er und sah dabei etwas verlegen auf seine Fußspitzen. Offensichtlich fühlte er sich eingeklemmt in einem mächtigen Loyalitätskonflikt. Einerseits wollte er seiner Frau nicht in den Rücken fallen, andererseits hätte er den Streit am liebsten schon vor Jahren beigelegt. Aber wenn es um Tina Reichmann ging, ließ Barbara nicht mit sich reden. Aus! Basta! Schluss!

„Ich gehe dann mal“, sagte er daher nur kurz und hastete eilends seiner Frau hinterher, um zu retten, was zu retten war.

Auch Lila war in der Zwickmühle. Sie wollte sich zwar nicht so aufführen wie ihre Mutter, andererseits war Tina Reichmann seit sie denken konnte eine Persona non grata für sie gewesen.

„Ich wollte euch nur gratulieren. Gut habt ihr gespielt!“, sagte diese ruhig und schob sich ein Stück auf ihre Zehenspitzen, um David einen Kuss auf die Wange zu drücken.

David umarmte sie liebevoll, wobei Lilas linke Hand durch die Handschellen wohl oder übel die Umarmung mitmachen musste, was Lila ganz und gar nicht recht war. Nur widerwillig ertrug sie die Berührung. Sie fühlte sich erlöst, als sich David von seiner Mutter verabschiedete und diese um die nächste Ecke verschwand.

Basti hatte sich wieder als Chauffeur für die Heimfahrt angeboten. Als er sie vor Lilas Wohnung aussteigen ließ, holte er zwei Säckchen aus dem mit alten Burger-Schachteln vollgestopften Kofferraum seines Autos. In den Säcken waren die neu angefertigten T-Shirts mit Klettverschluss, was Lila wieder klar machte, dass sie endlich ihr schweißnasses Shirt ausziehen musste. Und danach duschen. Das Wie war hier immer noch die Frage.

„Ich geh jetzt duschen“, war auch das Erste, was David sagte, als die sie Wohnungstür hinter sich ins Schloss fallen ließen.

„Was denkst du, was ich mache? Glaubst du, ich bin Frau Superferkel? Aber du siehst mich sicher nicht nackt!“ Lila sah ihn giftig an, kniete sich hin und öffnete den Klettverschluss von Florians Schuhen. Eilig streifte dieser die Schuhe ab und düste in sein Kinderzimmer, um seine Lego-Ritterburg weiterzubauen.

David betrachtete sie von oben herab und hatte dabei seine rechte Augenbraue etwas hochgezogen. „Was gibt es denn da schon zu sehen?“

Lila hätte ihm am liebsten Florians Schuh, den sie immer noch in der Hand hielt, auf sein Schienbein geknallt. Nur mühsam beherrschte sie sich. „Ich halte das aus! Ich schaffe das!“, flüsterte sie vor sich hin. Sie beschloss, die beiden Sätze für die nächsten zwei Wochen zu ihrem persönlichen Mantra zu machen, um nicht ganz durchzudrehen.

Im Badezimmer kramte Lila eine schwarze Schlafmaske aus einer Lade. „Setz das auf!“

„Was ist das?“

„Eine Superman-Maske! Was glaubst du denn? Eine Schlafmaske natürlich! Setz sie einfach auf!“ Lila war beim Grübeln über ihr Duschproblem auf die Idee mit der Schlafmaske gekommen. So würde er zwar neben ihr stehen können, sie aber nicht nackt sehen.

„Aber sonst geht es dir gut?“ David schüttelte zwar unwillig den Kopf, zog sich schließlich aber doch das dünne Gummiband über die Haare und setzte sich die Maske auf.

Lila boxte etwas mit ihren Händen vor seinem Gesicht herum, nur um zu testen, ob er sie auch tatsächlich nicht sah. Vor lauter Fuchteln, hätte sie ihm dabei beinahe ihre Faust auf die Nase geknallt.

„Kannst du bitte aufpassen?“, brummte David, der den Windhauch auf seinem Gesicht gespürt hatte.

Lila zuckte nur mit den Schultern. Sie fand, dass ihm so ein kleiner Knuff auf seine wohlgeformte Nase ganz und gar nicht geschadet hätte.

Vorsichtig begann sie sich auszuziehen. Dabei achtete sie darauf, dass Davids Hand mit den Handschellen nicht versehentlich an ihrem Körper ankam, sonst hätte sie sich dort desinfizieren müssen. Schweren Herzens schnitt sie schließlich auch ihr schweißverklebtes Shirt quer durch die Erdbeere auf, sodass sie es von ihrem Körper ziehen konnte. Konzentriert führte sie die kleine Nagelschere dicht an ihrem Körper vorbei und versuchte dabei, sich nicht in die Haut zu ritzen. Ewig schade! Missmutig stieg sie in die Duschkabine und drehte das Wasser auf.

