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ОглавлениеSylvie C. Ange
Weg in die Vergangenheit
Short Vintage Romance
Ich weiß es und Sie wissen es auch …
Aurelie blieb am Straßenrand stehen und stieg aus dem Auto. Sie hatte keine Ahmung wo sie sich befand.
Das fast rote Licht der untergehenden Sonne ließ die Landschaft noch einmal aufleuchten. Die Straße schien unendlich und kein Mensch war weit und breit zu sehen. Sie stieg wieder ein und tippte die Daten erneut in das Navigationsgerät.
»Mach endlich etwas, du grandiose Erfindung der Technik.«
»Fahren Sie sieben Kilometer geradeaus.«
»Sieben Kilometer? Na gut, wenn du meinst.«
Aurelie lachte insgeheim. Gut, dass niemand hören konnte, dass sie mit dem Navigationsgerät sprach.
Die Fahrt war genauso mysteriös, wie der Brief, von dem sie dachte, dass sie ihn nie erhalten würde, aber ihre Recherchen waren unerwartet erfolgreich.
»Biegen Sie links ab und fahren sie drei Kilometer zum Ziel.«
Aurelie blieb stehen und sah skeptisch der linken Abfahrt entgegen.
»Das ist doch nicht wahr, oder? Hier soll ich abbiegen? Direkt in die Wildnis?«
»Biegen Sie links ab und fahren Sie drei Kilometer zum Ziel.«
»Schon gut, ich habe es gehört. Wenn ich im Straßengraben lande, dann wirst du deaktiviert.«
Die steinige Landstraße wurde immer unebener, das Dickicht schien immer dichter zu werden und als die Sonne unterging, erkannte Aurelie nichts, außer ein paar Meter Weg, welcher vom Scheinwerferlicht beleuchtet wurde.
»Verflixt«, murmelte sie, doch dann lichtete sich das Dickicht und eine große Landvilla, aus deren Fenster spärliches Licht fiel, tauchte auf.
Aurelie parkte vor dem Gebäude und stieg aus.
»Bon jour. Aurelie Rosier?«
Die ältere Frau, die vor der Tür stand, schien sie erwartet zu haben.
»Bon jour, Madame. Ja, ich bin Aurelie Rosier. Tut mir leid, dass ich nicht zum vereinbarten Zeitpunkt hier sein konnte.«
Die Frau lachte.
»Wir sind hier sehr weit draußen, so mancher Besucher hat sich schon verfahren. Ich bin Odile Blanc, die Haushälterin. Kommen Sie bitte ins Haus.«
Aurelie nahm ihre Reisetasche aus dem Auto, folgte Madame Blanc und fand sich in einem großen Raum wieder. Die Nachtbeleuchtung ließ alles in einem gedämpften Licht erscheinen, aber Aurelie konnte die weißen Landhausmöbel und die wundervolle Keramik mit getrockneten Lavendel- und Rosensträußen trotzdem eingehend bewundern. Es duftete nach würzigen Kräutern und alles wirkte gastfreundlich.
Aurelie legte ihren rosa Sonnenhut auf einen weißen Metalltisch und band das rosa Band an ihrem langen blonden Zopf fester. Sie merkte, dass Madame Blanc sie mit großen Augen ansah.
»Ist etwas nicht in Ordnung? Soll ich meinen Sonnenhut wo anders hinlegen?«
Madame Blanc schüttelte den Kopf.
»Nein, nein lassen Sie nur. Ich glaube, alles ist in Ordnung.«
»Wie meinen …«
Aurelie konnte ihre Frage nicht zu Ende sprechen.
»Ist sie endlich hier, Odile?«
Jemand kam näher und blieb vor Madame Blanc stehen.
Aurelie war gleichzeitig fasziniert und erschrocken.
»Ja, das ist Aurelie Rosier, Monsieur.«
Der große dunkelhaarige Mann musterte Aurelie, hob kurz seine Augenbrauen und sah sie mit sonderbarem Blick an, dann wandte er sich wieder an Odile Blanc.
»Morgen um zehn Uhr. Pünktlich. Bonne nuit, Odile.«
Er drehte sich wieder zu Aurelie.
»Bonne nuit, Mademoiselle«, sagte er mit dunkler Stimme, sah sie erneut sekundenlang mit finsterem Blick an und ging davon.«
»Ich bin wohl nicht sehr willkommen.«
Odile legte ihre Hand auf Aurelies Arm, lächelte und führte sie weiter.
