Читать книгу Mädchen oder Junge? Das Geschlechterlabyrinth - Sylvia Rosenkranz-Hirschhäuser - Страница 6

Exkurs in die Zeitgeschichte

Оглавление

Die fünfziger und sechziger Jahre

Ich wurde Ende 1949 geboren.

Männer hatten vor noch nicht allzu langer Zeit Krieg geführt und Frauen hatten mit heroischer Kraft die Trümmerarbeit in den Nachkriegsjahren geleistet.

Die neue Bundesrepublik konstituierte sich, Gleichberechtigung per Gesetz war festgeschrieben.

Die Wirtschaftswunderzeit schuf Arbeitsplätze und in den Familien herrschte Bürgerlichkeit. Die traditionelle Rollenverteilung von Mann und Frau war in den meisten Arbeiter- und Mittelschichts-Haushalten noch selbstverständlich, Ausnahmen bestätigten die Regel, während das bäuerliche Leben auf dem Lande den Gesetzen der Gleichberechtigung allein auf Grund des notwendigen Arbeitseinsatzes folgte, wenn auch mit dem Unterschied von ‚schwerer’ und ’leichter’ Arbeit (wobei die landwirtschaftliche Arbeit eigentlich keine ‚leichte’ Arbeit kennt).

Der Begriff der ‚Doppelverdiener’ etablierte sich in den Nachkriegszeiten in Ansätzen, es mussten erst die Voraussetzungen geschaffen werden: Frauen zogen allmählich in Bildung und Ausbildung Männern gleich, doch benötigte die Entwicklung dazu Jahre, eher Jahrzehnte.

In meiner Jugend waren Mädchen auf Gymnasien und an Universitäten noch stark unterrepräsentiert. Mädchen waren nicht in allen gesellschaftlichen Kreisen, aber doch nach überwiegender Meinung zum Heiraten und Haushaltführen bestimmt und wurde eine Frau berufstätig, war sie zu Doppelbelastung gezwungen oder alleinstehend ohne Familie, die Gleichberechtigung der Männer im Haushalt lag damals noch hinter dem gedanklichen Horizont.

Die Arbeitsbelastung in Haus und Garten beanspruchte weitaus mehr Zeit als heute, denn weder die (nicht unbedingt positive) Entwicklung der Fertigprodukte, der Küchengeräte sowie der Reinigungs- und Waschprodukte war so effektiv wie heute (dafür allerdings auch weniger anspruchsvoll und leistungsoptimiert).

Im politisch-gesellschaftlichen Leben schreiben sich viele teils geachtete, teils kritisch betrachtete und dennoch aufgrund ihrer politischen Leistung geschätzte Politiker in die Geschichtsbücher. Von Adenauer über Ehrhardt, Brandt, Wehner, Strauß und viele andere ‚wichtige’ Männer in der zweiten und dritten Reihe sind die Namen der ‚großen’ Frauen in der Politik der Fünfziger und Sechziger Jahre schnell genannt, sie waren rar: die ersten Ministerinnen wurden bezeichnenderweise für das Gesundheitsministerium und das Familienministerium ernannt: Elisabeth Schwarzhaupt 1961, gefolgt von Käthe Strobel, Anke Huber und erste Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit war Marie Schlei. Ältere werden sich an diese Namen erinnern, jüngere nicht, denn es fehlt ihnen der Bekanntheitsgrad der Männer dieser Zeit. Erst 1972 wurde Annemarie Renger erste Präsidentin des Deutschen Bundestages.

Als Jugendliche erlebte ich Politik als reine Männerdomäne und Frauen wie die genannten weckten meine Bewunderung.

In meinem unmittelbaren Umfeld waren Frauen als Mutter und Hausfrau beschäftigt, sie prägten entsprechend mein damaliges Gesellschaftsbild.

Wäre ich zur gleichen Zeit in der ehemaligen DDR aufgewachsen, hätte ich andere Erinnerungen. In den neuen Bundesländern war der Anteil weiblicher Arbeitskräfte, Kindergrippen- und Hortplätzen bekanntlich um ein Vielfaches höher.

Anhand meiner individuellen Biographie im exemplarischen Erleben seien in meinem Text gesellschaftliche Entwicklungen und Tendenzen ausgezeigt, die einerseits subjektiv zu werten sind, im Kontext aber eine objektive Gültigkeit erkennbar werden lassen.