„Dreh dich weg!“, fauchte sie David an. Man konnte ja nicht wissen, ob er nicht vielleicht doch durch einen winzigen Spalt linste.

„Sei entspannt“, meinte dieser nur, tat Lila aber den Gefallen und drehte sich von ihr weg. „Du bist ganz und gar nicht mein Typ! Ich steh eher auf klein und dunkelhaarig.“

Lila schäumte sich mit ihrem nach grünem Tee riechenden Duschgel den Körper ein, wobei sie immer darauf achtete, dass Davids Hand nicht zu nahe kam. Irgendwie ärgerte sie sich. Nicht dass sie auch nur ansatzweise wollte, dass dieser Mann auf sie stand, aber irgendwie wurmte es sie, dass er ihre langen Beine, ihre sportliche Figur und vor allem ihre dichten blonden Haare nicht zu schätzen wusste. Aber bitte, wie Herr Reichmann wollte! War ihr doch egal.

Schnell spülte sie sich das Gel vom Körper und wickelte sich in ein dickes, weiches Badetuch. Wie neugeboren stieg sie aus der dampfenden Duschkabine.

David nahm sich die Schlafmaske vom Gesicht und legte sie auf den Rand des Waschbeckens. „Bei mir brauchst du die Maske nicht aufzusetzen. Du kannst gerne schauen!“, sagte er feixend. Schnell öffnete er den Knopf seiner Jeans und zog die Hose mit einer raschen Bewegung nach unten.

Hastig schloss Lila die Augen. „Da schau ich doch lieber verdorrtem Gras beim Wachsen zu“, fauchte sie zurück. Mit zusammengekniffenen Augen stand sie da und hörte, wie er in die Duschkabine trat und das Wasser aufdrehte.

„Ich hab mein Duschgel auf dem Waschbecken stehen lassen“, rief er plötzlich unter dem Wasserstrahl hervor. „Gib es mir bitte!“

Was? Sie wollte keinesfalls ihre Augen öffnen, um nach seinem dämlichen Gel zu suchen. „Nimm meines“, rief sie ihm zu.

„Glaubst du, ich will wie ein Blümchen riechen? Stell dich nicht so an und gibt es mir!“

Widerwillig öffnete Lila ihre Augen einen Spalt, griff nach dem Gel und reichte es David, nicht ohne vorher die Augen wieder fest zusammenzukneifen. Oder beinahe fest. Einen kleinen, winzigen Spalt ließ sie offen.

David stand verkehrt zu ihr, was bedeutete, sie sah direkt auf seinen knackigen Po. Von hinten sah der Mann definitiv umwerfend aus. Muskulöser Oberkörper, schmale Hüften und … ja, eben, dieser superknackige Hintern.

David machte Anstalten, sich in ihre Richtung zu drehen. Eilig presste sie die Augen zusammen. Es gab Sachen an ihm, die sie nicht unbedingt sehen wollte.

Das Fußballspielen hatte Lila doch mehr geschlaucht, als sie zugeben wollte, und daher stimmte sie auch zu, als David vorschlug, für das Abendessen einfach Pizza zu bestellen. Sie mäkelte zwar eine Zeit lang herum, dass sie nicht schon wieder so ungesund essen wolle, aber als Florian sie ganz begeistert anstrahlte, als er hörte, dass es seine heiß geliebte Pizza zum Abendessen geben würde, ließ sie sich überreden.

Schon während des Essens musste Lila dauernd gähnen, und auch David sah irgendwie verdächtig müde aus, was sie diebisch freute. Herr von und zu Supersportlich war also auch leicht angeschlagen!

Auch Florian war so müde, dass er es schaffte, während des Kauens bereits ein bisschen einzunicken. Lila hob ihn hoch, putzte ihm im Halbschlaf die Zähne und steckte ihn in sein Kinderbett, wo er sofort weiterschlief.

Kurze Zeit später gingen auch David und Lila ins Bett. Sie ließ das rote Klettverschluss-Shirt, das sie nach dem Duschen angezogen hatte, gleich an. Sonst würde sie die nächsten zwei Wochen nicht damit auskommen.

Eigentlich war sie todmüde, trotzdem schossen ihr eigenartige Bilder durch den Kopf, die mit dem zu tun hatten, was sie vorher unter der Dusche gesehen hatte. David – von hinten – nackt. War sie verrückt geworden? Hatte sie vergessen, um wen es sich dabei handelte? David Reichmann – hallo! Mit dem festen Vorsatz, sich nicht von einem einigermaßen gut gebauten männlichen Körper verwirren zu lassen, schlief sie schließlich ein.

Der will ja mich!

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