»Lassen Sie sich nicht einschüchtern. Monsieur Durand ist sehr charmant … wenn er will.«
»Wer ist er«, entfuhr es Aurelie und ärgerte sich gleichzeitig über ihre Neugier.«
»Das ist Monsieur Olivier Durand. Er ist Madame de Rocieres Rechtsanwalt und wird morgen mit Ihnen sprechen.«
Aurelie versuchte ihre Enttäuschung zu verbergen, hatte sie doch gehofft, dass Madame de Rociere sie empfangen würde.
»Wohnt Madames Rechtsanwalt hier?«
Odile lachte.
»Ja, denn er gehört zur Familie.«
Odile Blanc sah sie kurz an und sprach dann in vertraulicher Art weiter.
»Madame hat vor vielen Jahren den kleinen Sohn ihrer innigen Freundin bei ihr aufgenommen und ihn wie ihren eigenen Sohn aufgezogen.«
»Ich verstehe. Und jetzt komme ich und …«
Aurelie fühlte sich plötzlich gar nicht mehr so wohl.
Odile Blanc öffnete eine Tür und Aurelie war begeistert von dem, das sie sah. Ihr Missbehagen, das gerade aufkommen wollte, verschwand wieder. Das Zimmer war ebenso in weißem Landhausstil eingerichtet. Es duftete nach Lavendel und die unzähligen liebevoll gestalteten Dekorationen rundeten die Einrichtung ab. Aurelie nahm einen kleinen weißen Keramikengel von einer Anrichte.
Odile lächelte. »Bonne nuit, Mademoiselle. Ich hole Sie morgen um 9:30 ab.«
Odile drehte sich an der Tür noch einmal um. »Nennen Sie mich Odile.«
»Danke, Odile.«
o
Aurelie war versucht davonzulaufen. Olivier Durand hatte vor sich Schriftstücke liegen, las darin und hatte noch kein einziges Mal aufgeblickt. Er hatte nur gegrüßt, als Odile sie vor ein paar Minuten hergebracht hatte. Ließ er sie absichtlich warten? Wollte er ihr zeigen wie unerwünscht sie war?
Sie hatte monatelang recherchiert. War die Mühe umsonst gewesen? Vielleicht hätte sie die Vergangenheit ruhen lassen sollen?
Während die Gedanken sie überfielen, musste sie sich beherrschen, Olivier Durand nicht allzu auffallend zu mustern, doch es gelang ihr einfach nicht sich von dem männlich geschnittenen Gesichtszügen abzuwenden. Sein schwarzes Haar schimmerte im Sonnenlicht, das durch das große Fenster fiel und Aurelie fiel der dunkle Zauberer eines Märchens ein.
Sie schwelgte wie ein Teenager in Fantasien, doch sie war nicht zum fantasieren hier.
Sie seufzte hörbar. Wo war nur Madame de Rociere?
»Sind Sie nervös?« Oliviers Stimme klang amüsiert.
Aurelie spürte, dass ihre Wangen zu glühen begannen.
»Nein. Ich dachte nur …« Was war nur los mit ihr? Weshalb verwirrte sie dieser Mann so?
Olivier konnte scheinbar Gedanken lesen.
»Madame de Rociere kann den vereinbarten Termin nicht einhalten, denn sie ist noch einige Tage in Avignon. Solange müssen Sie mit mir sprechen.«
Warum nur war sie so aufgewühlt? Fasse dich, Aurelie.
»Also gut.« Oliviers Stimme klang wieder so unnahbar, wie bei der ersten Begegnung. Er legte die Schriftstücke beiseite und nahm das oberste Blatt in die Hand.
»Nach ihrem Brief zu schließen, meinen Sie, dass Madame Fabienne de Rociere ihre Großmutter ist? Wie sind Sie zu dieser Vermutung gekommen?«
Aurelie schluckte. Sie kam sich plötzlich wie ein Eindringling vor. Dass ihre Nachforschungen Konsequenzen haben könnten, daran hatte sie nicht gedacht.
»Bevor meine Mutter starb, hatte sie mir gesagt, dass der richtige Name meines Vaters auf dem Foto steht, das sie aufbewahrt und immer bei sich getragen hatte. Ich wollte nun mehr über meinen Vater, dessen Name Vincent de Rociere war, erfahren und meine Recherchen führten mich hier her.«
»Eine sehr vage Ausführung. Ein Name auf einem Foto ist kein Beweis. Trotzdem sind wir sehr neugierig auf Sie und haben Sie deshalb eingeladen, um Licht in die Sache zu bringen. Hatte ihre Mutter noch einen anderen Beweis?«
Olivier lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
Aurelie fühlte sich immer unbehaglicher.
»Mehr kann ich Ihnen nicht bieten. Wenn ich bessere Beweise hätte, dann hätte ich Sie Ihnen gegeben.«
Aurelie rutschte an den Stuhlrand.