Die Jahre der 68er, die antiautoritäre Bewegung, die Rebellion der Jugend – meiner Jugend – wirft Fragen auf, konfrontiert die Generation unserer Eltern mit Abbau von Konventionen, Kritik an bürgerlichen Normen und Werten, kurz die nächsten zehn Jahre sind Umbruch und Veränderung im Familiären wie im Politischen – im sozialkritischen Jargon der Linken nicht zu trennen – denn das eine bedingt das andere, zweifelsfrei. Es ist zunächst weniger die Geschlechterfrage, das gesellschaftliche Frau-Mann-Verhältnis, das für Turbulenzen sorgt, es ist mehr das Infragestellen der elterlichen Autoritäten und der kapitalistischen Wertvorstellungen, so wird auch mit dem Aufbrechen verkrusteter Hierarchien der Grundstein zu feministischer Politik in dieser Zeit gelegt.

Die siebziger Jahre

Die gesellschaftspolitische Situation der Siebziger Jahre ist bekannt:

Die Entwicklung der sechziger Jahre manifestiert sich, Politisierung der Jugend, Infragestellung herkömmlicher Werte, Abgrenzung zur Elterngeneration, Leben neuer Gesellschaftsformen (Kommunen, Wohngemeinschaften, ‚Leben ohne Trauschein’), die Blicke kapitalismuskritischer Menschen sind auf die Welt gerichtet und kriegführende Staaten werden öffentlich kritisiert.

Die Zahl studierender Frauen nimmt zu, die Zahl ausschließlicher ‚Hausfrauen’ ab.

Die Klage über Männer, die die von Frauen geforderte Arbeitsteilung nicht als selbstverständlich erachten und sich ihr weiterhin entziehen, bleibt konstant.

Dennoch wandeln sich die Formen des Zusammenlebens und der Gleichberechtigungsgedanke gegenüber Männern, die in Kinderbetreuung und Haushalt mehr Zeit und Engagement investieren sollen, gründet sich auf das stärkere Selbstbewusstsein der Frauen, die sich ihres Wertes zunehmend sicherer sind, vor allem in stetig wachsender Zahl.

Der Anspruch vonseiten der Frauen, sich anstehende Familien- und Haushaltsarbeiten zu teilen, ist höher geworden, ihre zunehmende Berufstätigkeit fordert den Einsatz der Männer in neuer Selbstverständlichkeit.

In den Wohngemeinschaften mischen sich die Geschlechterrollen gepaart mit politischem Bewusstsein zu unterschiedlichsten Konstellationen, oftmals weit weg von den traditionellen Mann- Frau-Bildern.

Äußerlich sind es die langen Haare der Männer, die ihre gesellschaftskritische antiautoritäre Haltung unterstreichen. Die Frauen tragen ihre lila Latzhosen als Symbol ihrer feministischen Bewegung.

Die siebziger Jahre sind die Ursprungszeiten der ‚Frauenpower’, eines Feminismus, der in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen ‚starke’, bedeutende Frauen Wegweiserinnen und Wortführerinnen für eine ganze Generation werden lässt:

Simone de Bouvoir, Alice Schwarzer, Angela Davis, Janis Joplin, Ina Deter und viele andere mehr.

In meiner persönlichen Biographie gaben mir die frauenbewegten Jahre nicht das Gefühl, nun werde endlich etwas zuvor Unerreichbares erreicht, sondern ich empfand die emanzipatorische Entwicklung im Grunde ‚normal’, so, wie die gesellschaftliche Rollenaufteilung eben sein sollte. Ich konnte auch nicht behaupten, für mich seien Rechte und Freiheiten erkämpft worden, ich betrachtete die errungene Gleichberechtigung als schon immer persönlich angestrebten Zustand. Schullaufbahn und Status gegenüber dem männlichen Geschlecht bedurften für mich selbst keiner Unterstützung von außen. So meinte ich.

In meiner Beziehung, die ab 1979 in eine Ehe führte, traten jedoch andere Verhältnisse zutage.

Zunächst hatte ich meinem inneren Gefühl nachgehend alle Freiheiten. In meinen Beziehungen nahm ich männliche Positionen ein: Affären und wechselnde Verhältnisse, wie sie zumindest in diesen Jahren eher Männern zugeschrieben wurden. Dass sich auch in diesem Bereich Frauen später emanzipierten ist eine andere Sache.

In die siebziger Jahre fiel mein bereits erwähnter Studienwechsel vom Studium der Veterinärmedizin zum Studium des Lehramtes für Grundschulen. Ich war berufsbezogen im typischen Frauenstudium angekommen. Und fühlte mich wohl.

Ich empfand den Beruf interessant, herausfordernd, kreativ und äußerst sinnvoll.

Der Frauenbewegung in dieser Zeit schloss ich mich inhaltlich vorbehaltlos an ohne aktiv darin tätig zu sein. Ich dachte, vieles davon erreicht zu haben und für extreme Männerfeindlichkeit mochte ich die Männer viel zu sehr. Dass ich ihre Aufmerksamkeit in gewisser Weise geradezu suchte und mich in männlicher Bewunderung sonnte wurde mir erst Jahre später klar, und die Erkenntnis über den psychologischen Hintergrund bzw. die familiären Ursachen meiner Männerbeziehungen musste ich mir erst in hartem Ringen mit mir selbst erarbeiten.

In meinen realen Leben spielte ich mit wechselnden Beziehungen, tauschte Männer im wahrsten Sinne aus und agierte als Dominante, die in Abhängigkeit zu bringen versucht, meine eigene erkannte ich lange Zeit nicht. Krankhafte Eifersucht, unter der ich zeitlebens litt, früher noch wesentlich intensiver als im fortgeschrittenen Alter, ordnete ich damals noch nicht unter die Rubrik emotionale Abhängigkeit.

Im Studium gleichberechtigt und unabhängig vom Partner kannte ich finanzielle Abhängigkeit von einem Mann bis zu diesem Zeitpunkt nicht.

Nach dem Studium unternahm ich mit meinem damaligen Partner eine eineinhalbjährige Campingreise in einem alten selbst ausgebauten Hanomagbus nach Asien, die ich bereits kurz erwähnte.

Die Geschlechterrolle zwischen uns blieb problemlos, es war sogar eher eine meiner Phasen, in denen ich mir weder über meine Frauenrolle noch über die Männerrolle meines Partners Gedanken machte.

Abenteuerlust und Mut gehörten für uns beide zur Reise und die üblichen arbeitsanteiligen Bereiche waren geklärt. Mein Partner fuhr den überwiegenden Teil der Strecke und ich ließ ihn gerne in seinem Element des Fahrens über manche kaum zu bewältigende Holper-Off-Road-Straße, ich nahm und nehme bis zum heutigen Tag lieber den Platz der Beifahrerin ein und betrachtete mir Leute und Landschaft aus dem Fenster.

Eine Bedingung stellte ich: in jedem der Länder wollte ich einmal einige Kilometer selbst am Steuer gesessen haben, das war ich meiner Frauenehre schuldig.

Die nicht wenigen Autoreparaturen und sonstigen technischen Aufgaben, die häufig zu erledigen waren, seien es Probleme am Wasserfilter, seien es solche an Kühlschrank oder oblagen eindeutig dem Können meines Partners, ich konzentrierte mich auf die Korrespondenz mit Familie und Freunden und schrieb Tagebuch. Insofern lebten wir während unserer Reise eine eher klassische Rollenteilung, die mir ausgesprochen angenehm war.

Eine emanzipatorische Phase, in der ich meinte, Reifen am Auto wechseln zu müssen, hatte ich, wenn nur flüchtig und im Kopf, musste sie aber nie in die Praxis umsetzen. Ich komme später noch einmal auf das Thema zurück.

Auf dieser Reise im Jahre 1976/77 war ich siebenundzwanzig Jahre alt. Ich lernte hinsichtlich der Frauenrolle in den islamischen Ländern eine Menge durch Schauen, Beobachten, dem Umgang und der Begegnung mit moslemischen Menschen.

Wenn ich nun darüber schreibe, darf ich die Zeit und mein damaliges Alter nicht vergessen, die Beurteilung der Verhältnisse geschieht heute bei mir aus einer völlig anderen Perspektive.

Ich achtete die Gesetze der Mohammedaner nicht, sondern verachtete sie in Bezug auf die Stellung der Frau in der moslemischen Gesellschaft. Dafür schäme ich mich heute.