»Zeigen Sie mir das Foto.«
Olivier schien jede ihrer Regungen zu verfolgen. So hatte sie sich das alles nicht vorgestellt. Sie versuchte ihre Gedanken zu ordnen, holte das Foto aus ihrer Mappe und reichte es Olivier. Als sich ihre Finger berührten war es so, als ob sie elektrischer Strom durchfuhr und zum ersten Mal sah sie Olivier lachen. Er hatte ein faszinierendes Lachen, das sie unter anderen Umständen angesteckt hätte.
»Sie sind wohl sehr geladen.« Er betrachtete das Foto, drehte es um, las und gab es ihr wieder.
»Wenn Sie die Rückseite oben genau betrachten, können Sie eine Zahl sehen. Vincent de Rociere war Künstler und das ist eines der Autogrammfotos. Diese Fotos gibt es überall.«
Aurelie rutschte noch weiter an den Rand des Stuhls und richtete sich gerade auf. Sie hörte nicht mehr was ihr Gegenüber weiter sprach. Ihr wurde nur bewusst, dass sie wie eine Lügnerin wirkte. Ohne klar zu denken, stand sie auf und flüchtete in ihr Zimmer, nahm die Reisetasche und begann zu packen. Dann hielt sie inne und schloss kurz die Augen. Was machte sie nur? Sie benahm sich reichlich albern.
Es klopfte an der Tür. Bevor Aurelie etwas sagen konnte, wurde sie bereits geöffnet und Olivier Durand stand vor ihr.
»Sind Sie eigentlich erwachsen? Finden Sie nicht, dass Sie sich infantil verhalten?«
Sie wusste selbst nicht weshalb sie wie ein trotziges Kind reagierte. »Sie haben mir zwischen den Zeilen mitgeteilt, dass die Fotos in viele Hände gelangten, vermutlich auch in die Hände meiner Mutter, die sich daraufhin eine Lügengeschichte ausdachte. Ich habe daher beschlossen, wieder abzureisen.«
Oliviers Miene war undurchdringlich, als er langsam näher kam. »Meinten Sie tatsächlich, dass Ihnen niemand zu Ihrer Behauptung Fragen stellen wird? Sie müssen zugeben, dass Sie sich wohl Illusionen hingegeben haben.«
Aurelie hielt dem Blick stand.
»Das ist jetzt egal, denn ich reise wieder ab.«
Olivier kam so nah, dass kaum noch Abstand zwischen ihnen blieb. Er hob die Hand und strich über ihr Kinn. Aurelie wollte sich bewegen, aber sie starrte nur, wie paralysiert in seine dunklen Augen.
Er stand still, blickte sie für unendlich lange Sekunden nur an.
»Sie werden nicht abreisen. Ich weiß es und Sie wissen es auch.«
Ohne weitere Worte, verließ er den Raum.
Aurelie sank auf das Bett und umklammerte ihre Reisetasche. Weshalb machte sie ihren, gerade eben gefassten Entschluss abzureisen nicht wahr?
o
Aurelie wollte an die Bürotür klopfen.
»Bon jour, Aurelie. Wollen Sie zu Monsieur Olivier?«
Madame Blanc stand mit einem Tablett, worauf eine duftende Feigentarte lag, vor ihr.
»Bon jour. Ist er hier?«
Odile schüttelte den Kopf.
»Monsieur Olivier reitet noch vor dem Frühstück aus. Nehmen sie inzwischen ein Stück Feigentarte. Er wird bald zurück sein.«
»Ich bin zurück«, hörte sie seine Stimme.
Aurelie stellte fest, dass Olivier ihr auch in Reitkleidung sehr gefiel.
»Bon jour, Aurelie«, sagte er, als er die Bürotür öffnete und sie hinein bat.
»Kommt Madame Rociere heute?«, fragte sie gleich darauf los.
»Möglicherweise.«
Er setzte sich und schaltete den Computer ein.
»Heute ist der letzte Tag, Monsieur, und ich muss wieder zurück nach Hause. Nachdem Sie gestern bei unserem Spaziergang gar keine Fragen mehr stellten, dachte ich, dass Madame heute kommt.«
»Ich hatte den Eindruck, der Spaziergang durch unsere Felder hat Ihnen gefallen?«
Aurelie musste zugeben, dass sie den Spaziergang mit ihm genossen und ihn immer wieder heimlich beobachtet hatte.
»Er hat mir gefallen, dennoch muss ich nach Hause.«
Sie biss in die Feigentarte und ein kleines Feigenstück fiel auf ihre Bluse. Sie blickte an sich hinunter und als sie wieder hoch sah, stand Olivier vor ihr. Grinsend nahm er ihr das Stück Feigentarte aus der Hand, legte es beiseite und nahm das Feigenstückchen, das nun unaufhörlich tiefer rutschte, vorsichtig weg.