Ich verstand die vordergründige Unterwürfigkeit der Frauen nicht, schüttelte meinen Kopf über das Tragen der Burka und demonstrierte meine ‚westliche Freiheit’, indem ich mit ärmellosem Shirt und zusätzlich tiefem Ausschnitt durch die Basare schlenderte. Anschließend empörte ich mich über die Aufdringlichkeit der Männer, die mich an Arm und Hintern grapschten. Ich schreibe diese Arroganz meiner Unkenntnis islamischer Traditionen sowie dem emanzipatorischen westlichen Zeitgeist zu.

Verhalten sich unwissende Touristen heute in arabischen Ländern gleichermaßen wie ich damals, empöre ich mich darüber und kreide ihnen die Intoleranz gegenüber fremden Kulturen an.

Achtung gegenüber fremden Kulturen und Toleranz gesellschaftlicher Normen bei dem Besuch ihres Landes bedeutet nicht ihre Normen und Gewohnheiten zu bejahen und Einverständnis zu bezeugen. Kritik an der Frauenrolle im Islam ist berechtigt und die gesellschaftliche Position moslemischer Frauen für Europäerinnen auch kaum nachvollziehbar.

Dennoch wird die islamische Frau oft verkannt. Ihre Machtstellung innerhalb der Familie, insbesondere die Rolle der Frau als Mutter, ist eine besondere und für nichtmoslemische Frauen erst mit einem Blick hinter die Familienkulissen zu erkennen. Die Frau als Mutter und Großmutter ist Herrin der häuslichen Gemeinschaft und ihre Stellung innerhalb des Familiengefüges oftmals mächtiger als von außen betrachtet zu vermuten.

Von Islamkennern in der Literatur beschrieben, sind Ehre und Achtung, die Söhne ihren Müttern gegenüber bezeugen, selbstverständlicher Kulturkodex.

An dieser Stelle sei die Frauenrolle in der islamischen Gesellschaft im Rahmen des Kontextes erwähnt, im Folgenden werde ich nochmals auf verschiedene Aspekte fremder Kulturen eingehen, detaillierte Analysen würden allerdings den Rahmen dieses Buches sprengen und entsprächen nicht meiner bewusst biografisch- persönlichen Betrachtungsweise der Geschlechterrollen.

Zurück zum Basargeschehen.

In den arabischen Ländern ist die Trennung von Mann und Frau, das Getrenntleben im gesellschaftlichen Alltag optisch permanent sichtbar: Männer hier, Frauen dort.

Männer verkaufen handwerkliche Arbeiten, Frauen meist Lebensmittel.

In Afrika sitzen fast ausschließlich Frauen hinter den Marktständen, Männer ruhen sich aus.

Die Obhut kleiner Kinder obliegt den Frauen und kein moslemischer Mann hätte sich vor dreißig Jahren wohl darüber Gedanken gemacht. Einerseits.

Andererseits sah ich auf dieser Reise durch Asien nie mehr wieder derart viele Frauen harte Arbeit leisten. Sei es Holz holen, voll beladene Körbe auf den Köpfen tragen, sei es mit den Händen Steine klopfen auf indischen Landstraßen, sei es Maniok in stundenlangem stupidem Klopfen zermahlen.

Ein gewohnter Anblick in diesem Teil der Erde sind Frauen, die ein Kind in ihrem Bauch tragen, einen Säugling in einem Tuch auf ihrem Rücken und ein Kleinkind auf ihrem Arm und manche ein weiteres an ihrer Hand.

Da bleibt nur Bewunderung und Staunen.

Meine eigene Geschichte verlief im emanzipatorischen Zickzack.

Nach unserer Rückkehr arbeitete ich als Lehrerin im Angestelltenverhältnis, eine Beamtenstelle war mir in den folgenden Jahren verwehrt.

Ich verdiente eigenes Geld, doch mein damaliger Partner, späterer Ehemann, verdiente das Dreifache. Und ließ es mich spüren.

Unsere Beziehung hielt, wenngleich ich um Freiräume und Selbständigkeit kämpfen musste. Alle Aktivitäten ohne ihn mussten willensstark durchgesetzt werden und wurden von vielen leidvollen Konflikten begleitet.

Zwei Jahre nach der Rückkehr von unserer langen Reise kam unsere älteste Tochter zur Welt. Ein Mädchen. Ich freute mich sehr, konnte aber den Gedanken nicht unterdrücken, dass meine Eltern, meine Mutter ebenso wie mein Vater, enttäuscht waren, wieder keinen männlichen Erben in der Familie zu haben. Ein mittelständisches Unternehmen braucht einen Nachfolger und dieser war wieder ausgeblieben. Nie wurde ein Wort darüber gesprochen, doch stand das Gefühl zu Anfang im Raum. Ich dachte und fühlte anders, wusste aber um die nie ausgesprochene Einstellung meiner Eltern.

Sechs Wochen vor der Geburt unserer Tochter heirateten wir. Es war meine zweite Heirat, zur ersten entschied ich mich aus materiellen Gründen: wir erhielten damals Trennungsgeld. Zur zweiten entschied ich mich, weil ich dem Vater meines Kindes Rechte einräumen wollte. Ledige Väter hatten juristisch vor allem in Trennungsfällen nichts zu sagen, ich empfand Mitleid und Ungerechtigkeit. Der Vater meines Kindes, unseres Kindes, sollte gleichwertig als Elternteil sein. Ich war stark genug, rechtmäßig mein Kind zu teilen.

Seit meiner Ehe führte ich einen Doppelnamen (war zu Zeiten meiner ersten Ehe noch der Name des Mannes an erster Stelle: ich hieß ‚Eckhardt-Rosenkranz’, so bestand zu Zeiten meiner zweiten Ehe die Regelung, den ‚Mädchennamen’ (auch so ein Begriff!) voranzustellen, entsprechend heiße ich ‚Rosenkranz-Hirschhäuser’).

Für mich stand nie außer Frage, meinen Namen bei zu behalten. Unsere Ehe wurde 1979 geschlossen und ich erinnere mich an heiße Diskussionen hinsichtlich der Namensänderung. Da es möglich war, als Mann auch den Namen der Frau anzunehmen oder sich als Mann auch einen Doppelnamen zuzulegen, mussten Entscheidungen dazu getroffen werden. Ich kenne aus der Zeit der Siebziger Jahre keinen Mann, der den Namen seiner Frau angenommen hätte, ich kenne wenige, die einen Doppelnamen trugen. Mein damaliger Ehemann machte eine Lachnummer aus der Vorstellung, er nähme meinen Namen an (stellt euch vor, ich komme morgens in die Bank und sage: ich heiße jetzt ‚Rosenkranz’ und nicht mehr ‚Hirschhäuser’ – hahahaha), es war für ihn unvorstellbar, da er darin ein Gefühl des Lächerlichwerdens empfand. Der Glaube, seine Kollegen würden sich über ihn lustig machen, stand hinter dem Gefühl.

Ich gebe gerne zu, dass ich (noch heute) bei Frauen ihre ‚feministische Gesinnung’, ihr Selbstbewusstsein Männern gegenüber, ihre gesellschaftliche Rolle als Frau auch –natürlich nicht nur- durch die Namensentscheidung interpretiert sehe: eine Frau mit Doppelnamen ist für mich ‚stärker’ emanzipiert als eine Frau, die den Namen ihres Mannes angenommen hat. Andererseits – ich kann mich dieser Einschätzung nicht entziehen- sehe ich auch eine ‚Schwäche’ im Mann, wenn er den Namen der Frau annimmt. Dies wiederum zeigt mein persönliches Rollenmuster.

Heute ist die Klärung der Namensfrage einfacher geworden und ein weit weniger wichtiges Thema in unserer Gesellschaft. Die Namen eines jeden können beibehalten werden und das ist gut so. (Einschränkung in meiner subjektiven Meinung: sind Kinder da, finde ich es besser, wenn ein gemeinsamer Familienname zu erkennen ist, der den Kindern die Beziehung zu den Eltern aufweist). Dass die Namensfindung gegenwärtig ein gesellschaftlich kaum relevantes Thema zwischen Männern und Frauen ist, eine Oberflächlichkeit bedeutet, zeigen die vielen unverheirateten Paare und Eltern. Insofern steht dieser kleine Exkurs nur am Rande.

Warum ich die Namensfindung erwähne? Sie kennzeichnet das Männer-Frauen-Denken in der jeweiligen Zeit und die gesellschaftliche Stellung der Frau (bekannt sind die Zeiten, in denen sich die Frauen mit dem Doktortitel ihres Mannes ansprachen ließen). Ein klein wenig zeigt die Namensentscheidung auch das emanzipatorische Bewusstsein der Frau (dagegen höre ich oft den Satz: ich mache mein Bewusstsein als Frau doch nicht an dem Namen fest!).