Obwohl seine Finger kaum den Stoff der Bluse berührt hatten, fühlte Aurelie, als ob sie es getan hätten.
»Was ist los, Aurelie?«
Seine Stimme klang sanft und geheimnisvoll gleichzeitig.
Aurelie merkte, dass sie völlig verunsichert war. »Ich weiß eigentlich nicht wie ich weiter darlegen soll, das Madame Rociere meine Großmutter ist. Wie ich schon sagte, habe ich keine Beweise mehr. Inzwischen habe ich auch Zweifel bekommen. Ich denke, es war nicht richtig hierher zu kommen.«
Aurelie stand mit dem Rücken zur Bürotür und plötzlich spürte sie, dass dort jemand stehen musste.
»Es war gut, dass du hierher gekommen bist, Aurelie.«
Die Stimme, die sie hörte, kam ihr bekannt vor, aber das konnte doch nicht möglich sein. Sie drehte sich um und sah auf die wunderschöne weißhaarige Dame. Die Frau schien ihr vertraut, und als sie näher kam, wusste sie weshalb. Sie hatte die gleiche Haltung, dieselbe strahlende Augenfarbe wie sie selbst, auch die kleine Nase stimmte überein und selbst die Vorliebe für Sonnenhüte war zu sehen, denn die ältere Dame hielt fast denselben Hut in der Hand, wie jenen, den sie selbst besaß. Olivier nahm galant die Hand der Frau.
»Das ist Madame Fabienne de Rociere.«
»Ich bin deine Großmutter, Aurelie.«
Aurelie stand wie angewurzelt.
»Ich habe von diesem Moment immer geträumt und nun … nun weiß ich nicht, was ich tun soll.«
Ihre Großmutter kam näher und umarmte sie herzlich.
»Zunächst begrüßt man sich, nicht wahr?«
Sie löste sich wieder und betrachtete sie lächelnd.
»Ich bin von meinen Recherchen schon gestern zurückgekehrt und war überrascht als ich dich sah. Verzeih meine Geheimniskrämerei, aber Olivier bat mich, mich noch bis heute im Hintergrund zu halten.
Sie lächelte vielsagend.
»Ich muss zugeben, dass ich ungläubig war, als ich deinen Brief las.« Ihre Großmutter strich über ihr Haar, und musterte sie für einen Moment genau. »Doch es gibt keinen Zweifel, denn es ist nicht zu übersehen, dass du meine Enkelin bist. Du hast meine und die deines Vaters Augenfarbe, die Nase und selbst der Name … er mochte Rosen.«
Inzwischen war auch Odile dazugekommen.
»Du hattest recht, Odile«, sagte Fabienne de Rociere.
Odile nickte ihr mit einem wissenden Lächeln zu.
o
Aurelie verbrachte eine wunderbare Zeit mit ihrer Großmutter, die ihr unzähligen Fotos von ihrem Vater zeigte, der viel zu früh sein Leben verlor.
Dann war es unwiderruflich an der Zeit zurückzufahren.
Aurelie wischte ärgerlich die vorwitzigen Tränen von ihren Wangen, während sie packte. Endlich hatte sich ihr Wunsch erfüllt, nur die Begegnung mit Olivier war nicht eingeplant gewesen. Sie wusste, dass sie auch seinetwegen nicht gehen wollte.
Plötzlich klopfte es und Olivier kam herein.
»Willst du tatsächlich abreisen?«
»Ich will nicht, aber ich muss.«
»Du musst?«
»Mein Urlaub ist zu Ende. Ja, ich muss zurück.«
Sie gestikulierte mit ihren Händen.
»Sieh mich an, Aurelie.«
Sie verlor sich in seinem Blick.
»Du musst nicht, wenn du nicht willst.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Aurelie, du weißt alles, du wusstest es schon am ersten Tag, als ich dir sagte, dass du bleiben wirst.«
Aurelie sah in seine Augen und einige Minuten versanken sie ineinander. »Die Zeit war doch viel zu kurz. Ich weiß nicht was ich tun soll.«
Er nahm ihre Hände und sie spürte die Wärme und die Glut, die er in ihr entfachte. »Manchmal sind Worte nur Worte. Du weißt sehr genau, was du tun musst«, sagte er und sein Gesicht kam näher.
In Inneres und ihr Verstand kämpften. Verrückter Verstand. Lass mich in Ruhe. Sie schloss die Augen und fühlte noch mal diese unglaubliche Wärme und die Glut, die sich in ihrem Körper ausbreiteten und ihr ein Gefühl des Angekommenseins gab. Was sagte Olivier am ersten Tag –
»Ich weiß es und Sie wissen es auch …«