Es ließe sich hier eine Diskussion anschließen (wie in vielen anderen in diesem Buch aufgegriffenen gesellschaftlichen Mann/Frau-Bereichen), die den Umfang der Thematik sprengen würde. Letztendlich wäre es dann so, dass viele Meinungen und Beurteilungen nebeneinander stünden und jede/jeder seine individuelle Biographie mit einbrächte.

Eine weitere persönliche Entscheidung, die im Zusammenhang mit meiner ‚gelebten’ Frauenrolle steht– wie ich mich, subjektiv empfunden, gegenüber Männern zu behaupten vermag -, war die, einem von meinem damaligen Ehemann gewünschten Ehevertrag zuzustimmen. Der Ehevertrag beinhaltete im Wesentlichen, dass bei einer Trennung auf gegenseitigen Unterhalt verzichtet wird. Meine Situation als Frau bzw. Mutter im Voraus nicht kennend und einschätzend, stimmte ich dem Vertrag zu, da ich es als gerecht empfand, wenn jeder für sich selbst aufkommt. Im Nachhinein betrachte ich meine damalige Vorstellung als naiv und wenig durchdacht. Ich kannte die Familiensituation nicht und die Aufgabe als Mutter, für minderjährige Kinder zu sorgen, war mit in ihren Ausmaßen nicht bewusst.

Ich erwähne diese Situation, da sich darin der Widerspruch deutlich macht zwischen meinem sozialisierten Gleichberechtigungsempfinden, gleichberechtigte, finanziell von einander unabhängige Partner in einer Ehe zu sein- und dem, was sich später bei meiner Scheidung daraus entwickelte: eine finanzielle Abhängigkeit und einen materiellen Verzicht meinerseits auf gemeinsamen Besitz, den es aufzuteilen galt.

Ich empfand nur noch Ungerechtigkeit und machte mir Vorwürfe, mich auf den Vorschlag eines Ehevertrages eingelassen zu haben.

Ich hatte zwei Kinder groß gezogen, sie ohne fremde Hilfe (keine Großmutter, keine Tagesmutter, keine Kita) betreut und einige Jahre bewusst auf Berufstätigkeit verzichtet. Drei Jahre vor meiner Scheidung arbeitete ich wieder als Lehrerin mit halber Stelle. Nach der Scheidung trat der Ehevertrag in Kraft, durch den ich keinerlei Unterhalt erhielt, obwohl mein geschiedener Mann in sehr guter Position tätig war und ich mit meinen beiden Kindern in unserem gemeinsamen Haus und für Kinder, Haus und Garten zuständig war.

Mein geschiedener Ehemann zahlte für die Kinder Unterhalt, für mich keinen Cent.

Vielmehr ließ er sich den hälftigen Wert unseres Hauses sehr gut auszahlen.

Mein Gerechtigkeitsdenken wurde in dieser Zeit stark erschüttert, ich fühlte mich zum ersten Mal ‚Männern unterlegen’ und als Frau ungerecht behandelt. Ich erkannte das typische Mittelschichtsrollenbild: Mann verdient gut, kann sich weiter einen hohen Lebensstandard leisten, Frau ist als Mutter und berufstätig in der Doppelbelastung und finanziell schlechter gestellt als der Exmann, in meiner eigenen Geschichte.

Ohne die finanzielle Unterstützung meiner Mutter hätte ich meinen Kindern und mir das gemeinsame Haus nicht erhalten können.

Die Trennung ging damals von mir aus, ich hatte sie gewollt und da ich meinen Exmann sehr unter der Trennung leiden sah, war dies der Grund, warum ich meine finanzielle Unterlegenheit akzeptierte und damit leben konnte: ich hatte ein schlechtes Gewissen, ihm Kinder und Heim genommen zu haben. Die Gründe dafür stellte ich in den Hintergrund. Heute kann ich meinen Trennungsprozess nachvollziehen und meine Entscheidung als richtig werten: ich fühlte mich eingeengt, unterdrückt, nicht wahr genommen und fast immer falsch verstanden.

Die spürbare Trauer um den Verlust der intakten Familie, unter der mein geschiedener Mann lange Zeit litt, gab mir das Gefühl, wieder die Stärkere zu sein.

Ich stand nun in Unabhängigkeit ‚meine Frau’, fühlte mich autark und frei, wenn auch permanent an der Grenze zur Überforderung.

Im Zusammenhang mit der Erwähnung meines Ehevertrages unternahm ich einen Zeitsprung von fünfzehn Jahren und habe meiner Geschichte vorgegriffen.

Diese fünfzehn Jahre springe ich nun zurück und bleibe im Zeitraum der Geburt meiner Kinder.

Mutterwerden ist ein Privileg der Frauen. Etwas, was wir allen Männern voraushaben.

Als meine beiden Töchter zur Welt kamen, fühlte ich mich ihnen so nahe wie sonst niemanden, sie waren Teil von mir. Ein Ausdruck, der die Verbundenheit impliziert.

Heute bin ich sehr froh, Töchter zu haben. Ich bin der Überzeugung, ihnen mehr vermitteln zu können als Jungen, weil ich ihnen näher bin durch meine Gleichgeschlechtlichkeit, die besseres Verstehen ermöglicht. Ein Gefühl der Solidarität, weil wir Frauen sind. Ich spreche hier von mir und würde nicht verallgemeinern wollen, denn sicher gibt es andersartige Mutter-Tochter-Beziehungen.

Kinder bekommen zu können bildet eine Frauengemeinschaft, die in vielerlei Hinsicht verbindet, stärkt und Selbstwert schafft.

Ich hatte als Frau das Gefühl, mein Frausein nicht intensiver, stolzer und dankbarer erleben zu können, ein Überlegenheitsgefühl den Männern gegenüber sprach ich mir, wenn ich mich ehrlich analysierte, nicht ab.

Etliche Männer erfahren in der biologischen Tatsache ‚nur’ Väter zu sein, ein nicht kompensierbares Defizit. Ungeachtet dessen auch immer wieder zu hören ist, dass Frauen ihr biologisches Weiblich-Sein negativ bewerten, mit den Argumenten: Männer haben’s gut, die bekommen keine Periode, Männer haben’s gut, die können im Stehen pinkeln und überall, Männer haben’s gut, die haben weniger Angst vor ungewollter Schwangerschaft….Dennoch, manches Mal vielleicht unangenehm, belastend anmutend, wird doch mit dem Austragen eines Kindes und dem oft schwülstig gebrauchten Ausdruck: ‚neues Leben schenken’ ein hohes menschliches Gut weiter gegeben. Wurde mein geschiedener Mann gefragt, was das Schönste in seinem Leben gewesen sei, antwortete er, die Geburt meiner Kinder mit erlebt zu haben. Dass Frauen als Gebärende sich in ihrer Geschlechterrolle positiv fühlen, ist nicht allgemein so. Ich erzähle hier bewusst von meiner subjektiven Erfahrung.

Auch die Zeit des Stillens ist mir als intensive Bereicherung in Erinnerung. Der Vater meiner Kinder verhielt sich vorbildlich, indem er nachts aufstand, mir die Kinder zum Stillen ans Bett brachte und sie anschließend, wenn nötig, wickelte. In dieser Beziehung schien mir unsere partnerschaftliche Rollenaufteilung gerecht und gleichberechtigt.

Insgesamt war ich zu Zeiten der Geburt meiner Kinder und in ihrer kleinkindlichen Entwicklungsphase in meiner Mutterrolle zufrieden und ohne eine zusätzliche Berufstätigkeit zu missen.

(Im Nachhinein glaube ich, dass meine Zufriedenheit in dieser auf die Mutterrolle beschränkten Zeit auch damit zusammenhing, dass ich noch nicht in eine jahrelange Berufstätigkeit hineingewachsen war, sondern erst am Anfang meiner beruflichen Tätigkeit stand und zuvor mit Reisen und unregelmäßiger Berufsausübung beschäftigt war. Zudem ist der Lehrerberuf für eine Auszeit während der Kleinkindzeit sehr geeignet, denn große Karriereleitern, bei denen die Kinderauszeit zum Stillstehen zwingt, sind nicht zu erklimmen.)

Während ich mich in meiner weiblichen Rolle als Hausfrau und Mutter selbst gut akzeptieren konnte (natürlich gab es auch Tage, in denen mir alles zu viel war, die Kinder zu anstrengend, Haus und Garten zu groß und meine Haushalts- und Mutteraufgaben zu hirnlos. Doch erstens vergingen diese Gedanken und zweitens wusste ich mich mit Dingen zu beschäftigen, die meinen Kopf beanspruchten (Lesen, Politik)), doch litt ich in der Zeit meiner Ehe - zu Hause und mit Kleinkindern – unter der finanziellen Abhängigkeit. Dass dies großteils auch an der Struktur meines Exmannes lag, wusste ich auch damals bereits, später aber wurde es mir umso klarer, je mehr ich mich eingeengt und unselbständig fühlte. Ich hatte in den ersten Jahren unserer Ehe kein eigenes Einkommen, kein eigenes Konto, ich war hundertprozentige Mutter und Hausfrau. Ich hatte einen Ehemann, der auf Ordnung, Sauberkeit und Wert legte sowie eine Frau erwartete, die ihn unterstützt, ihm ‚den Rücken frei hält’, möglichst alle Interessen gemeinsam ausübt (gleichgültig, ob es gemeinsame gibt) und abends Händchen haltend am Kamin sitzt. Ich fühlte mich wie gefangen. Dazu unselbständig, unfrei und vor allem unverstanden, wenn ich die zu vielen Gemeinsamkeiten monierte.

Im Grunde unterschied ich mich damals durch nichts vom Leben meiner Mutter eine Generation zuvor. Lediglich eine Haushälterin hatte ich nicht. Ich machte alles selbst.

Aus diesem Zustand schaufelte ich mich nach und nach frei. Ich hatte meine Mutter zeitlebens als unselbständig und von ihrem Ehemann unterdrückt empfunden, nun war ich genau dies ebenso.

Mit viel Energieaufwand, vielen Streitigkeiten, unendlichen Kämpfen, mein Ehemann wollte keine Trennung, ließ ich mich auf meinen Entschluss scheiden, als die Kinder elf und vierzehn Jahre alt waren.

Dies ist nun achtzehn Jahre her und ich gab meine Freiheit zu keinem Moment mehr auf.

Es begannen harte Zeiten, in denen ich den weiblichen und männlichen Part im Alltagsleben gleichzeitig ausfüllte. Ich übernahm die Frauen- und Männerrolle in einem: betreute und erzog meine Kinder, war berufstätig, kümmerte mich um Haus und Garten, unternahm Reisen, pflegte Freundschaften und hatte Männerbeziehungen.

Für Dinge, die ich handwerklich nicht konnte, bezahlte ich Fachleute.

In Dinge, die mich früher nicht interessiert hatten (Finanzen), arbeitete ich mich ein.

Ich genieße bis heute, dass ich keine Auseinandersetzungen mehr führen muss darüber, wann ich weggehe, warum ich weggehe, wann ich wieder komme und ob das überhaupt sein muss. Ich komme und gehe, wann ich will.

Ich mag Männer und ohne Beziehung zu einem Mann war ich seit meinem fünfzehnten Lebensjahr nicht mehr.

Aber ich lasse mir keine Freiheiten mehr nehmen.

Ich lebe seit dem Auszug meines Exmannes allein in meinem Haus und habe für Männer eine Schublade frei, mehr nicht.

Meine Biographie, die ich beschrieben habe, soll die Subjektivität bzw. Perspektivität zeigen, mit der ich das Thema ‚Junge oder Mädchen’ betrachte bzw. behandele.

Dabei geht es mir auch darum, zu verdeutlichen, dass der Blick auf die gesellschaftliche Geschlechterrolle immer auch mit der eigenen Biographie zusammenhängt und von ihr geprägt ist.

Vater-, Mutterrolle, Geschwisterkonstellation, genetische Eigenschaften, Sozialisationsvorbilder, Männerbindungen, Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, all diese Faktoren bilden das Muster zum individuellen Frau- oder Mannsein und wie frau oder man(n) damit umgeht.

Aus meinem eigenen Erfahrungsbereich möchte ich nun drei Exkurse anschließen, die meine Sichtweise auf die Thematik verändert haben und einen bewussteren, kritischeren Umgang zur Folge hatten.

Mädchen oder Junge? Das Geschlechterlabyrinth

Подняться наверх